Durch den anhaltenden Anstieg der Mieten und Immobilienpreise scheint die Verwandlung der Innenstädte in sterile Wohlstandsinseln vorgezeichnet. Der zunehmende Ausschluss derjenigen, die ohnehin nur schwer Zugang zu Wohnraum finden, ist nicht nur eine Katastrophe für die unmittelbar Betroffenen. Wenn nachbarschaftliches Leben und damit oft existenziell wichtige Netzwerke der gegenseitigen Unterstützung zerstört werden, wenn sich Unterschiedliches nicht mehr auf der Straße begegnet, wenn Feuerwehrleute, Krankenpfleger*innen oder Erzieher*innen nicht mehr annähernd in der Nähe ihrer Arbeitsplätze wohnen können, dann ist städtisches Leben als Ganzes gefährdet.
Lange haben sich Entscheidungsträger*innen in den Städten, in den Ländern und in der Bundespolitik von dieser Erkenntnis nicht beeindrucken lassen. Doch seitdem sich Mieter*innen, Gewerbetreibende, soziale Bewegungen und Initiativen für bedrohte Freiräume massenhaft organisieren und ihr Recht auf Stadt einklagen und spätestens seitdem die Angst vor Verdrängung auch in der akademischen Mittelschicht umgeht, hat ein Umdenken eingesetzt. Die neoliberale Stadtpolitik zeigt sich jetzt mehr und mehr als Ursache der vielfältigen Probleme.
Dieses Umdenken beginnt vor Ort. Eine progressive, an den Interessen der Vielen orientierte Wohnungs- und Stadtpolitik muss darauf ausgerichtet sein, sowohl die kommunalen Gestaltungsoptionen im Sinne der Bewohner*innen als auch die Handlungsspielräume der organisierten Mieter*innen und Bewegungen als zentrale Akteure des Wandels auszuweiten. Deswegen möchte ich den Blick auf unterschätzte Schauplätze jenseits der wohnungspolitischen Großbaustellen lenken, auf drei Instrumente, die realpolitisch durchsetzbar erscheinen und zugleich die Organisierung von unten und den Aufbau von Alternativen strukturell stärken könnten.
Bewegung in den Städten, neoliberaler Stillstand im Bund
Seit mehr als einem Jahrzehnt haben Mieterinitiativen und stadtpolitische Bewegungen die toxische Wirkung der neoliberalen Stadtpolitik skandalisiert und ihre Forderungen für ein Recht auf Stadt auf die politische Agenda gehoben. Ihre Kämpfe setzen an zwei Effekten der neoliberalen Stadtpolitik an: der Schwächung der staatlichen, insbesondere der kommunalen Ebene hinsichtlich der Möglichkeiten, städtisches Leben politisch zu gestalten, und an der Vereinzelung der Bewohner*innen auf einem Wohnungsmarkt, der in erster Linie als Privatangelegenheit betrachtet wird. Demgegenüber thematisieren die Initiativen das Wohnungsproblem als ein gesellschaftliches, das auf der kommunalen bzw. der städtischen Ebene zu lösen ist. Für sie geht es nicht nur um die Krise des Wohnens, sondern um die Krise der Stadt.
In einigen Städten haben die organisierten Proteste beachtliche Erfolge erzielt. Dort, wo solche Interventionen und Bewegungen fehlen, kommen nur wenige politische Verantwortliche von sich aus auf die Idee, der Verfolgung von privaten Verwertungsinteressen an unseren Städten Grenzen zu setzen (vgl. Vollmer 2018). Das aber ist eine zentrale Aufgabe einer progressiven Wohnungspolitik.
Insbesondere auf der Bundesebene müssen die Rahmenbedingungen im Miet- und im Planungsrecht, im sozialen Wohnungsbau, im Steuerrecht und bei der finanziellen Ausstattung der Kommunen geändert werden, um die vielen berechtigten Forderungen der Bewegungen auch umsetzen zu können.
Auf der Bundesebene haben diese Fragen lange Jahre kaum eine Rolle gespielt. Öffentliches Desinteresse sowie der Glaube, der Markt werde die Grundlagen städtischen Zusammenlebens schon regeln, haben eine Wohnungspolitik befördert, die vor allem darin bestand, dass der Staat kaum mehr in bezahlbaren Wohnraum investierte, während zugleich Milliardensummen von den öffentlichen Haushalten in die Hände von Investoren und Wohnungseigentümer*innen umverteilt wurden: durch steuerliche Förderungen ohne jede soziale Bindung, durch die Streichung von Mitteln für den sozialen Wohnungsbau zugunsten öffentlicher Subventionen für steigende Mieten und für Wohneigentum sowie durch Privatisierungen und Deregulierungen im Mietrecht.
Angesichts einer sich zuspitzenden Wohnungskrise werden inzwischen Lösungen breit diskutiert, die – wie Mietobergrenzen oder Enteignungen – noch vor Kurzem undenkbar schienen. Parallel dazu jedoch greift die Große Koalition mit dem Baukindergeld oder einer Sondersteuerabschreibung für die Bauwirtschaft zu Instrumenten aus just dem gleichen Werkzeugkasten, der die heutigen Probleme verursacht hat.1 Die seit 2015 vorgenommenen Korrekturen im Mietrecht oder die erhöhten Mittel für den sozialen Wohnungsbau bedeuten also nicht eine Abkehr von den neoliberalen Grundannahmen, die seit etwa drei Jahrzehnten die Wohnungs- und Sozialpolitik bestimmen. Sie sichern vielmehr den Fortbestand der herrschenden Verhältnisse. Die derzeit schizophren anmutende Politik spiegelt eine Ungleichzeitigkeit wider: Auf lokaler Ebene haben die Proteste und Bewegungen der vergangenen Jahre ein Umdenken eingeleitet. Doch auf der Bundesebene sorgt die Entfernung vom lokal erzeugten politischen Druck dafür, dass das neoliberale Paradigma der vergangenen drei Jahrzehnte im Wesentlichen weiterbesteht – was die Handlungsmöglichkeiten auf der lokalen Ebene erheblich einschränkt.