Donald Trump ist erneut Präsident. Lautstark wirft er auf X (vormals Twitter) und anderswo mit halbfertigen Ideen um sich und labt sich an der Angst und den Verwerfungen, die er damit hervorruft. Dann rudert er zurück oder leugnet, solche Dinge je gesagt zu haben. Er stiftet Chaos – und genau darum geht es.

Verzweiflung ist dieser Tage in den USA weit verbreitet, und zwar mehr noch, als dies während Trumps erster Amtszeit der Fall war. 2016 waren die Menschen entrüstet, 2025 jedoch scheinen sie schockiert. Schockiert in dem Sinne, wie Naomi Klein es in ihrem Buch »Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus« skizzierte, also gezielt aus der Fassung gebracht, damit währenddessen die Zerstörung auch noch des letzten Restes eines Staates vorangetrieben werden kann, der dem Gemeinwohl statt dem privaten Profit diente. Obwohl Trump schon einmal Präsident war, fühlt sich seine Rückkehr wie eine Katastrophe an, wie die Orkane und Waldbrände, die in den Monaten vor seiner Wiederwahl über das Land hinwegfegten.

Dennoch kann ich nicht anders, als wütend darüber zu sein, dass die Menschen schockiert sind, jedenfalls was diejenigen angeht, die es hätten besser wissen müssen. Wie die Demokratische Partei. Oder die Berufspolitiker*innen, die schon seit Monaten vom »Project 2025« wussten, dem Projekt der Rechten, den Staat von Grund auf neu zu ordnen. Der Trauerprozess darum, dass die USA eben leider doch nicht besser als Trump sind, hätte schon vor acht Jahren stattfinden sollen. Das jetzt ausbleibende Handeln dieser Berufspolitiker*innen ist unentschuldbar.

»Obwohl Trump schon einmal Präsident war, fühlt sich seine Rückkehr wie eine Katastrophe an, wie die Orkane und Waldbrände, die in den Monaten vor seiner Wiederwahl über das Land hinwegfegten.«

Stattdessen wird der Widerstand von jenen Bundesangestellten angeführt, die an Elon Musks »Häcksler« verfüttert werden und die uns jeden Tag aufs Neue eine Lektion darin erteilen, was eigentlich staatliche Aufgaben sind. Nationalparkangestellte und Ingenieur*innen, die Hochwasserschutzbarrieren bauen, Krankenpfleger*innen, die für das Department of Veterans Affairs arbeiten, und so viele andere. Gemeinsam mit Lehrer*innen und Wissenschaftler*innen, deren Arbeit aufgrund der Budgetkürzungen nahezu unmöglich geworden ist, gehen sie auf die Straße. Andere wiederum bieten »Know Your Rights«-Trainings für undokumentierte Migrant*innen an, die in Trumps Fadenkreuz geraten, und wieder andere halten Hormone vorrätig, um befreundeten trans*-Personen auszuhelfen, denen die Streichung von Krankenversicherungsleistungen droht.

Kurz vor dieser Wahl, die Donald Trump erneut ins Präsidentenamt erhob, erschien mein Buch über Trauer, und zu dem Zeitpunkt war ich mir relativ sicher, dass die Wahl so ausgehen würde. Ich sah zu, wie die Vorgängerregierung Sympathien verschleuderte, gerade bei den jungen Menschen, und wie sie ihr politisches Kapital damit vergeudete, das anhaltende Grauen am Laufen zu halten, das Israel seit eineinhalb Jahren über Gaza brachte. Wie sie Proteste mit der Hilfe von Universitätsangestellten zerschlug, die jetzt Trumps Forderungen klein beigeben und ihm bei der Deportation ihrer eigenen Studierenden zur Hand gehen. Während ich über die Notwendigkeit des Trauerns schrieb, suchte ich nach Aufzeichnungen von Protesten (denen ich nicht selten beigewohnte hatte), bei denen ein Ende der Gräueltaten in unserem Namen gefordert worden war. Sie wehrten sich dagegen, jüdische Trauer für weitere Gewalt zu instrumentalisieren.

Ich schrieb dieses Buch, weil mir schien, dass Trauer in den frühen 2020er Jahren allgegenwärtig war. Es war die Zeit von COVID-19, klar, aber der Lockdown führte auch dazu, dass die Proteste, die auf die Ermordung von George Floyd folgten, zum Erliegen kamen, die bis dato größten Proteste gegen Polizeigewalt in den USA. Was ist »Black Lives Matter«, wenn nicht der Ruf nach gemeinsamer Trauer und gemeinsamem politischen Engagement? In dieser Zeit verschlimmerte sich die Klimakatastrophe immer weiter, Migrant*innen mussten ständig als Sündenböcke herhalten, Menschen also, die in der Regel vor Katastrophen flüchten (›natürlichen‹ und anderen), deren Verursacher eben die Länder sind, in die sie fliehen. Die wirtschaftliche Entwicklung zerstörte den Lebensstandard vieler Menschen für immer und ließ sie trauernd zurück. 

Was ich jetzt schreibe, versammelt Überlegungen aus jener Zeit, die es nicht ins Buch schafften, in erster Linie, weil es so viel Trauer um mich herum gab, über die ich schreiben musste: Ich schrieb darüber, welche Strukturen diese Trauer hervorriefen, dass ihr kein Raum gegeben wurde, wie die Rechten sie nutzen, um Anhänger*innen für ihre faschistischen Parteien und Schlägertruppen zu gewinnen; wie die Linke vielleicht lernen kann, Trauer besser zu verstehen.

Der Mord an Jordan Neely

Anfang Dezember 2024 sprach man Daniel Penny wegen des Mordes an Jordan Neely in der New Yorker U-Bahn frei. Kurz nach seiner Freilassung schleppte Trump Penny zum wichtigsten College-Footballspiel der Saison mit. Die Botschaft war eindeutig: Trump begrüßte die Ermordung eines obdachlosen Schwarzen Mannes, der in der U-Bahn angeblich für Unruhe gesorgt hatte. Bis auf die Musiker*innen in der U-Bahn verabscheue ich inzwischen alles an New York. Wenn ich dort bin, und sei es auch nur für kurz, möchte ich am liebsten wieder weg – es sei denn, ich bin in der U-Bahn und das vertraute »Showtime!« erklingt oder Musik wird aufgedreht. Was mein Geldbeutel hergibt, händige ich an Mariachi-Bands aus, ich bemühe mich, nicht im Weg zu stehen, sodass die Showtime-Tänzer*innen springen und Pirouetten drehen und an der Decke laufen können. Und seit Jordan Neely ermordet wurde, durchforste ich meine Erinnerung nach Michael-Jackson-Imitatoren, die ich im Zug oder am Bahnsteig gesehen habe. Da waren welche, ich bin mir sicher. Ob er es war?

Im Mai 2023 war ich mal wieder in New York, und die Stadt war voll mit den Geistern meiner Vergangenheit, vieles war nicht mehr da, die Restaurants, die mich in dieser Stadt willkommen geheißen hatten, waren weg, ich lief über den Union Square unweit der einzigen Wohnung, die ich je in Manhattan bewohnt hatte, und erinnerte mich an den Zeitpunkt, als die letzte Version dieser Stadt, die ich noch zu lieben vermochte, vorbei war, aus und vorbei. In nahm die U-Bahn und musste daran denken, wie Jordan Neely um Hilfe geschrien hatte.

Was New York für mich so überraschend und fröhlich macht, ist gleichzeitig eine Form prekärer Arbeit, die Möglichkeit eines Zuverdienstes in einer Zeit, in der es beinahe unmöglich geworden ist, in dieser Stadt zu leben. Die Momente, in denen sich die U-Bahn mit Musik und Tanz füllt und man dem Blick eines Fremden begegnet, waren für mich die schönsten in dieser Stadt, und ich denke daran, wie viele Menschen die Ermordung eines Mannes, Tänzers, Performers guthießen, weil dieser Hilfe verlangte, weil er es wagte, die gegenwärtige New Yorker Lebensrealität ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, dass es verdammt nochmal kaum zu schaffen ist.

Auch Ciara Taylor, die nach der Erschießung von Trayvon Martin die Organisation Dream Defenders mitbegründet hat, lässt der Tod von Jordan Neely nicht los. Sie erzählt von Budgetkürzungen und der Erhöhung der Ticketpreise, von der Räumung von Obdachlosencamps und dem Mangel an Notunterkünften und bezahlbarem Wohnraum, und dem nie abreißenden Geldstrom für Polizeikontrollen und -überwachung. Die Polizei hat Jordan Neely nicht umgebracht, jedenfalls nicht direkt, es war ein junger Ex-Marinesoldat, also hatte ihn ein anderes staatliches Gewaltorgan im Töten unterrichtet. Aber dabei schaute ihm ein Wagen voller Menschen zu, und die Polizei ließ ihn schon nach einer kurzen Befragung laufen, und Politiker*innen schürten Empörung, es wurden Millionen für seine Verteidigung gespendet, und ich denke, genau das ist der Endpunkt der strukturellen Herstellung von Unbetrauerbarkeit. Das passiert, wenn wir so vielen Menschen die existenziellen Dinge des Lebens absprechen, weil sie nicht die Arbeit verrichten, die das Kapital von ihnen verlangt. Tanzen zählt nicht. Der Militärdienst hingegen schon

Auch für die Organizerin Mariame Kaba fühlt sich die Täter-Opfer-Umkehr nur allzu vertraut an, der Mechanismus, der Jordan Neelys Tod in eine Erzählung darüber verkehrte, was Neely falsch gemacht hatte. Sie sagt: »Das möchte man nicht sein, man will kein Opfer sein, also ziehst du dir so einen Mantel der Unverletzbarkeit über. Mir kann nichts passieren. Ich verhalte mich korrekt. Mir werden solche schlimmen Dinge schon nicht zustoßen. Die Menschen in dieser U-Bahn trugen so einen Mantel. ›Ich werde nie wie dieser Typ sein. Mehr noch, ich werde mich an seiner Entmenschlichung beteiligen, weil ich so sehr nicht wie er sein will. Er ist das Gegenteil dessen, was ich ausstrahlen will, und so entmenschliche ich ihn in einem solchen Grad, dass seine Tötung nicht der Rede wert ist.‹« Wir müssen nicht um ihn trauern, wenn er selbst zu seinem Tod beigetragen hat.

»Wohl jede*r in ganz Manhattan hat schon einmal etwas erlebt, was dem ähnelte, was Penny und die anderen in der U-Bahn durchmachten«, so das Pressestatement von Daniel Pennys Strafverteidiger. Es unterschlägt, dass die meisten Menschen deshalb nicht zu Mördern werden. Es handelt sich um eine Spielart der Broken-Windows-Theorie, die besagt, dass schon kleinste Verstöße gegen die öffentliche Ordnung – eine zerbrochene Fensterscheibe, ein herumschreiender Mensch – zu schwerwiegenderen Straftaten führen. Diese Theorie lässt unter den Tisch fallen, dass die Lösung auf der Hand liegt: die verflixte Fensterscheibe zu reparieren. Das Verbrechen, das Jordan Neelys Schreie nach sich zogen, war, dass ihn jemand erwürgte.

So sieht Faschismus aus, wenn er da ist, denke ich bei mir. Nicht nur tötet jemand mit seinen eigenen Händen einen anderen, sondern andere Menschen wiederum rechtfertigen diese Tat: Der muss schließlich irgendetwas angestellt haben, der hat es verdient, also ist es in Ordnung, unbetrauerbar. Wenn du betonst, dass Jordan Neely ein Mensch war, dem es schlecht ging und der es nicht verdiente, umgebracht zu werden, es nicht verdiente, hungrig und obdachlos zu sein und so mutterseelenallein, dass niemand eingriff und den Griff um seinen Hals löste – dann muss mit dir etwas nicht in Ordnung sein. Das ist es, dessen ihr euch schuldig gemacht habt: Ihr habt befunden, dass es in Ordnung war. Das nämlich ist die nackte Wahrheit hinter dem obsessiven Reflex, »Black Lives Matter« mit »All Lives Matter« zu kontern. Als ob nicht fast alle Leben nichts wert wären.

»So sieht Faschismus aus, wenn er da ist, denke ich bei mir. Nicht nur tötet jemand mit seinen eigenen Händen einen anderen, sondern andere Menschen wiederum rechtfertigen diese Tat.«

Achille Mbembe schreibt, dass der faschistische Staat bloß derjenige sei, der die Konsolidierung der Macht über den Tod am weitesten getrieben habe. Bei ihm heißt es: »Die Wahrnehmung der Existenz des Anderen als Angriff auf mein eigenes Leben, als tödliche Bedrohung oder unbedingte Gefahr, deren biophysische Ausschaltung eine Stärkung meiner eigenen Potenziale an Leben und Sicherheit bedeuten würde – dies ist meiner Ansicht nach eines der zahlreichen Imaginarien der Souveränität, die für die Moderne selbst charakteristisch ist, für die frühe ebenso wie für die späte.« (Mbembe 2011, 69) Jordan Neelys Leben war auslöschbar, einfach deswegen, weil er im öffentlichen Raum als Schwarzer, Armer und Obdachloser existierte und sich weigerte, leise zu verschwinden. So ist es in den USA und in der übrigen, von den USA beeinflussten Welt, seit sich die Kolonialherren an die nordamerikanische Küste verirrt haben. Die Tatsache, dass die Leute Angst vor Neely hatten, kommt dem Eingeständnis gleich, dass die USA ihm tatsächlich etwas schuldig waren. 

Wie Walter Benjamin festhielt, als die Nazis mit Feuer und Vernichtung durch Europa marschierten: »Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, dass der ›Ausnahmezustand‹, in dem wir leben, die Regel ist.« (Benjamin 2010, 19) Als Jüdin, als Mensch, als ehemalige wahrscheinlich Nie-wieder-New-Yorkerin heißt solidarisch sein für mich, dass ich mich dieser Tatsache nicht verschließe und mich ebenso in Jordan Neely sehe wie in dem in den 1940er Jahren schreibenden Benjamin, der uns ermahnt, dass uns »als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustandes vor Augen stehen [wird]; und dadurch wird unsere Position im Kampf gegen den Faschismus sich verbessern« (ebd.). Anders ausgedrückt ist es meine Aufgabe, Widerstand zu leisten, den Würgegriff von Jordan Neelys Hals zu schlagen und jene Vernichtung aufzuhalten, in der das Leben in dieser für mich zu teuer gewordenen Stadt besteht.

Wie reparieren wir eine Gesellschaft, wenn ihr Fundament der Tod ist, wenn die Machthabenden das Töten offenbar fortsetzen wollen, von der kaltblütigen Ablehnung von Versicherungsleistungen bis zur Rechtfertigung von Morden in U-Bahnen; von staatlichen Hinrichtungen bis zum trotz der Klimakatastrophe als Leitspruch erkorenen »drill, baby, drill«? Abolitionist*innen sehen Transformative Justice als Alternative zu strafenden Institutionen, als einen Prozess der Reparatur, der in sich selbst neue Beziehungen stiftet. Aber die alten, in struktureller Gewalt und Ressourcen-Extraktivismus fußenden Strukturen wirken weiter.

Die Menschen in den Opferzonen, an den verlassenen Orten, seien es nun ganze Länder oder winzige Punkte auf einem Stadtplan, mussten ihren eigenen Umgang mit einem Planeten in der Krise finden, der nicht darauf wartet, dass endlich jemand um Vergebung bittet. Ein Weg für jene, die bleiben, und die, die gehen wollen. Über geografische Grenzen und Differenzen hinsichtlich race hinweg, trotz Sprachbarrieren und Hochwasserkatastrophen schaffen diese Menschen eine Gerechtigkeitsbewegung und eine eigene Form der Resilienz. Ruth Wilson Gilmore verwendet in diesem Zusammenhang das malaiische Wort desakota, das Geograf*innen als Bezeichnung für Orte verwendeten, die weder urban noch ländlich waren, als Bezeichnung für einen Zustand »dazwischen«. »Vergessen zu werden«, schreibt Gilmore, »ist Teil dieses Dazwischenseins, ist eine Kultur und eine Politik, die in die Lücke zwischen den Krisen hineingewachsen ist. Das Bewusstsein dafür, dass man künftigen Katastrophen anheim gelassen wurde, ist mit einer besonderen Art der Trauer verbunden: Wenn das Ende der Welt bevorsteht, welche neuen Kämpfe werden dadurch erst möglich?« (Gilmore 2022)

Aus Verlusten lernen

Trauer entspringt einer Art Anti-Begehren, schafft gleichzeitig aber Raum für neues Begehren und lässt das, wonach wir uns früher sehnten, in neuem Licht erscheinen. Man kann aus Verlusten etwas lernen, aber das sieht jedes Mal und individuell anders aus, und man kann sich diesem Lernprozess auch verweigern, sich davor verschließen. Bei der Beisetzung einer befreundeten Person musste ich mich fragen, ob die Eltern, die die Beisetzung organisiert hatten, den Menschen, um den sie trauerten, überhaupt gekannt hatten; bei einer auf Zoom organisierten Gedenkveranstaltung habe ich zugesehen, wie die Familie von befreundeten Aktivist*innen Dinge über ihre Mutter, Schwester, Ehefrau erfuhr, von denen sie nicht im Entferntesten gewusst hatte. Mit jeder Person verschwindet eine ganze Welt, und es ist uns nicht möglich, um alle ihre Inhalte zu wissen, egal, wie intensiv unsere Liebe war. Hélène Cixous schreibt über die Trauer: »Wir müssen diese Welt verlieren, eine Welt verlieren und entdecken, dass es mehr als eine Welt gibt, und dass die Welt anders ist, als wir denken. Ansonsten haben wir von der uns innewohnenden Sterblichkeit und Unsterblichkeit nichts verstanden.« (Cixous 1994, 9f.) Und vielleicht ist es das, was uns die Trauer lehren kann.

»Mich hat die Trauer gelehrt, mir das Ende meiner eigenen Welt vorzustellen – und dann weitermachen zu müssen und entweder das Neue zu denken oder für immer mit der Verzweiflung zu leben.«

Der Satz, es sei einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus, ist so oft zitiert worden. Jedoch hat mich die Trauer gelehrt, mir das Ende meiner eigenen Welt sehr wohl vorzustellen – und dann weitermachen zu müssen und entweder das Neue zu denken oder für immer mit der Verzweiflung zu leben. Überall im Kapitalismus zeigen sich Risse, und die Einzigen, die sich noch an den Kapitalistischen Realismus klammern, sind wohl einige wenige Anführer*innen alter Parteien und die überkommenen Hegemonialmächte.

Gefühle politisieren

Jede Art von Nationalismus fordert Opfer. Der Faschismus hat diesen Gedanken lediglich auf die extreme und doch unvermeidbare Spitze getrieben. Für den Historiker Adam Tooze ist es zum Beispiel eine Reaktion auf die Erfahrung des Ersten Weltkrieges, der die Welt mit seiner schrecklichen Gewalt überrollte. Für den Faschismus allgemein und den Nationalsozialismus im Besonderen war eine romantisierende Sicht auf Brutalität und Tod, auf die Aufopferung für die Nation zentral. Tooze weist auf das Motto der Hitlerjugend »Ich bin geboren, um für Deutschland zu sterben« hin. Er schreibt: »Dieses Bewusstsein ist ein wesentliches Element des Faschismus, der eine politische Strategie mit höchstem Einsatz ist, bei der alles aufs Spiel gesetzt werden muss.« (Tooze 2023) Die Jugend sei so sozialisiert worden, dass sie sowohl die massenweise Tötung anderer als auch den eigenen, reihenweisen Tod für moralisch richtig hielt (ebd.).

Der Faschismus erschütterte viele in ihrem Fortschrittsglauben, weil er die vorgeblichen Vorteile der industriellen Moderne in eine Todesmaschine ungeheuerlichen Ausmaßes verkehrte. Ein Fließband, das unzählige Juden und Jüdinnen, Rom*nja, Schwarze, queere und kommunistische Menschen in den Tod beförderte, das erst nach der Befreiung der Todeslager in seiner gesamten Grausamkeit für alle Welt sichtbar wurde. Auch viele Sozialist*innen und Kommunist*innen hatten an das Fortschreiten der Geschichte geglaubt; aber es gab Menschen, die vor der Verheerung warnten, die der Fortschritt bringen konnte, Walter Benjamin zum Beispiel, bevor auch er dem Aufstieg der Nationalsozialisten zum Opfer fiel. Der Glaube an den unvermeidbaren Fortschritt, so Benjamin, lasse sich nicht mit einer Analyse der Machtverhältnisse vereinbaren, mit der Einsicht nämlich, die heute beinahe ein Gemeinplatz ist, dass die Geschichte von den Siegern geschrieben wird: »Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne ein solches der Barbarei zu sein.« (Benjamin 2010, 34) Der Tod als die ultimative und beste souveräne Macht, als das, was übrig bleibt, wenn der Glaube daran, dass es möglich ist, Gutes zu verrichten, ausgemerzt wurde. Wenn der Sieg nur noch die Bestrafung der richtigen Gruppe von Menschen in Aussicht stellt und alle Menschen und Gruppen sich jederzeit um das Leiden verdient machen können. Rassismus ist vorweggenommener Tod. Ein Prozess, der nicht nur den Tod herstellt, sondern auch unsere Zustimmung dazu. Er produziert Märtyrer*innen und fordert durch sie weiteres Töten. Die grundlegenden Macht- und Eigentumsverhältnisse aber bleiben davon unberührt, und für die Massen bleibt nur der Ausdruck – wie Walter Benjamin schrieb – von Zorn und Wut, den lautesten Aspekten der Trauer. Macht und die Abwesenheit des Todes bleiben ein Wunschtraum. Fehlgesteuerte Vergeltung statt Trauer. Das Ende der Welt winkt pervers verführerisch, denn es rechtfertigt zahlreiche Formen gewaltvoller Vergeltung.

Natürlich kann auch Faschismus unterschiedliche Facetten ausprägen. Die Klimakatastrophe zum Beispiel hat zwei Spielarten im Angebot: das petromaskuline »drill, baby, drill!« mit seiner Sehnsucht nach dem tatsächlichen Ende der Welt und einen Ökofaschismus, der »Blut und Boden« wörtlich denkt, für den ein reiner Planet Hand in Hand mit einer reinen Rasse geht oder der wahlweise auch einfach alle Unwürdigen vom metaphorischen Rettungsboot schubsen will. Die höfliche, liberale Version dieses Affekts sind Klimamaßnahmen entlang nationalstaatlicher Grenzen.

Die Zerstörung des Weelaunee Forest zugunsten eines Ausbildungszentrums für Gewaltarbeiter*innen ist für mich ein weiteres Beispiel dieses Impulses. Die Klimaerwärmung löst Chaos und Verunsicherung aus, und die vermeintlichen Lösungen sind die Polizei, das Niederschlagen von Protesten, Manuel Esteban Paez Teráns Ermordung, 61 Waldaktivist*innen anzuklagen und sie wegen »gegenseitiger Hilfe« zu einer kriminellen Organisation zu erklären, und immer wieder zu vereiteln, dass die Bevölkerung in einem demokratischen Prozess über Cop City entscheidet. Denker*innen des Black Radicalism wissen seit jeher, dass der Faschismus nur ein Fangarm des Kolonialismus mit seinen rassistischen Rechtfertigungen ist. Angela Davis beschreibt Faschismus als »den Einsatz des strafenden Justiz- und Machtapparats, um offene und latente revolutionäre Tendenzen bei den Unterdrückten dieser Nation zu zerschlagen; morgen schon könnte im großen Stil die Arbeiter*innenklasse angegriffen werden und schließlich auch die moderaten Demokrat*innen« (Davis 1971). Diese Aussage aus den 1970er Jahren passt nicht nur ganz gut für die gegenwärtige Situation, sie definiert sie sogar ziemlich genau.

Das Ziel von Organizing, sagt mir Rod Adams vom New Justice Project in Minneapolis, sei es, »Gefühle zu politisieren«. Es gehe darum, Schmerz in Leidenschaft umzuwandeln und Leidenschaft in Politisierung, den privaten Schmerz und die private Leidenschaft mit der Gemeinschaft zu teilen. »Es geht nicht nur darum, die Leute davon zu überzeugen, Teil des Kampfes zu werden, sondern an ihrer Seite zu kämpfen. Unsere Rolle als Organizer*innen ist es, weiterzukämpfen. Seite an Seite mit den Leuten.« Befreiung, sagt er, stehe allen Menschen zu, weshalb Organizer*innen sich für alle Menschen einsetzen müssten – trotz allem, dem sie öffentlich wie privat ausgesetzt seien. Nach Jahren des Kampfes und des Widerstands, so Adams, seien viele Organizer*innen in Minneapolis ausgebrannt und desillusioniert und hätten die Bewegung verlassen. Zeit für sich selbst in Anspruch zu nehmen, sei mit Scham verbunden. »Wir brauchen mehr politische Bewegungen für Freude«, so Adams. Auch dafür sind echte Ressourcen und materielle Unterstützung nötig. Einfach das Wort »Freude« in den Mund zu nehmen, reicht nicht. Viele Organisationen müssen mit winzigen Budgets auskommen und mit der Arbeitskraft von Menschen, die monatelang keinen freien Tag haben. Adams versucht, die Leute dazu zu bewegen, eine Pause einzulegen und sich nicht dafür zu schämen.

Bewegungen verstehen allmählich, dass auch die Bewegung selbst Schauplatz von Traumata sein kann, obwohl sie ein Raum der Möglichkeit und Fürsorge ist. Enttäuschung etwa ist eine Art von Trauer, und Gewalt- und Verlusterfahrungen sind Teil des politischen Kampfes. Mariame Kaba findet, man könne von den Leuten nicht erwarten, dass sie im politischen Kampf immer alles geben. Für manche Dinge brauche es Ruhe und Erholung und eine Art von Fürsorge, die nur unsere engsten Bezugspersonen leisten könnten.

»Das Ziel von Organizing sei es, ›Gefühle zu politisieren‹. Es gehe darum, Schmerz in Leidenschaft umzuwandeln und Leidenschaft in Politisierung.«

Bei meiner Suche nach einem treffenden Wort für die politischen Prozesse, die es heute braucht, stoße ich auf salvage (dt. Bergung, Rettung). Bei salvage denke ich daran, dass etwas repariert wird, aber auch, wie wir uns dieser Reparatur widersetzen. Uns der Idee widersetzen, dass unsere Wut und Trauer und unser Zorn das Problem und wir der Reparatur bedürften; uns dem Narrativ widersetzen, dass manche von uns nichts zählten oder je nichts zählen könnten. Wir alle sind, um es mit Beatrice Adler-Bolton und Artie Vierkant (2022) zu sagen, »auf die eine oder andere Weise vom Kapital zerrissen, verstümmelt und gewürgt worden« und gerade unsere Gebrochenheit lehrt uns, dass das Kapital nie in unserem Sinne arbeiten wird. Frantz Fanon verstand bei seiner Arbeit in der psychiatrischen Klinik im algerischen Blida-Joinville, dass seine Patient*innen nicht nur Therapie benötigten, sondern ein Ende des Kolonialsystems, das ihnen Gewalt antat. Er nannte das, wie Nica Siegel ausführt, nicht Reparatur, sondern gebrauchte dafür dessen etymologischen Vorläufer Préparation, vom lateinischen praeparatio. Für Siegel (2023) sagt Fanon damit in etwa: Lasst uns die Bedingungen unserer Fähigkeit, uns in die Zukunft zu projizieren, wieder herstellen, so, wie wir es früher konnten. Ähnlich wie wenn man aus dem Nebel der Trauer heraustritt und aufs Neue lernt, sich die Zukunft vorzustellen. Ein Möglichkeiten-Schaffen.

Die zwei zeitlichen Dimensionen der Trauer und der sozialen Transformation sind die initiale Erschütterung und das darauffolgende Bleibende. Es gibt einen Bruch, und man wendet sich dem Patienten oder der Patientin zu. So wie das Organizing in täglicher gemeinschaftlicher Fürsorge besteht – eine Arbeit, die der Organizer Mike Davis mit der Pflege eines Gartens vergleicht, in dem man jätet, um das Wachstum der Sprösslinge zu fördern. Langsame Vorgänge haben etwas Luxuriöses an sich, so auch die Einsicht, dass man einem von außen vorgegebenen Tempo folgen muss. Es hat auch etwas Luxuriöses an sich, Reichtum und Fülle als etwas zu sehen, das mit Beziehungen zu tun hat: wie wenn Freund*innen zu einer Totenwache oder Schiv’a etwas zu essen mitbringen. In solchen Situationen vertrauen wir darauf, dass sich jemand um uns kümmert, wenn wir vor lauter Schock vergessen zu essen – jedenfalls wenn wir ein gutes soziales Netz um uns haben. Oft male ich mir aus, was wäre, wenn wir dieses ethische Prinzip ausdehnen könnten: Wenn wir nicht länger Lohnarbeit leisten müssten, um unsere Bedürfnisse zu stillen, und zwar nicht nur in Ausnahmesituationen, sondern immer. Wie wäre das, wenn wir alles, was getan werden muss, aus einem Moment der (Selbst-)Fürsorge heraus täten, die sich nicht wie Arbeit anfühlte und auch keine wäre. So wie es sich nicht nach Arbeit anfühlt, Freund*innen zu trösten.

Denn Trauer hört nie auf, jedenfalls nicht wirklich. Neben ihr verkommen unsere Erfolgsvorstellungen zu einer Farce. Trauern bedeutet zerstören, schaffen, sich kümmern, vereinen, zerreißen – es ist ein ständiger Prozess. Wir können daraus etwas über die Zeitlichkeit von Transformationen lernen, das auch für politische Zwecke relevant ist. »Trauer,« schreibt Judith Butler, »bringt zum Vorschein, in welcher Weise wir Hörige unserer Beziehungen zu anderen sind, eine Hörigkeit, die wir nicht immer wiedergeben oder erklären können, die aber eine bewusste Selbstdarstellung, die wir vielleicht von uns geben möchten, oft auf eine Art und Weise stört, dass gerade die Vorstellung, wir seien autonom und selbstbeherrscht, infrage gestellt wird.« (Butler 2023, 37) Können wir Autonomie als etwas denken, das immer und ausschließlich mit anderen denkbar ist, als etwas, das im Raum zwischen Menschen entsteht? Das birgt ein Risiko, klar, aber nur so werden wir in den Trümmern überleben.


Aus dem Englischen von Tabea Magyar & André Hansen für Gegensatz Translation Collective

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