Die Initiativen der Sozialforen z.B. haben der breiteren Linken neue Kraft verliehen. Nach 20 Jahren neoliberaler Globalisierung, Rückschritten, Pessimismus und Demobilisierung in vielen Ländern brachten die Sozialforen neuen Enthusiasmus, neue Arbeitsmethoden, neue Mobilisierung und neue Inspiration für Hunderttausende. Zehn Jahre später jedoch ist die Situation viel unklarer: Die ehrgeizigen Ziele und Hoffnungen, die nach dem Battle of Seattle aufgekommen waren, erfüllten sich nicht. Die Bewegung der Sozialforen ist nicht zur »Zweiten Supermacht« aufgestiegen. Obwohl in ganz verschiedenen Teilen der Welt viel wichtige Arbeit und Mobilisierung unter dem Schirm der Sozialforen geleistet wird, ist in der Bewegung zunehmend von Krise oder Niedergang die Rede. Es gibt viele Gründe für diese Krise der Sozialforen. Besonders in Europa ist sie u.a. an der seit 2002 stetig rückläufigen Beteiligung deutlich zu spüren (Wahl 2010b). Die Sozialforen waren als Antwort auf die ideologische und politische Krise der traditionellen Linken entstanden, konnten jedoch viele ihrer Schwachpunkte nicht ausgleichen. Die enorme Verschiebung der Kräfteverhältnisse, die Krise der Linken und das Fehlen starker sozialer und Arbeiterbewegungen beeinträchtigten auch die Bewegung der Sozialforen. Trotz allem Enthusiasmus und guter Intentionen mangelt es vielen Aktivisten und NGOs, die in den Sozialforen aktiv sind, an theoretischer und politischer Klarheit und Einigkeit, an einem Verständnis der Klassenverhältnisse, sozialer Kämpfe und der Frage gesellschaftlicher Macht. Im Zusammenhang der anhaltenden Krise der traditionellen Linken erscheinen auch Gewerkschaften in den Industriestaaten als geschwächte, von Bürokratie geplagte Organisationen. Sie sind stark von der Ideologie der Sozialpartnerschaft beeinflusst; in manchen Regionen gibt es gelbe Gewerkschaften, und paternalistische Haltungen gegenüber den gewerkschaftlichen Organisationen des globalen Südens sind weit verbreitet. Viele neue Bewegungen wandten sich daher von den Gewerkschaften ab. Manche schütteten das Kind mit dem Bade aus – und die Arbeiterklasse als potenzielle gesellschaftliche Kraft verschwand gleich mit. In Ermangelung einer gesellschaftlichen Mobilisierung lag der Fokus weitgehend auf Lobby-Arbeit, symbolischen Demonstrationen und Unterschriften-Aktionen. Seit sich in der Wirtschaftskrise die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zuspitzen, halten Themen wie Klasse, Gewerkschaften, Konfrontation und Macht wieder Einzug in die Arena des Sozialen. Sollten die Sozialforen nicht in der Lage sein, diese Tendenzen aufzunehmen, laufen sie Gefahr, ihre kurze Rolle bereits zu Ende gespielt zu haben. In Auseinandersetzungen formulierten sie wichtige Kritik an rigiden ideologischen und organisatorischen Strukturen in der Linken und steuerten neue Arbeitsweisen und Prinzipien bei, die für zukünftige Organisation und Koordinierung von großer Bedeutung sein werden. Die Sozialforen werden von vielen gesellschaftlichen Kräften, die gegen autoritäre Machtstrukturen und dramatische Auswirkungen der Wirtschaftskrise kämpfen, nicht als natürliche oder notwendige Werkzeuge wahrgenommen. Mit den Angriffen auf die europäischen Wohlfahrtsstaaten wächst der Widerstand – ein Grund für die breiten Mobilisierungen in Island, Griechenland, Portugal, Spanien, Frankreich, Italien, Irland und Großbritannien. Auf der Agenda der Gewerkschaften stehen wieder Generalstreiks, vor allem in Griechenland, wo drakonische Maßnahmen die sozialen und ökonomischen Lebensstandards der Bevölkerung bedrohen. Auch in Portugal, Italien, Spanien und Irland kam es zu Generalstreiks und Massendemonstrationen, jedoch in unterschiedlicher Intensität und Ausmaß. Obwohl Gewerkschaften und soziale Bewegungen sich in der ersten Runde nicht durchsetzen konnten, gewannen sie an Selbstbewusstsein, schmiedeten breitere gesellschaftliche Bündnisse und erlangten größere Einheit innerhalb der Gewerkschaftsbewegung. Ohne Zweifel bricht in Europa eine neue Phase sozialer Auseinandersetzungen und Kämpfe um den Wohlfahrtsstaat an. Die Krise polarisiert Unterschiede und spitzt Konfrontationen zu. »Gepaart mit einer anhaltenden Deflation verstärkt sich sogar die Gefahr einer Depression. Massive soziale und wirtschaftliche Verwerfungen in Deutschland und Europa wären programmiert.«1 Ihren Lippenbekenntnissen zum Trotz haben sich die Eliten vom europäischen Gesellschaftsmodell, wie wir es aus seiner Blütezeit kannten, abgewandt.

Interne politisch-ideologische Hindernisse

Die Europäische Union stellt wichtige äußere Hindernisse für soziale Kämpfe dar, aber es gibt auch interne Hindernisse, die die Gewerkschaften davon abhalten, ihre historische Aufgabe in der aktuellen Situation zu erfüllen. Das betrifft die politisch-ideologische Ebene; auch ihre traditionellen und organisatorischen Strukturen verlieren an Wirksamkeit im Umgang mit der globalen neoliberalen Offensive – die u.a. internationale Restrukturierungen der Produktion, prekäre Arbeitsverhältnisse, zunehmende Migration und Deregulierung der Arbeitsmärkte mit sich bringt. Auf politisch-ideologischer Ebene wird die Situation stark von der Krise der Linken beeinflusst. Hier ist zentral, dass Sozialpartnerschaft und Sozialer Dialog in den einflussreichen Zirkeln der Gewerkschaften zu ideologischen Maximen erhoben wurden – auf europäischer wie vielfach auf nationaler Ebene (Australien und Neuseeland eingeschlossen). Der Soziale Dialog wird dabei als Mittel zur Durchsetzung der Interessen der Beschäftigten angesehen – losgelöst von einer Analyse der realen Machtverhältnisse und der Frage, wie diese die Chancen mindern, wirkliche Zugeständnisse zu erringen. Dass eine breite gesellschaftliche Mobilisierung notwendig ist, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, wird häufig nicht gesehen. Dabei müssen Gewerkschaften natürlich immer mit Arbeitgebern diskutieren und verhandeln, das ist nicht Gegenstand der Kritik. In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Soziale Dialog in vielen Ländern gerade deshalb zu Ergebnissen geführt, weil die Machtverhältnisse zuvor zugunsten der Arbeiterklasse und der Gewerkschaften verschoben worden waren. Klassenkompromiss und Sozialer Dialog waren Ergebnisse von Mobilisierungen und harten Auseinandersetzungen. Doch in den aktuellen Erzählungen werden sie nicht als Ergebnis, sondern als Ursache des größeren Einflusses der Gewerkschaften dargestellt. Das führt zu analytischen Kurzschlüssen, z.B. im Verständnis sozialer Widersprüche, wie sie aus diesem Zitat des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) sprechen: »Die EU basiert auf dem Prinzip der Sozialpartnerschaft: ein Kompromiss zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Interessen zum Wohle aller.« (Herv. d. Verf., 2007) Im Lichte der verstärkten Angriffe von Kapital und Regierungen auf Gewerkschaften und soziale Rechte scheinen solche ideologischen Versicherungen fragwürdig. Es besteht wenig Zweifel, dass das europäische Kapital den historischen Kompromiss mit der Arbeiterklasse aufgekündigt hat; Sozialleistungen und Institutionen, die zuvor im Namen dieses Kompromisses akzeptiert waren, werden auf breiter Front angegriffen. Trotzdem ist der Soziale Dialog in seiner ideologisch überhöhten Version im Denken führender Kräfte der europäischen Gewerkschaftsbewegung fest verankert, etwa beim Generalsekretär des EGB, John Monks: Sein Ausgangspunkt waren Kampagnen zu allgemeinpolitischen Themen, die Aktivisten in US-amerikanischen Gewerkschaften durchführen: Gegen die Vorstellung, dass es in Europa Ähnliches geben könnte, erklärt er: »Angesichts der schwierigen Situation der Arbeitsmärkte und der verzweifelten Arbeitgeber ist es nicht an der Zeit für große Militanz.« Stattdessen »ist es Zeit, bessere Rahmenbedingungen für Sozialleistungen, Weiterbildungen, Mitspracherechte und die Einführung gerechterer Entlohnungssysteme zu fordern, sodass sich nach einem Ende der Krise die Ungleichheiten, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind, nicht wiederholen« (Economist, 12.3.2009). Monks sagt dies lange nachdem die Finanzkrise in mehreren europäischen Ländern Polarisierungen verschärft hatte. Wie er mehr Sozialleistungen und gerechtere Entlohnungssysteme durchsetzen möchte, ohne auf altmodische Straßenproteste, Militanz oder ähnliches zurückzugreifen, lässt er offen. Vielleicht durch weitere Zugeständnisse an die »Arbeitgeber«? Der EGB veröffentlichte im Zuge der Vorbereitungen auf die 2020-Strategie der EU eine außerordentlich schwache gemeinsame Erklärung mit verschiedenen europäischen Arbeitgeberverbänden. Im Sommer 2010, nachdem die griechischen Beschäftigten mehrere Generalstreiks durchgeführt hatten, man sich in Spanien auf Streiks vorbereitete und in Frankreich mit großer Dynamik die Kämpfe gegen Rentenkürzungen herannahten, erklärten sie: »›Flexicurity‹-Maßnahmen müssen mit stabiler makroökonomischer Politik, günstigen Bedingungen für Unternehmen, angemessenen finanziellen Ressourcen und der Gewährleistung guter Arbeitsbedingungen einhergehen. Insbesondere muss die Lohnpolitik, die von den Sozialpartnern autonom ausgehandelt wird, sicherstellen, dass die Entwicklung der Reallöhne sich an den Produktivitätsentwicklungen ausrichtet, während Lohnnebenkosten, wenn angemessen, gesenkt werden sollten, um die Nachfrage an Arbeitskräften zu fördern. [Im Hinblick auf öffentliche Leistungen] müssen Zugang, Qualität, Effizienz und Effektivität verbessert werden, u.a. durch vermehrten Rückgriff auf die Vorteile ausgewogener Public-Private-Partnerships und Modernisierungen öffentlicher Verwaltungssysteme.« (EGB u.a. 2010) Die folgenden massiven Angriffe haben sogar den Ton des EGB verschärft: »Kommissionsbeamte ignorieren den Sozialen Dialog und Tarifverhandlungen und greifen direkt in Arbeitsmärkte dieser Länder ein. Es werden Diktate erlassen, die zu einer Senkung der Lebensstandards führen. Die Vorschläge zielen darauf ab, Mindestlöhne zu senken und ›starre‹ Regelungen aufzuweichen, Rentenansprüche zu reduzieren und die Arbeitsmärkte zu flexibilisieren. [...] Ich sollte sie nicht daran erinnern müssen, dass solche Maßnahmen detaillierten Eingreifens in Arbeitsmärkte alle bisherigen wohlklingenden Erklärungen der Kommission zur Autonomie der Sozialpartner, der Wichtigkeit des Sozialen Dialogs und des expliziten Ausschlusses jeder europäischen Einmischung in die Lohnpolitik in den europäischen Verträgen mit Füßen tritt. Ich bitte daher um ein Notfall-Treffen, um diese Fragen zu erörtern und um Sie zu warnen, dass der EGB derartiges Vorgehen der Europäischen Union, Vorschläge ökonomischer Steuerung oder jegliche neuen Verträge, die diese enthalten, nicht hinnimmt. Diese Bestimmungen erinnern in mancher Hinsicht an die Reparationszahlungen des Versailler Vertrages und reduzieren die Mitgliedsstaaten auf einen quasi kolonialen Status.« (Brief von Monks an Rehn, 11.1.2011) Inzwischen sprachen sich EGB und Gewerkschaften weltweit für umfassendere politische Intervention in die Märkte, die Regulierung der Finanzmärkte und Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums aus.2 Als Antwort auf die Finanzkrise kam es also auf politischer und rhetorischer Ebene zu einer gewissen Radikalisierung der internationalen gewerkschaftlichen Organisationen. Bis dem die notwendigen gesellschaftlichen Mobilisierungen folgen, bei denen die Gewerkschaften ihre effektivsten Strategien einsetzen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, ist es noch ein weiter Weg. Dies ist nicht der Fehler Einzelner an der Spitze der Gewerkschaften, sondern ein allgemeines Problem. Die EGB-Führung setzt sich z.B. aus Vertretern verschiedener nationaler Gewerkschaften zusammen, die von sehr unterschiedlichen Bedingungen und Logiken ausgehen; es ist schwierig, zu gemeinsamen Positionen zu kommen.3 Ein anderes internes Hindernis vieler Gewerkschaften ist ihre starke Bindung an die traditionellen Parteien der Arbeiterbewegung. Die politische und ideologische Krise der Linken lässt viele dieser Parteien als Bündnispartner fragwürdig erscheinen. Sozialdemokratische Parteien (die in Südeuropa als sozialistische Parteien bezeichnet werden) haben sich in Ländern, in denen sie lange an der Macht waren, gewandelt: von Massenorganisationen für die Beschäftigten hin zu bürokratischen, etablierten Organisationen; ein dramatischer Rückgang der Mitgliederzahlen war die Folge.4 Die Parteiapparate wurden immer mehr zu Karriereleitern und Wahl-Maschinen für eine neue politische Elite. In ihrer Blütezeit nach dem Zweiten Weltkrieg war es die Aufgabe der Sozialdemokratie, den Klassenkompromiss zu verwalten: nicht die Beschäftigten gegen die Kapitalisten zu repräsentieren, sondern innerhalb des Rahmens einer regulierten kapitalistischen Wirtschaft zwischen den Klassen zu vermitteln. Als der Klassenkompromiss um 1980 einzustürzen begann, geriet die Sozialdemokratie in eine tiefe politische und ideologische Krise, die weiter anhält. Die Parteien, die ja stark in den Staatsapparat integriert waren, veränderten sich schnell, als der Staat begann, sich unter der neoliberalen Offensive zu wandeln. Sie wurden von der neoliberalen Hegemonie beeinflusst und nahmen sie aktiv in sich auf. In der Folge trugen sozialdemokratische Parteien massiv zur Deregulierung, Privatisierung und zu den Angriffen auf Einrichtungen des Wohlfahrtsstaates bei – unter dem Label »Third Way« in Großbritannien oder »Die Neue Mitte« in Deutschland. Als sozialdemokratische Regierungen Ende der 1990er Jahre eine breite Mehrheit innerhalb der EU innehatten, änderte sich ihre neoliberale Politik in keiner Weise. Die Gewerkschaften reagierten unterschiedlich auf diesen politischen Rechtsruck. In vielen Ländern blieb die Loyalität zwischen nationalen Gewerkschaftsbünden und sozialdemokratischen Parteien erhalten (Norwegen, Schweden, Großbritannien). In anderen Ländern lockerten sich die Bindungen zwischen Gewerkschaftsbewegungen und den Parteien. In Dänemark hat sich der wichtigste Gewerkschaftsbund – als einziger in Nordeuropa – von der Sozialdemokratischen Partei losgesagt, ohne jedoch radikalere Positionen zu beziehen. Manche Gewerkschaften, wie die britische Gewerkschaft des Verkehrs- und Transportsektors, National Union of Rail, Maritime and Transport Workers, haben mit der Sozialdemokratischen Partei gebrochen und einen deutlich linkeren Standpunkt eingenommen. In Deutschland haben die Angriffe der Regierung Schröder auf das Sozialsystem zu einem Vertrauensbruch zwischen den Gewerkschaften und der SPD geführt. Obwohl die Partei zur Zeit aus der Opposition heraus – wie solche Parteien es in dieser Situation oft tun – versucht, das Vertrauen der Gewerkschaften zurückzugewinnen, werden solche Annäherungsversuche kühl aufgenommen: »Das Problem im Umgang mit der SPD ist leider, dass die nicht glaubwürdig sind. Sie saßen bis September 2009 in der Regierung und trafen viele politische Entscheidungen, die aus unserer Sicht falsch sind.« (Michael Sommer, Fri Fagbevegelse, 8.10.2010) In einigen Ländern (Frankreich, Italien, Norwegen) gingen Parteien links von den sozialdemokratischen Parteien mit diesen Koalitionsregierungen ein. Die Ergebnisse waren negativ bis desaströs. Unter den bestehenden Machtverhältnissen wurden linke Parteien zu Geiseln neoliberaler Politik und unterstützten Privatisierungen und US-amerikanische Kriegsabenteuer wie z.B. in Afghanistan.5 Eine dramatische und gefährliche Folge dieser Politik der (unterschiedlichen) Anpassung der traditionellen Arbeiterparteien an den Neoliberalismus ist, dass das Vertrauen an die politische Linke zusammenbricht und rechter Populismus an Zulauf gewinnt. Die extremsten Beispiele konnten jüngst in Griechenland, Spanien und Portugal beobachtet werden, wo sozialdemokratische Parteien in der Regierung den Kampf gegen Gewerkschaften und den Wohlfahrtsstaat anführten. Die Rolle der Sozialdemokratie muss von weiten Teilen der Gewerkschaftsbewegung neu bewertet werden. Ein Zurück zur alten Form der Beziehung von Sozialdemokratie und Gewerkschaften ist schwer vorstellbar. Zygmunt Bauman sagt es so: »[Die Linke] hat sich an die Rechte verkauft, und sobald sie es realisiert, kann sie sich fragen, was den Graben zwischen ihr und ihren natürlichen Anhängern – den Armen und Bedürftigen, aber auch den Träumern – aufgetan hat, und es in Bezug setzen zu dem, was von ihren Prinzipien noch übrig ist. Denn es ist nicht mehr möglich, die Linke zu wählen, wenn die Linke aufgehört hat zu existieren.« (Bauman 2011) Die Folgen sind nicht schwer vorherzusagen. Ignazio Ramonet, ehemals Chefredakteur der Le Monde Diplomatique, spricht über die Situation in Spanien unter der Regierung des Sozialdemokraten José Luis Rodrigues Zapatero: »Nach ihrer Ablehnung durch die Wähler wird diese Regierung und die Führung des Landes an die konservative und populistische Opposition übergeben. Das ist meist das, was passiert, wenn linke Parteien ihre eigenen Werte über Bord werfen und beschämend rechte Politik machen, wie wir in Deutschland, Großbritannien und zuletzt in Schweden beobachten konnten.« (Ramonet 2010)

Politisierung und Stärkung

Dieser Rechtsruck und die politisch-ideologische Krise der Linken erfordern, dass die Gewerkschaften eine zentralere, unabhängigere und offensivere politische Rolle spielen. Nicht im Sinne von Parteipolitik, sondern sie sollte politisch sein in dem Sinne, dass sie sich umfassenderen Aufgaben in sozialen Kämpfen stellt. Die Gewerkschaften sind noch nicht bereit, haben aber das Potenzial dazu –, vor allem, weil sie diejenigen organisieren, die durch ihre Arbeitskraft die Werte in der Gesellschaft schaffen. Vorausgesetzt ist allerdings, dass die Gewerkschaften selbst sich verändern und auf die beschriebenen Veränderungen der Kampfbedingungen durch Neoliberalismus und Krise reagieren. Teile der Gewerkschaftsbewegung in Norwegen haben in den frühen 2000er Jahren Schritte in diese Richtung unternommen. Der Kampf gegen Privatisierung, Outsourcing und neoliberale Umstrukturierung trug zu einer klareren politisch-ideologischen Polarisierung zwischen rechts und links bei. Das hatte auch mobilisierende Wirkungen. Zusätzlich entstanden neue, breite soziale Bündnisse, u.a. durch Kampagnen für den Wohlfahrtsstaat,6 in denen die Gewerkschaften die treibende Kraft waren, an denen aber auch Organisationen von Landwirten, Rentnern, Studierenden, Frauen und verschiedene Interessengruppen von Sozialleistungsempfängern beteiligt waren. Die Politik der Privatisierung wurde zugunsten von Entwicklungsmodellen aufgegeben, die auf die Kompetenz und Kreativität der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und ihre enge Zusammenarbeit mit den Nutzern der Leistungen aufbauen (vgl. Wainwright 2009). Traditionell unterstützten die Gewerkschaften bei Wahlen eine oder mehrere politische Parteien. Jetzt entwickelten lokale Gewerkschaftsräte wie nationale Gewerkschaften ein eigenes politisches Programm bzw. eigene Forderungen für die Wahlen, die aus Bedürfnissen und Erfahrungen ihrer Mitglieder entstanden. Diese wurden an alle Parteien verschickt: Die Parteien, die die Forderungen tragen, würden unterstützt. Bei den Lokalwahlen 2003 bescherte dieses Modell der Linken einen überwältigenden Sieg in der drittgrößten Stadt Norwegens, Trondheim, weswegen es als »Trondheimer Modell« bekannt wurde. Die Parteien, die die 19 konkreten Forderungen der Gewerkschaften unterstützten, gewannen über 60 Prozent der Stimmen; darunter war die Forderung nach einem Stopp aller Privatisierungen und der Rekommunalisierung. Bei den Parlamentswahlen 2005 folgten die landesweiten Gewerkschaften diesem Modell weitgehend. Die Sozialdemokraten rückten nach links, erstmals in der norwegischen Geschichte gingen sie ein Bündnis mit einer Partei links von ihnen ein (der Sozialistischen Linken Partei). Die Mitte-Links-Regierung gewann die Wahl; sie hatte das fortschrittlichste Regierungsprogramm Europas (allerdings war die Konkurrenz nicht besonders groß). Die Gewerkschaft Kommunaler und Allgemeiner Beschäftigter spielte eine Schlüsselrolle beim Aufbau des gesellschaftlichen Bündnisses, das diesen Wahlsieg ermöglichte – auch mit Kräften jenseits der Gewerkschaften –, und unterstützte Think Tanks und Initiativen eines breiten linken Spektrums zur Abwehr neoliberaler Angriffe. Alle, die sich für einen »wirklich neuen politischen Kurs« engagiert hatten (so der Slogan der Mobilisierung), waren enthusiastisch über den Regierungswechsel. Das Arbeitsschutzgesetz, das unter der vorherigen, rechten Regierung dramatisch geschwächt worden war, wurde wiederhergestellt, das Gesetz zu Privatschulen zurückgenommen und die Privatisierung der Bahn gestoppt. Den lokalen Behörden wurden mehr Ressourcen zugeteilt, um Sozialleistungen auszubauen, und große Anstrengungen unternommen, die Versorgung mit Kita-Plätzen zu verbessern. Die Regierung nahm bei den WTO- und GATS-Verhandlungen ihre Forderung nach der Liberalisierung einer Reihe von Dienstleistungssektoren in Entwicklungsländern zurück. Doch die Dinge entwickelten sich nicht weiter, wie sie begonnen hatten. Gewerkschaften und breite sozialen Bündnisse hatten wichtige neue politische Analysen beigesteuert. Trotzdem war die politische Unabhängigkeit der Gewerkschaften nicht stark genug, um als gesellschaftliche Macht für »ihre« Partei in der Regierung zu mobilisieren. Zudem traten theoretische, politische und strategische Schwächen der Sozialistischen Linken Partei zu Tage, die wenig in der Lage war, gegen die Rechtsbewegung der Sozialdemokratie anzusteuern. Der neue politische Kurs verebbte. Die Grenze der radikalen Maßnahmen der Regierung verlief dort, wo es notwendig gewesen wäre, sich gegen starke wirtschaftliche Interessen innerhalb der Gesellschaft zu stellen.7 Diese vorsichtigen Versuche einer Neuorientierung zeigten aber, dass alternative Entwicklungen möglich sind. Eine zunehmende politische Unabhängigkeit der Gewerkschaften, politisch-ideologische Polarisierung zwischen links und rechts, das Aufkommen neuer breiter gesellschaftlicher Bündnisse und die Entwicklung konkreter Alternativen zur neoliberalen Privatisierungspolitik waren die wichtigsten Elemente dieser Neuorientierung. Die Erfahrungen zeigen, dass Gewerkschaften die Initiative ergreifen können, um andere Lösungen herbeizuführen, z.B. indem sie Druck auf die Parteien der Arbeiterbewegung ausüben und Wahlen beeinflussen. Auf europäischer wie internationaler Ebene stehen den Gewerkschaften beträchtliche Herausforderungen gegenüber, die sowohl organisatorische Veränderungen als auch neue Strategien und Taktiken erfordern. Zu den wichtigsten dieser Herausforderungen gehören die veränderte Zusammensetzung der Arbeiterklasse, zunehmende Migration, sinkende Mitgliederzahlen der Gewerkschaften in vielen Ländern und die Notwendigkeit, größere Einigkeit zwischen Gewerkschaftsorganisationen des globalen Südens und Nordens herzustellen. Nationale Deregulierung, die freie Bewegung des Kapitals und die entscheidende Rolle internationaler und regionaler Institutionen in der neoliberalen Offensive erfordern eine globale Perspektive und koordinierten Widerstand über Ländergrenzen hinweg. Nur so können wir verhindern, dass in dem grenzenlosen Streben des Kapitals nach Profit und Kontrolle arbeitende Menschen gegeneinander in Stellung gebracht werden – Gruppen gegen Gruppen, Sozialleistungsniveaus gegen Sozialleistungsniveaus. Grenzüberschreitende Koordinierung braucht jedoch starke, aktive Bewegungen auf lokaler und nationaler Ebene. Es gibt keinen abstrakten, globalen Kampf gegen den Neoliberalismus. Soziale Kämpfe werden dann international, wenn lokale und nationale Bewegungen die Notwendigkeit grenzüberschreitender Zusammenarbeit im Kampf gegen international wohl-koordinierte Kräfte erkennen. Internationale Koordination setzt voraus, dass es etwas gibt, das koordiniert werden kann. Widerstand lokal zu organisieren und notwendige gesellschaftliche Bündnisse vor Ort aufzubauen, ist also umso wichtiger.

Hindernisse überwinden

Obwohl die Hindernisse für eine Europäisierung sozialer Kämpfe beträchtlich sind, lassen sich zunehmend – vereinzelte – Entwicklungen erkennen, bei denen Gewerkschaften und soziale Bewegungen erfolgreich Kampagnen und Aktionen über Ländergrenzen hinweg organisierten: etwa gegen die EU-Hafendienstrichtlinie (die 2003 und 2006 im Europaparlament scheiterte) und die Bolkestein-Richtlinie über Dienstleistungen im europäischen Binnenmarkt, die zwar nicht abgelehnt, aber aufgrund des Widerstands modifiziert wurde. Die Mobilisierungen in mehreren Ländern gegen die Europäische Verfassung (Lissabonner Verträ- ge) erlangten eine europäische Dimension, obwohl sie zunächst auf nationaler Ebene Wirkung entfalteten (zunächst in Frankreich und den Niederlanden, später in Irland). Dass sich die anti-demokratischen Eliten der EU weigerten, diese Niederlagen anzuerkennen, ist bekannt. In den kommenden Jahren wird es in Europa entscheidend sein, Spaltungen zwischen Gewerkschaften und anderen sozialen Kräften entlang von Ländergrenzen zu verhindern. Als der Haushalt Griechenlands in Folge der Schuldenkrise 2010 unter die Kontrolle von Europäischer Kommission, EZB und IWF gestellt wurde, konnte man eine vor allem in den deutschen Medien groß angelegte Kampagne beobachten, die versuchte, die griechischen Beschäftigten für die Situation verantwortlich zu machen. Der EGB und deutsche Gewerkschaften haben erstaunlich schnell Gegeninformationen und Unterstützung für die griechischen Gewerkschaften geliefert. »Wir sind alle Griechen!«, verteilte ver.di zur Mobilisierung für eine Demonstration am 12. Juni 2010 in Stuttgart. Wenn es den Gewerkschaften gelingt, Solidarität über Ländergrenzen hinweg zu stärken, eröffnet dies ganz neue Möglichkeiten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Tür für gesellschaftliche Veränderungen und Demokratisierung geöffnet. Durch die Entwicklungen der Krise eröffnete sich die Notwendigkeit eines neuen, radikalen politischen Kurses auf ungebetene, aber nicht unvorhergesehene Weise. Dies setzt jedoch voraus, dass die Gewerkschaften zu einer politischen wie organisatorischen Wende in der Lage sind. Die unmittelbare Aufgabe ist ein Verteidigungskampf gegen die massiven Angriffe auf Sozialsysteme und Lebensstandards. Auf lange Sicht wird dies jedoch nicht ausreichen: »Eine strukturelle Schwäche der Arbeiterbewegung, von der die Regierung und die herrschende Klasse profitieren, […] entsteht aus dem Mangel einer glaubwürdigen, sichtbaren politischen Alternative zum Neoliberalismus. Eine solche politische Alternative ist keine notwendige Voraussetzung, um kurzfristig Angriffen zu widerstehen oder einzelne Schlachten zu gewinnen. Auf lange Sicht wirkt das Fehlen einer kohärenten Alternative jedoch demobilisierend. Dieses Problem ist älter als die aktuelle Krise, aber sie verleiht ihm größere Dringlichkeit. Die Perspektive einer Regierungsalternative ist notwendig, und sie muss von politischen Kräften verkörpert werden, die eine glaubwürdige Chance haben, die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung zu gewinnen – nicht unbedingt sofort, aber als Perspektive. Solch ein politisches Programm würde die demokratische Kontrolle und Ausrichtung der Organisation der Warenproduktion und der Dienstleistungen an den Bedürfnissen der Bevölkerung beinhalten. Das bedeutet, die Wirtschaft aus dem Würgegriff des Finanzsektors zu befreien, einen staatlichen Finanzsektor zu erschaffen, öffentliche Leistungen wieder zu verstaatlichen und ein progressives Steuersystem und Maßnahmen einzuführen, die Eigentumsrechte in Frage zu stellen.« (Smith 2010) Mehr als ein Mangel an Alternativen scheint es jedoch eine Frage der Fähigkeit und des Willens zu sein, die Mobilisierungen herbeizuführen und die notwendigen Mittel einzusetzen, um diese Politik durchzusetzen. Mit dem ideologischen Vermächtnis des Klassenkompromisses muss abgerechnet werden – mit der tief internalisierten Ideologie der Sozialpartnerschaft und dem Glauben daran, dass der Soziale Dialog der beste Weg sei, gesellschaftliche Probleme zum Wohle Aller zu lösen. Die massiven Angriffe der Kräfte des Kapitalismus, der Regierungen und der EU auf Sozialsysteme und Lebensstandards lassen sich mit dem Ansatz der Sozialpartnerschaft weder erklären noch verstehen. Der Beitrag entstand auf Grundlage des 2011 erschienenen Buches von Asbjørn Wahl, »The Rise and Fall of the Welfare State«, mit freundlicher Genehmigung von Pluto Press.  

Literatur

Bauman, Zygmunt, 2011: On sustainability – this time, of social democracy, in: Social Europe Journal online, 28.1., www.social-europe.eu/2011/01/on-sustainability-thistime-of-social-democracy Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB) 2007: The European social model, www.etuc.org/a/2771 Europäischer Gewerkschaftsbund, Business Europe, CEEP und UEAPME, 2010: Joint Statement on the EU 2020 Strategy, 4.6., www.etuc.org/a/7327 Ramonet, Ignazio, 2010: Spain on the ropes, in: IPS/ Global Research, 14.10., www.globalresearch.ca/index. php?context=va&aid=21444 Shutt, Harry, 2010: Beyond the Profits System, London Smith, Murray, 2010: Den europæiske arbejderbevægelse under angreb! [Angriff auf die Europäische Arbeiterbewegung!] in: Kritisk Debat 56, http://kritisk-debat.dk/articles. php?article_id=866 Trade Unions Advisory Committee to the OECD (TUAC), IGB und globale Gewerkschaften, 2008: The Global Unions »Washington Declaration«, Trade Union Statement to the »G20 Crisis Summit«, November 2008, www.ituccsi.org/IMG/pdf/0811t_gf_G20.pdf Wainwright, Hilary, 2009: Demokratisierung als Transformation, in: LuXemburg 2/2009, 60–67 Wahl, Asbjørn, 2010a: To be in Office, but not in Power: left parties in the squeeze between people’s expectations and an unfavourable balance of power, in: Birgit Daiber (Hg.): The Left in Government: Latin America and Europe compared, Brüssel: Rosa Luxemburg Stiftung Ders., 2010b: The crisis and the future of the ESF, in: Transform 6 Ders., 2011: How new social alliances changed politics in Norway, in: Andreas Bieler und Ingemar Lindberg (Hg.): Global Restructuring: Labour and the challenges for transitional solidarity, London/New York

Anmerkungen

1 DGB-Bundesvorstand, Abteilung Wirtschafts-, Finanzund Steuerpolitik, Sparpaket: Bundesregierung setzt falsches Signal, in: klartext 19/2010 vom 11.6.2010, www.dgb.de/ themen/++co++45ebc728-754c-11df-6571-00188b4dc422. 2 Dies kam auch in mehreren Erklärungen im Zusammenhang mit internationalen Gipfeltreffen zum Ausdruck, vgl. z.B. TUAC (2008). 3 Es gibt auch Vertreter, die auf offensivere Positionen der Führung des EGB drängen, wie z.B. in den letzten Jahren der Vorsitzende der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF), Eduardo Chagas. 4 Die Mitgliederzahlen der britischen Labour Party z.B. fielen in den ersten zehn Jahren, nachdem sie 1997 die Regierung übernommen hatten, von 405000 auf 177000 (Shutt 2010, 152). 5 Ausführlich: Wahl 2010a. 6 Der Verfasser dieses Artikels ist kein neutraler Beobachter dieser Entwicklungen, da er seit seiner Gründung 1999 der Vorsitzende dieses breiten Bündnisses war. 7 Ausführlich zu norwegischen Erfahrungen vgl. Wahl (2011).