Denn in Brandenburg (19 %), Mecklenburg-Vorpommern (18 %), Sachsen (27 %), Sachsen-Anhalt (20 %) und Thüringen (23 %) liegt die AfD aktuellen Umfragen zufolge nahe bei oder deutlich über 20 Prozent, wenngleich sie auch dort, mit Ausnahme Mecklenburg-Vorpommerns, aktuell überall leichte Verluste zu verzeichnen hat. Deutlich wird jedoch, dass der stabilen Lage im Osten eine klare Schwäche im Westen gegenübersteht. Diese elektorale Spaltung führt seit längerem zu innerparteilichen Kontroversen über den zukünftigen Kurs der Partei, die bis heute nicht geklärt wurden, aber beim Parteitag in Riesa zu einer Vorentscheidung geführt hat.
Parteitag in Riesa: Klare Rechtsverschiebung
Mit dem beim Parteitag in Riesa (17.-19. Juni 2022) verkündeten „Ende der Ära Meuthen“ ging eine eindeutige Rechtsverschiebung der AfD einher. Die völkische Rechte ist die dominante Kraft im frisch gewählten Parteivorstand, gegen sie wird in der AfD zukünftig keine Politik durchsetzbar sein.
Mit der Wahl von Alice Weidel (67,3 Prozent) und Tino Chrupalla (53,4 Prozent) sind die beiden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion auch zu Parteivorsitzenden gewählt worden. Zwar gab und gibt es in der Fraktion eine große Unzufriedenheit mit der Führung, aber es fehlt der Partei an überzeugenden personellen Alternativen.
Die bürgerliche Rechte in der AfD ist seit Jahren nicht in der Lage, der Dominanz des völkischen Flügels inhaltlich und personell etwas entgegenzusetzen. Mit dem Personalvorschlag Norbert Kleinwächter wurde ein weitgehend unbekannter Bundestagsabgeordneter, der in seinem Landesverband Brandenburg nicht einmal ein Delegiertenmandat für den Parteitag erlangen konnte, in ein aussichtloses Rennen gegen Chrupalla geschickt (36,3 Prozent stimmten für ihn). Ähnlich verhielt es sich mit Weidels Gegenkandidaten Nicolaus Fest. Der EP-Abgeordnete aus Berlin erhielt 20,3 Prozent der Stimmen.
Die wenigen verbliebenen bekannten Gesichter der bürgerlichen Rechten in der Partei wollten keine Niederlage riskieren oder wurden auf dem Parteitag direkt abgestraft. So verlor die Berliner Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch ihren Sitz im Parteivorstand, während die Flügel-Anhängerin Christina Baum überraschend einen Platz im Vorstand gewann. Zuvor war schon Erika Steinbach gegen Peter Boehringer im Kampf um einen stellvertretende Parteivorsitz gescheitert.
Weidel und Chrupalla sind Vorsitzende auf Gnaden der Parteirechten. Ohne sie können sie auf keine Mehrheit zählen. Das schwache Ergebnis von Chrupalla zeigt die allgemeine Unzufriedenheit mit ihm. Im Sinne des Lagers um Björn Höcke erfüllt er seine Rolle jedoch gut, denn auch zukünftig ist von ihm keine Positionierung gegen die weitere Dominanz von rechts zu erwarten. Bei Weidel bleibt abzuwarten, ob es ihr gelingt, jenseits der sie eher duldenden als stützenden Parteirechten eine eigene Machtbasis zu entwickeln. Bisher wurde das durch ihr feindschaftliches Verhältnis zur Galionsfigur der bürgerlichen Rechten, Jörg Meuthen, verhindert. Das könnte sich jetzt ändern. Weidel gehört von ihren inhaltlichen Positionen her nicht zur extremen Rechten. So hatte sie als Landesvorsitzende in Baden-Württemberg dafür gesorgt, dass die Pseudo-Gewerkschaft „Zentrum Automobil“, die eindeutig personelle Überschneidungen zur neonazistischen Rechten aufweist, auf die Unvereinbarkeitsliste der AfD gesetzt wurde. Björn Höcke setzte in Riesa durch, dass diese von Weidel als „toxisch“ bezeichnete Gruppierung von dieser Liste gestrichen wurde. Immerhin kündigte Weidel nach dem Parteitag an, das korrigieren zu wollen.
Machtdemonstration Höckes
Mit großer Zuverlässigkeit produziert die AfD auf Parteitagen negative Schlagzeilen und auch diesmal sorgte die Parteirechte dafür, dass das angestrebte Bild der neuen Einigkeit am letzten Tag des Parteitages zerstört wurde. Anlass für eine stundenlange heftige Auseinandersetzung war eine Europaresolution, die von einem flügelübergreifenden Bündnis um Björn Höcke eingebracht wurde und eine alternative Europapolitik der AfD skizzieren sollte. In Duktus und Ausrichtung entspricht die Resolution den Positionen der Neuen Rechten. Inhaltlich ging es der Gruppe um Höcke und dem Sachsen-Anhaltinischen Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider um eine positive Ergänzung der „D-Exit“-Position zum EU-Austritt Deutschlands, wie ihn die Parteirechte ins Bundestagswahlprogramm formuliert hatte. Unter der Überschrift „Europa neu denken“ finden sich im Antrag die Versatzstücke neurechter EU- und Globalisierungskritik. Die „Globalisten“ hätten den Nationalstaaten die Souveränität und Identität genommen, die Bevölkerungen würden einem „Erziehungsprogramm“ unterworfen, mit dem Selbstbehauptung und Wehrhaftigkeit aufgegeben würden. Ziel ist die Schaffung eines „Europas der Vaterländer“, das sich von den USA abgrenzt, sich als „Festung Europa“ definiert, den Ausgleich mit Russland verfolgt und mit der Eurasischen Wirtschaftsunion die Zusammenarbeit sucht.
Die Kritik der Vorsitzenden und auch einzelner Delegierter aus den westlichen Landesverbänden richtete sich weniger auf den Inhalt als auf die neurechte Diktion der Resolution. Nur mit viel Mühe und im dritten Anlauf gelang es der Parteiführung, eine Abstimmung über die Resolution zu verhindern und sie in die Gremien zu überweisen. Die Autorität der neuen Parteiführung war zu diesem Zeitpunkt für alle sichtbar bereits am ersten Amtstag untergraben. Bekannt wurde im Nachhinein, dass es im Vorfeld des Parteitages Absprachen zwischen Höcke und der Parteiführung gab, die Höcke bei einem Verzicht auf einen Vorstandsposten mit der Leitung einer Kommission zur Parteistrukturreform entschädigen sollte. Diese wurde aber nach der vorzeitigen Beendigung des Parteitages nicht mehr eingesetzt.
Politische Folgen des Parteitages
Die seit 2015 voranschreitende Rechtsradikalisierung der AfD ist in Riesa auch formal umgesetzt worden. Gegen die völkische Rechte kann im Vorstand keine Politik mehr gemacht werden. Mit der ebenfalls von Höcke eingebrachten und vom Parteitag verabschiedeten Möglichkeit einer alleinigen Parteiführung rückt auch die Übernahme der Gesamtpartei durch Björn Höcke näher. Ganz offensichtlich ist die völkische Rechte zu dem Ergebnis gekommen, dass die mit ihrer offenen Dominanz in der Partei verbundenen Verluste bei Wahlen sich in einem erträglichen Maße bewegen werden. In den ostdeutschen Bundesländern führt sie nachweislich nicht zu Verlusten, sondern zu einer Stärke, die die Partei bis heute in Sachsen, Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt auf Ergebnisse zwischen 20 und 27 Prozent der Stimmen bringt. Mit Blick auf den Westen geht man wohl davon aus, dass hier zumindest Ergebnisse erzielt werden können, die einen komfortablen Einzug in den Bundestag immer ermöglichen – unter Inkaufnahme möglicher Verluste einzelner Fraktionen in den Ländern.
Die völkische Rechte innerhalb der AfD denkt strategisch in längeren Perioden und ist eher an der dauerhaften Etablierung einer ideologisch gefestigten faschistischen Partei interessiert als an schneller Machtbeteiligung in Koalitionen. Das wird von Anhänger*innen der Parteirechten im Westen zum Teil anders gesehen.
Möglich ist, dass Höcke spätestens 2024 den Griff nach der Parteiführung wagen könnte. Mit Erfolgen bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen und den bis dahin zu erwartenden Verlusten bei Wahlen im Westen könnte er sich als Retter der Gesamtpartei berufen lassen.
Mehrheiten rechts der Mitte?
Auf Bundesebene scheinen Bündnisse oder andere Formen der Zusammenarbeit von Union und AfD mittelfristig ausgeschlossen zu sein. Die weitere Rechtsentwicklung der AfD, ihre Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst und die Erscheinung der AfD in den bundesweiten Medien machen solche Bündnisse auf absehbare Zeit unmöglich.
Anders sieht es in den Bundesländern aus, wo es nach wie vor wichtige Stimmen in einzelnen ostdeutschen Landesverbänden der CDU gibt, die eine Kooperation mit der hier verankerten AfD nicht ausschließen wollen, sie sogar gegenüber ungeliebten Zwangsbündnissen mit den Grünen favorisieren. In Thüringen, wo die CDU schon einmal zusammen mit der AfD einen FDP-Ministerpräsidenten wählte, schien es Anfang Juni kurzfristig so, als wolle die CDU mit den Stimmen der AfD Anträge zum Abstand von Windkraftanlagen gegen die rot-rot-grüne-Regierung durchsetzen.
AfD im Bundestag
Die Rückkehr zu Kohle und Atomstrom wird von der AfD im Bundestag als Mittel gegen die Energiepreisentwicklung gefordert und trifft sich mit ihrer generellen Leugnung des menschenverursachten Klimawandels. Dagegen steht die Fraktion in der Frage des gigantischen Aufrüstungsprogramms der Regierung Scholz fest an der Seite von Koalition und Union. Anders als DIE LINKE hat die AfD im Bundestag nicht gegen die 100 Mrd. für die Bundeswehr gestimmt, sondern war nur gegen die Finanzierung über ein Sondervermögen jenseits des Haushaltes. Ginge es also nach der AfD, wäre die Aufrüstung zulasten anderer Haushaltsposten gegangen und hätte eine Kürzungsorgie in anderen Bereichen zur Folge gehabt.
Vom Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion Bernd Baumann wurden dieselben Unwahrheiten wie von den anderen Fraktionen außer der LINKEN geäußert: „Unsere Armee, unsere Soldaten werden seit Jahrzehnten vernachlässigt, unterfinanziert, kaputtgespart.“ (Deutscher Bundestag, 20. WP, Protokoll 42. Sitzung, S. 4160). Angesichts der jährlichen Steigerungen des Wehretats und einer Summe von aktuell 50,4 Mrd. Euro für die Bundeswehr ist dies offensichtlich Unsinn. Aber wenn es nach der AfD ginge, könnte es auch „noch mehr“ als die avisierten 100. Mrd. Euro sein. Ihr Haushaltspolitischer Sprecher Peter Boehringer versicherte, die AfD werde den 100 Mrd. Euro sofort zustimmen, wenn sie in den normalen Haushalt integriert und nicht in einen Sonderhaushalt gesteckt würden. „Man muss einfach mal anfangen, an Klima- und Transformationsideologie zu sparen, dann geht das auch“ (ebd., S. 4226), so Boehringer in der Debatte, womit deutlich wird, dass die AfD die Aufrüstung auf Kosten der notwendigen sozial-ökologischen Wende finanzieren will.