Gerade komme ich von einer Tagung, auf der eine russische Kollegin die Ansicht vertrat, dass die russische Regierung und insbesondere Putin faschistisch seien. Es sei die Aufgabe der Linken, jetzt internationale Brigaden zu bilden, dem Befreiungskampf der Ukrainer*innen militärisch beizustehen und – der historischen Mission der Linken gemäß – Faschisten zu töten.
Auch andersherum wurde versucht zu argumentieren, nicht genau in der Wortwahl Putins, aber doch der Tendenz nach: In der Ukraine gebe es starke faschistische und antisemitische Traditionen und der russische Angriff diene dazu, sie zu bekämpfen.
Darüber hinaus wurde – nach einem überlieferten linken Kritikmuster –, das Kriegsgeschehen auf dem Gebiet der Ukraine als Ergebnis der imperialistischen Politik des Westens erklärt. Vieles spricht dafür, dass die Politik der NATO-Erweiterung, die Bemühungen um eine EU- und NATO-Integration der Ukraine und auch manche Andeutung zu einem Regime Change in Russland den Konflikt geschürt haben. Sicherlich gibt es weitere politökonomische Gründe, etwa den geostrategischen Zugriff auf fossile Ressourcen und Landwirtschaftsflächen. Mit Verweis auf diese Aspekte wurde der Angriff als zwar völkerrechtswidrig, aber verständlich gedeutet.
Doch der Angriff ist nicht verständlich. Denn es war die russische Regierung, die den militärischen Überfall auf die Ukraine befohlen und damit gegen internationales Recht verstoßen hat – wie zuvor schon mit der Besetzung und Annexion der Ostukraine und der Krim. Es gibt kein Ziel, das erklären und rechtfertigen könnte, dass seit fast zwei Jahren Menschen um ihre Lebensperspektiven gebracht, vertrieben, verletzt, vergewaltigt und getötet werden, dass Wohnhäuser, Dörfer und Städte zerstört werden. Es kann nicht als vernünftig gelten, dass aufgrund des Krieges weltweit die Nahrungsmittelpreise steigen und der Hunger zunimmt, und dass das Kriegsgeschehen die Dynamik der Erderhitzung vorantreibt.
Dieser Krieg ist kein linkes Projekt. Eine einfache Parteinahme für eine der beiden Seiten ist keine Option – nur die Empathie und Parteinahme für die dritte Seite, die der Herrschaftsunterworfenen auf allen Seiten, in der Ukraine, in Russland und weltweit, die die Folgen zu tragen haben; Empathie für diejenigen, die den Krieg ablehnen, flüchten, desertieren. In der Ukraine gibt es eine korrupte, von Oligarchen bestimmte Regierung, es gibt Faschisten, Kriegsgewinnler; aber es gibt auch die Vielen, die ihr Leben und ihre Freiheit verteidigen wollen, auch die linken, homosexuellen oder queeren Menschen, die gegen die russische Armee kämpfen, weil sie andernfalls Schlimmes zu befürchten hätten.
Ein dünner Schein von nostalgischem Antifaschismus und Antiimperialismus, eine vage Erinnerung an den Staatssozialismus mag einigen vermitteln, Putins Handlungsweise sei irgendwie gerechtfertigt. Aber offensichtlich verfolgt Putin das Ziel, die imperiale Größe und Bedeutung Russlands wiederherzustellen. Deswegen unterstützt seine Regierung autoritäre Tendenzen in vielen Regionen, fördert den Regierungsterrorismus gegen Bevölkerungsgruppen, sabotiert demokratische Prozesse und sucht Allianzen mit rechtsradikalen Parteien in Europa. Angegriffen wird die kulturrevolutionäre Lebensweise der letzten Jahrzehnte: sozial-ökologisch, queer, demokratisch. Und zugleich ist es schwer, sich eindeutig auf die Seite der USA, der NATO-Staaten und ihrer Alliierten zu schlagen. Denn auch hier wird politisch-militärische und ökonomische Großmachtpolitik betrieben, wird die Demokratie von innen geschwächt, werden die Lohnabhängigen in die Armut getrieben, die sozial-ökologische Erneuerung sabotiert und die Öffentlichkeit antisemitisch, rassistisch und gegen sexuelle Minderheiten aufgehetzt.