Es sind also finanzielle Überlegungen, warum sich die DKG für die PPR 2.0 als gesetzliche Personalvorgabe stark macht?
Ja, und das finde ich persönlich auch nachvollziehbar. Der zweite Punkt war die 2019 erfolgte Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen. Die Krankenhäuser müssen deren Einhaltung sehr detailliert und kleinteilig nachweisen. Die DKG erhofft sich von einem bedarfsgerechten Instrument zur Personalbemessung, dass die Pflegepersonaluntergrenzen mit der aufwendigen bürokratischen Erfassung wegfallen. Deshalb hat sie sich uns angeschlossen.
Was ist mit anderen Akteuren, beispielsweise den Krankenkassen?
Unser Ziel war, den GKV-Spitzenverband, den Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, einzubinden im Rahmen des KAP-Auftrags. Die Seite der Kostenträger ist für die Entwicklung von Instrumenten selbstverständlich wichtiger Akteur. Der GKV-Spitzenverband war aber nicht für eine Kooperation zu gewinnen.
Warum?
Der GKV-Spitzenverband will die Pflege erlösrelevant gestalten. Das bedeutet, dass die Leistungen der Pflege bemessen und in den Erlös des Krankenhauses für die jeweilige Behandlung einfließen. Das läuft faktisch auf die Einführung eines Fallpauschalensystems in der Pflege hinaus (sogenannte Pflege-DRGs). Dafür sprechen sich auch einige Wissenschaftler*innen und Akteure mit wirtschaftlichen Eigeninteressen aus. Manche Kolleg*innen meinen, die Pflege könnte sichtbar gemacht werden, wenn spezielle Fallpauschalen gelten. Doch das ist ein Missverständnis. Die Krankenpflege würde damit eine Rolle rückwärts machen. Einerseits bekämen pflegerische Leistungen wie derzeit medizinische Leistungen ein Preisschild umgehängt. Dadurch würde ein Gewinnanreiz entstehen, der Anreiz, bei den realen Kosten unterhalb dieses Preisschildes, das heißt unterhalb der Pauschale für diese Pflegeleistungen zu bleiben. So würde der Kostendruck aber wieder auf die Pflege gelenkt und der Arbeitsdruck gesteigert. Andererseits würde eine solche Regelung die kleinteilige Erfassung von Pflegeleistungen fördern, was aus professioneller Sicht ein schlagendes Argument gegen eine Erlösrelevanz darstellt.
Was ist das Problem an der Erfassung von Pflegeleistungen?
Faktisch kommt das einer Fremdsteuerung der Pflege gleich, die sowohl den Pflegeberuf unattraktiver machen als auch die Pflegequalität verschlechtern würde. Denn mit einem Preisschild für die Pflege gäbe es den Anreiz, möglichst viele Leistungen einzeln abzurechnen. Das hätte einen extrem hohen Dokumentationsaufwand zur Folge, würde aber auch zu einer starken Zergliederung der Pflege in Einzelleistungen führen. Die Idee führt weg vom ganzheitlichen Blick auf den Menschen und verschleiert, dass es bei der pflegerischen Versorgung vor allem auch um Beziehungsarbeit geht, das heißt um den direkten Kontakt zum Menschen bzw. die Interaktion mit ihm. Das Konzept der Pflege-DRGs widerspricht einem professionellen Pflegeverständnis.
Der GKV-Spitzenverband tritt also für Pflege-DRGs ein, weil er sie für kostengünstiger hält als etwa die PPR 2.0?
Ausschlaggebend sind sicherlich die Beitragssatzstabilität und der Kostenfaktor, wobei wir mit den Pflegebudgets derzeit bereits die Situation haben, dass jede zusätzliche Pflegestelle finanziert werden muss. Aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes war die Herausnahme der Pflege aus den Fallpauschalen ein ordnungspolitischer Fehlgriff, der korrigiert werden müsse. Der zweite Punkt ist das Thema der Nachweisführung. Es gibt vom Verband ein großes Misstrauen gegenüber dem Geschehen im Krankenhaus. Man erhofft sich von den Pflege-DRGs und einer möglichst kleinteiligen Dokumentationspflicht eine bessere Kostenkontrolle bei den Krankenhäusern. Wir sind überzeugt, dass die Kostendeckung und Nachweis der zweckentsprechenden Verwendung der Personalkosten, wie wir sie mit dem Pflegebudget jetzt haben, zu einer guten und sicheren Versorgung führt, wenn für die Personalausstattung bedarfsgerechte Vorgaben durch den Gesetzgeber folgen.
Was ist denn der Unterschied zwischen der PPR 2.0 und den Pflege-DRGs?
Der wesentliche Unterschied ist, dass die Pflege-DRGs nicht am Bedarf ansetzen, sondern vom Ist-Zustand des Patienten ausgehen. Die PPR 2.0 ist hingegen ein Instrument für eine bedarfsorientierte Personalbemessung. Sie veranschlagt ein Wert pro Fall, einen Grundwert pro Tag und Patient sowie tägliche Minutenwerte auf der Grundlage von Tätigkeitsprofilen, die an den Pflegebedarfen der Patient*innen ansetzen. So ergibt sich ein Zeitumfang, der in Personalstellen umgerechnet werden kann. Ein weiterer Vorteil der PPR 2.0 ist, dass sie im Gegensatz zu Pflege-DRGs keine Anreize schafft, unterhalb der errechneten Werte zu bleiben. Der Personalbedarf geht hier aus der Bemessung von Zeitwerten hervor.
Was passiert, wenn der errechnete Personalbedarf in der Krankenpflege sich nicht durch das vorhandene Personal im Krankenhaus abdecken lässt?
Es muss eine verbindliche Zielperspektive geben, in welchen Schritten das Personal, das laut PPR erforderlich ist, aufgebaut wird. Und es braucht Konsequenzen, wenn Personal fehlt. Denn die PPR 2.0 erfordert in der Umsetzung natürlich deutlich mehr Personal, als in den Krankenhäusern aktuell zur Verfügung steht. Das lässt sich nur mit einem Stufenplan erreichen, der vorgibt, bis wann die PPR vollständig umzusetzen ist.
Wie geht es jetzt weiter?
Unser Ziel war es, die PPR 2.0 noch in dieser Legislaturperiode einzuführen. Das ist am politischen Widerstand gescheitert. Daher machen wir die PPR 2.0 jetzt zum Wahlkampfthema und setzen darauf, dass es mit einer neuen Bundesregierung wieder auf den Tisch kommt. Es gilt dann, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen und auch den GKV-Spitzenverband erneut in die Pflicht zu nehmen. Die PPR 2.0 muss schnell kommen. Es darf keine weitere Zeit verstreichen, sonst verlassen noch mehr Pflegekräfte den Beruf. Die Krankenhäuser haben nicht die Zeit, bis 2025 abzuwarten. Die 2019 eingeführten Personaluntergrenzen gehen an dem Bedarf in der Pflege eindeutig vorbei.
Das Gespräch führte Julia Dück.