Stattdessen wird der Widerstand von jenen Bundesangestellten angeführt, die an Elon Musks »Häcksler« verfüttert werden und die uns jeden Tag aufs Neue eine Lektion darin erteilen, was eigentlich staatliche Aufgaben sind. Nationalparkangestellte und Ingenieur*innen, die Hochwasserschutzbarrieren bauen, Krankenpfleger*innen, die für das Department of Veterans Affairs arbeiten, und so viele andere. Gemeinsam mit Lehrer*innen und Wissenschaftler*innen, deren Arbeit aufgrund der Budgetkürzungen nahezu unmöglich geworden ist, gehen sie auf die Straße. Andere wiederum bieten »Know Your Rights«-Trainings für undokumentierte Migrant*innen an, die in Trumps Fadenkreuz geraten, und wieder andere halten Hormone vorrätig, um befreundeten trans*-Personen auszuhelfen, denen die Streichung von Krankenversicherungsleistungen droht.
Kurz vor dieser Wahl, die Donald Trump erneut ins Präsidentenamt erhob, erschien mein Buch über Trauer, und zu dem Zeitpunkt war ich mir relativ sicher, dass die Wahl so ausgehen würde. Ich sah zu, wie die Vorgängerregierung Sympathien verschleuderte, gerade bei den jungen Menschen, und wie sie ihr politisches Kapital damit vergeudete, das anhaltende Grauen am Laufen zu halten, das Israel seit eineinhalb Jahren über Gaza brachte. Wie sie Proteste mit der Hilfe von Universitätsangestellten zerschlug, die jetzt Trumps Forderungen klein beigeben und ihm bei der Deportation ihrer eigenen Studierenden zur Hand gehen. Während ich über die Notwendigkeit des Trauerns schrieb, suchte ich nach Aufzeichnungen von Protesten (denen ich nicht selten beigewohnte hatte), bei denen ein Ende der Gräueltaten in unserem Namen gefordert worden war. Sie wehrten sich dagegen, jüdische Trauer für weitere Gewalt zu instrumentalisieren.
Ich schrieb dieses Buch, weil mir schien, dass Trauer in den frühen 2020er Jahren allgegenwärtig war. Es war die Zeit von COVID-19, klar, aber der Lockdown führte auch dazu, dass die Proteste, die auf die Ermordung von George Floyd folgten, zum Erliegen kamen, die bis dato größten Proteste gegen Polizeigewalt in den USA. Was ist »Black Lives Matter«, wenn nicht der Ruf nach gemeinsamer Trauer und gemeinsamem politischen Engagement? In dieser Zeit verschlimmerte sich die Klimakatastrophe immer weiter, Migrant*innen mussten ständig als Sündenböcke herhalten, Menschen also, die in der Regel vor Katastrophen flüchten (›natürlichen‹ und anderen), deren Verursacher eben die Länder sind, in die sie fliehen. Die wirtschaftliche Entwicklung zerstörte den Lebensstandard vieler Menschen für immer und ließ sie trauernd zurück.
Was ich jetzt schreibe, versammelt Überlegungen aus jener Zeit, die es nicht ins Buch schafften, in erster Linie, weil es so viel Trauer um mich herum gab, über die ich schreiben musste: Ich schrieb darüber, welche Strukturen diese Trauer hervorriefen, dass ihr kein Raum gegeben wurde, wie die Rechten sie nutzen, um Anhänger*innen für ihre faschistischen Parteien und Schlägertruppen zu gewinnen; wie die Linke vielleicht lernen kann, Trauer besser zu verstehen.
Der Mord an Jordan Neely
Anfang Dezember 2024 sprach man Daniel Penny wegen des Mordes an Jordan Neely in der New Yorker U-Bahn frei. Kurz nach seiner Freilassung schleppte Trump Penny zum wichtigsten College-Footballspiel der Saison mit. Die Botschaft war eindeutig: Trump begrüßte die Ermordung eines obdachlosen Schwarzen Mannes, der in der U-Bahn angeblich für Unruhe gesorgt hatte. Bis auf die Musiker*innen in der U-Bahn verabscheue ich inzwischen alles an New York. Wenn ich dort bin, und sei es auch nur für kurz, möchte ich am liebsten wieder weg – es sei denn, ich bin in der U-Bahn und das vertraute »Showtime!« erklingt oder Musik wird aufgedreht. Was mein Geldbeutel hergibt, händige ich an Mariachi-Bands aus, ich bemühe mich, nicht im Weg zu stehen, sodass die Showtime-Tänzer*innen springen und Pirouetten drehen und an der Decke laufen können. Und seit Jordan Neely ermordet wurde, durchforste ich meine Erinnerung nach Michael-Jackson-Imitatoren, die ich im Zug oder am Bahnsteig gesehen habe. Da waren welche, ich bin mir sicher. Ob er es war?
Im Mai 2023 war ich mal wieder in New York, und die Stadt war voll mit den Geistern meiner Vergangenheit, vieles war nicht mehr da, die Restaurants, die mich in dieser Stadt willkommen geheißen hatten, waren weg, ich lief über den Union Square unweit der einzigen Wohnung, die ich je in Manhattan bewohnt hatte, und erinnerte mich an den Zeitpunkt, als die letzte Version dieser Stadt, die ich noch zu lieben vermochte, vorbei war, aus und vorbei. In nahm die U-Bahn und musste daran denken, wie Jordan Neely um Hilfe geschrien hatte.
Was New York für mich so überraschend und fröhlich macht, ist gleichzeitig eine Form prekärer Arbeit, die Möglichkeit eines Zuverdienstes in einer Zeit, in der es beinahe unmöglich geworden ist, in dieser Stadt zu leben. Die Momente, in denen sich die U-Bahn mit Musik und Tanz füllt und man dem Blick eines Fremden begegnet, waren für mich die schönsten in dieser Stadt, und ich denke daran, wie viele Menschen die Ermordung eines Mannes, Tänzers, Performers guthießen, weil dieser Hilfe verlangte, weil er es wagte, die gegenwärtige New Yorker Lebensrealität ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, dass es verdammt nochmal kaum zu schaffen ist.
Auch Ciara Taylor, die nach der Erschießung von Trayvon Martin die Organisation Dream Defenders mitbegründet hat, lässt der Tod von Jordan Neely nicht los. Sie erzählt von Budgetkürzungen und der Erhöhung der Ticketpreise, von der Räumung von Obdachlosencamps und dem Mangel an Notunterkünften und bezahlbarem Wohnraum, und dem nie abreißenden Geldstrom für Polizeikontrollen und -überwachung. Die Polizei hat Jordan Neely nicht umgebracht, jedenfalls nicht direkt, es war ein junger Ex-Marinesoldat, also hatte ihn ein anderes staatliches Gewaltorgan im Töten unterrichtet. Aber dabei schaute ihm ein Wagen voller Menschen zu, und die Polizei ließ ihn schon nach einer kurzen Befragung laufen, und Politiker*innen schürten Empörung, es wurden Millionen für seine Verteidigung gespendet, und ich denke, genau das ist der Endpunkt der strukturellen Herstellung von Unbetrauerbarkeit. Das passiert, wenn wir so vielen Menschen die existenziellen Dinge des Lebens absprechen, weil sie nicht die Arbeit verrichten, die das Kapital von ihnen verlangt. Tanzen zählt nicht. Der Militärdienst hingegen schon.
Auch für die Organizerin Mariame Kaba fühlt sich die Täter-Opfer-Umkehr nur allzu vertraut an, der Mechanismus, der Jordan Neelys Tod in eine Erzählung darüber verkehrte, was Neely falsch gemacht hatte. Sie sagt: »Das möchte man nicht sein, man will kein Opfer sein, also ziehst du dir so einen Mantel der Unverletzbarkeit über. Mir kann nichts passieren. Ich verhalte mich korrekt. Mir werden solche schlimmen Dinge schon nicht zustoßen. Die Menschen in dieser U-Bahn trugen so einen Mantel. ›Ich werde nie wie dieser Typ sein. Mehr noch, ich werde mich an seiner Entmenschlichung beteiligen, weil ich so sehr nicht wie er sein will. Er ist das Gegenteil dessen, was ich ausstrahlen will, und so entmenschliche ich ihn in einem solchen Grad, dass seine Tötung nicht der Rede wert ist.‹« Wir müssen nicht um ihn trauern, wenn er selbst zu seinem Tod beigetragen hat.
»Wohl jede*r in ganz Manhattan hat schon einmal etwas erlebt, was dem ähnelte, was Penny und die anderen in der U-Bahn durchmachten«, so das Pressestatement von Daniel Pennys Strafverteidiger. Es unterschlägt, dass die meisten Menschen deshalb nicht zu Mördern werden. Es handelt sich um eine Spielart der Broken-Windows-Theorie, die besagt, dass schon kleinste Verstöße gegen die öffentliche Ordnung – eine zerbrochene Fensterscheibe, ein herumschreiender Mensch – zu schwerwiegenderen Straftaten führen. Diese Theorie lässt unter den Tisch fallen, dass die Lösung auf der Hand liegt: die verflixte Fensterscheibe zu reparieren. Das Verbrechen, das Jordan Neelys Schreie nach sich zogen, war, dass ihn jemand erwürgte.
So sieht Faschismus aus, wenn er da ist, denke ich bei mir. Nicht nur tötet jemand mit seinen eigenen Händen einen anderen, sondern andere Menschen wiederum rechtfertigen diese Tat: Der muss schließlich irgendetwas angestellt haben, der hat es verdient, also ist es in Ordnung, unbetrauerbar. Wenn du betonst, dass Jordan Neely ein Mensch war, dem es schlecht ging und der es nicht verdiente, umgebracht zu werden, es nicht verdiente, hungrig und obdachlos zu sein und so mutterseelenallein, dass niemand eingriff und den Griff um seinen Hals löste – dann muss mit dir etwas nicht in Ordnung sein. Das ist es, dessen ihr euch schuldig gemacht habt: Ihr habt befunden, dass es in Ordnung war. Das nämlich ist die nackte Wahrheit hinter dem obsessiven Reflex, »Black Lives Matter« mit »All Lives Matter« zu kontern. Als ob nicht fast alle Leben nichts wert wären.