Es ist daher ein großer Schritt, diese Konkurrenz zu beenden und gemeinsam zu handeln – ein direktes Ergebnis der Proteste und Demonstrationen. Am 11. September brannte die Fabrik, am 12. waren wir mit allen ArbeiterInnen auf der Straße, um für Gesundheitsschutz und Sicherheit in den Fabriken einzutreten. Zwei Wochen später haben wir das Workers Rights Movement gegründet. Die ArbeiterInnen machen sich jetzt Gedanken darüber, dass es für ihre Arbeit in den Fabriken Regelungen und Gesetze geben sollte. So fordern wir zum Beispiel das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung in allen Fabriken, denn im Privatsektor haben wir bisher keine starken Gewerkschaften. Lediglich drei Prozent der ArbeiterInnen in Pakistan sind gewerkschaftlich organisiert. Vor diesem Hintergrund ist es ein großer Schritt, dass die ArbeiterInnen jetzt ihre Arbeitsbedingungen in Frage stellen und erwägen, einer Gewerkschaft beizutreten. Du selbst bist beim Verband für HeimarbeiterInnen. Was macht ihr? Der Verband der Heimarbeiterinnen ist der erste dieser Art in Pakistan, wir sind eine Gewerkschaft. Rechtlich werden HeimarbeiterInnen nicht als Arbeiterinnen anerkannt. Wir kämpfen also auch für diese Anerkennung, die Voraussetzung ist, um Gesundheitsversorgung und Renten zu fordern. Seitdem wir auf nationaler Ebene eine Gewerkschaft gegründet und im Dezember 2009 unsere Registrierung erhalten haben, ist das unser wichtigstes Ziel. Wir arbeiten auf drei Ebenen. Die erste ist die Bewusstseinsebene. Wir gehen an die Basis und versuchen alle HeimarbeiterInnen in einer Plattform zu sammeln. Wir haben Gruppen in verschiedenen Gegenden und diskutieren dort Themen wie Globalisierung, Arbeitsverhältnisse und Geschlechterfragen. Wir diskutieren diese Fragen also mit Menschen, die von zu Hause aus arbeiten, besonders mit den Frauen. Die zweite Ebene ist die der gewerkschaftlichen Organisierung: Wir haben mit drei Gewerkschaften auf der regionalen Ebene angefangen, haben dann erfolgreich den nächsten Schritt getan und uns auf nationaler Ebene registrieren lassen. Die dritte Ebene unserer Arbeit befasst sich mit der Gesetzgebung. Gerade bevor ich hierher nach Deutschland gekommen bin, haben wir einen Gesetzentwurf fertig gestellt, der den rechtlichen Status für HeimarbeiterInnen absichert und die damit einhergehenden ArbeitnehmerInnenrechte fordert. Dieser Entwurf wurde dem Arbeitsminister vorgelegt und liegt jetzt beim Ministerpräsidenten von Sindh.1 Nun müssen wir sehen, was passiert. Sind alle Heimarbeiterinnen Frauen? Die überwiegende Mehrheit in diesem Bereich sind Frauen. Im informellen Sektor stellen Arbeitgeber mehr Frauen ein, weil sie billiger sind. Wahrscheinlich auch, weil sie sich weniger gewerkschaftlich organisieren und die Rechte von ihrem Arbeit- oder Auftraggeber einfordern werden. Darum konzentrieren wir uns auf die Heimarbeiterinnen. Was sind die dringendsten Probleme und Auseinandersetzungen für die Linke in Karachi? Wofür kämpfen die Menschen? Um die Probleme der Linken in Pakistan zu verstehen, muss man bedenken, dass es in unserem Land nicht nur um Armut und kapitalistische Ausbeutung geht. Unsere Situation ist außerdem bestimmt durch Terrorismus, durch faschistische oder semi-faschistische Organisationen mit Verbindungen zum politischen System, durch die imperialistische Politik der USA und der NATO, durch Drohnenangriffe und kriegsähnliche Konflikte in einigen an Afghanistan angrenzenden Gebieten. Das schafft eine komplexe, manchmal unbeständige, unsichere Situation. Darüber hinaus haben viele Menschen keinen sicheren Zugang zu Elektrizität oder Wasser. Das ist im Alltag ein Problem, aber auch für die Industrie- und HeimarbeiterInnen, die dadurch ihre Produktionsvorgaben nicht halten können und Aufträge verlieren. Die Inflation ist sehr hoch, die Lebenshaltungskosten steigen, aber die Löhne steigen meist nicht mit. Es gibt immer mehr Familien mit niedrigen Einkommen und die Mittelklasse schrumpft. Menschen, die sich in Karachi für sozialen Wandel einsetzen, müssen sehr vorsichtig vorgehen und damit leben, dass sie vielleicht umgebracht werden, für das was sie tun. In diesem Kontext ist nicht einfach, eine soziale Bewegung zu organisieren. Die Gewerkschaftsbewegung spielt in dieser Situation eine zentrale Rolle. Die Kämpfe um das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung sind an sich schon eine soziale Bewegung. Es gab 2013 eine weitere Katastrophe in einer Fabrik in Bangladesch, aus der ein Abkommen mit westlichen Unternehmen resultierte. Ist dies ein Fortschritt, solange es eine Insellösung für Bangladesch bleibt? Gibt es eine transnationale Struktur für gewerkschaftliche Arbeit? Nicht wirklich. Aber angesichts ähnlicher Probleme in vielen südasiatischen Ländern – Erwerbslosigkeit, fehlende Kranken- und Sozialversicherung sowie Arbeitnehmerrechte, kein effektiver Mindestlohn usw. – fangen die Menschen an, darüber nachzudenken. Die Gewerkschaften diskutieren jetzt zumindest, auf südasiatischer Ebene zusammenzukommen. Wir haben zwar Verbindungen zu Gewerkschaften in Bangladesch, aber die sind noch nicht sehr eng. Trotzdem: Wenn in Pakistan ein Feuer ausbricht, gehen die ArbeiterInnen in Bangladesch auf die Straße und andersherum. Als die Fabrik in Bangladesch einstürzte, haben wir sofort eine Solidaritätsdemonstration in Karachi organisiert. Wir machen also Fortschritte, aber wir beginnen auf einem niedrigen Niveau. Wie siehst du die Solidarität zwischen dem globalen Norden und Süden? Eine weit verbreitete Haltung im Norden ist ein ethischer oder moralischer Ansatz nach dem Motto, die ›richtigen‹ Dinge zu kaufen und zu konsumieren, könne die Probleme lösen. Wir können zusammen viel verändern. Allerdings müssen wir die europäischen Kämpfe mit den Kämpfen, die wir in Pakistan oder Bangladesch führen, verbinden. Boykotte können unter Umständen ein Mittel sein, aber wir dürfen sie lediglich als Teil einer Strategie und eines breiteren Kampfes um die Transformation der globalen Herrschaftsverhältnisse sehen. Ein Boykott allein löst nichts oder fast nichts. Wenn die Leute hier plötzlich aufhören, die in Pakistan und Bangladesch produzierte Kleidung zu kaufen, sind wir morgen arbeitslos. Das ist also keine Lösung. Wir brauchen einen gemeinsamen Kampf für politische und soziale Veränderung. Wenn du auf die letzten fünf Jahre zurück schaust, welches Projekt war am wichtigsten auf dem Weg zu einem gemeinsamen Kampf? Wir haben gute Beziehungen zur Clean Clothes Campaign aufgebaut, zu medico international und zum European Center for Constitutional and Human Rights, die es uns ermöglichen, Druck auf unsere lokale Regierung auszu­üben. Nach dem Fabrikbrand konnten wir so zum Beispiel Kompensationszahlungen von der Regierung erzwingen. Gäbe es in Karachi aber keine Bewegung von der Basis, hätte auch niemand Kompensationszahlungen geleistet. Beides ist wichtig: Druck auf der lokalen Ebene ebenso wie transnationale Kooperation. Dadurch haben wir außerdem Kompensationen von dem Billigtextilhändler KIK erkämpft, der Waren aus der ›Unglücksfabrik‹ bezog. Dieser Erfolg scheint zu bestätigen, dass Kooperationen zwischen lokaler und transnationaler Ebene wirksam sind. Zum ersten Mal in der pakistanischen Geschichte kommt zudem ein Fabrikbesitzer ins Gefängnis. Auch das ist ein riesiger Schritt. Die Fragen stellte Moritz Warnke. Aus dem Englischen von Anna Mussener.  

Anmerkungen

1 Region in Pakistan, Anm.d.R