Einer der Reize der Zukunft liegt in ihrer Unvorhersagbarkeit. Sie kann uns auf reizende Weise überraschen oder unerwartet in den Hintern treten. Unsere Gegenwart fällt hinter die meisten Zukunftsszenarien, die ich mir als Junge ausgemalt habe, zurück. Sonst würde ich heute mit einem Raketenrucksack die Wolkenkratzer von New York überfliegen oder Urlaub auf dem Mond machen. Und mal ehrlich: Hätten Sie, sofern sie nicht schon vor dreißig Jahren William Gibsons Roman Neuromancer gelesen haben, sich das Internet vorstellen können, und noch dazu die sozialen Netzwerke und Cyberspace? Wer hätte sich träumen lassen, dass die Geheimdienste eines einzigen Landes nicht nur die Gespräche und Mitteilungen der eigenen Bürger abzuhören, abzufangen und auszuwerten in der Lage sein würden – das ist aus den totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts vertraut –, sondern die nahezu jedes Menschen auf dem Planeten, vom Kleinbauern im pakistanischen Hinterland bis hin zu den Regierungsoberhäuptern 35 größerer und kleinerer Länder? Das ist natürlich unsere dystopische Gegenwart. Sie beruht auf Technologiesprüngen, die nicht einmal Science-Fiction-AutorInnen sich auszumalen in der Lage waren.

Und wer hatte eigentlich mit dem »arabischen Frühling« oder Occupy Wall Street gerechnet? Mit einem Terror-Kalifat im Herzen des Nahen Ostens oder dem Wahlkampf jenes David Trump, der trotz selten unzensierter Berichterstattung einen Erfolg nach dem anderen verbucht? (Kleiner Karrieretipp: Werden Sie nicht Hellseher. Es ist die Hölle auf Erden.) Das alles ließe sich sowohl als die gute wie auch als die schlechte Nachricht über die Zukunft ansehen. Auf einem zunehmend trostlosen Erdball, der ringsum von Niederlagen gezeichnet scheint, bieten die in den kommenden Jahren auf uns wartenden Überraschungen, die unerwarteten Kurswechsel, Erfindungen, Rebellionen und Interventionen Grund zur Hoffnung, zumindest bis sie eintreten. Andererseits weist die Zukunft auf eben dieser düsteren Welt aber auch einen Zug auf, der kaum deprimierender sein könnte: die Wiederholung so vieler Dinge, deren Wiederholung doch eigentlich niemand wünschen kann. Ich denke an die vielen Schlagzeilen von morgen, die sich heute bereits vorwegnehmen lassen, und deren Verwirklichung leider nur allzu wahrscheinlich ist. Sie könnten sicherlich für eine Reihe von Themenbereichen ihre eigenen Liste zukünftiger Schlagzeilen erstellen. Hier sind jedenfalls meine Schlagzeilen zu den Kriegen, Interventionen und Konflikten, in die sich Washington im Vorderen Orient sowie zunehmend auch in Afrika verstrickt hat: Kriege, Interventionen und Konflikte, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie nicht zu gewinnen sind.

Wie der »Sieg« aussieht

Beginnen wir mit einem Vorfall, der sich Ende 2015 im Irak ereignet und Schlagzeilen produziert hat, in denen auch das Wort »Sieg« vorkam: ein Wort, das AmerikanerInnen im 21. Jahrhundert nicht sehr häufig begegnet, von Trumps Geplapper einmal abgesehen. (»Wir werden so viel siegen – ein Sieg nach dem anderen –, dass Sie mich anflehen werden: ›Bitte, Herr Präsident, lass Sie uns doch ein- oder zweimal verlieren. Wir halten es nicht mehr aus.‹ Und ich werde sagen: ›Auf gar keinen Fall. Wir werden weiter siegen. Wir werden nie verlieren. Wir werden nie, niemals verlieren.‹«) Ich meine den »Sieg« von Ramadi, einer Stadt in der Provinz al-Anbar, die Kämpfer des Islamischen Staats (IS) im Mai 2015 der irakischen Armee entrissen hatten. Mit Unterstützung der US-Luftwaffe – in den Monaten vor diesem Sieg gab es mehr als 600 amerikanische Luftschläge in und um Ramadi – und einer von den USA ausgebildeten und finanzierten Vorhut aus lokalen Spezialeinheiten gelang es dem irakischen Militär Ende Dezember tatsächlich, den Großteil der mit Sprengfallen und Minen übersäten Stadt den IS-Kämpfern abzutrotzen, die sich dort verschanzt hatten. Die Nachricht wurde von der Obama-Regierung mit Erleichterung aufgenommen, und es folgten die erwähnten Schlagzeilen. 

Und so sah dieser Sieg dann aus: Laut dem irakischen Verteidigungsminister wurden mindestens achtzig Prozent der 400.000 EinwohnerInnen starken Stadt zerstört. Ramadi wurde in Schutt und Asche gelegt, skellettiert. Wir sprechen vielleicht noch von einer »Stadt«, doch die Bezeichnung ist alles andere als zutreffend. New-York-Times-Journalist Ben Hubbard hat Ramadi kurz nach dem »Sieg« besucht und berichtet, dass dort kaum noch EinwohnerInnen verbleiben. Über einen für Terrorismusbekämpfung zuständigen General, der ihn begleietete, schreibt Hubbard: »In einem Viertel stand er vor einer Schuttlandschaft, deren Ausmaße es unmöglich machten, die ehemaligen Gebäudestandorte zu bestimmen. Er zögerte, als man ihn fragte, wie die Einwohner in ihre Häuser zurückkehren sollten. ›Häuser?‹ sagte er. ›Es gibt keine Häuser.‹« Hubbard zitiert eine Schätzung des Provinzgouverneurs von al-Anbar: »Der Wiederaufbau der Stadt würde zwölf Milliarden Dollar kosten.« (Andere irakische Regierungsbeamte sprechen von zehn Milliarden Dollar.) Dieses Geld hat niemand, schon gar nicht die unter dem sinkenden Ölpreis leidende irakische Regierung – und es handelt sich nur um eine von mehreren zerstörten Städten. Die vorangegangenen, kleineren Siege der Kurden in Kobane und Sindschar (Syrien), an denen die US-Luftwaffe ebenfalls massiv beteiligt war, haben jene Städte in ähnlichem Ausmaß zerstört, wie das die Fassbomben werfende Luftwaffe und das Militär Baschar al-Assads in Aleppo sowie neuerdings im vollends zugrundegerichteten zentralsyrischen Homs getan haben. Jetzt bringen sich bekanntlich auch die Russen ein, und zwar auf amerikanische Manier, mit Bomben und Beratern. Ich will noch eine Einzelheit ergänzen, bevor ich die Schlagzeilen der Zukunft formuliere. Am Tag nach Präsident Obamas letzter Ansprache an die Nation hat Verteidigungsminister Ashton Carter die amerikanische Luftlandedivision 101 in Fort Campbell (Bundesstaat Kentucky) besucht. 1.800 Mitglieder dieser Division sollen in Kürze im Irak stationiert werden, um irakische Militäreinheiten bei der Rückeroberung vom Islamischen Staat besetzter Landesteile zu unterstützen. Diesen künftigen Militärberatern erläuterte Carter die Pläne des Präsidenten und legte ausführlich dar, wie er (und vermutlich auch Obama) die Entwicklung des Konflikts einschätzen. 

Carter, der den Islamischen Staat gern mit einem streuenden Tumor vergleicht, erklärte folgendes: »Der Ausgangstumor des IS hat zwei Zentren: Ar-Raqqa in Syrien und Mosul im Irak. Der IS hat sich dieser Städte nebst ihrer Regionen als Machtbasen, Quellen beträchtlicher finanzieller und personeller Ressourcen sowie als ideologischer Drehpunkte bedient. Es handelt sich um die militärischen, politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Gravitationszentren des IS. »Deswegen zeigen auf unserer Kampagnenkarte große Pfeile auf Mosul und Ar-Raqqa. Wir werden zunächst die Kontrolle des IS über diese beiden Städte brechen und uns dann Vernichtungsoperationen gegen andere vom IS kontrollierte syrische und irakische Territorien widmen.« Eine solche Kampagne würde dem Begriff »Vernichtungsoperation« (elimination operation) tatsächlich neue Bedeutung verleihen, denn sie würde erkennbar auf die Zerstörung der städtischen Infrastruktur eines großen Teils der Region hinauslaufen. Drei Städte sind zurzeit im Visier: Falludscha (ungefähr 300.000 EinwohnerInnen), die andere vom IS kontrollierte Stadt in der Provinz al-Anbar, Mosul (die zweitgrößte Stadt im Irak, deren EinwohnerInnenzahl auf zwischen eine und anderthalb Millionen geschätzt wird) und al-Raqqa, die syrische »Hauptstadt« des Islamischen Staats, die Meldungen zufolge mittlerweile mit Flüchtlingen überfüllt ist (Bevölkerung 200.000 oder mehr). In der Zusammenschau ergibt sich ein Plan für das Jahr 2016, der eine Reihe von den USA unterstützter Kampagnen im Irak und in Syrien vorsieht, die auf dem gleichen Ansatz beruhen wie die Wiedereroberung von Ramadi: massive Unterstützung der US-Luftwaffe für intensiv ausgebildete und beratene irakische Spezialeinheiten und Armeebataillone oder (im Fall Syriens) für kurdische Peschmerga-Einheiten sowie verschiedene kurdische und syrische Rebellen. Nimmt man noch die Neigung des Islamischen Staats hinzu, die von ihm besetzten städtischen Gebiete in riesige Bomben zu verwandeln, dann ergibt sich ein Plan, durch den noch mehr Städte der Region in Schutt und Asche gelegt werden dürften. Es ist bekanntlich viel die Rede gewesen von einer Offensive zur Rückeroberung Mosuls, seitdem eine vergleichsweise kleine Zahl von IS-Kämpfern die Stadt im Juni 2014 zehntausenden fliehenden irakischen Truppen entreißen konnte. Beispielsweise gab es die grandiose Ankündigung einer Frühjahrsoffensive gegen Mosul. 

Die Offensive wurde Anfang 2015 zwar viel diskutiert, fand dann jedoch nicht statt. So lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob es das überforderte, häufig mit enttäuschenden Ergebnissen aufwartende irakische Militär 2016 überhaupt nach Mosul schaffen wird, oder auch ob irgendwelche nicht-amerikanischen Truppen zur Verfügung stehen werden, um Ar-Raqqa einzunehmen – umso mehr, als die Stadt fernab der denkbaren Grenzen eines möglichen kurdischen Staates liegt. Nehmen wir aber an, alles läuft »gut«, dann wissen wir, was die Zukunft für uns bereithält: »Siege« im Stil von Ramadi. Die zum Jahresende zu lesende Schlagzeile über die Militäroperationen der USA, des Irak sowie der kurdischen und syrischen Rebellen würde also – in Anlehnung an den berüchtigten Kommentar eines namenlosen US-Offiziers zur Bombardierung der vietnamesischen Provinzhauptstadt Bến Tre 1968 – lauten: »Wir haben die Städte zerstört, um sie zu retten.« Ausgehend vom Fall Ramadis ließen sich dann folgende Wiederaufbaukosten schätzen: Falludscha, zehn Milliarden Dollar; Ar-Raqqa, sieben Milliarden; Mosul, 20 bis 25 Milliarden. Das sind natürlich Fantasiezahlen. Es geht jedoch darum, dass der »Erfolg«, der »Sieg« über den Islamischen Staat einen Großteil der Region zweifellos als neues Karthago hinterlassen würde. Und wer sollte ein neues Ramadi, ein neues Mosul, ein neues Ar-Raqqa bezahlen, oder gar sie alle zusammen und noch weitere Städte? Anders gesagt würde »Sieg« bedeuten, dass der Irak weitaus weniger bewohnbare Städte und weitaus mehr Vertriebene aufweist. Die Wiederansiedlung der Vertriebenen wäre dann zweifellos von den ethnischen Spannungen geprägt, die die Entstehung des Islamischen Staats überhaupt erst vorangetrieben haben. Das ist ein relativ vorhersagbares Zukunftsszenario: eins, das allen einleuchten müsste, die sich halbwegs ernsthaft mit der Situation beschäftigt haben. Ashton Carter und die StrategInnen im Pentagon sowie in der Obama-Regierung sollte es auf jeden Fall überzeugen. Und doch werden die Planungen fortgesetzt, als könne »Sieg« unter diesen Umständen noch eine sinnvolle Kategorie sein. Die Pointe: Man kann sich mit dem Islamischen Staat daran beteiligen, die materielle Infrastruktur Syriens sowie von Teilen des Irak in die Luft zu sprengen, um die Kämpfer des IS anschließend aus den Ruinen zu vertreiben, doch zerstört man damit die Lebensgrundlage einer riesigen, zunehmend auf der Flucht befindlichen Bevölkerung. Was man dabei eher nicht erreicht, ist die Zerschlagung einer Bewegung, die in einem amerikanischen Militärgefängnis im Irak ihren Ausgang nahm und stets in erster Linie ein Ideenkorpus gewesen ist. Möglicherweise schafft man schlichtweg eine Legende.

Sondereinheiten und Drohnen treten auf den Plan

Betrachten wir jetzt noch eine Reihe weiterer möglicher Schlagzeilen, die mit gegenwärtigen Planungen und vergangenen Erfahrungen zusammenhängen. Verteidigungsminister Carter behauptet, die US-Strategie gegen den Islamischen Staat ziele vor allem darauf ab, die Region »nachhaltig politisch zu stabilisieren«, wobei er nicht nur die Schlachtfelder des Irak und Syriens meint, sondern den gesamten Großraum Mittlerer Osten. Wie er den Mitgliedern der Luftlandedivision 101 gesagt hat: »Lassen Sie mich als nächstes den Kampf außerhalb des Irak und Syriens beschreiben. Während wir auf die Zerstörung des Ausgangstumors in Irak und Syrien hinarbeiten, müssen wir zugleich anerkennen, dass der IS in Gebieten wie Nordafrika, Afghanistan und Jemen streut. Die Bedrohung, die der IS und ähnliche Gruppen darstellen, ist in ständiger Entwicklung begriffen, verlagert fortlaufend ihren Fokus und ändert ihren Standort. Sie verlangt von uns daher eine flexible und wendige Reaktion mit hoher Reichweite.« Zu diesem Zweck plant Carter offenbar, US-Spezialeinheiten in Syrien und anderswo Attentate auf das Personal des IS bzw. die Anführer der IS-Ableger ausführen zu lassen. Er ist auch fest entschlossen, in der gesamten Region Drohnen einzusetzen, im Rahmen von »Anti-Terror-Operationen und Angriffen auf hochrangige Ziele« und »um IS-Verbündete nachdrücklich daran zu hindern, eine ebenso große Bedrohung zu werden wie der Ausgangstumor«. Wie im Fall der geplanten Rückeroberung von Städten im Irak und in Syrien gibt es auch für solche Operationen Erfahrungswerte. In seinem Buch Kill Chain hat Andrew Cockburn diesen Ansatz als »Schlüsselfiguren-Strategie« (kingpin strategy) bezeichnet. 

Die Strategie wurde zunächst in den latein- und zentralamerikanischen Drogenkriegen der 1990er Jahre erprobt; nach dem 11. September 2001 wurde sie um den Einsatz von bewaffneten Drohnen und Spezialeinheiten erweitert. Ziel war es, Drogenkartelle und später Terrorgruppen von oben nach unten zu zerschlagen, durch die Ausschaltung ihrer Führungsfiguren. Cockburn weist nach, dass die Ergebnisse dieser Strategie sowohl im Fall der Drogenkriege als auch in dem des Anti-Terror-Kampfes durchgehend verheerend gewesen sind. Drohnen haben sich als erstaunlich wirksam erwiesen, was die »Ausschaltung« der obersten Führungskräfte von Terrorgruppen, ihrer Stellvertreter und anderer einflussreicher Figuren aus diesen Organisationen angeht – doch die Ergebnisse sind denkbar betrüblich. Durch Drohnen und Überfallkommandos unter Druck gesetzt, haben Terrorgruppen (wie vor ihnen die Drogenkartelle) ihre verstorbenen Anführer schlichtweg durch jüngere, oft aggressivere Personen ersetzt. Derweil hat die Zahl der Anschläge zugenommen und die Gruppen haben sich – weit davon entfernt, zu kollabieren – nicht nur im gesamten Großraum Mittlerer Osten ausgebreitet, sondern auch tief in Afrika Fuß gefasst. Drohneneinsätze, die mit umfassenden »Kollateralschäden« einhergehen, einschließlich der Tötung zahlreicher Kindern, haben die von ihnen betroffenen Gesellschaften terrorisiert und sich damit als ideales Rekrutierungsmittel für die expandierenden Terrorgruppen erwiesen. 

So haben die zunächst noch, unter Bush, auf recht unkoordinierte Weise, seit Obama jedoch mit hohem Organisationsaufwand durchgeführten Drohnenattentate in Pakistan, Afghanistan, Jemen, Irak, Syrien, Libyen und Somalia Führungsfiguren getötet und sich dabei zugleich als funktional für die Expansion der von diesen Figuren geleiteten Terrororganisationen erwiesen. Sie haben also keinen Krieg gegen den Terror dargestellt, sondern einen für den Terror. Führt man sich die Expansion der Terrorgruppen vor Augen, einschließlich der steigenden Zahl von »Ablegern« des Islamischen Staats, dann liegt es auf der Hand, dass die gut vierzehn Jahre sich wandelnder amerikanischer Strategien und Militärtaktiken – vom Einsatz von Spezialeinheiten bis hin zu Drohneneinsätzen, und von vollgültigen Einmärschen bis hin zur Zerstörung von Städten – beständig eine schreckliche Entwicklung nach der anderen herbeigeführt und einen Großteil der Region in den Abgrund gerissen haben. 

Doch so sehr das auch alles auf der Hand liegen mag: Lauscht man den Worten von Verteidigungsminister Carter, dann ist es frappierend, wie wenig davon bis nach Washington durchzudringen scheint. Wie sonst soll man das Ausbleiben jeglicher ernstzunehmenden Neujustierung des amerikanischen Vorgehens erklären? Die einzige Debatte, die stattfindet, ist die zwischen den Mitgliedern der Obama-Regierung, einschließlich des Präsidenten selbst, die eine wie auch immer geartete schleichende Ausweitung des Militäreinsatzes befürworten, und ihren republikanischen Kritikern, die ein umfassenderes und spektakuläreres Vorgehen fordern. Mit anderen Worten: Wir werden 2016 einige weitere Runden des allzu Vertrauten erleben, verbunden mit der Erwartung, dass das Ergebnis diesmal doch ein anderes sein könnte. Da das keine sehr realistische Erwartung ist, können wir die nächste Reihe zukünftiger Schlagzeilen einfach aus der Vergangenheit übernehmen; es genügt, gegebenenfalls den Namen der terroristischen Führungsfigur zu ersetzen: »›Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel‹ erklärt Tod von [Namen ergänzen] infolge von US-Drohneneinsatz«; »USA: Nummer Zwei des IS durch US-Drohneneinsatz im Irak zu Tode gekommen«; »Delta-Force-Spezialeinheit tötet führenden IS-Funktionär [Name ergänzen] in gewagtem Syrien-Einsatz«; »Pentagon erklärt: Hochranginger Al-Qaida Führer bei Drohneneinsatz getötet« – und so weiter, mehr oder weniger ad infinitum.

Der Bogen der Instabilität

Kürzlich hörte ich, in Gedanken noch bei Ashton Carters Strategie für »Stabilität«, in einem Nachrichtenbericht eine Formulierung, die mir schon länger nicht mehr begegnet war. Ein Journalist sprach – ich glaube, auf dem Radiosender NPR – über den kürzlich von al-Qaida im Maghreb durchgeführten Terroranschlag auf ein Hotel in Burkina Faso – ein bis dahin vergleichsweise stabiles westafrikanisches Land –, bei dem mindestens 30 Menschen starben, darunter zahlreiche AusländerInnen. Der Journalist erwähnte einen sich erweiternden »Bogen der Instabilität« in der Region. In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends gebrauchten Funktionäre der Bush-Regierung und die sie unterstützenden Neokonservativen regelmäßig diese Formulierung, um den Großraum Mittlerer Osten, also das Gebiet zwischen Pakistan und Nordafrika zu beschreiben. Merkwürdigerweise verschwand diese Formulierung in den Jahren nach dem Einmarsch in den Irak und war auch während der Amtszeit Obamas kaum zu hören, als die verheerende Intervention in Libyen, vom Präsidenten koordinierte Drohnenattentate und weitere Aktionen dazu beitrugen, den Großraum Mittlerer Osten tatsächlich in einen »Bogen der Instabilität« zu verwandeln. 2002 und 2003 wäre kaum vorstellbar gewesen, wie die Region heute vor scheiternden oder gescheiterten Staaten strotzt, von Afghanistan und Syrien bis Libyen, Jemen und Mali. 

Der Irak ist vielleicht kein vollgültig gescheiterter Staat. Es handelt sich aber auch schwerlich um ein richtiges Land, eher um eine Art dreigliedriges Gebilde. So haben sich die Dinge bisher entwickelt, und so werden sie sich offenbar auch weiterhin entwickeln, wenn die USA, wie schon 2015, weitere 23.000 Bomben und tausende anderer Waffen in der Region einsetzen – oder das Ausmaß ihrer Intervention sogar noch steigern, was angesichts des Krieges gegen den Islamischen Staat und des daraus sich ergebenden Drucks in Richtung einer schleichenden Einsatzausweitung wahrscheinlich erscheint. Wir können natürlich nicht wissen, welcher Staat als nächstes scheitern wird. Wir können aber davon ausgehen, dass wir solange dieselben Ergebnisse sehen werden (womöglich in gesteigerter Form), wie Obamas Strategie – und die Anschlussstrategie von Hilary Clinton, Ted Cruz, Donald Trump oder Marco Rubio – beinhaltet, weiterhin dasselbe zu tun wie bisher (oder sogar noch mehr davon). Infolgedessen werden sich die vorhersagbaren Schlagzeilen ähneln, während Staaten auf verschiedene Weisen zerfallen und der Islamische Staat, Gruppen wie al-Qaida im Maghreb sowie neu gegründete Terrorzellen inmitten des Chaos Fuß fassen. 

In dem Fall wird es genügen, Schlagzeilen aus der jüngeren Vergangenheit geringfügig anzupassen: »IS richtet in [Names des Landes ergänzen] ›kleine Nester‹ ein, rivalisiert dabei mit al-Qaida«; »Islamischer Staat weitete Machtbasis in [Name des Landes] durch Kooptierung lokaler Jihadisten aus«; und so weiter. Inmitten des deprimierend Vorhersagbaren gibt es natürlich auch viele Unbekannte. Wir haben vor allem überhaupt keine Vorstellung davon, was es zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte bedeutet, eine ganze Region – Stadt für Stadt, Land für Land – in so etwas wie einen riesigen gescheiterten Staat zu verwandeln und dann auch noch die Ruinen zu bombardieren. Wie sollen wir uns ausmalen, was in einer Welt wie der unseren aus dem Schutt einer solchen Region hervorgehen könnte – aus einem Bogen der Instabilität, der weit umfassender ist als alles, womit wir es seit dem Zweiten Weltkrieg zu tun gehabt haben? Ich möchte die Schlagzeilen, die eines Tages mit einer derartigen Situation einhergehen könnten, nicht vorhersagen. Welche Überraschungen aber auch auf uns warten mögen, die bloße Aussicht auf eine solche Zukunft kann einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. 

Der Artikel erschien zuvor in The Nation. Aus dem Englischen von Max Henninger