Vor die Tatsache der frechen Provokation seitens der Ebert-Scheidemann gestellt, war die revolutionäre Arbeiterschaft gezwungen, zu den Waffen zu greifen. Ja, es war Ehrensache der Revolution, sofort den Angriff mit aller Energie abzuschlagen, sollte nicht die Gegenrevolution zu weiterem Vordringen ermuntert, die revolutionären Reihen des Proletariats, der moralische Kredit der deutschen Revolution in der Internationale erschüttert werden.
Der sofortige Widerstand kam auch spontan mit einer so selbstverständlichen Energie aus den Berliner Massen heraus, daß gleich im ersten Anlauf der moralische Sieg auf seiten der „Straße“ blieb.
Nun ist es inneres Lebensgesetz der Revolution, nie beim erreichten Schritt in Untätigkeit, in Passivität stehenzubleiben. Die beste Parade ist ein kräftiger Hieb. Diese elementare Regel jeden Kampfes beherrscht erst recht alle Schritte der Revolution. Es versteht sich von selbst und zeugt von dem gesunden Instinkt, von der inneren frischen Kraft des Berliner Proletariats, daß es sich nicht bei der Wiedereinsetzung Eichhorns in sein Amt beruhigte, daß es spontan zur Besetzung anderer Machtposten der Gegenrevolution: der bürgerlichen Presse, des offiziösen Nachrichtenbüros, des Vorwärts schritt. Alle diese Maßnahmen ergaben sich bei der Masse aus der instinktiven Erkenntnis, daß sich die Gegenrevolution ihrerseits bei der davongetragenen Niederlage nicht beruhigen, sondern auf eine allgemeine Kraftprobe ausgehen wird.
Auch hier stehen wir vor einem der großen historischen Gesetze der Revolution, gegen die alle Klügeleien und Besserwissereien jener kleinen „Revolutionäre“ vom Schlage der USP zerschellen, die in jedem Kampfe nur nach Vorwänden zum Rückzug haschen. Sobald das Grundproblem der Revolution klar aufgestellt worden ist – und das ist in dieser Revolution der Sturz der Regierung Ebert-Scheidemann als des ersten Hindernisses für den Sieg des Sozialismus –, dann taucht dieses Grundproblem immer wieder in seiner ganzen Aktualität auf, und jede einzelne Episode des Kampfes rollt mit der Fatalität eines Naturgesetzes das Problem in seinem vollen Umfang auf, mag die Revolution zu seiner Lösung noch so unvorbereitet, mag die Situation noch so unreif sein. „Nieder mit Ebert-Scheidemann!“ – diese Losung taucht unausweichlich in jeder Revolutionskrise auf, als die einzig erschöpfende Formel aller partiellen Konflikte, und treibt dadurch von selbst, durch ihre innere objektive Logik, ob man es will oder nicht, jede Kampfepisode auf die Spitze.
Aus diesem Widerspruch zwischen der Zuspitzung der Aufgabe und den mangelnden Vorbedingungen zu ihrer Lösung in einer anfänglichen Phase der revolutionären Entwicklung ergibt sich, daß die Einzelkämpfe der Revolution formell mit einer Niederlage enden. Aber die Revolution ist die einzige Form des „Krieges“ – auch dies ihr besonderes Lebensgesetz –, wo der Endsieg nur durch eine Reihe von „Niederlagen“ vorbereitet werden kann!
Was zeigt uns die ganze Geschichte der modernen Revolutionen und des Sozialismus? Das erste Aufflammen des Klassenkampfes in Europa: der Aufruhr der Lyoner Seidenweber 1831, endete mit einer schweren Niederlage. Die Chartistenbewegung in England – mit einer Niederlage. Die Erhebung des Pariser Proletariats in den Junitagen 1848 endete mit einer niederschmetternden Niederlage. Die Pariser Kommune endete mit einer furchtbaren Niederlage. Der ganze Weg des Sozialismus ist – soweit revolutionäre Kämpfe in Betracht kommen – mit lauter Niederlagen besät. Und doch führt diese selbe Geschichte Schritt um Schritt unaufhaltsam zum endgültigen Siege! Wo wären wir heute ohne jene „Niederlagen“, aus denen wir historische Erfahrung, Erkenntnis, Macht, Idealismus geschöpft haben! Wir fußen heute, wo wir unmittelbar bis vor die Endschlacht des proletarischen Klassenkampfes herangetreten sind, geradezu auf jenen Niederlagen, deren keine wir missen dürfen, deren jede ein Teil unserer Kraft und Zielklarheit ist.
Es ist da mit Revolutionskämpfen das direkte Gegenteil der parlamentarischen Kämpfe. Wir hatten in Deutschland binnen vier Jahrzehnten lauter parlamentarische „Siege“, wir schritten geradezu von Sieg zu Sieg. Und das Ergebnis war bei der großen geschichtlichen Probe am 4. August 1914: eine vernichtende politische und moralische Niederlage, ein unerhörter Zusammenbruch, ein beispielloser Bankerott. Die Revolutionen haben uns bis jetzt lauter Niederlagen gebracht, aber diese unvermeidlichen Niederlagen häufen gerade Bürgschaft auf Bürgschaft des künftigen Endsieges.
Allerdings unter einer Bedingung! Es fragt sich, unter welchen Umständen die jeweilige Niederlage davongetragen wurde: Ob sie sich dadurch ergab, daß die vorwärtsstürmende Kampfenergie der Massen an die Schranke der mangelnden Reife der historischen Voraussetzungen geprallt, oder aber dadurch, daß die revolutionäre Aktion selbst durch Halbheit, Unentschlossenheit, innere Schwächen gelähmt war.
Klassische Beispiele für beide Fälle sind einerseits die französische Februarrevolution, andererseits die deutsche Märzrevolution. Die heldenmütige Aktion des Pariser Proletariats im Jahre 1848 ist der lebendige Quell der Klassenenergie für das ganze internationale Proletariat geworden. Die Jämmerlichkeiten der deutschen Märzrevolution hingen der ganzen modernen deutschen Entwicklung wie eine Fußkugel an. Sie wirkten durch die besondere Geschichte der offiziellen deutschen Sozialdemokratie bis in die jüngsten Vorgänge der deutschen Revolution – bis in die eben erlebte dramatische Krise nach.
Wie erscheint die Niederlage dieser sogenannten „Spartakuswoche“ im Lichte der obigen historischen Frage? War sie eine Niederlage aus stürmender Revolutionsenergie und unzulänglicher Reife der Situation, oder aber aus Schwächlichkeit und Halbheit der Aktion?
Beides! Der zwiespältige Charakter dieser Krise, der Widerspruch zwischen dem kraftvollen, entschlossenen offensiven Auftreten der Berliner Massen und der Unentschlossenheit, Zaghaftigkeit, Halbheit der Berliner Führung ist das besondere Kennzeichen dieser jüngsten Episode.
Die Führung hat versagt. Aber die Führung kann und muß von den Massen und aus den Massen heraus neu geschaffen werden. Die Massen sind das Entscheidende, sie sind der Fels, auf dem der Endsieg der Revolution errichtet wird. Die Massen waren auf der Höhe, sie haben diese „Niederlage“ zu einem Glied jener historischen Niederlagen gestaltet, die der Stolz und die Kraft des internationalen Sozialismus sind. Und darum wird aus dieser „Niederlage“ der künftige Sieg erblühen.
„Ordnung herrscht in Berlin!“ Ihr stumpfen Schergen! Eure „Ordnung“ ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon „rasselnd wieder in die Höh’ richten“ und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden:
Ich war, ich bin, ich werde sein!