nen. Der Neoliberalismus verliert schon seit langem an Legitimation. Die Krise demonstriert nun, dass er selbst gemessen an den eignen ungerechten Maßstäben schlecht funktioniert. Er war die kapitalistische Antwort auf die wachsenden demokratischen Bewegungen und die Krise der 1960er und 70er Jahre. Mit der gegenwärtigen Krise wird deutlich, dass die damals artikulierten – vorübergehend unterdrückten und verrückten – Ansprüche und Begehren noch immer unabgegolten sind, wieder eingeklagt werden. Schließlich ereignet sich diese Wirtschafts- und Finanzkrise in einer Situation, in der die kapitalistische Produktionsweise an ihre ökologischen Grenzen stößt, sie selbst die materiellen Bedingungen ihrer Reproduktion zerstört.
Wie sind die Reaktionen auf die Krise? Was folgt auf die Krise?
Die Reaktionen variieren, abhängig von den Verhältnissen, Regierungen, dem Druck der Bevölkerung. Die britische Regierung rettet Banken mit enormen Summen öffentlichen Geldes, ohne jede öffentliche Mitsprache, während die chinesische Regierung auch direkte Investitionen in den ärmsten Regionen tätigt, um den inneren Markt zu entwickeln und wachsende Spannungen zu zerstreuen (wie auch zu unterdrücken). Regierungen Lateinamerikas unternehmen in der Krise weitere Schritte, um ihre regionale Integration zu befördern, um ihre Autonomie und die Grundlagen für ein stärker solidarisches als marktgetriebenes Entwicklungsmodell zu stärken.
Die US-Regierung, die deutlicher bereit ist, in die Wirtschaft zu intervenieren, um Arbeitsplatzverluste zu begrenzen, als etwa die britische Regierung, zeigt genau wie diese keinerlei Bereitschaft, die Banken einer öffentlichen Kontrolle zu unterstellen. Es besteht angesichts der Konjunkturpolitik Chinas die Möglichkeit, dass die Achse Wall-Street/Cityof-London bestehen bleibt, der Finanzsektor sich konsolidiert, mit weniger aber größeren Banken, ein vorsichtigeres, aber weitgehend unverändertes – strukturell instabiles – business as usual verfolgt wird. Nicht nur in Großbritannien wird die Krise zunehmend als Krise der öffentlichen Haushalte thematisiert – eine Verkehrung von Ursache und Wirkung. Nicht nur in Großbritannien ist allerdings auch das Bewusstsein für die negativen Folgen dieses Finanzkapitalismus gewachsen. Überall deuten Umfragen auf breite Mehrheiten für die stärkere Besteuerung der Vermögenden anstatt von Kürzungen der öffentlichen Ausgaben. Problematisch ist die Abwesenheit politischer Akteure, die willens und in der Lage sind, die Unzufriedenheit mit dem Gegebenen entsprechend aufzunehmen. Wie ist die Situation der Linken? Wie agiert sie? Die Linke hat eine seltene Gelegenheit. Es gibt breite Debatten über das Versagen dieses Kapitalismus und eine Offenheit für die Suche nach Alternativen, vor allem in der jüngeren Generation. Doch die Niederlagen der Vergangenheit haben ihre Spuren hinterlassen und die alte Linke hat ihre Grenzen. Diejenigen, die seit den 1970er Jahren aktiv geblieben sind, haben ihre innovative Fähigkeit angesichts veränderter gesellschaftlicher Realitäten verloren.
Die Netzwerke jüngerer Aktivisten aus den globalisierungskritischen Bewegungen müssen erst noch ihren Weg finden, ihre Organisationsformen in wirksame neue politische Institutionen zu transformieren. Denn die multiplen Krisen bringen die Frage nach der Rolle des Staates zurück in die Debatte. Eine Transformation und Demokratisierung öffentlicher Institutionen ist notwendig, in globaler, multipolarer und in einer Mehr-Ebenen-Perspektive. Die Aufgabe besteht darin, dafür effektive politische Organisationen zu entwickeln, die Wurzeln in sozialen Kämpfen haben und mit einer hörbaren Stimme in den politischen Institutionen verbinden. Die Linke hat vielfältige Forderungen und Konzepte entwickelt – das Problem besteht darin, die gesellschaftliche und politische Macht zu formen, um sie wirksam werden zu lassen.
Was kann die Linke kurzfristig tun?
Erstens gilt es den verstärkten Bedürfnissen nach Begreifen der Zusammenhänge der Krise, des modernen Kapitalismus und der Rolle des Staates nachzukommen, Erklärungsund Deutungsangebote zu unterbreiten.
Zweitens sind Ansätze und Kampagnen eines Übergangsprogramms zu entwickeln – beschränkt und ›reformistisch‹, aber mit dem Potenzial, Räume zu öffnen für radikalere, demokratische Bewegungen, für eine Reorientierung auf soziale Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität und Kooperation statt auf diskreditierte Werte des ›Ich-zuerst‹, des Individualismus, der Konkurrenz und des privaten Reichtums. Es geht um radikale Umverteilung des Reichtums angesichts der popularen Zurückweisung der offensichtlich gewordenen Ungleichheiten. Es braucht erneuerte öffentliche Rentensysteme statt privater Eigenvorsorge, öffentlichen Wohnraum statt überschuldeter Hauseigentümer, ein Grundeinkommen statt Arbeitszwang und repressive Armutsverwaltung. Es geht um eine Vergesellschaftung des Mehrwerts, etwa durch Abschöpfung eines Teils der Unternehmensprofite zugunsten regionaler, demokratisch verwalteter Investitionsfonds (wie sie der radikale schwedische Sozialdemokrat Rudolf Meidner einst vorschlug). Es geht um eine Verteidigung des öffentlichen Sektors, die aus der Defensive kommt, seine partizipative Entwicklung und Demokratisierung betreibt, angetrieben von den öffentlichen Beschäftigten, Gewerkschaften und Organisationen der Nutzer – rein defensive Kampagnen ohne Perspektive haben wenig Chancen.
Drittens ist es notwendig, entlang dieser Linien von Übergangsforderungen Allianzen zu bilden, die über die traditionellen Gewerkschaften und linken Organisationen hinausgehen. Es geht um Einbeziehung der großen Zahl prekär Beschäftigter, der Migranten, der sozialen Bewegungen, die sich um Konsumentenrechte, kommunale Fragen, Nachbarschaftsinitiativen und ökologische Belange herum organisieren usw. Es geht darum, Verbindungen herzustellen zwischen lokalen Kampagnen auf nationaler und internationaler Ebene, Kooperationen mit Repräsentanten linker Organisationen zu etablieren und zugleich autonome Perspektiven, Bewegungen und Kämpfe zu entwickeln. Alle möglichen Antworten sind begrenzt und notwendig experimentell. Ihre Verbindung bedarf einer Kultur der Reflexion, Debatte, der fortwährenden gemeinsamen Analyse und dafür notwendiger Zeiten und Räume.
Was könnte eine langfristige – transformatorische – Perspektive sein?
Wir müssen die Organisationsfrage neu denken. Es gibt eine Mehrheit für weitgehende gesellschaftliche Veränderungen, aber sie findet in den gegebenen Institutionen und Organisationen keine Stimme. Wie können Akteure politischer Veränderung politische Repräsentationen schaffen, ohne von den zerfallenden politischen Institutionen, die immer noch die destruktive Kraft eine sterbenden Löwen haben, mitgerissen zu werden? Dies steht im Zusammenhang mit der weiteren Problematik einer ›Methodologie‹ der Entwicklung alternativer gesellschaftlicher Projekte. Ich spreche von Methoden, weil es sowohl um konkrete Utopien wie um unser Verständnis von Handeln und Handlungsfähigkeit geht, um die Anerkennung und Unterstützung unterschiedlichen Wissens, unterschiedlicher Bewegungsformen und politischer Kulturen. Dies erfordert Vernetzung, Kooperation, Unterstützung, statt hierarchischer Formen der Organisation. Ansätze dazu sind in den sozialen Bewegungen entwickelt und erprobt, ihre Grenzen und Schwachstellen breit debattiert worden.
Die Perspektive ist Demokratisierung unserer eigenen Organisationsweise. Dies ist Grundlage für eine weitergehende Demokratisierung des Öffentlichen, die an sich zuspitzende Kämpfe gegen Privatisierung und Kürzungen öffentlicher Ausgaben anknüpfen kann. Demokratische Organisation kann den popularen Kampf für eine partizipative Erneuerung des Öffentlichen befördern, als Basis für eine wirkliche Vergesellschaftung der Ökonomie. Dafür ist u.a. wesentlich, die Banken in öffentliche Institutionen umzuwandeln.
Komplementär zur Demokratisierung und Ausweitung des Öffentlichen ist die Stärkung solidarischer Ökonomien. Auch hier steht die demokratische Partizipation im Zentrum, als Grundlage für eine aktive populare Unterstützung nicht-marktförmiger Beziehungen. Die Informationstechnologien beförderten bereits eine massive Ausweitung alltäglicher nicht-marktförmiger Beziehungen durch das Herunterladen und teilen (sharing) digitaler Güter und die Vermittlung des Tauschens stofflicher Produkte oder Dienste. Nicht nur hier entstehen Keime einer Kultur und Ethik reziproker, nicht-kapitalistischer Beziehungen.
Jenseits dieser Nischen oder mit Blick auf die lokalen solidarischen Ökonomien in Lateinamerika und anderenswo bedarf es weitergehender politischer Veränderungen auf nationaler und transnationaler Ebene, um überhaupt ihr transformatorisches Potenzial zu entfalten. Von besonderer strategischer Bedeutung sind regionale Integrationsprojekte, die ein Gegengewicht zu rein marktvermittelten und von den kapitalistischen Zentren dominierten globalen Handelsbeziehungen bilden, z.B. die lateinamerikanische ALBA (mit all ihren Begrenzungen und Schwierigkeiten). Hier eröffnet sich ein Experimentierfeld für das kombinierte Wirken von progressiven Regierungen und radikalen sozialen Bewegungen, das die notwendig autonome und kreative Kraft von Arbeiter- und sozialen Bewegungen für eine fundamentale Veränderung respektiert. Dafür bedarf es neuer demokratischer und kooperativer Institutionen, auch jenseits des Nationalstaates, mithin der Transformation aller politischen Institutionen selbst.
Aus dem Englischen von Mario Candeias