Nach der Waldzustandserhebung 2021 weisen fast vier Fünftel der Bäume in deutschen Wäldern ernste Kronenschäden auf. Nach der Dürre der letzten Jahre müssen hunderttausende Hektar wiederbewaldet werden. Wie geht es dem Wald hierzulande?

Noch im Februar 2021 wurde mit den Ergebnissen der dritten Bundeswaldinventur die frohe Botschaft verkündet, es gehe dem Wald im Wesentlichen besser und der Laubholzanteil sei gestiegen. Auch die Waldfläche hat im Gegensatz zu Ackerflächen zugenommen. Aber gleichzeitig steht der Wald massiv unter Stress. Die Dürrejahre haben die Bäume geschädigt und anfälliger für massiven Befall durch Schädlinge gemacht. Teils großflächige Waldbrände und schwere Stürme kommen hinzu. Sicher spielt dabei der Klimawandel eine Rolle. Die Wiederaufforstung wird unter diesen Bedingungen deutlich schwieriger. 

Der Klimawandel wird weiter fortschreiten, Dürren und Hitzeperioden zunehmen. Was bedeutet das für die Entwicklung des Waldes in den kommenden Jahren und Jahrzehnten?

Die Prognosen gehen davon aus, dass sich manche Baumarten nicht schnell genug an die neuen Bedingungen anpassen werden und verschwinden könnten. Selbst Buchen, die mal als Baumart der Zukunft galten, sind vielerorts nicht so robust wie gedacht. Nach dem Zweiten Weltkriegs sind aufgrund des massiven Holzbedarfs die artenarmen Wälder einer Altersklasse entstanden. Gerade sie haben wenig Potenzial, sich anzupassen. Deshalb muss der Waldumbau nun umso schneller gehen. Außerdem braucht es dringend neue Konzepte zur Waldbrandprävention, etwa Zisternen für Löschwasser und die Stärkung der Feuerwehren.

Das Konzept der Nachhaltigkeit ist vor langer Zeit in der Waldwirtschaft geprägt worden. Heute ist oft von einem Waldumbau die Rede. Was hat es damit auf sich?

Schon 1713 beschrieb Hans Carl von Carlowitz, Oberberghauptmann aus Freiberg in Sachsen das Prinzip der Nachhaltigkeit als Antwort auf die drohende Rohstoffkrise. Er forderte als Erster, das immer nur so viel Holz geschlagen werden dürfte, wie durch planmäßige Aufforstung, also durch Säen oder Pflanzen, nachwachsen kann. Das war damals revolutionär und ist heute umso dringlicher. Denn die Zielkonflikte im Wald sind noch gewachsen. Weil man Holz zur energetischen oder stofflichen Nutzung brauchte, wurden viele Wälder zu Wirtschaftswäldern, häufig allein mit Nadelbäumen, für möglichst hohe Holzerträge. Der Wald ist zwar eine wichtige Rohstoffquelle, aber er ist viel mehr als das. Er ist Lebens- und Erholungsraum, er trägt zur Grundwasserneubildung und zum Klimaschutz bei. Damit alle die Funktionen wieder besser erfüllt werden können, müssen Wälder wieder naturnäher werden. Sie müssen zu standortangepassten Mischwäldern umgebaut werden, also Nadel- und Laubbäume verschiedenen Alters mischen. 

Was steht diesem Waldumbau im Weg?

Es gibt verschiedene objektive und subjektive Hindernisse. Die Wälder sind jetzt schon im Klimastress, was den weiteren Umbau erschwert und erreichte Fortschritte zum Teil wieder zunichte macht. Selbst die Waldwissenschaft kann im Moment nicht voraussagen, welche Baumarten tatsächlich zukunftsfähig sind. Und selbst man das wüsste, müsste vor allem ausreichend Saat- und Pflanzgut verfügbar gemacht werden. Wissenslücken müssen geschlossen, neue Erkenntnisse erprobt und in der Breite umgesetzt werden. Das kostet sehr viel Geld. Angesichts der massiven Waldschäden durch Stürme, Schadorganismen und Klimaveränderungen ist die ökonomische Situation aber gerade bei Klein- und Kleinstwaldbesitzenden angespannt. Die steigenden Holzpreise ändern daran nicht unbedingt etwas, denn von ihnen profitiert vor allem die Säge- und Verarbeitungsindustrie. Dass im Moment niemand sicher sagen kann, welches Umbaukonzept tatsächlich erfolgreich sein wird, macht es schwer, mutig zu investieren.

Das heißt, es fehlt vor allem am Geld?

Nein, es fehlt nicht nur Geld. Es rächt sich jetzt auch der massive Personalabbau der vergangenen Jahre. Der Waldumbau ist fachlich anspruchsvoll. Dafür werden gut ausgebildete Forstleute dringender denn je gebraucht. Öffentliche Förderprogramme gibt es zwar, aber sie haben oft hohe Hürden und reichen kaum aus, um die Schäden, die schon eingetreten sind, auszugleichen. Da ein gesunder Wald in unser aller Interesse ist, müsste hier eigentlich Artikel 14 Grundgesetz im Besonderen gelten: Eigentum verpflichtet und muss zum Allgemeinwohl verwendet werden. Waldbesitzende sind also in der Pflicht, zu handeln. Aber gerade Klein- und Kleinstwaldbesitzende sind von der Situation finanziell und fachlich überfordernd und sehen sich gezwungen, ihren Wald zu verkaufen. Das verstärkt die vorhandene Tendenz zur Eigentumskonzentration. Um gegenzusteuern, müsste schnell und unkompliziert bei der Lösung der vielen Probleme geholfen werden. Dazu gehört zuverlässige finanzielle Hilfe, aber auch öffentliche Beratungsangebote oder die strukturelle Unterstützung bei der gemeinsamen Bewirtschaftung, zum Beispiel in Forstbetriebsgemeinschaften.

„Selbst die Wissenschaft kann im Moment nicht voraussagen, welche Baumarten zukunftsfähig sind.“

Manchmal ist zu hören, dass viele der Baumarten, die wir heute kennen, in unseren Breiten massiv abnehmen werden. Können neue Baumarten ihren Platz einnehmen? Und wie lange würde ein solcher Prozess dauern?

Das ist einer der spannendsten wissenschaftlichen Fragestellungen. Wie schon gesagt fehlt es hier an gesichertem Wissen, welche Baumarten wirklich klimaresilient sind. Es rächt sich jetzt, dass Wald- und auch Jagdwissenschaften lange vernachlässigt wurden. Politisch fehlt es seit Langem an einer klaren strategischen Ausrichtung. Die Waldstrategie der Bundesregierung 2020 wurde schnell von der Entwicklung überrollt. Sie hatte wichtige Fragen nicht oder nur zu zögerlich beantwortet hat und zielte eher darauf ab, Symptome zu lindern statt die Ursachen der Probleme zu beseitigen. Die Wissenslücken dürfen zwar keine Ausrede sein, jetzt nicht zu handeln. Aber sie erhöhen das Risiko von Fehlern, die wir uns eigentlich nicht leisten können. Es muss ja nicht nur nach Baumarten gesucht werden, die die klimatischen Veränderungen der nächsten 100 Jahre überleben, sondern sie müssen auch ökologisch als Lebensraum für Tiere und Pflanzen funktionieren. Und sie sollen sich natürlich vermehren, aber nicht invasiv, d. h. keine einheimischen Waldgemeinschaften verdrängen. Fehler der Vergangenheit wie die Einführung der Traubenkirsche müssen verhindert werden. Es ist nicht so einfach, wie sich manche das vorstellen. Aber es muss schnell geklärt werden.  

In vielen Zukunftsszenarien kommt Holz eine enorme Bedeutung zu, unter anderem als Baustoff. Wie verträgt sich dieser Materialbedarf mit einer nachhaltigen Waldwirtschaft?

Die Übernutzung des Waldes bleibt leider eine reale Gefahr. Gerade deshalb muss es eine kluge Nutzungsstrategie für das Holz geben, die kein Risiko für die anderen Waldfunktionen darstellt – das muss Priorität haben. Die so genannte Nutzungskaskade muss endlich realisiert werden, also das Prinzip, Holz immer zuerst stofflich und erst danach energetisch zu nutzen. Das heißt übrigens auch, Holz so zu verarbeiten, dass weitere Nutzung und Wiederverwendung möglich bleibt, etwa durch den Verzicht auf chemische Behandlung. Die Holzverarbeitung war bisher hauptsächlich auf Nadelholz ausgerichtet. Sie muss nun Verantwortung übernehmen und neue Nutzungsmöglichkeiten für das Laubholz schaffen, das wieder vermehrt in den Wäldern wächst und wachsen soll. Holz sollte vor allem dort verwendet werden, wo es schädliche Stoffe effektiv ersetzen und damit auch das Klima schützen kann. Dennoch müssen wir der Realität ins Auge sehen: Wenn wir nicht alle Optionen für mehr Klimaschutz ausschöpfen, wird es für die Wälder und den nachwachsenden Rohstoff Holz noch schwieriger. Wir müssen verstehen, dass der Wald kein unendlich verfügbares Holzlager ist, sondern zu unseren existenziellen Lebensgrundlagen gehört.  

In der politischen Linken scheint der Wald aktuell kein wichtiges Thema zu sein. Was wären wichtige linke Forderungen in diesem Feld?

Für uns LINKE bleibt es enorm wichtig, dass ein umfassendes Konzept von Nachhaltigkeit im Wald umgesetzt wird – also eine soziale, ökologische, ökonomische und demokratische. Beim Wald geht es um eine gesellschaftliche Generationenverantwortung, darum müssen wir die ökologischen Probleme so schnell wie möglich angehen. Wir müssen aber auch die sozialen und ökonomischen Voraussetzungen schaffen, dass die Lösungen schnell und sachgerecht umsetzbar sind. Dafür brauchen wir ausreichend gut ausgebildete und gut bezahlte Forstleute, aber auch Hilfe zur Selbsthilfe für Klein- und Kleinstwaldbesitzende. Holz als nachwachsender Rohstoff ist zu wertvoll, als dass der Profit den Wald regieren darf.  

 

Das Gespräch führte Steffen Kühne. 

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