Die Partei Die Linke befindet sich in einer paradoxen Situation: Obwohl die Krisen des Kapitalismus täglich größer und drängender werden, schwindet ihre Bedeutung in der Gesellschaft. Und obwohl es nach jahrelanger lähmender Selbstbeschäftigung zur Abspaltung gekommen ist, blieb der erhoffte Befreiungsschlag bisher aus. Tausende machen sich seitdem auf und treten der Partei bei, doch sie verliert bei den Wahlen erschreckend an Zustimmung. Diese Entwicklung gipfelte nun in einem historisch schlechten Ergebnis von 2,7 Prozent bei den Europawahlen.  

Es ist vor diesem Hintergrund zu wenig, zu sagen, das schlechte Ergebnis sei auf eine zu geringe Medienpräsenz oder das Auftreten des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) zurückzuführen (wie in der Wahlanalyse dieser Stiftung beschrieben wird). Diese sind unbestritten weitere Gründe für das Ergebnis, sie erklären aber nicht die tiefste Krise der Partei seit ihrer Gründung. Auch von einem „Imageproblem“ zu sprechen (Horst Kahrs), greift zu kurz. 

Die Linke steht vor Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern, die eine weitere Abwärtsdynamik einleiten könnten. In Sachsen und Brandenburg steht die Existenz im Landtag auf dem Spiel, in Thüringen entscheidet das Abschneiden der Partei darüber, ob es zu einer Zusammenarbeit der CDU mit der rechten AfD oder einer gänzlich neuen Regierung mit dem BSW kommen könnte. Die Wahl in Thüringen wird zum bundesdeutschen Härtefall, bei dem auch die Linke vor schwierigen Entscheidungen steht, die der Bundespartei nicht egal sein können.

Die Lage ist ernst und die Partei steht zugleich unter enormem Zeitdruck, sich auf einen gemeinsamen Kurs zu besinnen.

Was bisher geschah

Eine der schwerwiegendsten Ursachen für den Niedergang der Partei ist die Tatsache, dass sie seit mehreren Jahren nicht mehr auf Widersprüche und Krisen in der Welt in einer Weise reagiert, die sie im Ganzen sprechfähig macht. Die Abspaltung des BSW ist sowohl Resultat dieser Nicht-Bearbeitung der Konflikte als auch der beidseitigen Entfremdung vor dem Hintergrund eines Machtkampfes in der Partei. Die Abspaltungstendenzen haben sich mit den Jahren verschärft: beginnend mit 2015 (Migration), 2019 („Klima-Wahl“), 2020ff (Corona), 2022 (Angriffskrieg auf die Ukraine und Zeitenwende) und schließlich die daraus resultierende Energie- und Lebenshaltungskostenkrise. 

Die Vielstimmigkeit in diesen Großkrisen liegt zum einen daran, dass Beschlüsse häufig Formelkompromisse waren und sich dennoch von vielen Seiten nicht daran gehalten wurde. Versuche etwa, an einem Einwanderungsgesetz zu arbeiten oder eine kohärente Position zur Impfpflicht zu entwickeln, scheiterten. Hier und dort sprach man sich entgegen der Beschlüsse für Waffenlieferungen aus. Von anderen europäischen Linksparteien lässt sich lernen, dass es für Positionen in solchen komplexen Feldern einen Prozess braucht, der im Anschluss auch Legitimität genießt. Diesen Prozess gab es auch aufgrund der Gemengelage mit mehreren Machtzentren (Parteivorstand, Fraktion, Landesvorsitzende und -regierungen) nicht.

Hinzu kommen vier globale Bewegungen, die die Partei weder intellektuell noch strategisch erfasst hat: die geopolitischen Blockverschiebungen, die in Handelskriegen und Migrationsströmen münden; die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen aufgrund der Klimakatastrophe, die Veränderung der Produktions- und Lebensweise, die sich besonders in der Arbeitswelt und der Deindustrialisierung zeigt; sowie eine Entfremdung von demokratischen Institutionen und politischen Parteien schlechthin. Vor dem Hintergrund dieser weitreichenden Umwälzungen haben es Stiftung und Partei versäumt, auch hier kohärente Positionen zu entwickeln. Anders ist nicht zu erklären, dass die Partei in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik teils sich widersprechende Positionen einnimmt, ein Spannungsverhältnis zwischen Anhängern von Degrowth oder Reindustrialisierung besteht und die Partei von einem Mitgliederentscheid zum Bedingungslosen Grundeinkommen und erbitterten Gegnern des Konzepts durchzogen ist. Eine Partei kann und muss Widerspruch in ihren Reihen aushalten und bearbeiten können. Liegen zu viele davon quer zueinander, zerreißt es sie.

»Ohne analytische Klarheit neigt die Partei zum Aktionismus und legt jede Woche einen neuen Aktionsplan vor, der in der realen Welt keine Rolle spielt.«

Meine These ist, dass alle großen Linien politisch endlich bearbeitet werden müssen. Ihre Nicht-Bearbeitung führt dazu, dass die Forderungen der Partei wie unverbunden wirken und sie bei allen relevanten gesellschaftlichen Themen zu diffus und still wirkt. Ohne analytische Klarheit neigt die Partei zum Aktionismus und legt jede Woche einen neuen Aktionsplan vor, der in der realen Welt keine Rolle spielt. Die Stiftung hat hier die wesentliche Aufgabe, durch ein intellektuelles Vorfeld für analytische Klarheit zu sorgen.

Die verbindende Klassenpolitik ist gescheitert, der Aufbau Ost aber auch

Ein weiterer organisationspolitischer Prozess ist seit Jahren zu beobachten: die Partei verliert im Osten an Substanz, während sie im Westen mittlerweile jenseits der Stadtstaaten zu den Kleinstparteien gehört. Es ist deshalb einerseits wichtig, ältere kommunalpolitische Bastionen im Osten zu halten und das Erfahrungswissen der Genossinnen und Genossen an die jüngeren Generationen zu übertragen, etwa durch Patenschaften, Schulungen im Ausbildungsprogramm der Partei (eine Reaktivierung der politischen Bildung!) und vor allem eine gemeinsame politische Praxis wie sie derzeit in Sozialsprechstunden, Küchen für alle oder gemeinsamer Arbeit im Kommunalparlament existiert und ausgeweitet werden kann.

Es ist andererseits für die Bundestagswahl absolut unstrittig, dass Kreisverbände mit Potenzial im Westen aufgebaut und unterstützt werden müssen. Eine kluge und erhaltende Oststrategie sollte eine aufbauende Weststrategie, wie sie Daphne Weber fordert, selbstverständlich ergänzen. Sich auf die urbanen Zentren allein zu fokussieren, wird aber der Realität der Partei nicht gerecht, in der eben auch von Bürgermeisterinnen in Kleinstädten gelernt werden kann, wie man Mehrheiten gewinnt. Zumal eine einseitig auf urbane Zentren ausgelegte Strategie die Genossinnen und Genossen in der Fläche zurücklassen würde. 

Ich denke, wir brauchen außerdem eine gründliche Auswertung der in den letzten Jahren verfolgten Strategie, die unter dem Label der „verbindenden Klassenpolitik“ zusammenläuft und die besonders Bernd Riexinger, die Strategieabteilung beim Parteivorstand und auch die Stiftung vorangetrieben haben. Der Schwerpunkt dieser Strategie liegt auf dem Dienstleistungsbereich, weil hier die größten Potenziale der Linken liegen (vgl. Candeias 2024). Hier muss zum einen gefragt werden, warum die Potenziale nicht ausgeschöpft werden, also was Menschen insbesondere aus den prekären Klassen daran hindert, die Linke zu wählen. Daraus müsste sich eine Nichtwählerstrategie ableiten. Immerhin verlor die Linke an diese Gruppe 380.000 Stimmen bei der Europawahl.

Zum anderen muss man nach über zehn Jahren aber auch fragen, ob diese Ausrichtung allein ausreichend ist. Die Potenzialanalysen haben eine schwindende Verankerung in der Breite der Klasse zum Teil verdeckt (Ulrike Eifler) und einen Kurs bestätigt, der auch dazu führte, dass die Linke selbst in ihrem Kernsegment der sozialen Gerechtigkeit an Vertrauen verlor. „Die Schwäche der verbindenden Klassenpolitik blieb, dass ihr praktisch nicht gelungen ist, eine integrative Perspektive zu öffnen, in der wir als Partei beispielsweise eine proletarische Klimapolitik oder eine proletarische Migrationspolitik von unten entwickelt hätten. Zum Teil zumindest wurzelt auch darin die Krise unserer Partei“, schreibt auch Thomas Goes dazu selbstkritisch.

Hier ist die Frage, was Klassenpolitik vor allem in der Praxis bedeutet. Meinem Eindruck nach spricht die Partei sehr oft über die Klasse, sie spricht seltener mit der Klasse und noch viel weniger versteht sie sich als Teil der Klasse. Statt sich auf einzelne Wählersegmente zu konzentrieren, braucht es eine Bestimmung dessen, was das Ziel einer sozialistischen Partei ist und wen sie zu vertreten beansprucht. Sie kann sich anschließend einen Kopf machen, welche Wähler*innensegmente sie wie ansprechen möchte, um dieses Ziel zu erreichen.

Konkrete Schritte für einen Kurswechsel

Die Tiefe der Krise verlangt nach einem ebenso tiefgreifenden Umbau in der Art und Weise, wie diese Partei arbeitet, wenn sie als Partei überleben will. Tut sie es nicht, verliert die gesellschaftliche Linke auf Jahre einen Kristallisationspunkt, die Ressourcen der Rosa-Luxemburg-Stiftung werden kleiner und jede Perspektive auf ein anderes Wirtschaftssystem wird über Jahre verstellt sein. 

Es reicht in dieser Lage nicht, gegen rechts zu sein oder das BSW für nicht links zu halten. Zu einem Kurswechsel gehört die Bestimmung dessen, welche Rolle eine sozialistische Partei in diesem Parteiensystem unter den Bedingungen verschärfter Konkurrenz einnehmen soll. Wenn sich die Analyse bestätigt, dass Die Linke einem neoliberalen Zentrum gegenübersteht, das durch Kürzungspolitik und Militarisierung den Boden für den Aufstieg der Rechten bereitet, dann bildet die Linke einen eigenen, noch sehr schwachen dritten Pol. Diese Konstellation macht ein Mitte-Links-Bündnis auf Bundesebene vorerst unmöglich. Eine Reformregierung, wie sie Jan Schlemermeyer vorschlägt, wäre in diesem Moment der existenziellen Schwäche das Todesurteil.

Es wird also in den kommenden Jahren darum gehen, auf Bundesebene als Opposition sowohl zum neoliberalen Zentrum als auch nach rechts zu agieren und zugleich wieder ein eigenes Profil und Stärke zu gewinnen. Im Erfurter Programm ist trotz der schwierigen Umstände der Partei, die als Sammlungsbewegung begann, ein marxistischer Grundsatz eingeschrieben, nach dem sie einen universalen Anspruch auf Befreiung verteidigt, den die anderen Parteien nie hatten oder aufgegeben haben. Ebenso verhält es sich mit einem unverbrüchlichen Klassenstandpunkt, den keine der anderen Partei einnimmt, weil sie mehr oder weniger eindeutig Bündnisse mit den Kapitalinteressen eingehen. Als Partei vertritt sie also die Interessen der breiten Mehrheit und richtet ihr Tun danach aus. Das ist das Einzigartige dieser Partei und auch der Grund, warum es sie weiterhin braucht. Es ist dieses Ziel, aus dem sich alle strategischen Entscheidungen, alle inhaltlichen Forderungen und auch der Politikansatz und der Aufbau der Organisation selbst ableiten sollten.

Strategische Eindeutigkeit 

In einem Debattenbeitrag stellt Thomas Goes heraus: „Eine wenigstens von großen Mehrheiten geteilte sozialistisch-demokratische Strategie gibt es nicht.“ Diese Beobachtung trifft insofern zu, als das Ringen um die strategische Ausrichtung seit Jahren vor allem als Machtkampf auf Parteitagen ausgetragen wurde. Ich denke, genau diese mehrheitlich getragene Strategie sollte aber der Anspruch sein, wenn die Partei nicht weiter zerrissen werden will. Wendet sie sich an die Breite der Gesellschaft, ergibt sich daraus auch, dass es nicht reicht, sich implizit oder explizit auf ein bestimmtes Milieu auszurichten, weil das kurzfristig Wahlerfolge bringen könnte. Das Europawahl-Ergebnis zeigt, dass eine aufs progressive Wahllager ausgerichtete Strategie nicht ausreicht: Die Zugewinne von etwa 40 000 Stimmen ehemaliger Wähler*innen der Grünenreichen nicht annähernd an die Verluste an das BSW und die Gruppe der Nichtwähler*innen heran (zusammengenommen fast 1 Million Stimmen). Politisch hat kaum jemand je behauptet, es ginge nur darum, Grünen-Wähler*innen zu erreichen. Aber man muss feststellen, dass die Wahlstrategie mit dem Spitzenteam und der Spitzenkandidatur um Carola Rackete diesen Eindruck erzeugt hat. 

Umso wichtiger ist, dass die Partei selbst sich Klarheit über ihre strategische Ausrichtung verschafft und daraufhin auch das Personal bestimmt, nicht anders herum. Janis Ehling beschreibt in einem Debattenbeitrag die beiden Optionen zwischen einer linksliberalen und einer eher klassenpolitischen Ausrichtung. Ähnlich beschreiben Judith Dellheim, Gabi Zimmer, Michael Brie und Dieter Hausold die Konfliktlage im nd und werben für den klassenpolitisch-sozialistischen Weg. In der Tat gibt es für beide Ansätze Argumente und europäische Erfolgsmodelle. 

Ich halte den linksliberalen Weg langfristig nicht für tragfähig in unserem Parteiensystem, da die Klassenbasis insgesamt neben SPD und Grünen zu klein ist. Vielmehr aber halte ich diese Ausrichtung für politisch fatal, weil ein großer Teil der arbeitenden Klasse insbesondere in der Fläche aufgegeben wird. In die spannungsvolle Geschichte der Linken ist diese aber eingeschrieben und wird ohne Not den anderen Parteien oder der politischen Frustration überlassen. Zentrale Aufgabe der Linken ist es, sich nicht auf unterschiedliches Milieus zu reduzieren, sondern in ihrem Tun deutlich zu machen, dass die zentrale Spaltungslinie zwischen Arbeit und Kapital verläuft, und diese Klassenauseinandersetzung zuzuspitzen. Wie das Buch „Triggerpunkte“ von Steffen Mau u.a. zeigt, erkennen Menschen über verschiedene Klassensegmente hinweg Ungleichheit als ein großes Problem, dass sie auch in ihrem Alltag beschäftigt. Es ist Aufgabe Der Linken, dieser Realität einen politischen Ausdruck zu verleihen und den Widerstand im Alltag zu organisieren.

Programmatische Klarheit

Die Welt hat sich seit der Verabschiedung des Erfurter Programms grundlegend verändert. Eine Partei muss in der Lage sein, in einem gemeinsamen Prozess auch schwierige Fragen von Krieg, Krisen, Migration und Naturzerstörung zu bearbeiten. Ein Grundsatzprogramm entwickelt sich nicht an einem Tag und viele haben zurecht Bedenken, dass marxistische oder friedenspolitische Grundsätze über Bord geworfen werden könnten. Da eine sozialistische Partei jedoch auf der Höhe der Zeit agieren muss, wird sie nicht umhinkommen, in den kommenden Jahren einen Prozess einzuleiten, der sie wieder in diese Lage versetzt. Dieser Prozess ist zugleich ein Bildungsprozess für die vielen neuen Mitglieder.

Für den Bundestagswahlkampf steht an, zu den entscheidenden gesellschaftlichen Fragen Positionen zu entwickeln, die breit in der Partei getragen werden und von denen heraus alle Beteiligten wieder sprechfähig werden. Diese Funktion erfüllt der Leitantrag, der programmatische Schwerpunkte enthalten muss und der dem breit getragenen Wunsch nach Fokussierung Rechnung tragen sollte. Aus meiner Erfahrung im Wahlkampf sind das die Themen soziale Gerechtigkeit und Frieden. 

Die Forderungen für den Bundestagwahlkampf, also konkrete Maßnahmen, die am Leben und an den Alltagssorgen der Menschen anknüpfen und trotzdem einen transformatorischen Anspruch haben, sollten sich auch aus dem Leitantrag ergeben, müssen sich aber am echten Leben messen lassen. Mit je mehr Menschen wir darüber in den kommenden Monaten ins Gespräch kommen, desto besser lässt sich überprüfen, welche Forderung die Menschen auch wirklich bewegt. Auch hier gilt, je näher an der Wirklichkeit, desto besser.

Organisationspolitische Erneuerung – Anders als die anderen

Die oben angeführten strategischen Entscheidungen sollten in organisationspolitische Konsequenzen münden, wenn es die Partei mit sich selbst ernst meint. Auch Thomas Goes fordert einen „organisationspolitischen Kassensturz“. Dazu gehört die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass sich mehrere Machtzentren in der Partei ausbilden, die zum Teil unterschiedliche Interessen vertreten. Der kommende Parteivorstand muss zum strategischen Zentrum der Partei werden, aus dem die Impulse für die Wahlkampfstrategie, für den Prozess der programmatischen Klarheit und auch Schritte für den weiteren Parteiaufbau organisiert werden. Dazu gehört, ihn strömungspolitisch und regional breiter als zuletzt aufzustellen und ihm dadurch mehr Legitimation in der Gesamtpartei zu verschaffen. Eine enge Zusammenarbeit mit der Bundestagsgruppe und den Landtagsfraktionen ist unabdingbar.

Aus meiner Erfahrung mit den verschiedensten Kreisverbänden zeigt sich, dass die Partei dringend einen Ansatz der revolutionären Freundlichkeit in der eigenen Organisation verfolgen muss, um auch nach außen hin glaubwürdig für eine solidarische Gesellschaft zu stehen. Dazu gehört eine gemeinsame Kultur von Festen und Aktivitäten jenseits der notwendigen Sitzungen. An Infoständen wie an Haustüren gilt gleichermaßen: heraus in die Welt! Wir sollten als Organisation dazu einladen, bei uns mitzumachen. In der konkreten Praxis etwa bei Sozialsprechstunden und der Bundesarbeitsgemeinschaft „Die Linke hilft“ erleben wir täglich, wie groß der Zulauf und das Interesse der Mitglieder ist, ins praktische Arbeiten zu kommen.

Die Idee, die Partei als aktive Mitgliederpartei aufzubauen, hatte bei der Zusammenführung der beiden Parteistränge mit ihren sehr unterschiedlichen Traditionen ihre Berechtigung, bestärkte aber zugleich den Trend zu einem bestimmten Aktiventypus, der den Ton angibt. Hier ist zu fragen, wie insbesondere arbeitende Menschen aus den Sektoren, die Die Linke eigentlich ansprechen will, stärker in das Parteileben eingebunden werden können und sich die Partei breiter aufstellt, sei es durch Vorfeldorganisationen und Aktivitäten der Linken, die auch ohne Mitgliedschaft eine Anbindung ermöglichen, durch eine Quote für Arbeiter*innen auf Wahllisten und Parteitagen (wie sie die belgische Partei der Arbeit praktiziert) oder weniger Sitzungen und schriftliche Anträge.

Dem Trend, dass sich eine Funktionärs- oder Aktivistenkaste herausbildet, die mit dem Rest der Parteibasis nur noch wenig zu tun hat, muss man durch Maßnahmen begegnen. Aus der Tradition der kommunistischen Parteien heraus haben sich Begrenzungen der Mandatsgehälter und eine gemeinsame Praxis in der Partei als erfolgreich erwiesen, damit Abgeordnete und Mitarbeiter*innen einer Partei den Boden des echten Lebens nicht verlassen. Hier sind Sozialsprechstunden und Abgaben, auf die sich Abgeordnete selbst verpflichten, ein Baustein, um den eigenen Forderungen auch in der alltäglichen Arbeit Ausdruck zu verleihen. Es bedeutet, nah an den Alltagssorgen der Menschen zu sein und eine Glaubwürdigkeit auszustrahlen, die andere Parteien nicht haben können.

All diese Ansätze sind in vielen Gliederungen der Partei bereits angelegt, sie kommen aber bundespolitisch noch nicht zum Tragen, weil die Selbstbeschäftigung und der Streit der letzten Jahre diese Praxis weitgehend verschüttet haben. Hier gilt es, die Schätze zu heben und gleichzeitig an die vielen Neumitglieder weiterzugeben. Eine Partei ohne Geschichte ist eine Partei ohne Zukunft. Die große Herausforderung ist, gleichzeitig behutsam und entschlossen einen Einigungsprozess zu vollziehen, der Der Linken aufgrund ihrer einzigartigen Geschichte versagt blieb. Es könnte der Moment sein, diesen Einigungsprozess endlich nachzuholen.

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