Für die USA als Hegemonialmacht ist China zweifellos die zentrale Herausforderung. Sie ist für die USA dabei historisch ohne Parallele. Die USA haben, wie eingangs beschrieben, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus Sorge vor einem Rückfall in die Wirtschaftskrise („Great Depression“) das Projekt des globalen Kapitalismus entwickelt und dieses zunächst im ‘Westen’ umgesetzt.
Die USA befanden sich jedoch 1945 auf dem Höhepunkt ihrer ökonomischen und politischen Macht. Sie vereinten fast die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung auf sich, waren die Gläubigernation der ‘Siegermächte’ Großbritannien und Frankreich sowie militärische Besatzungsmacht in Deutschland, Japan und dann auch (Süd-)Korea. Die Integration gerade der letzten drei, geopolitisch für sie hoch bedeutsamen Länder in die US-dominierte kapitalistische Weltordnung – mithilfe von Wirtschaftshilfen wie dem Marshall-Plan, einseitig vorteilhaften Handelsbeziehungen etc. – war nur vor diesem Hintergrund möglich.
Die Situation ist heute eine völlig andere. Während Deutschland, Japan und (Süd-)Korea verglichen mit den USA eher kleine Länder sind, handelt es sich erstens bei China um einen Staat mit etwa viermal so vielen Menschen wie in den USA. Zweitens ist China nicht militärisch besetzt, sondern im Gegensatz zur Situation der BRD, Japan oder Südkorea in den Nachkriegsjahrzehnten ein vollkommen souveränes Land. Und drittens gelang den USA die Integration damals auf dem Höhepunkt ihrer ökonomischen, politischen und militärischen Macht, während sie heute eigentlich nur noch im militärischen und in Teilen im finanziellen Bereich unangefochtene Weltmacht sind. Ihr Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt hat sich schon seit den 1970er Jahren auf ein Viertel des globalen Bruttoinlandsproduktes verringert und verharrt seither auf diesem Niveau.
Daher ist die zentrale Herausforderung für die USA: Sie müssen verhindern, dass der wirtschaftliche Aufstieg Chinas als Werkstätte der Welt die US-Dominanz in der Weltordnung untergräbt. Die regionalen Integrationsbemühungen Chinas im eurasischen Raum (Shanghai Organization, Asia Cooperation Dialogue, Chiang-Mai-Initiative etc.) werden von den USA deswegen mit Sorge verfolgt. Bereits dieSchon die Regierung von Obama hatte dem größten Konkurrenten darum mit einer Kontinentalblockade gedroht. Die Kombination aus Ressourcenarmut, hohen Wachstumsraten und durch Xi Jinpings Binnenmarktorientierung nur ansatzweise verringerter Exportorientierung macht Chinas Wirtschaftsmodell extrem abhängig vom Ausland und von der Seewegroute Südchinesisches Meer–Straße von Malakka–Persischer Golf, über die rund vier Fünftel des chinesischen Außenhandels abgewickelt werden. Und es ist auch diese Außenabhängigkeit, die China zu seiner geoökonomisch-imperialen Politik – Landgrabbing in Afrika, zahlreiche Handels- und Wirtschaftsabkommen mit südamerikanischen Staaten, die auf Extraktivismus setzen – zwingt. China verfügt seit diesem Jahr nun auch über eine erste Militärbasis auf dem afrikanischen Kontinent (in Dschibuti). Gleichwohl ist es bis heute einer politisch-militärischen Konfrontation mit den USA und dem ‘Westen’, die es nur verlieren könnte, systematisch aus dem Weg gegangen ist und hat sich auf seine kluge, aber auch viele politische und soziale Verwerfungen produzierende Außenwirtschaftsdiplomatie konzentriert.
So oder so: Die chinesische Außenabhängigkeit ermöglicht es den USA indes, China mit ihrer eigenen militärischen Präsenz in Ostasien mit dem Untergang zu drohen. Die Botschaft lautet letztlich: Wir können Euer Land ökonomisch abwürgen und den ethnisch-bürgerkriegsähnlichen Zerfall eures Landes vorantreiben, wenn es dann zu Verteilungskonflikten zwischen den wirtschaftlich erheblich ungleichen Provinzen und Ethnien kommen sollte und die sozialen Bedürfnisse der mehr als 200 Millionen Wanderarbeiter*innen nicht mehr befriedigt werden können. Die Chinapolitik der USA zielt damit auf eine Einbindung Chinas durch Eindämmung ab.
Chinas 900 Milliarden Euro teure „neue Seidenstraße“ ist entsprechend wiederum auch als ein Vehikel zu verstehen, mit dem das „Reich der Mitte“ einer drohenden Kontinentalblockade über den Landweg zu entgehen versucht. Gleichwohl unterhalten die USA – von Afghanistan über Zentralasien bis zum Kaukasus und den Vorderen Orient – hier ein Netz von Militärbasen, das allerdings politisch durchaus fragil ist.
Die Herausforderung, die China für die USA darstellt, kann – neben den vorhandenen, guten Geschäftsbeziehungen von Teilen der Trump-Administration (inklusive Außenminister Rex Tillerson) zu Russland – auch als ein zentraler Grund angesehen werden, warum die USA zwar die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten sowie einige Maßnahmen gegen die “nicht-faktenbasierte“, russische Auslandspropaganda ergriffen und eben auch in Syrien symbolisch gegen Russland operiert und Stärke demonstriert haben, warum aber zugleich die aktuelle Regierung den Konflikt mit Russland vorerst nicht verschärft (siehe dazu auch Erhard Crome in dieser Online-Sonderausgabe). Denkbar ist, wie bereits angemerkt, dass nach den diversen Kriegsdesastern im Mittleren Osten in den USA unter Trump der Zustand der eigenen Staatsmachtressourcen realistischer eingeschätzt wird als zuvor und dass jenseits einer neuen Aufgaben- und Lastenverteilung im NATO-Bündnis auf eine relative Aussöhnung oder zumindest auf ein temporäres Einfrieren des Konflikts mit Russland gesetzt wird, um somit den mit China verbundenen Herausforderungen besser gerecht werden zu können. Faktisch käme ein solcher Ansatz einer Inversion der Nixon’schen Asienpolitik von 1972 gleich. Damals söhnten sich die USA mit China aus, um ihre Kräfte auf die Vernichtung der Sowjetunion zu konzentrieren, die unter US-Präsident Ronald Reagan schließlich mit dem von ihm forcierten Rüstungswettlauf totgerüstet wurden.
Seine aggressive Haltung gegenüber China jedenfalls kann Trump zweifellos gut und glaubwürdig vertreten. Dabei ist sie auch ein nützliches Herrschaftsmittel. Mit seiner antichinesischen Rhetorik vermag Trump China (und Mexiko, Deutschland und Japan) auch für die soziale und politische Krise im Inland verantwortlich machen, die ihn zusammen mit der in den USA stark ausgeprägten Anti-Freihandels und Anti-Establishment-Stimmung überhaupt erst ins Amt gebracht hat. Es steht nämlich außer Zweifel, dass Trumps gegen die Gewerkschaften und Interessen der Arbeiterklasse gerichtete prokapitalistische Wirtschaftspolitik die Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, den weiteren Rückgang der Reallöhne und die nochmalige Verschärfung der sozialen Ungleichheit seit Beginn der Krise nicht eindämmen wird. Im Gegenteil: Seine Politik wird diese Krise weiter verschärfen. Entsprechend ist das erfolgreiche Ablenken von den wahren Krisenursachen, indem das Ausland – China, Mexiko oder die „bad Germans“ (Donald Trump) – zu Sündenböcken erklärt werden, auch eine Voraussetzung für die Legitimität seiner Regierung.
Mit dieser Herrschaftspolitik in posthegemonialen Zeiten steht Trump jedoch nicht allein. In umgekehrter Richtung profilieren sich auch Politiker*innen in Deutschland und Westeuropa auf Kosten von Trump und den USA und versichern sich und ihre Wähler*innen die eigene moralische Überlegenheit. Damit soll wohl darüber hinwegtäuscht werden, wie schal das Gerede von den ‘westlichen Werten’ angesichts der sozialen Zerstörungen der Austeritätspolitik in Südeuropa, der NATO-Kriegspolitik oder der mörderischen Grenzpolitik der EU, inklusive des EU-Türkei-Deals gegen aus Syrien geflohene Menschen, geworden ist.
In der Tat scheint es eben ein gängiges Mittel der Politik geworden zu sein, mithilfe scharfer ‘populistischer’ Kritik an anderen Staaten und ausländischen Politiker*innen die eigene Position zu stärken, während man zugleich – jenseits der eigenen Rhetorik und jenseits der Aufmerksamkeit der Journalist*innen und der in ständiger Empörung verharrenden sozialen Massenmedien – politics und das heißt vor allem business as usual betreibt. Trump, Merkel, Erdoğan, Kaczynski und die britischen Konservativen, die allesamt gegen die EU gewettert haben, sind sich hierbei ähnlicher, als sie glauben.
Ein gefährliches Vabanquespiel bleibt diese Praxis indes dennoch. Der ‘Brexit-Unfall’ der britischen Tories zeigt, wie man sich auf diese Weise populistisch verzocken kann. Und beim Brexit waren im Gegensatz zur laufenden, globalen Militarisierung nicht einmal Waffen im Spiel, die aus einem Krieg der Worte auch schnell einen Krieg der Waffen machen können.
[1] Die Vordenker dieser systematischen Entpolitisierung der (politischen) Ökonomie waren Friedrich August Hayek, James Buchanan sowie Milton Friedman. Ihre seit den 1940er Jahren entwickelten Ideen wurden in den 1970er Jahren zunehmend umgesetzt, etwa mit der Erklärung der Unabhängigkeit der Zentralbanken (von demokratischer Kontrolle).
[2] Vgl. hierzu ausführlich am Beispiel der USA: Solty, Ingar: Die USA unter Obama: Charismatische Herrschaft, soziale Bewegungen und imperiale Politik in der globalen Krise, Hamburg 2013, 15-71.
[3] Gemeint sind hier unter anderem der Arabische Frühling von 2011, der Israelische Frühling von 2011, der Wisconsin-Aufstand gegen die neuen republikanischen Gouverneure von der Tea-Party-Bewegung, die Occupy-Wall-Street-Bewegung und die Massenstreikbewegung im Niedriglohnsektor in den USA 2011 unter dem Label “Fight for 15 and a Union”, die Massenbewegungen der Indignados und anderer gegen die Austeritätspolitik der Troika in der EU 2011ff., der kanadische Ahornfrühling von 2012 und die chilenische Studierenden- und Demokratiebewegung von 2012/13. Vgl. hierzu näher Solty, Ingar: Is the Global Crisis Ending the Marriage of Capitalism and Liberal Democracy: (Il-)Legitimate Political Power and the New Global Anti-Capitalist Mass Movements in the Context of the Internationalization of the State, in: Lakitsch, Maximilian (Hg.), Political Power Reconsidered: State Power and Civic Activism between Legitimacy and Violence, Peace Report 2013, Berlin u.a. 2014, 161–204, https://www.academia.edu/5322626/Is_the_Global_Crisis_Ending_the_Marriage_of_Capitalism_and_Liberal_Democracy_Il-_Legitimate_Political_Power_and_the_New_Global_Anti-Capitalist_Mass_Movements_in_the_Context_of_the_Internationalization_of_the_State
[4] Für ihre zahlreichen Reden vor der Wall Street verdiente Clinton im Schnitt rund 225 000 US-Dollar, was es ihr zweifellos erschwerte, Volksnähe unter Beweis zu stellen.
[5] Vgl. hierzu näher Solty, Ingar: „Donald Trump – ein amerikanischer Faschist? Legitimationskrise, Repräsentationskrise und rechter Populismus in den USA“, in: Sozialismus, 43. Jg., H.1/2016, S.2-7 (online: www.academia.edu/19949631/Donald_Trump_-_ein_amerikanischer_Faschist_Legitimationskrise_Rep%C3%A4sentationskrise_und_rechter_Populismus_in_den_USA_Donald_Trump_American_Fascist_Legitimation_Crisis_Representation_Crisis_and_Right-Wing_Populism_in_the_United_States_) sowie ders.: „Wie konnte der herrschende Block die Kontrolle verlieren? Zu den Ursachen des Triumphs von Donald Trump in der US-Präsidentschaftswahl“, in: Sozialismus, 43. Jg., H.12/2016, S.2-12, online: www.academia.edu/30151210/Wie_konnte_der_herrschende_Block_die_Kontrolle_verlieren_Zu_den_Ursachen_des_Triumphs_von_Donald_Trump_in_der_US-Pr%C3%A4sidentschaftswahl_How_Did_the_Power_Bloc_Lose_Control_On_the_Origins_of_Donald_Trumps_Triumph_in_the_2016_U.S._Presidential_Election_
[6] So war Außenminister Rex Tillerson von 2006 bis 2016 Geschäftsführer des Erdölkonzerns ExxonMobil, während auch Trumps Energieminister Rick Perry, früher Gouverneur von Texas, engste Kontakte mit der Erdöl- und Gasindustrie unterhält. Er gehört seit 2015 dem Vorstand von Energy Transfer Partners, einem der größten Kapitalanleger in den USA, an. Zu dem riesigen Netz aus Öl- und Gaspipelines, die der Konzern betreibt, gehört die Dakota Access Pipeline, deren legislative und politisch-polizeiliche Durchsetzung im Januar 2017 gegen den Widerstand von Ureinwohner*innen und Umweltschützer*innen zu den ersten Amtshandlungen von Trumps Regierung zählte. Trump verfügte zudem mit verschiedenen Exekutivanordnungen (vom 28. Februar, 28. März und 28. April 2017) die Rücknahme von Auflagen zum Schutz von sensiblen Wasserschutzzonen, die der Öl- und Gasförderung sowie der Verklappung von Energieindustrieabfällen in Flüssen und im Grundwasser im Weg stehen.
[7] www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/pdf_2017_06/20170629_170629-pr2017-111-en.pdf
[8] Der Durchschnitt der aggregierten Werte aller wichtigen Umfrageinstitute zwischen 17. Juni und 16. August 2017 liegt laut RealClearPolitics bei 39 Prozent Zustimmung und 55,6 Prozent Ablehnung. Kein Präsident vor ihm hat so frühzeitig die 40-Prozent-Schallmauer nach unten durchbrochen.
[9] Nach Angaben einer Studie der Wirtschaftswissenschaftler Emmanuel Saez und Gabriel Zucman wuchs auch unter Obama konnten die obersten 0,1 Prozent – das sind 160 000 Privathaushalte mit einem Durchschnittsvermögen zwischen 20,6 und 72,8 Millionen US-Dollar – ihren Anteil am US-Gesamtvermögen während Obamas erster Amtsperiode nochmals von 19 auf 22 Prozent steigern, während der Anteil der untersten 90 Prozent der US-Bevölkerung unter Obama einen nochmaligen Rückgang des eigenen Anteils von 25 auf 23 Prozent erlebte (vgl. hierzu näher Emmanuel Saez u. Gabriel Zucman, „Wealth Inequality in the United States since 1913: Evidence from Capitalized Income Tax Data“, National Bureau of Economic Research Working Paper No. 20625 (October 2014), online: gabriel-zucman.eu/files/SaezZucman2016QJE.pdf).
[10] Vgl. hierzu näher Solty, Ingar: Exportweltmeister in Fluchtursachen: Die neue deutsche Außenpolitik, die Krise und linke Alternativen, herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Reihe Studien, Berlin 2016, www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Studien/Studie_05-2016_Exportweltmeister.pdf
[11] So sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende Mai 2017 in ihrer Bierzeltrede, dass „wir Europäer (…) unser eigenes Schicksal in die Hand nehmen“ müssten und fand schnell ein Echo. Bundesaußenminister und SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel betonte, dass mit Trump „[d]er Westen gerade etwas kleiner“ geworden sei, weil, wie SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ihm beipflichtete, die USA unter Trump für „Isolationismus staat internationale Kooperation“ stünden. Und daraus, so die neoliberal-imperialen Kräfte weiter, leite sich eben die „neue Verantwortung“ in der Welt ab. „Wenn Amerika wackelt“, so der Bündnis 90/Die Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir, „müssen wir stehen.“
[12] Vgl. hierzu näher Solty, Ingar: Die China-Politik der USA zwischen Einbindung und Eindämmung, in: Das Argument 1-2/2012, 69–81, www.academia.edu/2532270/Die_China-Politik_der_USA_zwischen_Einbindung_und_Eind%C3%A4mmung_U.S._Foreign_Policy_Towards_China_Between_Integration_and_Containment_
[13] Zum Begriff und zur Kritik des Populismus der neoliberalen ‘Mitte’ vgl. Solty, Ingar/Werner, Alban: Der indiskrete Charme des Linkspopulismus, in: Das Argument 2/2016, 273–285, www.academia.edu/2560368/Ingar_Solty_and_Alban_Werner_Der_indiskrete_Charme_des_Linkspopulismus_The_Indiscreet_Charme_of_Left-Wing_Populism_