Dauerhafte Sicherheit kommt nicht aus den Gewehrläufen, sondern aus einer langfristigen Vertrauensbildung und Kooperation. So wie es – mitten im Kalten Krieg – die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vorgemacht hat, braucht es auch heute wieder ein System der kooperativen Sicherheit auf dem eurasischen Kontinent. Ein Sicherheitssystem, das Russland, China, Indien und alle anderen Länder auf dem Kontinent einbezieht und in dem Interessenkonflikte kooperativ gelöst werden. Eine Entspannungspolitik nicht nur zwischen zwei Großmächten, sondern unter Einbeziehung möglichst vieler Staaten in der Region. Angesichts der russischen Aggression in der Ukraine scheint ein solches System weiter entfernt als je zuvor, denn die Basis einer kooperativen Sicherheit ist Vertrauen. Dieses Vertrauen wieder herzustellen und zu entwickeln, wird die wichtigste friedenspolitische Aufgabe der nächsten Jahrzehnte sein. Die Alternative wäre eine dauerhafte militärische Konfrontation im Herzen Europas, mit der ständigen Gefahr eines großen letzten Krieges.
Wir haben dann eine Chance auf eine friedlichere Zukunft in Europa, wenn wir aus Fehlern lernen und uns als Linke rückbesinnen auf die Prinzipien der Entspannungspolitik. Kein Kalter Krieg 2.0, sondern eine OSZE 2.0, das ist unsere Vision eines friedlichen Europas.
Sicherheit ist für die meisten Menschen – zu Recht – ein ganz zentrales Bedürfnis. Sicherheit heißt für uns aber nicht nur Sicherheit vor Terror oder Angriffskriegen, sondern auch die Sicherheit vor Hunger, Ausbeutung, Armut und Gewalt. Bei den Vereinten Nationen wird das als »menschliche Sicherheit« bezeichnet.
Ein wichtiger Schritt zu kooperativer Sicherheit ist der Umbau der Bundeswehr mit dem alleinigen Ziel der Landesverteidigung – ohne militärische Fähigkeiten für einen eigenen Angriffskrieg oder für Auslandseinsätze. Das Konzept der Strukturellen Nichtangriffsfähigkeit ist unser Leitbild für den Umbau und eine mittelfristige Reduzierung der Bundeswehr.
Stärkung der Vereinten Nationen, Multipolarität, klassische Blauhelme und kluge Sanktionen
Globale Probleme brauchen globale Antworten. Epidemien, Klimawandel, Armut und Hunger können nur im globalen Miteinander gelöst werden. Deshalb braucht es eine Kooperation mit allen Staaten und dafür wiederum eine starke UNO, die deutlich handlungsfähiger ist als heute. Die undemokratische Struktur des UN-Sicherheitsrates mit dem Vetorecht einiger weniger Staaten ist nicht geeignet, die Weltprobleme zu lösen. Auch eine Vergrößerung des Sicherheitsrates oder die Ausweitung der Vetorechte werden am Grundproblem nichts ändern. Deshalb plädieren wir für eine Reform der Vereinten Nationen, in denen wichtige Befugnisse – allen voran die Entscheidungen zur Wahrung des Weltfriedens – vom Sicherheitsrat auf die UN-Generalversammlung übertragen werden. So lassen sich doppelte Standards bei der Achtung der Menschenrechte eindämmen. Menschenrechte sind unteilbar und müssen überall für alle Menschen gleichermaßen gelten. Im heutigen UN-Alltag werden Menschenrechtsverletzungen in vielen Fällen ignoriert und zuweilen als Kriegsbegründung missbraucht, wenn es den Interessen der Vetomächte dient.
Die Multilateralität der Vereinten Nationen, bei der im optimalen Fall alle Staaten gleichberechtigt Problemlösungen erarbeiten, bleibt das höchste Ziel. Gegenwärtig beobachten wir leider eine entgegengesetzte Entwicklung mit einer neuen Blockkonfrontation, in der Russland und China den NATO-Staaten gegenüberstehen. Eine solche Bipolarität gilt es zu vermeiden, weil ihr die größtmögliche Instabilität innewohnt und sie ein immerwährendes Sicherheitsrisiko für die Weltgemeinschaft darstellt. Eine multipolare Welt, in der auch die EU eine größere strategische Eigenständigkeit gegenüber den USA bewahrt, wäre deshalb ein zentraler Zwischenschritt auf dem langen Weg hin zu einer echten multilateralen Welt.
Die Charta der Vereinten Nationen sieht in Kapitel VII als letzte Maßnahme zur Sicherung des Weltfriedens den Einsatz bewaffneter Truppen vor, um den Frieden wiederherzustellen. Dieses Konzept der »robusten« UN-Einsätze ist auf der ganzen Linie gescheitert und wird von uns abgelehnt. Militäreinsätze nach Kapitel VII der UN-Charta bedeuten, dass die Vereinten Nationen auf einer Seite mitkämpfen und versuchen, einen Krieg militärisch zu gewinnen. »Robuste« Kampfeinsätze sind keine Friedenslösung, sondern die Fortführung des Krieges mit militärischen Mitteln, um eine Entscheidung zu erzwingen. In vielen bisherigen Missionen hat sich gezeigt, dass für eine echte Kriegsbeteiligung und einen militärischen Sieg ihre Stärke nicht ausreichte. Die Vereinten Nationen müssten eine sehr große eigene Militärmacht unterhalten, um in »robusten« Einsätzen effektiv mitkämpfen zu können. Diese Vorstellung der UN als Militärmacht, die gegen jedes andere Land Kriege führen und gewinnen könnte und dabei von einem undemokratischen Sicherheitsrat kontrolliert wird, lehne ich rundheraus ab.
Aus meiner Sicht könnten hingegen klassische Blauhelmeinsätze, die – wie etwa in Zypern – mit Zustimmung aller Seiten, unparteilich und ohne Gewaltanwendung nach einem Friedensschluss eingesetzt werden, eine wichtige friedenserhaltende Rolle spielen. Ich würde mir wünschen, dass wir als Partei über diese – sicherlich kontroverse – Frage einmal grundlegend gemeinsam diskutieren.
Zur Frage der Sanktionen gab es bereits erste Schritte einer solchen Diskussion in der Partei. Ich denke, dass wirtschaftliche oder andere Sanktionen gegen einzelne Länder oder Personen im Idealfall ein wirksames Mittel sein könnten, um bei der Störung des Weltfriedens Druck auf einen Aggressor auszuüben, so wie es die UN-Charta vorsieht. Allerdings ist das Missbrauchspotenzial von Sanktionen sehr hoch, in einigen Fällen wurden Millionen Unschuldige getroffen. Schlecht gemachte Sanktionen wirken nicht und ganz schlecht gemachte können sogar schwere Schäden anrichten. Es kommt deshalb darauf an, klare Ziele gemeinsam mit einer klaren Aufhebungsperspektive zu definieren, keine national-egoistischen Interessen zu verfolgen, sie gezielt gegen die Verantwortlichen und ihre Machtbasis zu richten und ungewollte Nebeneffekte so gering wie möglich zu halten. Derartige kluge Sanktionen finde ich im Einzelfall überlegenswert, wenn sie als Ausdruck internationaler Solidarität mit den Angegriffenen, Verfolgten und Unterdrückten dieser Welt von den Vereinten Nationen beschlossen werden.
Konsequente Abrüstung
Die Abrüstungsarchitektur aus der Zeit des Kalten Krieges liegt in Trümmern, die Zeichen stehen weltweit auf Aufrüstung mit der Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufes zwischen den Blöcken China/Russland und NATO. Im Rahmen der Vereinten Nationen sind nennenswerte neue Abrüstungsbemühungen nicht in Sicht. Deshalb unterstützt Die Linke alle Abrüstungsbemühungen von unten, bei denen die globale Zivilgesellschaft für eine Eindämmung des Rüstungswahnsinns eintritt. In den vergangenen Jahrzehnten waren mehrere solcher Initiativen erfolgreich, vom Landminenverbot und dem Waffenhandelsvertrag bis hin zum Atomwaffenverbotsvertrag. Daran wollen wir anknüpfen und unterstützen globale Initiativen zur Abrüstung und zur Reduzierung der Militärausgaben. Dabei müssen wir uns von der Logik des Kalten Krieges lösen, global denken und vor allem China mit einbeziehen.
Die Linke sollte als Partei und Friedensbewegung ganz konkret die globale Initiative »10 Prozent für alle« unterstützen, die für eine gleichzeitige Reduzierung aller Militärhaushalte eintritt. Die Grundidee ist einfach: Wenn alle Länder gleichzeitig ihre Militäretats absenken, bleibt die relative Sicherheit für jedes einzelne Land gleich. Das Gleichgewicht der Kräfte wird nicht verändert, dafür werden jährlich 244 Milliarden US-Dollar eingespart, die für die Bekämpfung von Armut und die Folgen der Klimakrise eingesetzt werden können.
Frieden selber machen
Unsere Vision ist ein Land, das bei Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen nicht tatenlos zuschaut, sondern sein Gewicht und seine Erfahrung einbringt, um Konflikte friedlich zu lösen. Ein Land, das nicht als militärische Macht oder mit Waffenlieferungen Außenpolitik betreibt. Ein Land, in dem der Gesundheitsminister die Krankenhäuser nicht kriegs-, sondern menschentauglich macht. In dem die Bildungsministerin nicht Zivilschutzübungen an Schulen vorschlägt, sondern Friedenserziehung. In dem das Wirtschaftsministerium nicht die Interessen der Rüstungsindustrie schützt, sondern sie kontrolliert, um den Frieden in der Welt zu schützen.
Eine solche friedliche Sicherheitspolitik – oder sichere Friedenspolitik – kommt nicht von allein. Das können wir nur gemeinsam schaffen. Die Vorstellung einer Friedensmacht Deutschland ist keine Utopie, wir könnten sie hier und heute Wirklichkeit werden lassen. Wir sind dabei.