Am 16. Juli 2024 verbot das Bundesinnenministerium Compact – Verlag, Nachrichtenmedium, Onlinehandel und Querfrontangebot – mit einem Rückgriff auf das Vereinsrecht. Das Verbot währte etwa einen Monat lang, bis es gerichtlich vorerst außer Kraft gesetzt wurde. Es sollte ein Schlag gegen den »Rechtsextremismus« sein. Doch wen traf man hier und welche Bedeutung hat Compact tatsächlich für die radikale Rechte in der Bundesrepublik?
Metapolitik der Neuen Rechten
Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwanden die Erfolgsaussichten von faschistischen Massenparteien, mittels Staatsübernahme eine Diktatur zu errichten. Die radikale Rechte war aber nicht verschwunden, sondern musste neue Wege suchen, um den Kampf gegen die Aufklärung und ihre politischen Implikationen zu führen. In den 1960er- und 1970er-Jahren erfolgten erste bedeutende konzeptionelle Neuorientierungen. Bezugspunkte waren die sogenannte Konservative Revolution der Weimarer Republik sowie die Gefängnishefte Antonio Gramscis, zudem kam es zumindest nach außen hin zu einer Abkehr vom bis dato vertretenen Rassismus. Maßgebliche Vordenker waren Alain de Benoist und Henning Eichberg. Benoist entwarf mit der »Metapolitik« einen neuen Zugang zum Politischen, der das Ringen um Hegemonie vor die Übernahme der Staatsmacht stellt, während Eichberg das Konzept des Ethnopluralismus einführte. An die Stelle von Rasse traten Kultur bzw. vermeintlich unveränderliche kulturelle Identitäten als elementare menschliche Eigenschaften. In diesem Sinn wurde (zumeist nur in der Theorie) mit der Idee der unterschiedlichen Wertigkeit von Menschen – gemessen an ihrem Phänotyp – gebrochen und die Notwenigkeit ethnischer Segregation mit dem Schutz unterschiedlicher Kulturen begründet.
»Metapolitik« bestimmte die folgenden Jahrzehnte der Neuen Rechten. Diese bestand vor allem aus intellektuellen Zirkeln, deren Mitglieder sich zwischen Konservatismus und Neofaschismus verorteten. Lediglich Ernst Jünger bot ihnen Reichweite. Mit der Gründung eigener Verlage und Medien änderte sich dies allmählich – so etwa mit der Wochenzeitung Junge Freiheit, die eine Brücke hinein in konservative Kreise bilden sollte. So entstand über die Jahrzehnte ein Netzwerk, das aber über keinen Mechanismus für den direkten Zugriff auf die Staatsmacht verfügte. Vielmehr diskutierte man neue Möglichkeiten, Politik zu betreiben, wobei die im Jahr 2000 erfolgte Gründung des Instituts für Staatspolitik (IfS) durch Götz Kubitschek und andere als Thinktank der Neuen Rechten dieser deutlichen Auftrieb verlieh.[1]
Arbeitsteilung zwischen AfD und ihrem Vorfeld
Die Verhältnisse änderten sich nochmals mit der Gründung der AfD. Plötzlich gab es in der Bundesrepublik eine Partei, die sich überregional erfolgreich rechts von der Union positionierte, ohne offen neofaschistisch zu sein. Allerdings stieß sie anfänglich auf Skepsis im Kubitschek-Lager, was die bis heute andauernden Differenzen zwischen IfS und Junge Freiheit begründet. Spätestens seit 2014 fungierte das IfS jedoch als strategischer Partner der extremen Rechten in der AfD, was die Radikalisierung der Partei forcierte. Trotz anfänglicher Abgrenzungsversuche der Parteiführung gegenüber neuen Querfrontangeboten von rechts wie PEGIDA und den »Montagsmahnwachen für den Frieden« fanden sich in diversen Landesverbänden die erwünschten Brückenbauer*innen. 2015 erfolgte mit der »Erfurter Erklärung« eine offene Kampfansage an die Liberal-Konservativen in der AfD, spätestens seit 2017 besteht eine rechtsradikale Dominanz in der Partei. Man hatte die AfD den Konservativen »entwunden«, wie Kubitschek es Jahre später zusammenfasste.
Nichtsdestotrotz befand man sich in einer gänzlich neuen Situation. Zum »metapolitischen Projekt« von Intellektuellen mit Verlagen, Zirkeln etc. gehörte nun ein parteipolitischer Arm. Gleichzeitig verbreiterte sich die Basis des Hegemonieprojekts mit immer mehr rechten Medien und Protestbewegungen. Das Sprachrohr in den Parlamenten wurde schlagkräftiger, die Zahl der Multiplikator*innen stieg. Deshalb musste ein Konzept her, um mit dieser neuen Pluralität umzugehen und dem eigenen Projekt den Anschein einer gewissen Kohärenz zu verleihen. Dabei bediente man sich bei den Linken und kam auf den Begriff »Mosaik-Rechte« (Kaiser 2017). Während bei der »Mosaik-Linken« nie geklärt werden konnte, welche Farben letztlich dazugehören und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen sollten (Aulenbacher 2021, 27), löste die Neue Rechte dieses strategische Problem mit einer klaren Arbeitsteilung zwischen Partei und Vorfeld. Das Vorfeld, definiert als ein in jeder Hinsicht der Partei vorgelagerter Raum (Kaiser 2017), soll für mehr Reichweite, für inhaltliche Kohärenz, Anleitungen für die politische Praxis sowie für die Zufuhr von Personal für die Partei sorgen, während diese selbst das Machtmittel im Kampf um den Staat ist. Neben Theoriebildung haben Vorfeldorganisationen die Funktion, soziale Bewegung aufzubauen und zu steuern sowie mit Medien und Vereinen Schulung und Meinungsbildung zu betreiben. Die Ansprache neuer Protestmilieus kam dem 2010 gegründeten Magazin Compact zu. Bereits 2014 wurde dort die Notwendigkeit einer Querfrontbildung betont und versucht, mittels einer Mobilisierung antiamerikanischer Ressentiments die Friedensbewegung an die erstarkende Neue Rechte zu binden. Ähnlich hofierte die Zeitschrift 2021/22 Querdenker*innen und beanspruchte, deren publizistisches Sprachrohr zu sein. Compact gelang es so, rechtsradikale Propaganda und Verschwörungsmythen in jede Bahnhofsbuchhandlung und jeden Zeitungskiosk zu bringen, Werbung für die AfD stets inklusive.
Furcht vor einer Melonisierung der Partei
Mit der zunehmenden Stärke der Neuen Rechten insbesondere im parlamentarischen Raum wächst allerdings deren Befürchtung, bei einer Machtbeteiligung oder gar -übernahme ihr eigenes Programm nicht umsetzen zu können oder zumindest aufweichen zu müssen. Nahrung findet diese Furcht in der Politik der italienischen Regierungschefin Georgia Meloni. Diese sei als Löwin gesprungen und als Bettvorlegerin gelandet, urteilte Compact-TV (2022). Sie habe gezeigt, dass Veränderung nicht wählbar sei und es eine Mobilisierung des Volkes brauche, um rechte Regierungen auf Kurs zu halten. Statt die Seenotrettung im Mittelmeer zu unterbinden und geopolitisch Opposition zum Westen zu beziehen, sei »Italien […] vollumfänglich und mit erhobenem Haupt Teil der europäischen und atlantischen Allianz« geworden, beklagt Martin Sellner in jenem Beitrag von Compact-TV. Der rechten Regierungskoalition in Italien wird ein »Drang nach Anerkennung« vorgeworfen, der sie zu einer »Quadratur des Kreises« treibe, man wolle konservativen Parteien beweisen, dass man nicht grundsätzlich aus dem System ausschere (Kaiser 2023). An die Stelle ehemaliger Bewunderung für Meloni ist also längst Enttäuschung getreten. Die AfD solle aus diesen Erfahrungen Lehren ziehen, um solch einen Pfad von vornherein auszuschließen und keine vergleichbaren Zugeständnisse zu machen. Deshalb sei die Zeit, in der sich die AfD noch in der Opposition befindet, unbedingt zu nutzen, um sich möglichst gut auf die spätere Regierungsverantwortung vorzubereiten.
Jede Positionierung der AfD, die nicht mit denjenigen im Vorfeld übereinstimmt, wird jetzt schon als potenzieller Verrat gewertet. Immer wieder wird die Aufgabe der Zivilgesellschaft betont, sich gegen eine solche »Abtrünnigkeit« zu wappnen. Dabei werden die Demonstrationen gegen Unterkünfte für Geflüchtete lobend hervorgehoben. Diese entsprechen der Forderung Sellners nach »der Schließung der Häfen durch das Volk«. Eine rechte Regierung könne solche Proteste nicht ignorieren und müsse, wenn diese hartnäckig genug seien, gegebenenfalls ihren Kurs korrigieren.
Schwachstellen von Organisationen wie Compact
Obwohl das Vorfeld in der Lage ist, die Reichweite der Partei sowie die organische Verankerung der neurechten Politik in der Bevölkerung zu erhöhen und daraus gegenüber der AfD eine Machtposition ableitet, zeigen sich auch dessen Beschränkungen. Ein Beispiel dafür ist die »Blaue-Welle-Tour«, mit der das Compact-Magazin im Vorfeld der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg vor allem in ostdeutschen Städten unterwegs war. Diese Events seien »mehr als eine Parteiveranstaltung. Vielmehr handelt es sich um Volksfeste, die Lust auf die patriotische Wende machen« sollten (Elsässer 2024) – ein neuer metapolitischer Meilenstein. Mittels Schlager und Bier soll das »blaue Wunder« erlebbar werden, im Alltagsbewusstsein der Bevölkerung verankert werden. Sowohl an der Ankündigung, es wurde für Spenden aufgerufen, als auch an der Auswahl der Orte ließ sich erkennen, dass es um eine Wahlkampfunterstützung der AfD ging, allerdings ohne diese programmatisch abzubilden. Stattdessen wurde nur denjenigen eine Bühne geboten, die die Partei von innen und außen von rechts kritisieren.
Da auch die Bundestagsverwaltung eine verdeckte Parteienfinanzierung vermutete, sagten Abgeordnete der AfD ihre Teilnahme ab. Damit büßte man bekannte Redner*innen ein. Lediglich der aufgrund von Ermittlungen wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Bestechlichkeit aus dem Wahlkampf verbannte Petr Bystron trat im April 2024 im thüringischen Sonneberg auf. Dort versicherte er, nicht als Mitglied der AfD oder Kandidat für das Europäische Parlament da zu sein, sondern nur als Buchautor. Auch sonst lief wohl nicht alles ganz nach Plan. Während zu Beginn der Tour der Eintritt zu diesen »Volksfesten« noch frei war, bot man für die Veranstaltung im Juli – mit Martin Sellner und dem zu dem Zeitpunkt innerparteilich geschmähten Maximilian Krah – den Abonnent*innen von Compact Eintrittskarten für 50 bzw. 25 Euro an. Die Besucherzahlen der »Blaue-Welle«-Veranstaltungen verblieben im dreistelligen Bereich und belegen, dass die tatsächliche Mobilisierungsfähigkeit in einem Missverhältnis zur publizistischen Reichweite steht.
Damit zeigt die »Blaue Welle« symptomatisch, dass das Vorfeld trotz seiner unbestreitbaren Bedeutung für die Partei die eigene Stärke propagandistisch überhöht. Zwar ist man ein wichtiger Multiplikator neurechter Propaganda und erschließt neue Zielgruppen, doch von einem direkten Zugriff auf die Parteipolitik kann keine Rede sein. Dies gilt ebenso für die Interventionen aus dem Umfeld des ehemaligen IfS. Diese mussten zuletzt mit dem Wegdrängen von Maximilian Krah durch den Bundesvorstand erleben, dass ihr Einfluss in der Partei nicht so stark ist, wie sie dies bei dessen Wahl noch vermutet hatten. Zumal selbst Björn Höcke als Brückenkopf der Neuen Rechten in der Partei in der Causa schwieg. Nachdem Krah aus der Delegation der AfD für das Europäische Parlament ausgeschlossen worden war, starteten Compact und andere eine Petition zu dessen Unterstützung und betonten wie Krah die Notwendigkeit einer »deutschen Position«. Die Aktion sollte der Partei den Kurs diktieren, da man sich ihr in Strategie und Taktik überlegen wähnt und als Medium der mit ihrer Führung unzufriedenen Parteimitglieder versteht. Außerdem betonte man, dass die Unterschriften vor allem aus Ostdeutschland gekommen seien – Krah für den Erfolg der Partei dort also ausschlaggebend sei. Nach wenigen Tagen stagnierte die Kampagne. Zwar wurden die am Ende eingesammelten 17 000 Unterschriften als Erfolg gewertet; aber man hatte mehr als das Doppelte erwartet. Zudem fiel es der AfD-Führung aufgrund des bemerkenswerten Erfolgs der Partei bei der Europawahl (mehr als 6 Millionen Wähler*innen) leicht, die Petition zu ignorieren.
Insgesamt erfüllen die Warnungen vor einer Melonisierung der AfD und das Herausstellen der Bedeutung einer zivilgesellschaftlichen Kontrolle und Begleitung von rechten Regierungen zwei Funktionen: Erstens sind sie als Appelle zu verstehen. Es wird auf die eigene Expertise und die Notwendigkeit der Umsetzung der eigenen Positionen verwiesen, ohne sich der eigenen Brückenköpfe in der Partei sicher zu sein. Diese können offenbar mehr verlieren als die Zustimmung im Vorfeld – zumal diese Konflikte den meisten Wähler*innen der Partei gänzlich unbekannt bleiben. Zweitens dient der Versuch, einer Melonisierung vorzubeugen, der Grenzziehung zwischen Meta- und Parteipolitik, da er den möglichen Bruch mit der Partei impliziert. Man weigert sich, mit der Partei zu gehen, vielmehr erwartet man von ihr, den eigenen Vorstellungen zu folgen, bzw. sträubt man sich, für deren Irrungen verantwortlich gemacht zu werden. Zugleich können die Warnungen vor einer Melonisierung der AfD auch als Eingeständnis der eigenen Schwäche verstanden werden. Compact & Co. sind nicht bedeutend genug, um sämtliche ihrer Positionen zu verallgemeinern und das Tempo der Radikalisierung der Partei zu bestimmen. Dies zeigten auch die jüngsten Landtagswahlen. Zwar holten dort besonders rechte Landesverbände der AfD Ergebnisse, die Demokrat*innen jeglicher Couleur Sorgen bereiten, und dennoch kam Kritik aus dem Vorfeld. Insbesondere in Sachsen sei die AfD nicht entschlossen genug aufgetreten und habe stattdessen auf eine Koalition mit der CDU geschielt, anstatt sie anzugreifen (Lagebesprechung 2024). Die behauptete »Rücksichtnahme« der sächsischen AfD auf die CDU steht aus dieser Sicht für die noch fehlende Bereitschaft in der Partei, den im Vorfeld herbeigesehnten Bruch mit dem System zu vollziehen. In diesem Sinne ist »Melonisierung« auch ein Ausdruck der Angst des rechten Vorfelds, zu scheitern: Meloni hatte bis zu ihrem »Verrat« eine große Strahlkraft innerhalb der Neuen Rechten in ganz Europa. Das, was in Italien geschehen ist, könnte sich andernorts wiederholen.
Ansatzpunkte für die antifaschistische Arbeit
Gegenwärtig kann antifaschistische Arbeit in ihrer Vielfalt den Aktionsradius der AfD kaum einschränken. Im Gegenteil: In Teilen der ländlichen Räume Ostdeutschlands hat die Partei bereits ihre dominierende Position ausgebaut. Aufgrund ihrer Absicherung als Partei und der lokalen Kraftzentren empfiehlt es sich daher, auf ihr Vorfeld zu zielen. Dafür gibt es drei Gründe. Erstens genießen die zugehörigen Vereine und Unternehmen nicht den gleichen Schutz wie die Partei. Das vorläufige Verbot von Compact hat gezeigt, dass auch eine Kapitalgesellschaft keinen Schutz bietet. Die Abwicklung des IfS im Frühjahr 2024 zur Repressionsprävention zugunsten zweier neuer Firmen bietet also nicht den erhofften Schutz. Auch das Verhindern von Hausprojekten der Identitären Bewegung zeigt, dass man die Neue Rechte effektiv treffen kann. Wichtig ist die Analyse, wann und wo sich die rechten Strukturen vorwagen, um ihnen dies zu verwehren. So lässt sich die Stimmung bei »Volksfesten« ebenso gut stören wie bei klassischen Naziaufmärschen.
Zweitens nimmt man der Neuen Rechten teilweise ihre Reichweite, wenn man ihren Multiplikator*innen die Plattformen nimmt. Anstatt auf Social Media die Reichweite der Rechten übertrumpfen zu wollen, sollte man sie lieber von den Kanälen fernhalten. Letztlich ist auch ihre Informationsinfrastruktur anfällig, und zwar umso mehr, je kleiner der entsprechende Kanal ist. Dies gilt auch für die analoge Welt. Denn drittens hat das Verbot von Compact gezeigt, dass die rechten Netzwerke noch nicht stark genug sind, um ihre Strukturen zu schützen. So könnte man bei einem Verbot der AfD sicherlich hier und dort zornige Proteste erwarten – die Demonstrationen gegen das vorläufige Verbot von Compact waren aber alles andere als eindrucksvoll. Ein Rauschen gab es lediglich in den Kreisen, die sich bereits vorher in einer Diktatur wähnten, in der »die Antifa« mal die Schlägertruppen des Innenministeriums sind oder sie gar selbst das Innenministerium kontrolliert. Stattdessen hat das AfD-Vorfeld vor allem erlebt, wie angreifbar man ist. Daran kann man anknüpfen.