Aber das gravierendste Problem sei, dass sich Griechenland einen zu hohen Lebensstandard leiste. Schäuble behauptete, dass die Pensionen in Griechenland höher seien als der Durchschnitt der Euro-Länder. Das Gegenteil ist wahr. Die Sozialausgaben gemessen am Bruttosozialprodukt liegen in Griechenland bei 65% des EU-Durchschnitts. "Die Renten in Griechenland sind nicht zu generös; das Gegenteil ist wahr", sagte der griechische Finanzminister Tsakalotos. (siehe bei "Griechenland: Streik gegen IWF und Schäuble")

Raus aus dem Euro oder ...

Griechenland würde die vereinbarten Maßnahmen nicht umsetzten, so die andere Behauptung. Deswegen könne die Überprüfung nicht abgeschlossen und kein grünes Licht für die Auszahlung der nächsten Kredittranche gegeben werden. Spätestens im Juli braucht Griechenland neue Kredite, um die fälligen Rückzahlungen an die Europäische Zentralbank tätigen zu können. Ansonsten droht Zahlungsausfall und Ausschluss aus der Eurozone. Mit dieser Erpressung wollen Internationaler Währungsfond (IWF) und die um Schäuble gescharten Hardliner in der Eurogruppe von Athen zusätzliche Kürzungen erzwingen - darin sind sie sich trotz aller sonstigen Differenzen über die Bedingungen für das Kreditprogramm einig. Neben weiteren Rentenkürzungen wird die Besteuerung der schon mehrmals gekürzten Renten und von Minilöhnen verlangt. Gegenwärtig liegt die Steuerfreigrenze bei einem Jahreseinkommen von 8.500 Euro. Nun fordert der IWF den Steuerfreibetrag auf 6.000 Euro zu senken, um auch Minilöhne für die Rückzahlung der Kredite heranzuziehen. Im Gegenzug sollen Unternehmenssteuern gesenkt werden, um Griechenland für Investoren attraktiver zu machen. Während die Kreditgeber auf Zeit spielen, um noch schärfere Kürzungen durchzusetzen und auch um über die Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland zu kommen, kümmern sie sich nicht darum, wie eine Mutter in Griechenland ihre Kinder ernähren, wie ein Kranker seine Medikamente oder ein Rentner seine Stromrechnung bezahlen kann. Oder exakter: Sie nutzen die Not und Verzweiflung der Menschen, damit die Linksregierung die Unterstützung der Bevölkerung verliert und ein baldiger Regierungswechsel möglich wird.

... "regime change"

Denn während Schäuble der Linksregierung mit dem Rauswurf aus der Eurozone droht, empfingen am gestrigen Montag Merkel, Schäuble, die Unionsfraktion sowie Wirtschaftsvertreter den Vorsitzenden der konservativen Nea Dimokratia. Kyriakos Mitsotakis, dessen Partei derzeit in den Umfragen weit vor der regierenden SYRIZA liegt, setzt darauf, dass Tsipras dem Druck der Kreditgeber nicht standhält und nicht umhinkommt, Neuwahlen auszurufen. Um Unterstützung aus Berlin und Brüssel zu bekommen, präsentierte er Merkel seinen "Plan für Griechenland". Mitsotakis verspricht, dass das "Tempo der Reformen erhöht" wird, wenn er die Regierung übernimmt. Denn es seien die Reformverzögerungen durch die Tsipras-Regierung, die die Kreditgeber zu "übertrieben Forderungen" geführt hätten. Mitsotakis will privatisieren, das Bildungssystem und die Verwaltung reformieren, die Steuern senken, einen schlanken Staat. So sollen Investoren gewonnen werden. Das dürfte Merkel und Schäuble gut gefallen haben. Möglicherweise kommt Berlin dann auch dem griechischen Parteifreund entgegen. Anstelle des von Schäuble geforderten 3,5% Primärüberschusses schlägt Mitsotakis einen Überschuss von zwei Prozent vor. Im Gegenzug will Mitsotakis Berlin bei den umstrittenen Schuldenerleichterungen entgegenkommen. "Ich brachte unsere Entschlossenheit zum Ausdruck, Griechenland zu einem normalen europäischen Staat zu machen", äußerte er über das Gespräch mit Merkel gegenüber der Presse. Über die aktuelle Lage sagt der konservative Oppositionsführer: Die "Inkompetenz und dogmatische Haltung" der SYRIZA-geführten Regierung habe zu einer "gefährlichen Situation" geführt, aus der nur sofortige Neuwahlen herausführen könnten.

Konflikt IWF – Eurogruppe

Der Hauptstreitpunkt zwischen IWF und den europäischen Institutionen liegt in der Einschätzung, ob Griechenland die Schulden auf Dauer bezahlen kann. Laut einem jüngst an die Öffentlichkeit gelangten vertraulichen Bericht stuft der IWF die Verbindlichkeiten des Landes als "unhaltbar" und langfristig "explosiv" ein. "Selbst bei einer vollständigen Umsetzung der im Programm gebilligten Reformen werden die Staatsverschuldung und der Finanzbedarf langfristig explosiv werden", heißt es in dem IWF-Bericht. Vor diesem Hintergrund plädiert der IWF schon seit langem für einen Schuldenschnitt. Zudem hält der IWF die Forderung der europäischen Kreditgeber nach einem Primärüberschuss von 3,5% - also Überschuss vor Abzug des Schuldendienstes – für illusorisch. Schäuble dringt darauf, dass das für 2018 vereinbarte Ziel von 3,5 Prozent Primärüberschuss für weitere zehn Jahre festgeschrieben wird. Dies hält der IWF für ökonomischen Unsinn. In keinem Land der Eurozone wurde dieser Wert seit der weltweiten Finanzkrise auch nur annähernd erreicht. Der IWF will diese Marke auf 1,5 Prozent verringern. Ansonsten will er sich nicht an dem Kreditprogramm beteiligen. Als Anfang Februar das Direktorengremium des IWF tagte, konnten sich die 24 Direktoren, die insgesamt 189 Länder vertreten, in dieser Frage jedoch nicht einigen. Doch die Mehrheit war der Meinung, dass die Schuldenlast Griechenlands nicht tragfähig und ein Primärüberschuss von 3,5 Prozent unrealistisch ist. In der Erklärung des IWF heißt es: “Most Directors agreed that Greece does not require further fiscal consolidation at this time, given the impressive adjustment to date which is expected to bring the medium-term primary fiscal surplus to around 1½ percent of GDP, while some Directors favored a surplus of 3½ percent of GDP by 2018.” Damit ist weiterhin offen, ob sich der IWF an dem Kreditprogramm beteiligt.

"Schäuble zündelt gern"

Doch die Eurogruppen-Hardliner und vor allem Wolfgang Schäuble halten die finanzielle Beteiligung des IWF für unerlässlich. Sie war 2015 von Schäuble dem Bundestag bei dessen Zustimmung zugesagt worden. Schäuble argumentiert deshalb: Wenn der IWF nicht mitmacht, ist das Kreditprogramm für hinfällig. Er müsste dann dem Bundestag ein neues Kreditpaket vorstellen, über das das Parlament dann entscheiden müsse. Ob der Bundestag vor der Bundestagswahl im Herbst so ein Programm beschließen würde, ist allerdings unwahrscheinlich. Es gäbe dann kein weiteres Geld für Griechenland. Das Land rutscht wieder in die Pleite, möglicherweise sogar aus dem Euro raus. So die Überlegung von Schäuble. Dies kommt auch beim Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Gianni Pittella, nicht gut an. Gegenüber dem Tagesspiegel sagte er: "Schäuble zündelt gern, wann immer es um Griechenland geht. Athen hat erhebliche Anstrengungen unternommen. Jetzt müssen Griechenlands Euro-Partner ihren Verpflichtungen nachkommen, die laufende Reformüberprüfung abschließen und eine spürbare Schuldenerleichterung einleiten. Wie immer versucht Schäuble, Griechenland zu destabilisieren, um in der deutschen Innenpolitik zu punkten. Dies ist unverantwortlich und gefährlich – gerade vor dem Hintergrund von Trumps Verbalattacken auf Europa."

EU-Grundsatzabteilung des Bundestags: Schäuble sagt die Unwahrheit

Nun haben aber auch die juristischen Experten der EU-Grundsatzabteilung des Bundestags Schäuble einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zu seiner Behauptung, dass das laufende dritte Kreditprogramm praktisch automatisch endet, falls der IWF sich nicht daran beteiligt, und der Bundestag neu entscheiden müsse, schreiben sie in einer Stellungnahme für den Finanzexperten der LINKEN, Axel Troost: "Unter beteiligungsrechtlichen Gesichtspunkten nach dem ESMFinG (ESM Finanzierungsgesetz) macht die Nichtteilnahme des IWF jedoch für den Bundestag unmittelbar keine Plenarbefassung erforderlich. … Sowohl in der Erklärung der Eurogruppe vom 14. August 2015, als auch im Beschluss des Bundestages vom 19. August 2015 wurde eine politische Erwartung im Hinblick auf eine finanzielle Beteiligung des IWF am laufenden Programm ausgesprochen. … Sofern sich diese durch eine ablehnende Entscheidung des IWF nicht realisieren ließe, stünde es der Eurogruppe und eben auch dem Deutschen Bundestag frei, hierauf entsprechend zu reagieren.“ Es steht dem Bundestag also frei, er ist nicht gezwungen.

Tsipras: Schäuble spielt mit dem Feuer

Angesichts der Zuspitzung wird der Ton zwischen der Regierung in Athen und der Troika rauer. Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras kritisiert mit scharfen Worten den IWF und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, die für die derzeitige Blockade in den Verhandlungen zwischen Athen und seinen Gläubigern verantwortlich seien. "Wir werden nicht über Forderungen diskutieren, die nicht durch Logik und Daten unterlegt sind", sagte er am Samstag vor dem Zentralkomitee seiner Partei. Scharf wies er "die abfälligen Äußerungen von Finanzminister Schäuble gegen Griechenland sowie die Verweise, die Griechen lebten über ihre Verhältnisse" zurück und forderte Bundeskanzlerin Merkel auf, dies zu unterbinden. An den IWF gerichtet sagte Tsipras, der Fonds habe nicht den Mut, zu seiner Meinung zu stehen - also gegenüber den anderen Gläubigern Erleichterungen bei der Schuldenlast für Griechenland durchzusetzen. Zugleich stelle der Fonds neue Forderungen, die absurd und wirklichkeitsfremd seien. Die Überprüfung und der Abschluss der Verhandlungen an sich seien nicht schwer, sagte Tsipras. Es seien die ständigen Unstimmigkeiten zwischen den Gläubigern, die ein Vorankommen verhinderten. Die EU wiederum sei beeinflusst von den anstehenden Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland. "Wer mit einer 'Eurozone der zwei Geschwindigkeiten spielt, mit Spaltung und Teilung, der spielt mit dem Feuer", sagte er weiter. Er könne sich nicht vorstellen, dass es im Sinne der (deutschen) Regierung sei, Brandstifter mit Streichhölzern in ein Munitionslager zu schicken. Mit Blick in die Zukunft gerichtet, sagte Tsipras: "Wir befinden uns also klar in einer Übergangsphase, in der die Herausforderung nun offen zum Ausdruck kommt." Einer dieser Aspekte sei die Bildung einer Allianz der südeuropäischen Mitgliedsländer der EU. Tsipras: "Vor zwei Jahren hätte niemand geglaubt, dass wir von dem Ereignis einer Allianz der Länder des Südens sprechen könnten. Einer Allianz, die versucht, die Länder der europäischen Region, vor allem im Süden, in das Spiel der europäischen Verbände einzubeziehen, die den sozialen Zusammenhalt einfordern und schützen. Und sicher hätte niemand vor zwei Monaten gedacht, nicht einmal vor zwei Jahren, dass sogar in kritischen Ländern das politische Spiel wie eben erwähnt offen ist." (voller Wortlaut der Rede weiter unten)

Griechischer Minister schlägt Schäuble vor, die Eurozone zu verlassen

"Wenn Schäuble diese Politik weiterbetreibt, dann wird er erleben, dass die Länder des europäischen Südens bilaterale Vereinbarungen treffen werden. Die diplomatischen Gespräche zwischen Frankreich, Spanien, Portugal und Griechenland gehen in diese Richtung", sagte der Vizeminister für Infrastruktur, Nikos Mavraganis, in einem Rundfunkinterview mit NORTH 98 fm. Die Regierungschefs, die kürzlich die Erklärung der Südländer der EU unterzeichnet haben, würden darin übereinstimmen, dass "eine andere Politik mit Respekt der Würde des Menschen" erforderlich sei. In Bezug auf den Vorschlag von Schäuble für eine "Eurozone der zwei Geschwindigkeiten" äußerte er: "Wir treten das Recht auf den Euro nicht an irgendjemanden ab. Wenn jemand den Euro verlassen will, dann soll er das tun. Wenn die Deutschen das tun wollen, dann ist es ihr Recht. Wenn sie gehen wollen, dann sollen sie gehen."

Varoufakis: "Dann wirf uns doch raus"

Der SYRIZA-Abgeordnete und frühere Vize-Kulturminister, Nikos Xydakis, äußerte, dass er zwar kein Drachme-Befürworter sei, dass aber alle Optionen diskutiert werden müssten. Und angesichts der von Schäuble eröffneten Debatte sei die Rückkehr zur Drachme kein Tabu. Der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis schrieb in der "Zeitung der Redakteure" (efsyn), wenn Schäuble den Griechen mit dem Grexit droht, solle Tsipras dieses Mal anders als 2015 mit einem lapidaren: "Dann wirf uns doch raus" antworten. Varoufakis meint, dass die Griechen keine Angst zeigen sollten. Tsipras und die Regierung sollen "sich auf den Bruch vorbereiten". Und er verweist darauf, dass "die Planung des parallelen Zahlungssystem seit 2014 fertig" sei. Varoufakis schlägt vor:
  1. Vorbereitung auf eine einseitige Umschuldung der griechischen Anleihen, welche die EZB innehat und im Juli 2017 (und danach) auszulösen sind.
  2. Vorbereitung des elektronischen Transaktionssystems per Taxisnet (Anm.: Ausbau des elektronischen Steuersystems Taxisnet zu einem Zahlungssystem) ..." Er verweist darauf, dass während seiner Amtszeit mit der Planung und Realisierung dieses Systems begonnen und es an seinen Nachfolger Evklidis Tsakalotos übergeben wurde.
Es gehe darum, so Varoufakis, "dem Herrn Schäuble etwas sehr Simples zu signalisieren: Wir wollen keinen Grexit. Wir drohen nicht mit einem Grexit. Wir werden nicht zu einem Grexit schreiten. Auf der anderen Seite fürchten wir uns jedoch auch nicht vor Ihren Grexit-Drohungen und senken somit einseitig das Primärüberschuss-Ziel auf 1,5%, die Unternehmenssteuer auf 20%, die MwSt. auf 20% und setzen parallel den Räumungen von Hauptwohnungen ein Ende. Wenn Sie uns nun – zu einer Stunde, wo das europäische Stützwerk zusammenbricht – (rechtwidrig) aus dem Euro hinauswerfen, uns wieder die Banken schließen wollen usw., machen Sie das mit Frau Merkel, Washington und dem IWF aus, treffen Sie ihre Entscheidung und … viel Glück." Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.kommunisten.de, dort kannn auch die Rede von Alexis Tsipras auf der Sitzung des Zentralkomitees der SYRIZA, 11. Februar 2017, Athen (weit nach unten scrollen) nachgelesen werden.