Im März feierte die AfD ihr zehnjähriges Bestehen und die Erfolgs- und Radikalisierungsgeschichte der Partei fand breiten Widerhall in der Presse. Niemand geht mehr vom schnellen Verschwinden, ihrer „Entzauberung“ oder ihrem Zerfall aus – wie er in den ersten Jahren der Partei immer wieder vorhergesagt wurde. Politik, Medien und Öffentlichkeit haben sich mit einer etablierten und erfolgreichen Partei der modernisierten extremen Rechte abgefunden – wohl oder übel.

Größere Aufregungen oder Debatten zu dieser Tatsache sind erst beim nächsten möglichen Entwicklungssprung der AfD zu erwarten – dem Sprung aus der Rolle einer isolierten Oppositionspartei in die einer (mit)gestaltenden Regierungspartei. Ob und wann es dazu kommt, lässt sich nicht vorhersagen, der Blick auf vergleichbare Parteien in anderen europäischen Ländern stimmt jedoch nicht optimistisch. In Finnland könnte die nächste Regierungsbeteiligung einer Partei dieses Typs bevorstehen und mit Blick auf Schweden, Italien und die zahlreichen früheren Beispiele, lässt sich eine solche Entwicklung auch für Deutschland nicht prinzipiell ausschließen. Umso wichtiger, die Hürden für eine Regierungsbeteiligung der AfD und Mehrheiten rechts der Mitte so hoch wie möglich zu halten.

Regierungsoptionen im nächsten Jahr?

Schon im nächsten Jahr könnte sich die Frage, wie hältst du es mit der AfD, verstärkt stellen. In Sachsen, Brandenburg und Thüringen stehen Landtagswahlen an und gegenwärtig liegt die AfD in allen drei Ländern auf Platz eins in den Umfragen. Es fehlt auch nicht an Stimmen aus dem bürgerlichen Lager, die laut über Mehrheiten gemeinsam mit den Rechten nachdenken. So äußerte sich der Thüringer FDP-Chef Thomas Kemmerich, der sich 2020 schon einmal von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, folgendermaßen: „Wir brauchen politisch gute Ideen aus der Mitte. Und wenn die dann eine Mehrheit finden trotz oder mit der AfD, dann ist die Mehrheit halt da.“ (taz, 23.3.23) Von der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel heißt es mit Blick auf die Wahlen in den drei Ländern im nächsten Jahr: „Das ist natürlich strategisch relevant, weil wir da die erste Regierungsverantwortung in einem ostdeutschen Bundesland avisieren.“ (Sächsische Zeitung, 2.1.23) Allerdings scheint es gegenwärtig für Union und FDP auf Bundesebene ausgeschlossen zu sein, Landeskoalitionen mit der extremen Rechten zu akzeptieren, womit jedoch die unterschiedlichen Sichtweisen zwischen Bundes- und Teilen der Landesparteien nicht befriedet werden.

»Schon im nächsten Jahr könnte sich die Frage, wie hältst du es mit der AfD, verstärkt stellen.«

Aktuell ist die AfD nach einer krisenhaften Phase kurz vor und nach der letzten Bundestagswahl konsolidiert. Seit vielen Monaten wird sie auf Bundesebene in den Umfragen zwischen 13 und 15 Prozent taxiert und auch in den meisten Westländern ist sie stabil, wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau als im Osten. In Bremen hat es der notorisch zerstrittene Landesverband zwar geschafft, die Partei von der Teilnahme an der Landtagswahl im Mai auszuschließen, weil die Aufstellung der Kandidierendenlisten nicht korrekt erfolgte. Auch in anderen Bundesländern setzen sich parteiinterne Streitigkeiten fort, haben angesichts einer vom konkreten Agieren der AfD unabhängigen Stammwähler*innenschaft jedoch gegenwärtig nicht mehr das Potenzial, auf die Gesamtpartei durchzuschlagen.

Bundesverfassungsgericht urteilt zur AfD-Klage in Sachen DES

Mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Ende Februar 2023 ist die AfD ihrem Ziel einen Schritt nähergekommen: Die Finanzierung einer parteinahen Stiftung aus Steuermitteln. Seit 2018 ist die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) von der AfD als parteinahe Stiftung anerkannt und versucht seitdem, analog zu den parteinahen Stiftungen der anderen im Bundestag vertretenen Parteien, an öffentliche Mittel für ihre Arbeit zu kommen. Bis heute werden ihr diese Mittel von den anderen Fraktionen im Bundestag verweigert – eine Ungleichbehandlung und Benachteiligung der AfD, so hat es das Verfassungsgericht in seinem Urteil bewertet.

Was auf den ersten Blick wie ein voller Sieg der AfD und ihrer Stiftung aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen nur als halber. Denn das Gericht hat nur über die Klage der AfD gegen den Finanzierungsausschluss der DES im Jahr 2019 entschieden. Für die Jahre 2020 und 2021 seien die Klagen nicht fristgerecht eingebracht worden und die Klage zum Ausschluss der DES im aktuellen Bundeshaushalt wurde vom Verfahren abgetrennt. Hierzu will das Verfassungsgericht zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden. In jedem Fall bedarf es einer klareren gesetzlichen Grundlage zur Finanzierung der Stiftungen, so das Gericht.

Die konkreten Folgen des Urteils sind mit Blick auf die Finanzierung einer rechten Parteistiftung noch nicht abzusehen. Zwar hat das Gericht den Ausschluss der DES im Jahr 2019 als rechtswidrig bezeichnet, eine Verpflichtung zur Auszahlung der Gelder an die DES wurde vom Gericht aber nicht erlassen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die demokratischen Parteien auf eine klarere gesetzliche Grundlage für die Stiftungsfinanzierung einigen können und ob es hier zu einem rechtlich haltbaren Ausschluss der DES kommt. Schon bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes 2024 stellt sich die Frage, wie man mit der AfD bzw. der DES umgeht. Ein Ausschluss mit einer lapidaren Begründung im entsprechenden Haushaltstitel wird jedenfalls nicht mehr ausreichen – das hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht.

Extremismuskeule gegen Kritiker*innen der AfD

Der bisherige Konsens, die parteinahe Stiftung einer Partei der extremen Rechten nicht mit Steuermillionen zu bedenken, gründet vor allem auf der unermüdlichen Recherche demokratischer, antifaschistischer und linker Projekte, mit der die Verbindungen von AfD und DES zur neofaschistischen Rechten immer wieder deutlich gemacht werden. Kein Wunder also, dass die AfD mit allen Mitteln versucht, die Arbeit dieser Projekte zu verhindern. Anfragen zu den angeblich „linksextremen“ Verbindungen der Demokratieprojekte werden von der AfD im Bundestag regelmäßig gestellt und bleiben auch nicht ohne Wirkung, wie man am Agieren von Union und FDP bei der parlamentarischen Begleitung des Demokratiefördergesetzes sehen kann. Mit diesem Gesetz sollen die seit mehr als zwanzig Jahren arbeitenden Projekte gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus endlich auf eine dauerhafte finanzielle Grundlage gestellt werden. In der Anhörung des Bundestages zum Gesetzentwurf wurde nicht nur von der AfD, sondern auch von Union und FDP ein generelles Misstrauen gegen diese Projekte deutlich, die mit der schon einmal von der CDU-Ministerin Christina Schröder eingeführten „Extremismusklausel“ zu einem formalen Bekenntnis zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ (fdGo) gezwungen werden sollen. Schon immer unterschreiben alle Demokratieprojekte mit dem Zuwendungsbescheid die Verpflichtung, ihre Arbeit an den Werten des Grundgesetzes auszurichten. Mit der Extremismusklausel soll symbolpolitisch das Misstrauen rechts der Mitte gegen Projekte zum Ausdruck gebracht werden, die in Teilen aus linken und antifaschistischen Zusammenhängen kommen.

Die AfD macht sich die im Extremismusansatz enthaltene Indifferenz zunutze und versucht aktuell, die Gemeinnützigkeit der Amadeu Antonio Stiftung (AAS) in Frage zu stellen. Der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer hat in einem Brief an das Berliner Finanzamt dieses aufgefordert, der AAS die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Hintergrund ist die Aberkennung u.a. gegenüber dem Attac-Netzwerk, dem der Bundesfinanzhof eine „allgemeine Einflussnahme auf politische Willensbildung“ vorwarf, die vom Gemeinnützigkeitsrecht nicht gedeckt sei. Springer argumentiert nun, die AAS verfolge „überwiegend den politischen Zweck, die AfD mit ihren öffentlichen Beiträgen zu diskreditieren.“ (ND, 2.4.2023) Das Ziel ist die Einschüchterung und finanzielle Schwächung von zivilgesellschaftlichen Vereinen, die sich für die Kernanliegen des Grundgesetzes einsetzen und damit unvermeidlich die AfD und ihre gegen den Gleichheitsgrundsatz, die Menschenwürde und das Demokratieprinzip gerichtete Politik in den Blick nehmen. Neben dem konkreten Angriff auf die AAS geht es der AfD um die Selbstbeschränkung von Projekten und Ministerien, die die offensive Auseinandersetzung mit dieser Partei immer stärker scheuen aus Angst vor rechtlichen und finanziellen Konsequenzen.

Friedenspartei oder Partei der Bundeswehr?

Seit gut einem Jahr inszeniert sich die AfD als „Friedenspartei“ und versucht, von den Ängsten vor einer möglichen Ausweitung des Krieges in der Ukraine zu profitieren. Nicht ungeschickt macht sich die Partei zu einem Sprachrohr für Diplomatie und Verhandlungen, womit sie vom Mainstream der Presse unweigerlich in die Ecke der Putin-Unterstützer gestellt wird, in die sie zu Teilen auch gehört. Allerdings ist die Position der AfD in dieser Frage komplizierter und heterogener, als es solche Zuschreibungen nahelegen, die jede Abweichung von der medialen Mehrheitsposition über einen Kamm scheren.

Ohne Zweifel sieht die völkische Rechte in Putins Russland das Modell eines autoritären und ideologisch reaktionären Nationalstaates, dem man selbst nur zu gerne nacheifern würde. Höckes Rede in Gera am 3. Oktober 2022 (vgl. https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/afd-als-krisenprofiteur/) hat das deutlich gemacht. Auf der anderen Seite – und davon in Teilen unterschieden – gibt es eine Positionierung, die sich als national-souverän beschreiben lässt und sich mit dem Schlagwort „Deutschland zuerst“ von den ökonomischen und politischen Konsequenzen der westlichen Politik distanzieren will. In einem von den Abgeordneten Jan Nolte, Hannes Gnauck, Martin Hess und Peter Felser aktuell vorgelegtem Papier, das von der Bundestagsfraktion verabschiedet wurde, hat sich diese Strömung jetzt deutlicher geäußert. Hier heißt es u.a.: „Die richtige Antwort auf die verkürzte und einseitige Darstellung des Ukrainekrieges und seiner Hintergründe im deutschen Mainstream ist nicht eine kritiklose Übernahme russischer Positionen, sondern eine differenzierte Bewertung entlang deutscher Interessen.“ (Junge Freiheit, 30.3.23) Weder stehe man an der Seite Putins, noch mache man gemeinsame Sache mit der Friedensbewegung oder Pazifisten. Vielmehr stehe man fest „an der Seite unserer Bundeswehr“.

Die zahlreichen Auftritte von AfD-Politikern in russischen Propagandamedien haben bei langgedienten Militärs der AfD-Fraktion, wie dem Abgeordneten Rüdiger Lucassen, sichtlich Spuren hinterlassen. Als „Volksverräter“ bezeichnete er diese Parteikollegen in der Talkshow „Lanz“. Ganz offensichtlich, so ist auch die Zustimmung von Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla zum oben erwähnten Papier zu verstehen, sucht die AfD nach einer Positionierung zum Ukraine-Krieg, mit der sie im Westen des Landes öffentlich bestehen kann. Die „Deutschland zuerst“-Position könnte der formale Kompromiss der beiden Lager sein.

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