Für Die Linke ist Krieg kein Mittel der Politik. Unsere Vision ist die einer Friedensmacht Deutschland, die bei Ungerechtigkeiten und Gewalt in der Welt nicht wegschaut, sondern sich mit friedlichen Mitteln einmischt und an der Seite der Angegriffenen und Unterdrückten steht. Ein Land, in dem das Primat des Zivilen gilt, das immer erst nach friedlichen Lösungen sucht und nicht mit dem Finger am Abzug denkt. Ein Land, das in der ganzen Welt dafür geachtet wird, dass es weder Waffen noch Soldat*innen ins Ausland schickt, sondern Friedensfachkräfte, Aufbauhilfe und gerechte Handelsverträge.

Den Frieden sichern, ohne kriegerisch zu werden. Das ist die Herausforderung, der wir uns stellen. Viele sicher geglaubte Wahrheiten sind in den letzten Jahren verloren gegangen. Seit 2022 stellt sich vielen die Frage: Wie kann sich die Ukraine gegen diesen brutalen Angriff verteidigen? Wie könnte es ohne Waffen zu einem Frieden kommen, ohne dass Russland das Land übernimmt? Viele Menschen sind verunsichert, weil es keine leichten Antworten gibt. Unser Genosse Raul Zelik hat es einmal gut auf den Punkt gebracht: Alle ›realpolitischen‹ Lösungen sind katastrophal. Wenn Russland die Ukraine militärisch unterwirft, ist das eine Einladung an alle imperialistischen Projekte gegen Nachbarländer. Wenn die NATO hingegen hochmoderne Waffen liefert, um den Kollaps der Ukraine zu verhindern, hält das einen Abnutzungskrieg in Gang, an dessen Ende im besten Fall Hunderttausende, im schlechtesten Milliarden Menschen tot sind.

In dieser Situation gibt es keine einfachen Antworten. Wer sich für Waffenlieferungen an die Ukraine ausspricht, ist deshalb noch lange kein*e Kriegstreiber*in. Andersherum gilt auch: Wer sich – so wie ich – gegen Waffenlieferungen ausspricht, steckt deswegen noch lange nicht mit Putin unter einer Decke.

Primat des Zivilen

Die Linke ist keine radikalpazifistische Partei. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass der Naziterror nur mit militärischer Gewalt gestoppt werden konnte und sehr hohe Opfer von den alliierten Truppen – allen voran von der Roten Armee – gefordert hat. Unser Pazifismus heißt deshalb: Primat des Zivilen. Wenn Konflikte gewalttätig werden, muss die Suche nach nicht-militärischen Lösungen Vorrang vor allem anderen haben. Nicht der schnelle Griff zur Waffe, sondern die Suche nach klugen politischen Lösungen, um die Gewalt einzudämmen. Aus der Friedensforschung kennen wir sehr viele Beispiele dafür, dass es auch in den eskaliertesten Situationen friedliche Wege zum Frieden geben kann. So können Methoden der zivilen Krisenprävention oft sogar schneller und effektiver wirken als Waffen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es kaum einen Gewaltkonflikt oder Krieg, der mit dem Naziterror vergleichbar und einer friedlichen Konfliktlösung nicht zugänglich gewesen wäre.

Aus meiner Sicht ist es ein zentrales Versagen der Bundesregierung, nicht konsequent von Anfang an alle diplomatischen oder wirtschaftlichen Mittel für eine friedliche Beilegung des Russland-Ukraine-Krieges eingesetzt zu haben. Ich bin der Überzeugung, dass es Möglichkeiten gegeben hätte – und immer noch gibt –, eine Verhandlungslösung herbeizuführen. Deshalb bin ich gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine. 

Die Frage, wie wir möglichst schnell zu einer gerechten Friedenslösung kommen, müssen alle beantworten, egal ob aus einer Position für oder gegen Waffenlieferungen. Leider wird sie kaum gestellt und schon gar nicht breit diskutiert. Seit über zwei Jahren wird in Deutschland fast ausschließlich über die Frage gestritten, ob nur schwere oder auch ganz schwere Waffen an die Ukraine geliefert werden sollten. Fragen nach Diplomatie und Verhandlungen wurden im besten Fall ­belächelt, oft genug auch mit wüsten Beschimpfungen belegt und aus der Debatte gedrängt. 

Verhandlungen konkret denken

Einfach nur »Diplomatie« zu rufen ist noch lange keine aktive Friedenspolitik. Wer ernsthaft eine internationale Solidarität lebt und an der Seite der Menschen in der Ukra­ine steht, muss auch konkrete Vorschläge machen, wie es über Diplomatie zu einem gerechten Frieden kommen kann – und keinem Diktatfrieden, in dem der Stärkere sich durchsetzt und das Völkerrecht auf dem Müllhaufen der Geschichte landet.

»Verhandlungen kommen nicht von allein, sie müssen vorbereitet werden, ganz praktisch, vor allem aber auch politisch.«

Verhandlungen kommen nicht von allein, sie müssen vorbereitet werden, ganz praktisch, vor allem aber auch politisch. Aus anderen Kriegen wissen wir, dass Verhandlungen dann wahrscheinlicher werden, wenn es eine öffentliche internationale Diskussion von starken Partnerländern gibt. Übertragen auf den Russland-Ukraine-Krieg würde das bedeuten, China dafür zu gewinnen, Einfluss auf Russland in Richtung Friedensverhandlungen zu nehmen. Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass die chinesische Führung Moskau in den Rücken fallen würde. Aber auch Peking sieht diesen Krieg als großen Fehler und als Gefahr für die eigenen Interessen. China hat mehrfach die Bereitschaft für eine diplomatische Rolle im Krieg signalisiert – die allerdings in der EU und den USA bislang kaum aufgegriffen wurde. Dabei muss allen klar sein, dass ein schneller Weg zu Friedensverhandlungen ohne China kaum denkbar ist. Wenn allerdings Xi Jinping einlädt, kommt Wladimir Putin auf jeden Fall.

Und ja, man muss auch mit einem Wladimir Putin verhandeln. Friedensverhandlungen finden immer zwischen ärgsten Feinden statt. Entspannungspolitik braucht es nicht unter Freunden, sondern mit denen, die wir politisch kritisch sehen oder verurteilen. Deutschland muss sich entscheiden: Will es im Weltmachtkonflikt eng an der Seite der USA stehen, im Konflikt mit China? Oder möchte es eine öffentliche Aufwertung Chinas riskieren, um ein Möglichkeitsfenster zum Frieden aufzustoßen? Unser Kompass ist hier ganz klar: Für jeden gelieferten Kampfpanzer hätte Olaf Scholz besser einmal nach Peking fliegen sollen. Niemand kann garantieren, dass ein von China angestoßener Friedensprozess jetzt schon Erfolge gezeigt hätte. Aber wir wissen mit Sicherheit, dass die Waffenlieferungen uns bislang nicht einen Millimeter näher an ein Ende des Krieges gebracht haben.

Kooperative Sicherheit

Eine Friedenslösung für die Ukraine wird auch dadurch erschwert, dass der Krieg schnell Züge eines Stellvertreterkrieges angenommen hat. So gab der US-Verteidigungsminister nur zwei Monate nach der russischen Invasion das Ziel aus, dass das russische Militär nachhaltig geschwächt werden solle. Mit Solidarität oder Unterstützung für die Menschen in der Ukraine hat das nichts zu tun.

Die Konkurrenz zwischen Russland und der NATO könnte auch künftige Schritte in Richtung eines nachhaltigen Friedens verhindern. Deshalb ist ein Blick auf die Vorgeschichte des Krieges wichtig. Nicht für eine Relativierung oder Erklärung des russischen Angriffskrieges, sondern um aus der Geschichte zu lernen und in den kommenden Jahrzehnten nicht die Fehler der letzten 30 Jahre zu wiederholen.

»Dauerhafte Sicherheit kommt nicht aus den Gewehrläufen, sondern aus einer langfristigen Vertrauensbildung und Kooperation.«

Dauerhafte Sicherheit kommt nicht aus den Gewehrläufen, sondern aus einer langfristigen Vertrauensbildung und Kooperation. So wie es – mitten im Kalten Krieg – die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vorgemacht hat, braucht es auch heute wieder ein System der kooperativen Sicherheit auf dem eurasischen Kontinent. Ein Sicherheitssystem, das Russland, China, Indien und alle anderen Länder auf dem Kontinent einbezieht und in dem Interessenkonflikte kooperativ gelöst werden. Eine Entspannungspolitik nicht nur zwischen zwei Großmächten, sondern unter Einbeziehung möglichst vieler Staaten in der Region. Angesichts der russischen Aggression in der Ukraine scheint ein solches System weiter entfernt als je zuvor, denn die Basis einer kooperativen Sicherheit ist Vertrauen. Dieses Vertrauen wieder herzustellen und zu entwickeln, wird die wichtigste friedens­politische Aufgabe der nächsten Jahrzehnte sein. Die Alternative wäre eine dauerhafte ­militärische Konfrontation im Herzen Europas, mit der ständigen Gefahr eines großen letzten Krieges.

Wir haben dann eine Chance auf eine friedlichere Zukunft in Europa, wenn wir aus Fehlern lernen und uns als Linke rückbesinnen auf die Prinzipien der Entspannungspolitik. Kein Kalter Krieg 2.0, sondern eine OSZE 2.0, das ist unsere Vision eines friedlichen Europas.

Sicherheit ist für die meisten Menschen – zu Recht – ein ganz zentrales Bedürfnis. Sicherheit heißt für uns aber nicht nur Sicherheit vor Terror oder Angriffskriegen, sondern auch die Sicherheit vor Hunger, Ausbeutung, Armut und Gewalt. Bei den Vereinten Nationen wird das als »menschliche Sicherheit« bezeichnet.

Ein wichtiger Schritt zu kooperativer Sicherheit ist der Umbau der Bundeswehr mit dem alleinigen Ziel der Landesverteidigung – ohne militärische Fähigkeiten für einen eigenen Angriffskrieg oder für Auslandseinsätze. Das Konzept der Strukturellen Nichtangriffsfähigkeit ist unser Leitbild für den Umbau und eine mittelfristige Reduzierung der Bundeswehr. 

Stärkung der Vereinten Nationen, Multipolarität, klassische Blauhelme und kluge Sanktionen

Globale Probleme brauchen globale Antworten. Epidemien, Klimawandel, Armut und Hunger können nur im globalen Miteinander gelöst werden. Deshalb braucht es eine Kooperation mit allen Staaten und dafür wiederum eine starke UNO, die deutlich handlungsfähiger ist als heute. Die undemokratische Struktur des UN-Sicherheitsrates mit dem Vetorecht einiger weniger Staaten ist nicht geeignet, die Weltprobleme zu lösen. Auch eine Vergrößerung des Sicherheitsrates oder die Ausweitung der Vetorechte werden am Grundproblem nichts ändern. Deshalb plädieren wir für eine Reform der Vereinten Nationen, in denen wichtige Befugnisse – allen voran die Entscheidungen zur Wahrung des Weltfriedens – vom Sicherheitsrat auf die UN-Generalversammlung übertragen werden. So lassen sich doppelte Standards bei der Achtung der Menschenrechte eindämmen. Menschenrechte sind unteilbar und müssen überall für alle Menschen gleichermaßen gelten. Im heutigen UN-Alltag werden Menschenrechtsverletzungen in vielen Fällen ignoriert und zuweilen als Kriegsbegründung missbraucht, wenn es den Interessen der Vetomächte dient.

Die Multilateralität der Vereinten Nationen, bei der im optimalen Fall alle Staaten gleichberechtigt Problemlösungen erarbeiten, bleibt das höchste Ziel. Gegenwärtig beobachten wir leider eine entgegengesetzte Entwicklung mit einer neuen Blockkonfrontation, in der Russland und China den NATO-Staaten gegenüberstehen. Eine solche Bipolarität gilt es zu vermeiden, weil ihr die größtmögliche Instabilität innewohnt und sie ein immer­währendes Sicherheitsrisiko für die Weltgemeinschaft darstellt. Eine multipolare Welt, in der auch die EU eine größere strategische Eigenständigkeit gegenüber den USA bewahrt, wäre deshalb ein zentraler Zwischenschritt auf dem langen Weg hin zu einer echten multilateralen Welt.

Die Charta der Vereinten Nationen sieht in Kapitel VII als letzte Maßnahme zur Sicherung des Weltfriedens den Einsatz bewaffneter Truppen vor, um den Frieden wiederherzustellen. Dieses Konzept der »robusten« UN-Einsätze ist auf der ganzen Linie gescheitert und wird von uns abgelehnt. Militäreinsätze nach Kapitel VII der UN-Charta bedeuten, dass die Vereinten Nationen auf einer Seite mitkämpfen und versuchen, einen Krieg militärisch zu gewinnen. »Robuste« Kampfeinsätze sind keine Friedenslösung, sondern die Fortführung des Krieges mit militärischen Mitteln, um eine Entscheidung zu erzwingen. In vielen bisherigen Missionen hat sich gezeigt, dass für eine echte Kriegsbeteiligung und einen militärischen Sieg ihre Stärke nicht ausreichte. Die Vereinten Nationen müssten eine sehr große eigene Militärmacht unterhalten, um in »robusten« Einsätzen effektiv mitkämpfen zu können. Diese Vorstellung der UN als Militärmacht, die gegen jedes andere Land Kriege führen und gewinnen könnte und dabei von einem undemokratischen Sicherheitsrat kontrolliert wird, lehne ich rundheraus ab. 

Aus meiner Sicht könnten hingegen klassische Blauhelmeinsätze, die – wie etwa in Zypern – mit Zustimmung aller Seiten, unparteilich und ohne Gewaltanwendung nach einem Friedensschluss eingesetzt werden, eine wichtige friedenserhaltende Rolle spielen. Ich würde mir wünschen, dass wir als Partei über diese – sicherlich kontroverse – Frage einmal grundlegend gemeinsam diskutieren. 

Zur Frage der Sanktionen gab es bereits erste Schritte einer solchen Diskussion in der Partei. Ich denke, dass wirtschaftliche oder andere Sanktionen gegen einzelne Länder oder Personen im Idealfall ein wirksames Mittel sein könnten, um bei der Störung des Weltfriedens Druck auf einen Aggressor auszuüben, so wie es die UN-Charta vorsieht. Allerdings ist das Missbrauchspotenzial von Sanktionen sehr hoch, in einigen Fällen wurden Millionen Unschuldige getroffen. Schlecht gemachte Sanktionen wirken nicht und ganz schlecht gemachte können sogar schwere Schäden anrichten. Es kommt deshalb darauf an, klare Ziele gemeinsam mit einer klaren Aufhebungsperspektive zu definieren, keine national-egoistischen Interessen zu verfolgen, sie gezielt gegen die Verantwortlichen und ihre Machtbasis zu richten und ungewollte Nebeneffekte so gering wie möglich zu halten. Derartige kluge Sanktionen finde ich im Einzelfall überlegenswert, wenn sie als Ausdruck internationaler Solidarität mit den Angegriffenen, Verfolgten und Unterdrückten dieser Welt von den Vereinten Nationen beschlossen werden.

Konsequente Abrüstung

Die Abrüstungsarchitektur aus der Zeit des Kalten Krieges liegt in Trümmern, die Zeichen stehen weltweit auf Aufrüstung mit der Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufes zwischen den Blöcken China/Russland und NATO. Im Rahmen der Vereinten Nationen sind nennenswerte neue Abrüstungsbemühungen nicht in Sicht. Deshalb unterstützt Die Linke alle Abrüstungsbemühungen von unten, bei denen die globale Zivilgesellschaft für eine Eindämmung des Rüstungswahnsinns eintritt. In den vergangenen Jahrzehnten waren mehrere solcher Initiativen erfolgreich, vom Landminenverbot und dem Waffenhandelsvertrag bis hin zum Atomwaffenverbotsvertrag. Daran wollen wir anknüpfen und unterstützen globale Initiativen zur Abrüstung und zur Reduzierung der Militärausgaben. Dabei müssen wir uns von der Logik des Kalten Krieges lösen, global denken und vor allem China mit einbeziehen.

Die Linke sollte als Partei und Friedensbewegung ganz konkret die globale Initiative »10 Prozent für alle« unterstützen, die für eine gleichzeitige Reduzierung aller Militärhaushalte eintritt. Die Grundidee ist einfach: Wenn alle Länder gleichzeitig ihre Militäretats absenken, bleibt die relative Sicherheit für jedes einzelne Land gleich. Das Gleichgewicht der Kräfte wird nicht verändert, dafür werden jährlich 244 Milliarden US-Dollar eingespart, die für die Bekämpfung von Armut und die Folgen der Klimakrise eingesetzt werden können.

Frieden selber machen

Unsere Vision ist ein Land, das bei Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen nicht tatenlos zuschaut, sondern sein Gewicht und seine Erfahrung einbringt, um Konflikte friedlich zu lösen. Ein Land, das nicht als militärische Macht oder mit Waffenlieferungen Außenpolitik betreibt. Ein Land, in dem der Gesundheitsminister die Krankenhäuser nicht kriegs-, sondern menschentauglich macht. In dem die Bildungsministerin nicht Zivilschutzübungen an Schulen vorschlägt, sondern Friedenserziehung. In dem das Wirtschaftsministerium nicht die Interessen der Rüstungsindustrie schützt, sondern sie kontrolliert, um den Frieden in der Welt zu schützen.

Eine solche friedliche Sicherheitspolitik – oder sichere Friedenspolitik – kommt nicht von allein. Das können wir nur gemeinsam schaffen. Die Vorstellung einer Friedensmacht Deutschland ist keine Utopie, wir könnten sie hier und heute Wirklichkeit werden lassen. Wir sind dabei.

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