Antifaschistische Politik muss breite Bündnisse schließen, um unsere Republik zu verteidigen. Sie darf sich aber nicht zum Anhängsel sozialliberaler und konservativer Kräfte machen lassen. Der Postfaschismus nährt sich aus Verzweiflung, schlagen lässt er sich nur durch Hoffnung. Um zu gewinnen, brauchen wir einen flankierenden sozialen und kulturellen Antifaschismus. Ausgehend von den breiten Mobilisierungen gegen die AfD sollten wir mit dem Aufbau eines sozialen Bündnisses beginnen. 


Manchmal stockt mir der Atem. Ich lese, dass 37 Prozent der Ostdeutschen meinen, unser Land sei in einem gefährlichen Maße überfremdet (Decker/Kiess/Brähler 2023, 10). Im Westen sind es 23 Prozent (Decker u.a. 2022, 46). Ich lese, wie Friedrich Merz als Gesicht eines sich radikalisierenden Konservativismus (vgl. Strobl 2021) brachial Stimmung macht gegen Geflüchtete, gegen die Verdammten dieser Erde, die angeblich Zahnpflegeleistungen auf Kosten der Einheimischen erschleichen. Er teilt und will herrschen. 

Ich lese, dass AfDler und andere Rechte jüngst Pläne ausheckten für die millionenfache Deportation unserer Mitbürger*innen. Björn Höcke sagte bereits vor fünf Jahren: „Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein groß angelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein. Und bei dem wird man (…) nicht um eine Politik der ‚wohltemperierten Grausamkeit‘ (…) herumkommen.“ (Höcke 2018, 254) Ich erinnere mich an Nord- und Südkreuz, an rechtsradikale Netzwerke in Verwaltung, in Polizei und Armee, an ihre Mordlisten. Aber ich lese auch, wie die Ampelregierung Schützenhilfe leistet, indem sie Hoffnungen zerstört, indem ihre Politik sich Hand in Hand mit den Konzernen gegen die Schwächsten wendet und Sozialleistungen kürzt. Sie tritt nach denen, die den gefährlichen Weg über das Mittelmeer zu uns geschafft haben. Und sie verfolgt eine Klimapolitik, die die soziale Spaltung und die Existenzsorgen der unteren Hälfte verschärft. So hat sie dazu beigetragen, dass die Rechten stärker werden konnten und auch Klimapolitik an Zustimmung verloren hat.

Das alles macht mir Angst. Mit der AfD ist eine nationalradikale Partei entstanden, in der ein kaum noch kaschierter modernisierter Faschismus mit Rechtskonservatismus und autoritärem Neoliberalismus koexistiert. Sie alle verbindet der antipluralistische Glaube, allein das Volkswohl gegen verräterische Eliten zu vertreten (auch wenn in ihrer Führungsgruppe Kleinbürger*innen, Manager und Unternehmer*innen den Ton angeben), und ihre Abwertung von Geflüchteten und Zugewanderten, die als Belastung, Bedrohung, als äußerer und innerer Feind betrachtet werden. 

„Das Volk“ ist in dieser Denkweise das Volk als Nation: Immer schon da, verbunden über Herkommen und Abstammung, und ähnlich wie im klassischen Faschismus permanenten Bedrohungen ausgesetzt, vor denen es verteidigt und erneuert werden muss (vgl. Griffin 2019, 40-45). Die Findigen sprechen von einer ethnisch-kulturellen Einheit, die in ihrer Reinheit und daher in ihrer Existenz bedroht ist (vgl. de Benoist 2008, 46f., Wildt 2017), die weniger Eleganten reden von der Rasse. 

Warum gerade jetzt?

Die Erfolge der AfD und der Bedeutungsgewinn ihrer Ideologie lassen sich nicht mechanisch erklären. Die Menschen schlagen sich nicht auf ihre Bäuche (Thompson 1979, 71), weil das Geld fehlt, und streben dann an die Wahlurnen, um rechts zu wählen. Genau so wenig wählt nur rechts, übernimmt nur faschistische Ideen, wer immer schon rechts war. Um die Erfolge der AfD zu verstehen, muss man Wechselwirkungen zwischen Prägungen und Einstellungen, zwischen sozialen und politischen Krisen unserer Zeit und auch dem Kampf und der kreativen Arbeit politischer Kräfte in Betracht ziehen.

Sozialwissenschaftler*innen haben über Jahrzehnte rechtspopulistische und rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung dokumentiert, gerade Marxist*innen haben das Zusammenspiel zwischen Klassenlage und Leiderfahrungen auf der einen Seite, autoritären, rassistischen und antisemitischen Verarbeitungsweisen auf der anderen Seite zum Thema gemacht (vgl. etwa Dörre 2021). Der Neoliberalismus hat in der Tat ein soziales Klima geschaffen, das neue Rechte nutzen konnten. 

Die neo- und postfaschistischen Bewegungen lassen sich deshalb als „Wundmale“ (Adorno 2019, 18) einer oligarchischen und autoritär umgebauten Demokratie verstehen (vgl. Balibar 1993, 30), in der Ungleichheit, Armut, Unsicherheit und Kapitalmacht, aber auch Abschottung gegen Geflüchtete und Standortnationalismus von etablierten Parteien gefördert wurden. Politische Orientierungen einfach aus sozialen Leiderfahrungen abzuleiten, davor haben Forscher*innen in der Regel aber gewarnt. Einige Prekäre mögen sich nach rechts wenden, weil sie ihre Lage als Demütigung erfahren – aber das tun längst nicht alle. 

Die postfaschistische Bewegung gewinnt ihre Anhänger*innen aus allen Klassen und sozialen Schichten, sie geht weit über den kleinbürgerlichen Massencharakter des alten Faschismus (Adorno 2019, 14) hinaus. „Der wahre Populist kümmert sich um alle – nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit: Den Armen bietet er ab und zu ein wenig kostenlosen Fisch, der Mittelklasse den Kühlschrank, in dem sie die Reste aufbewahren kann, und der Oberschicht den Teich, wo sie alle anderen gegen Gebühr fischen lassen kann.“ (Murgia 2019, 72)

Statt nach der einen Ursache zu suchen, ist es hilfreicher zu fragen, unter welchen Bedingungen eigentlich rassistische Einstellungen zu rassistischer Meinungsäußerung und gewaltsamer Handlungsbereitschaft werden; wann Dinge, die vorher nur gedacht wurden, nun auch gesagt werden; wie aus Skepsis gegenüber Migrant*innen Angst werden kann. Zwei Dinge sind in diesem Zusammenhang wichtig: Zum einen schwinden in Zeiten von Krisen und Stress Toleranzreserven: „In jeder Krisensituation schrumpft unsere Toleranz gegenüber dem, was anders ist als wir selbst, zieht sich der Identitätszirkel enger um uns zusammen. Was in besseren Tagen toleriert werden konnte, gar Neugier und Sympathie weckte, verfällt dann fortschreitend panischer Verfremdung.“ (Dahmer 2009, 125) Zum anderen repräsentieren Parteien nicht nur das, was bereits da ist. Sie schaffen auch eine eigene Gedankenwelt, fördern Gedanken und Ideen und fordern andere heraus – ihr schierer Erfolg wirkt wie eine Bestätigung der eigenen Ideologie. Diese andauernde ideologisch-kulturelle Arbeit kann nicht nur das Alltagsbewusstsein verändern, sie verändert auch, was denk- und sagbar ist. Hegemonial ist man, wenn der Gegner die eigenen Argumente auf den Lippen trägt, könnte man Gramsci zuspitzen. Wenn der alte NPD-Slogan „Das Boot ist voll“ zum Leitsatz der Asyldebatte geworden ist, der Christ- und Sozialdemokraten ebenso leicht über die Lippen geht wie Sahra Wagenknecht, dann spricht das für die Hegemonie der nationalradikalen Rechten.

Faschisierung?

Die AfD ist zum Anker eines nationalradikalen Lagers geworden, das unterschiedlichen rechten Kräften ein Zuhause bietet (Heitmeyer/Freiheit/Sitzer 2020, 102f.). Sie festigt ein Lager, das für eine autoritäre, gewalttätige und rassistische Wende kämpft. Hier tummeln sich radikale Konservative und autoritär-rassistische Neoliberale wie Alice Weidel. Insgesamt aber ist die AfD und damit das gesamte Lager in den vergangenen Jahren unter dem Einfluss der Postfaschisten um Björn Höcke nach rechts gerückt.

Postfaschist*innen beanspruchen nicht in der Tradition des klassischen Faschismus zu stehen (anders etwa als Gruppen wie der III. Weg), sie versuchen sogar – ob glaubwürdig oder nicht– sich andere politische Herkünfte anzueignen. Bekannt ist etwa der Bezug auf die Konservative Revolution. Der Postfaschismus ist kein Übergangsphänomen, sondern der Versuch, den Faschismus unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts zu modernisieren (Traverso 2019, 11). Aus Blut und Boden werden z.B. Kulturgemeinschaft und Überlebensraum, aus offener Demokratieverachtung das Versprechen auf eine durch die radikale Rechte (wieder)hergestellte Volkssouveränität. Gleichzeitig finden sich Merkmale des klassischen Faschismus, etwa der Fokus auf Bewegung und Militanz, der radikale Antisozialismus, Antiliberalismus und der Nationalismus, mit der die Gewalt „gegen die Anderen“ legitimiert wird. 

Der Postfaschismus entfaltet eine wahnhafte Weltsicht, die aber Sinn stiftet. Sie bietet den Menschen Wärme, Zugehörigkeit und zur Kameradschaft deformierte Solidarität (Negt 1987, 69). Dreh- und Angelpunkt ist ein „Opfersein“ gegenüber Kräften, die man nicht kontrollieren kann, und gegenüber Menschen, die angeblich unverdient im Vorteil sind – und die Auflehnung gegen all das.

Themen, die Postfaschist*innen aufgreifen, sind nicht völlig beliebig, aber sie beweisen eine gewisse Flexibilität. Immer aber dient ihre Kritik dazu, die Verdorbenheit der Republik aufzuzeigen und ihre Feinde als Feinde zu markieren. Deutsche sind heute etwa Opfer des großen Austauschs (Murgia 2019, 40). Es ist die Vorstellung, dass sozialistische Eliten Muslime und andere Migrant*innen nach Deutschland holen, um die Nation und das Volk zu zerstören. Oder dass eine ökologisch-ideologisch verbohrte Elite gezielt den Wohlstand der Deutschen, ihre Industrie und auch Lebensweise zerstört (Quent, Richter, Salheiser 2022, 18). 

Wir stecken mitten in einer Faschisierung, deren Geschwindigkeit wir kaum abschätzen können (vgl. Opratko 2023). Die Faschisierung der 1920er gleicht nicht der der 2020er. Aber die Elemente, wenn auch noch nicht voll entwickelt, sind da. Eine große Minderheit der Volksklassen hat sich tief von der herrschenden politischen Elite entfremdet. Der Nationalismus wird von Union und FDP, Teilen der Sozialdemokratie, der Grünen und dem neuen BSW befeuert. In größeren Teilen der Bevölkerung ist er im Alltagsbewusstsein verankert. Die Postfaschist*innen greifen auf, spitzen zu. Ihre Parolen von der Nation, die vor dem großen Austausch zu schützen ist, können wie Brandbomben wirken, weil es bereits knistert. 

In den 1920ern haben Rechtskonservative und Monarchist*innen die Faschisten an die Macht gebracht. Heute hören wir Debatten innerhalb von CDU/CSU darüber, ob in Bund und Ländern mit der AfD kooperiert werden sollte – kommunal gibt es das längst. Diese Auseinandersetzungen sind entscheidend: Gelingt es der AfD über den demokratischen Weg zuerst in die Regierung und dann an die politische Macht im Staat zu kommen, um am Ende die parlamentarische Demokratie beseitigen zu können? 

Und auch die Gewaltbereitschaft ist da, am Rande von Pegida und als Phantasie mitten drin. Sie zeigt sich in den Mordlisten der Verschwörer in Armee und Polizei, in den Bildern von Galgen, an denen Ampelpolitiker hängen. In den Brandanschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte und Wohnungen von Migrant*innen, in den Morden in Hanau, in Kassel, an all den Orten, an denen die Republik versagt hat, ihre Bürger*innen zu schützen. 

Für einen republikanischen Antifaschismus

Wir haben also keine Zeit zu verlieren. Deshalb ist es gut und wichtig, wenn Menschen sich gegen rechts organisieren und gemeinsam gegen die AfD auf die Straße gehen. Wir brauchen einen republikanischen Antifaschismus, der breite Bündnisse schmiedet, der auch um Teile der Christdemokratie und der Liberalen ringt, der gemeinsam mit ihnen die Republik verteidigt, die uns als Sozialist*innen nicht genügt. Einen Antifaschismus, der Freiheit, politische und soziale Rechte verteidigt und daran arbeitet, den Raum des Sagbaren in Richtung der extremen Rechten zu verkleinern.

Das setzt ein positives Verhältnis zur Republik voraus, einen linken Republikanismus. Die Demokratie, sagte der austromarxistische Theoretiker Otto Bauer, ist die Form, unter der das Bürgertum herrscht. Aber sie tut es unter politisch-rechtlichen Bedingungen, unter denen die Arbeiter*innenbewegung sich frei organisieren, entfalten und bilden, Druck für ihre Forderungen ausüben kann (Bauer 2017, 90ff.) Diese Republik ist unter kapitalistischen Bedingungen stets halbiert, weil die bürgerliche Eigentumsform immer zu starker Ungleichheit und auch zur Ballung wirtschaftlicher und damit antidemokratischer wirtschaftlicher Macht führt. (Abendroth 2017, 18f.).

 Der linke Republikanismus will darum die Eigentums- und Besitzverhältnisse verändern. Erst durch die Schaffung eines umfassend sozial schützenden, eines die Macht der Arbeiter*innen stärkenden Sozialstaates, und durch die Demokratisierung der Wirtschaft, ist eine ganzheitliche Demokratie und Republik möglich, in der das Volk selbst bestimmt. Volkssouveränität in diesem Sinne kann es daher nur in einer sozialistischen Gesellschaft geben (Bauer 2017, 178). Im Mittelpunkt eines solchen sozialistischen Republikanismus stehen die radikaldemokratische Idee des politischen Bürgerseins, des Bürgers als aktivem Menschen, der diese Gesellschaft gestalten kann (Balibar 2016, 241f, Mouffe 2018, 77), und das Ideal der Gleichheit. Deshalb ist die Verteidigung auch der halbierten Republik unerlässlich, droht doch die Zerstörung der Zivilgesellschaft und die Beseitigung bürgerlicher Freiheiten, die wir zwar als ungenügend kritisieren, aber bewahren wollen. Es stimmt, dass wir uns im Kampf gegen die radikale Rechte nicht einfach auf den Staat verlassen können – Errungenschaften müssen wir aber verteidigen und die im Grundgesetz verankerten Rechte, die sowohl einen demokratischen Weg zum Sozialismus als auch einen wirkungsvollen Kampf gegen Faschist*innen ermöglichen, nutzen.

Der republikanische Antifaschismus muss die Demokratie verteidigen, unsere Bürger*innen, die eine Einwanderungsgeschichte haben, zugleich aber die Vielfalt unserer Lebensweisen, die Errungenschaften des Feminismus, der Gewerkschaftsbewegung, der LGBTQ-Bewegung, die die Rechten so hassen. Wer nicht gemeinsam mit Sozialdemokrat*innen und Grünen, und ja, auch mit Christdemokrat*innen (deren Politik wir scharf kritisieren), gegen die Faschisten kämpfen will, wer ihre Politik für ähnlich rechts erklärt wie die der AfD, wird den Unterschied möglicherweise schmerzhaft lernen, wenn wir alle gemeinsam in den Lagern der Postfaschisten sitzen. Ich gebe zu: Das ist nicht einfach. Das betroffene Gesicht von Kanzler Scholz, der auch während der Schröder-Regierung daran beteiligt war, Millionen Menschen in Armut und soziale Unsicherheit zu befördern, mag manchem schwer erträglich sein. Und wen beschleicht kein Unbehagen dabei, gemeinsam mit denen auf die Straße zu gehen, die sogenannte „Rückführungsgesetze“ im Bundestag beschließen und das Asylrecht weiter aushöhlen?

Wir sollten dennoch ein Auge für die Auseinandersetzungen zwischen Christdemokrat*innen, auch zwischen Liberalen, haben, deren Ausgang nicht vorentschieden ist. Hans-Georg Maaßen und Friedrich Merz sind nicht Ruprecht Polenz oder das liberale CDU-Mitglied im Stadtrat, das gegen Rassismus auftritt. Ich möchte keinen von ihnen an der Regierung sehen – aber ich möchte eine Annäherung der Union an die AfD verhindern. Ob das gelingen kann, ist durchaus ungewiss. 

Für einen sozialen Antifaschismus

Wir sollten diesen republikanischen Antifaschismus mit Leben füllen, aber er allein wird nicht reichen, um den Faschismus zu schlagen. Der Faschismus nährt sich aus Verzweiflung und Hass. Deshalb müssen wir zugleich eine starke soziale antifaschistische Bewegung aufbauen, die die Rechte bekämpft, indem sie für eine soziale und ökologische Wende eintritt – für bessere Löhne und anständige Renten, für einen starken Sozialstaat, für wirksamen Klimaschutz in sozialer Verantwortung, für eine humane Asyl- und Einwanderungspolitik, gegen Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus, für die gründliche Verfolgung rechter Verschwörer*innen in Verwaltung, Polizei und Armee. Es ginge um zwei Dinge gleichzeitig: Die oben erwähnten sozialen Stressbedingungen, die die Toleranzreserven zum Schwinden bringen und den Rechten den Weg bereiten, sollen abgebaut werden, um zugleich eine Auseinandersetzung für echte soziale und ökologische Wendepunkte zu beginnen, die das Leben von Millionen verbessern würde.

Wir sollten den sozialen Antifaschismus ins Zentrum unserer Bündnisarbeit rücken, bundesweit und vor Ort. Das bedeutet gerade nicht auf die Mitarbeit in breiten Bündnissen gegen den Faschismus zu verzichten. Unser republikanischer Antifaschismus darf aber nicht zum bloßen Anhängsel des Ökosozialliberalismus werden. Im Gegenteil, nur dann, wenn wir in der Lage sind, eine eigenständige Bewegung für eine soziale und ökologische Wende aufzubauen, werden Demokratie und Republik für die Menschen anziehend, die heute verunsichert sind, schwanken und Gefahr laufen, an das postfaschistische Lager verloren zu gehen. Für die Republik, ja – aber eben für eine, die den Niedriglohnsumpf ausgetrocknet, in der Rentner*innen keine Flaschen mehr sammeln müssen, die das Klima wirksam schützt und – ja – ausreichend Geld in die Hand nimmt, um in den Kommunen auch die Voraussetzung zu schaffen, dass Geflüchtete angemessen untergebracht und integriert werden können.

Möglicherweise ließe sich ein antifaschistisches Bündnis für eine solche soziale und ökologische Wende ausgehend von den jüngsten Demonstrationen aufbauen, möglicherweise müsste es diese ergänzen – denkbar ist auch, dass Kräfte, die einen sozialen Antifaschismus wollen, im Rahmen dieser Proteste sichtbar auftreten. Ein wichtiger Schritt könnte die gemeinsame Debatte über zentrale Wendepunkte sein, die wir brauchen.

Den Faschismus werden wir schlagen, wenn wir ein politisches Projekt begründen, das Hoffnung macht und eine echte Alternative bietet, zur ökoliberalen Verwaltung der Krise wie auch zum erstarkenden Postfaschismus. Entstehen kann es im gemeinsamen Kampf für einen sozialen Antifaschismus. Warum nicht einen Cross-Over-Prozess beginnen zwischen Anhänger*innen verschiedener Parteien, Gewerkschafter*innen und Klimaaktiven – all denen, die ähnliche Sehnsüchte und Ziele haben? Aus diesem Austausch könnte eine gesellschaftliche Bewegung für einen politischen Richtungswechsel entstehen.

Wir müssen gegen die AfD kämpfen, natürlich – aber am besten, indem wir gleichzeitig gemeinsam für eine wirkliche soziale und ökologische Republik organisieren, in unseren Gewerkschaften, in unseren Städten und Dörfern, in den Schulen und Universitäten, im Kleingartenverein und im Betrieb. Es kämpft sich besser gegen eine Sache, wenn man gleichzeitig ein Ziel hat, das begeistern kann. Wir brauchen die greifbare soziale und ökologische Utopie, für die auch Menschen bereit sind auf die Straße zu gehen, die schwanken.

So durchkreuzen wir auch das politische Spiel derjenigen, die die Innen-Außen-Spaltung hochtreiben und zum zentralen Thema der öffentlichen Diskussion machen. Natürlich müssen wir erklären, wie genau Menschen, die Asyl suchen und einwandern, Teil unserer Gesellschaft werden sollen. Am Ende ist aber auch das eine Verteilungs- und Klassenfrage – der Ausstattung von Kindertagesstätten, von Schulen, von Öffentlichen Verwaltungen, und nicht zuletzt einer gemeinsamen gewerkschaftlichen Organisierung der multiethnischen Arbeiter*innenklasse, die heute bereits in Deutschland lebt. Der soziale Antifaschismus könnte dafür sorgen, dass wir über die Mutter aller politischen Probleme diskutieren, statt über Folgeprobleme – über die grotesk ungleiche Verteilung von Vermögen und die politische (Über-) Macht der Konzerne und des großen Geldes, die unsere Demokratie aushöhlen. 

Für einen kulturellen Antifaschismus

Die Postfaschist*innen und radikalisierten Konservativen führen einen Kulturkampf, aus dem viele Linke desertieren wollen. Ihr Argument: Der Kulturkampf nutzt nur Rechten und (Sozial-) Liberalen und schwächt die Linke, weil er moralisch polarisiert und dazu führt, dass nicht mehr über nötige Ausgaben für den Öffentlichen Dienst, über Armutsbekämpfung oder Lohnpolitik geredet wird. 

Bei genauem Hinsehen ist das Argument nicht stichhaltig. Verblüffend ist eher, wie es den Postfaschist*innen, Konservativen oder Seeheimer-Sozialdemokraten gelingt, gleichzeitig über Arbeitsmarkt, Investitionspolitik und Innere Sicherheit (Überwachen und Strafen), über Migration und Identität, über Lebensweisen und Lebensstile zu sprechen und dabei Herz und Verstand, Kopf und Gefühle von Menschen anzusprechen. Stuart Hall hat früh auf diese Fähigkeiten der damals neuen Rechten am Beispiel des englischen Neoliberalismus hingewiesen (Thatcherismus). 

Thatcher und Co. haben sich nicht darauf beschränkt über Wirtschaft zu sprechen, sondern redeten zugleich virtuos über Moral und kulturelle Fragen (zusammenfassend Hall 1990, 27f4.). Menschen ohne Moral und Kultur gibt es nun mal nicht und deshalb müssen Moral und Kultur auch von links politisiert werden. Auch und gerade ein linker Antifaschismus muss attraktiv sein. Führend und anziehend auf größere Teile der Bevölkerung kann nur werden, wer sich nicht als Außenseiter*in, als Vertreter*in randständiger Sonderinteressen und Menschen darstellt, sondern als Anwält*in der (vielfältigen) Mehrheit (vgl. Smucker 2019). 

Rechte (und Teile der ehemaligen Linken) waren in den letzten Jahren sehr erfolgreich, die Linke – mit Unterstützung privater Medienkonzerne – als abgehobene Elite darzustellen, intolerant und egoistisch. Dies wurde geschickt mit der Rede vom gesunden Menschenverstand verbunden, mit der Feindseligkeit gegenüber Einwanderung und Geflüchteten, der Verbitterung über angeblich faule Erwerbslose und dem Ekel gegenüber ökologischen Moralisten.

Die Postfaschist*innen werden wir nur herausfordern, wenn wir einen solidarischen und radikalen Humanismus greifbar machen, eine Kultur des Miteinanders und des Gemeinwohls, des republikanischen Universalismus und des Internationalismus, der Gleichheit und ökologischen Sicherheit. Ihre Moral und unsere – wir wollen, dass jeder jemand sein kann und ein gutes Leben führen kann, sie wollen, dass etliche nichts sein können. Wir werden nicht gewinnen, wenn wir die grundlegenden Werte der postfaschistischen (aber auch der konservativen oder ökoliberalen) Politik nicht klar benennen, wenn wir sie nicht widerlegen und eigene Antworten auf die Probleme geben, die sie aufwerfen – ohne Alltagsphilosophie von links gewinnt die Alltagsphilosophie von rechts.