In diesem Zusammenhang noch ein Wort zum Überwechseln der grünen Sozialistischen Volkspartei ins Lager der EU-Befürworter: Viele Linke haben es als einen Schock empfunden, als die Partei 1993 bei der 2. Abstimmung über den Amsterdamer Vertrag plötzlich ein „Ja“ empfohlen und sich dem Nationalen Kompromiss angeschlossen hat. Die Hoffnung der Parteispitze und vieler Mitglieder, in den Institutionen der EU für eine soziale, ökologische und friedliche Union wirken zu können, hat sich nicht bestätigt; im Gegenteil: Die EU von heute ist noch liberalistischer und militaristischer geworden. Der Kampf für wirkliche Demokratie statt Bürokratenwillkür ist daher noch wichtiger geworden. Welche Rolle spielt die EU-Kritik von rechts in Dänemark? NV: Die EU-Kritik von rechts ist ein relativ neues Phänomen. Es ist erst mit der Tolerierung der konservativ-liberalen Regierung 2001 durch die rechtspopulistische Dänische Volkspartei (DVP) richtig wahrnehmbar geworden. Diese „Kritik“ ist eine rein nationalistische, welche um die Konkurrenzfähigkeit des „Standortes Dänemark“ besorgt ist. Auch die Polemik gegen die „liberale“ Einwanderungspolitik der EU und die erneute Forderung nach einer Wiedereinführung der Grenzkontrollen nach der Schreckenstat von Toulouse ist absurd. Zur Zeit führt die DVP eine großangelegte Medienkampagne für eine Volksabstimmung über den EU-Finanzpakt. Grotesk ist dabei nicht nur, dass wir lange vor der DVP mit einer Unterschriftensammlung für ein Referendum angefangen haben, sondern auch deren Begründung: Eine Annahme des Finanzpaktes sei eine Abgabe der nationalen Souveränität Dänemarks. Auf nationaler Ebene hat die DVP aber keine Probleme damit, Kürzungen der Sozialausgaben zuzustimmen und die Kommunen zu „Haushaltsdisziplin“ aufzufordern. Nun ist die Meinung der Linksparteien besonders in Skandinavien ja geteilt: Die „Koalition der nationalen Einheit“, an der auch das finnische Linksbündnis beteiligt ist, setzt die Politik der EU um. Die Regierung auf Island bemüht sich mit dem rot-grünen Finanzminister Steingrimsson an der Spitze seit 2010 um die Aufnahme in die EU. Auch die schwedische Linkspartei fordert spätestens seit ihrem Parteitag Anfang des Jahres nicht mehr den Austritt des Landes aus der EU. Zum Positionswechsel der Sozialistischen Volkspartei (SF) in Dänemark hast Du ja bereits etwas gesagt. Wird die Einheitsliste bei ihrer konsequenten Ablehnung bleiben? N.V.: Die Vorstellung, innerhalb der EU eine soziale Politik durchsetzen zu können, ist und bleibt eine Illusion. Die gesamte EU-Konstruktion geht nicht in eine progressive Richtung. Der EU-Finanzpakt und die damit verbundene Spar-und Kürzungspolitik stellt einen Generalangriff auf die Arbeiterbewegung dar. Widerstand gegen die EU der Banken und Konzerne bedeutet deshalb heute, sich dieser Entwicklung deutlich entgegenzustellen. Auch die neue Mitte-Links-Regierung in Dänemark, in der SF mehrere MinisterInnen stellt, erkennt die Institutionen der EU und deren Politik an. Die derzeitige Ratspräsidentschaft Dänemarks setzt keinerlei Akzente in Richtung eines sozial gerechteren Europas. Nicht zuletzt geht es beim Widerstand gegen die EU auch um einen wirklichen Umweltschutz und einen demokratischen Rechtsstaat. Der 1993 ausgehandelte „Nationale Kompromiss“ beinhaltete ja, dass Dänemark auf dem Gebiet der Währungs-, Verteidigungs- und Rechtspolitik weitreichende Zugeständnisse gemacht wurden. Auch gilt die Unionsbürgerschaft nicht, was z.B. heißt, dass EU-BürgerInnen in Dänemark keine Sozialleistungen beantragen können. Es gibt immer wieder Forderungen, wie zuletzt vom kleineren sozial-liberalen Koalitionspartner, diese Vorbehalte abzuschaffen. Was ist die Position der Einheitsliste? N.V.: Sämtliche Untersuchungen und alle Abstimmungen nach 1993 belegen, dass die Mehrheit der DänInnen sehr zufrieden mit den Vorbehalten ist und diese erhalten will. Das Problem ist, dass Dänemark zwar den Euro nicht eingeführt hat, aber trotzdem die gleiche Politik führt, wie sie auch in den Ländern der Eurozone praktiziert wird. Die bürgerliche Vorgängerregierung hat mehrmals versucht, die Vorbehalte abzuschaffen. Wir treten demgegenüber für eine Ausweitung der Vorbehalte ein, was ein klares Nein zu einer EU-Interventionsarmee und eine Rückkehr zu einer humanen Flüchtlings- und Asylpolitik beinhaltet. Wie bewertest Du die politische Situation in Dänemark? Was können wir von den Protesten und Streiks in Griechenland, Spanien und anderswo lernen? N.V.: Der Regierungswechsel hat nichts Grundlegendes geändert. Die sozialdemokratische Regierungschefin Thorning-Schmidt unterstützt die Politik Merkels und Sarkozys voll und ganz. Auf dem Gipfel der Wirtschafts- und Finanzminister wurde nun eine „Firewall“ i.H.v. knapp 90 Mrd. Euro für den Europäischen Stabilitätsfond beschlossen. Dieses Geld muss natürlich wieder reinkommen. Also sollen wieder, wie bei den Rettungsschirmen für Banken ArbeiterInnen und sozial Schwache die Zeche zahlen. Die sozial-liberale Wirtschaftsministerin Vestager und Thorning-Schmidt blockieren die Einführung einer Tobin-Tax. Das „dänische Modell“ steht unter Dauerfeuer und die Umsetzung des Finanzpakts wird brutale Einschnitte in den Haushalten bedeuten. Deshalb ist es natürlich ermutigend, von Protest und Widerstand in anderen Ländern zu hören. Die Sozialdemokratie hat abgewirtschaftet. Die Linke muss deshalb vereint handeln und den Widerstand organisieren. Auch die Erfolge der Linksfront in Frankreich, SYRIZA in Griechenland und von Izquierda Unida in Spanien erfreuen mich deshalb. Ich hoffe, dass wir auch hier mit unserer Kampagne einen kleinen Teil zum Widerstand gegen das Europa des Kapitals beisteuern können. Das Interview führte und übersetzte für die Redaktion Stefan Godau am 29.3.2012 anlässlich des Gipfels der EU-Wirtschafts- und Finanzminister in Kopenhagen.