Du hast den Slogan "Shoppingmalls zu Sorgezentren" ausgegeben. Was ist das Problem mit den Kaufhäusern?

Wir erleben eine „Krise der Warenhäuser“. Überall gibt es leerstehende Geschäfte und Shoppingcenter, die zu Bürostandorten mit Fressmeilen umgebaut werden sollen. Wer braucht das? Die Krise der kapitalistischen Stadt hat viele Gesichter: Die Verwertungslogik der letzten 30 Jahre hat beispielweise darauf gesetzt, die Kaufkraft nach dem Vorbild amerikanischer Malls in riesigen Einkaufstempeln zu bündeln. Damit wurden unsere Städte nach dem Maßstab umgebaut, als Absatzmarkt für Waren internationaler Ketten zu taugen, zu Lasten kleiner Läden und lokaler Anbieter. Heute sind diese Gewerbeimmobilien in den Händen einiger weniger Konzerne weltweit und diese bestimmen die Marktpreise. Sie spekulieren mit den Unternehmens- und Immobilienwerten, tragen aber gar nichts bei zum Gemeinwohl in einer Stadt und dem, was in den Kiezen gebraucht wird. 

Kannst du ein Beispiel nennen? 

Mit dem Skandalkonzern SIGNA ist zuletzt ein solches Immobilienverwertungsunternehmen über Berlin hinaus bekannt geworden. Der Unternehmensgründer René Benko kauft deutschlandweit Traditionswarenhäuser in besten Innenstadtlagen allein der Grundstücke wegen – wie etwa Karstadt am Hermannplatz in Berlin Neukölln. Er hat überhaupt kein Interesse am Erhalt der Arbeitsplätze oder gar an der Versorgung der Menschen in der Nachbarschaft mit Lebensmitteln oder Haushaltswaren. Das dürfen wir nicht zulassen. 

Inwiefern ist der Kampf dagegen auch ein feministischer? 

In der Krise der Warenhäuser kommt vieles auf den Punkt: In meinem Wahlkreis in Berlin Treptow-Köpenick zum Beispiel soll eine solches Einkaufszentrum abgerissen werden, um Hochglanz-Büros zu platzieren. Der Supermarkt darin hat schon dicht gemacht. Es gibt nun in der Umgebung alte Leute, die müssen mit dem Taxi zum Einkaufen fahren, weil für sie kein Lebensmittelladen mehr fußläufig erreichbar ist, von Post- oder Bankfiliale ganz zu schweigen. Wie absurd ist das denn, mitten in der Innenstadt? 

Feministische Bewegungen fordern seit langer Zeit: „Das Leben ins Zentrum zu stellen“. Das klingt erstmal abstrakt, damit ist aber eine klare Richtung für gesellschaftliche Veränderung angegeben, die ich in der gegenwärtigen Vielfach-Krise elementar finde: Nämlich von der Frage auszugehen, was wir eigentlich brauchen, um so zu leben, wie wir gerne leben wollen. 

Das gilt auch für Stadtentwicklungspolitik?

Unbedingt! Als LINKE kämpfen wir für ein Recht auf Stadt. Das bedeutet, dass Städte so gestaltet werden müssen, dass sie in erster Linie für die Bedürfnisse der dort lebenden Menschen funktionieren. Nach 30 Jahren Neoliberalismus und dem Credo der unternehmerischen Stadt scheint diese Selbstverständlichkeit geradezu radikal. Die Perspektive der feministischen Stadtpolitik darin ist, dass die Stadt eben nicht nur aus der meist männlichen Perspektive von Lohnarbeit und Profitökonomie entworfen wird, sondern als Ort der Sorgearbeit und der Reproduktion. Von diesem Standpunkt aus muss sie gestaltet werden. 

Würde das zum Beispiel bedeuten, Einkaufszentren in Sorge-Zentren zu verwandeln?

Ja, auf die aktuell insolventen Warenhäuser bezogen heißt das, dass wir in diese Krise der unternehmerischen Stadt auch planerisch eingreifen müssen mit einer sozialen und feministischen Stadtentwicklungspolitik, die von den Bedürfnissen und dem Alltagsleben der Menschen ausgeht. Es geht darum, wichtige Infrastrukturen der Nahversorgung zu sichern, um eine Stadt der kurzen Wege, aber es ist eben auch ein Kampf um Orte jenseits von Kommerz und Kaufrausch. 

Es braucht solidarische Orte des Zusammenlebens in den Nachbarschaften und Kiezen. Dazu gehören auch Orte für gemeinschaftlich organisierte Sorgearbeit, um Care aus dem privaten Raum zu holen, in den sie ‚eingesperrt’ ist, um sie der Einsamkeit zu entreißen und so einen Schritt in Richtung Vergesellschaftung zu gehen. Dafür ließen sich die leerstehenden Konsumtempel hervorragend nutzen. In diesem Sinne ist die Krise der Shoppingmalls eine Chance für die feministische Neuprogrammierung der kapitalistischen Stadt!

Was genau ist denn ein Sorgezentrum? 

Ein Sorgezentrum ist ein Element einer solchen feministischen Stadtentwicklung und damit auch ein Ansatz feministischer Kommunalpolitik, der verschiedene Überlegungen zusammenbringt.

Zunächst geht es darum Unterstützungsangebote zu schaffen, die auf den lokalen Bedarf antworten und für alle Menschen aus der Nachbarschaft zugänglich sind. Im ersten Schritt heißt das, Lücken und Bedürfnisse überhaupt zu erfassen. Es bringt ja nichts, wenn es etwa ein Hort-Angebot am anderen Ende der Stadt gibt, die Menschen, die es brauchen, aber nicht Möglichkeit haben, dort hin zu kommen. Es bringt aber auch nichts, ein Familiencafé anzubieten, wenn es so etwas im Stadtviertel bereits gibt. Die Angebote in den kommunalen Sorgezentren müssen also auf der Ebene der Viertel oder sogar Kieze gemeinsam mit den dort lebenden Menschen und lokalen Initiativen und Einrichtungen entwickelt werden – deshalb sieht dann auch jedes Sorgezentrum anders aus. Das kann als gemeinsamer Prozess gestaltet werden, um sich darüber zu verständigen, was in der Nachbarschaft eigentlich fehlt und was wir dort gerne hätten. Wir wollen die Stadt der kurzen Wege aus dem Blick der Sorgearbeit denken. 

Konkret kann das dann sehr vieles beinhalten: Gesundheitszentren, einen kommunalen Pflegestützpunkt, Kinderbetreuung oder Workshops und Freizeitangebote für Mensche, die Angehörige pflegen, aber natürlich geht es auch um Sozial-, Mieter- oder Schwangerschaftsberatung oder rechtliche Unterstützung zum Thema Aufenthalt – es kann auch eine Fahradwerkstatt geben. Zentral ist einen Ort zu schaffen, an dem es für all diese Care-Bedürfnisse kommunale oder gemeinwohlorientierte Angeboten gibt. Jenseits der vielen privatwirtschaftlichen Unternehmen von privaten Pflegediensten, über Haushaltshilfe-Plattformen bis hinzu kommerziellen Nachhilfe-Instituten. Die meisten können sich so was ja gar nicht leisten. Dem wollen wir einen öffentlichen Akzent entgegen zu setzen.

Vieles davon gibt es aber schon. 

Das stimmt, deshalb muss ein Sorgezentrum auch eine zentrale Koordinationstelle sein – das ist der zweite Punkt. Natürlich wollen wir keine Parallelstrukturen schaffen, sondern einen Anlaufpunkt, von dem aus der Zugang zu allen schon bestehenden öffentlichen oder gemeinwirtschaftlichen Angeboten in den Kiezen verbessert wird. Und der für diese Initiativen auch ein Ansprechpartner ist.

Könnte das nicht auch einfach eine Webseite leisten?

Nein, es braucht diesen physischen Ort, damit wir uns in der Nachbarschaft wieder treffen können, auch jenseits von Cafés oder Kneipen. Es braucht nicht-kommerzielle Orte, um die Menschen in einem Viertel wieder zusammenzubringen. In diesem Sinne ist ein dritter Aspekt, dass ein Sorgezentrum auch Raum für selbstorganisierte Sorgetätigkeiten bieten kann: z.B. geteilte Kinderbetreuung, Elterncafés, Nachbarschaftstreffs, Kiezküchen oder LGBTQI Treffpunkt oder auch Selbsthilfegruppen etwa für Jugendliche mit psychisch kranken Elternteilen. Es ist wichtig, Sorgearbeit aus den Familien rauszuholen, nicht zuletzt weil es dort eine krasse Überlastung gibt. Aber nicht alle Care-Tätigkeiten müssen ja von ‚Hauptamtlichen’ erledigt werden. Vieles können wir auch versuchen, kollektiv und anders zu organisieren. Das ist eine wichtige Idee einer Sorgenden Stadt und dafür können Sorgenzentren gute Orte sein. 

Wo kommt die Idee her?

Die Idee einer Sorgenden Stadt wurde insbesondere in Barcelona entwickelt, wo das munizipalistische Bündnis Barcelona en Comú seit 2015 nicht nur links, sondern explizit auch feministisch regiert. Dort sind Sorgezentren, die sogenannte VilaVeinas ein zentraler Gedanke. Und sie funktionieren eben so, dass sie in jedem Stadtviertel einen konkreten Ort bieten, der Anlaufstelle für ca. 30.000 Menschen ist. Und der ist gekoppelt mit einem kommunalen Pflegedienst, aber auch vielen selbstorganisierten Angeboten. Ganz ähnlich setzen sie das auch in Santiago de Chile bereits um. Gemeinsam ist den Ansätzen, dass es um eine Vergesellschaftung von Sorge geht. Und natürlich auch darum, die Stadt gegen die Spekulanten für die Bewohner*innen zurückzuholen.

Wie lässt sich das hier umsetzen?

Im Koalitionsvertrag der noch amtierenden Regierungskoalition aus SPD, Grünen und LINKEN in Berlin hatten wir ein Modellprojekt zum Shoppingcenterumbau verabredet und finanziell untersetzt. Hierzu sollte ein Pilotprojekt für ein geeignetes leerfallendes Objekt verabredet werden. Und es sollten die Instrumente des besonderen Städtebaurechts, also Städtebaufördermittel zum Einsatz kommen und ein intensives Beteiligungsverfahren gestartet werden. Über Zwischennutzungsverträge könnten erste Pioniernutzungen ein solches Objekt neu beleben. Schließlich müssen geeignete Träger und Betreibermodelle gefunden werden und hierzu die Expertise der vielen Genossenschaften, Initiativen und stadtpolitischen Gruppen angefragt werden. Berlin hat so viele Vorzeigeprojekte die seitens der Stadtgesellschaft ins Leben gerufen wurden und als Real-Labore längst Orte des Experimentierens und der Kollaboration sind - hier liegt das Wissen der Vielen und mit denen kann der politische Wechsel gelingen. Das war seit 2016 unsere LINKE Handschrift in der Stadtentwicklungspolitik und so bleibt es auch, selbst wenn wir jetzt in die Opposition gehen. 

Die konkrete Durchsetzung eines solchen Pilotprojekts für ein Sorgezentrum ist angesichts der neuen Konstellation und der zu erwartenden schwarz-roten Regierung natürlich deutlich schwieriger geworden. Aber davon lassen wir uns nicht entmutigen. Es gibt hier bereits ein Bündnis, in dem Feminist*innen aus stadtpolitischen Inititativen, Stadtforscher*innen und Stadtplaner*innen, Menschen, die sich für Gesundheitszentren einsetzen und viele Aktive aus Care-politischen Inis zusammenkommen. Wir sind dabei für Berlin eine Kampagne zu entwerfen, die die stadtpolitische Forderung nach Vergesellschaftung feministisch ausbuchstabiert.

Das Gespräch führte Barbara Fried