In der Linken wird derzeit viel über das Verhältnis von Klasse und Identität diskutiert. Feministische, antirassistische oder queere Kämpfe werden dabei häufig als »Identitätspolitiken« begriffen, die sich um die besonderen Interessen von Minderheiten drehen. Dagegen beziehe sich Klassenpolitik auf die objektiven und gemeinsamen Interessen aller Lohnabhängigen und habe somit Vorrang.

Aber wer kommt in den Blick, wenn wir über Klasse sprechen? Wer nicht? Von unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen sowie von Armut sind Frauen*, Migrant*innen, ältere und junge Arbeiter*innen mit niedrigen Bildungsabschlüssen am stärksten betroffen. Auch die meisten schwulen, lesbischen oder Trans*-Menschen sind Lohnabhängige und viele von ihnen leben und arbeiten unter prekären Bedingungen. Dennoch werden diese Lebensverhältnisse in gewerkschaftlicher wie in schwul-lesbischer Politik selten zum Ausgangspunkt von Organisierungsstrategien gemacht (vgl. kritisch dazu Southerners On New Ground in diesem Heft; Hollibaugh/ Weiss 2015).

Die Frage »Klassen- oder Identitätspolitik?« ist daher falsch gestellt. Bei dem Konflikt geht
 es darum, welche Klassenpolitik und wessen Identitätspolitik gemeint ist. Eine Klassentheorie, die wenig über die Subjektivität, Geschlechtlichkeit und Sexualität der Lohnabhängigen
 und Subalternen sagen kann, wird zu einer Abstraktion, in deren Begriffen gesellschaftliche Machtverhältnisse unzureichend analysiert und schließlich reproduziert werden. Das liegt auch daran, dass die Zusammenhänge von Rassismus, Hetero- und Cisnormativität,1 Disability, (post-)kolonialen Verhältnissen und die damit verbundenen Formen struktureller Gewalt kaum aus klassenanalytischer Perspektive in den
Blick genommen werden. Um ihrem Anspruch gerecht zu werden, müsste die gegenwärtige Diskussion um neue Klassenpolitik auch eine klassentheoretische und klassenanalytische Diskussion werden, die sich genau diesen Fragen zuwendet. Im Folgenden will ich den Ansatz, »Klasse mit Differenz« zu denken (vgl. auch Becker 2018), exemplarisch deutlich machen.

The making of Trans*

Transitioning2

Trans* sein war für mich im konservativen Sauerland Anfang der 1990er undenkbar. An einer Schule, an der es keine(n) einzige(n) offen nicht heterosexuell lebende(n) Mitschüler*in gab und schwul als Inbegriff für die »Aids-Seuche« galt. Me too. Ich lebe mit Erfahrungen männlicher Gewalt, die sich auch gegen gender-nonkonforme Menschen richtet. Als ich in der Umkleidekabine des Schwimmbades gepackt, festgehalten, unter Johlen begrabscht und als »Mädchen« und »Schwuchtel« bezeichnet wurde, hinterließ das nicht nur Wut, Scham, Verzweiflung und das Gefühl der Machtlosigkeit, sondern auch eine tiefe Verunsicherung: Ich wollte ja so gerne »ein Mädchen sein«. Wie konnten sie das sehen, was ich mir selbst nicht eingestehen konnte? Die Möglichkeit, weder »Junge« noch »Mädchen« zu sein, war schlicht undenkbar für mich. Transitioning heißt für mich oft, sichtbar zu sein, aufzufallen. Blicke. Neugierige Blicke meist, skeptische Blicke, manchmal exotisierende Blicke, manchmal feindliche Blicke, in Berlin seltener. Verunsicherte Blicke öfter.

Verunsichern, sich nicht verunsichern lassen. Ich habe um mich herum einen Schutzwall gegen diese Blicke aufgebaut.
 Internalisierte Transphobie hat viele Seiten. Transitioning heißt für mich auch, Scham zu überwinden. Scham in Stolz zu verwandeln, ist immer schon eine der wichtigsten Errungenschaften unterdrückter und marginalisierter Menschen und ihrer Emanzipationsbewegungen gewesen. Es ist leichter gesagt als getan.
So viel Kraft, um als nicht-binäre Person der eigenen Verwundbarkeit und der Komplizenschaft mit der Norm der Zweigeschlechtlichkeit ins Auge zu schauen. Nicht Körperteile sind das Problem, sondern ihre gesellschaftliche Bedeutung innerhalb eines Ensembles von Körper, Begehren und Lebensweise. Nicht identisch sein, nicht erkennbar sein? Sich erkennbar machen. Transitioning. Die Sehnsucht nach einem normierten Körper, auch als Schutz. Die Wut über die Macht der Gendernormen.

Trans*-Lebensweisen gab es schon immer. Das darf aber nicht mit Identität (oder gar Identitätspolitik) verwechselt werden. Die Begriffe trans*, transsexuell, transgender, nicht-binär sind »Erfindungen« des 20. Jahrhunderts. Für Jahrhunderte markierten »Transsexuelle«, Sexarbeiter*innen sowie Arbeiter*innen mit nicht eindeutig identifiziertem Geschlecht die sozialen und symbolischen »Ränder« der Gesellschaft. Mit der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft und Familie waren Transgender und Transvestismus bereits weitgehend in verborgene Räume verdrängt. »Viele trans* aus der Arbeiterklasse waren gezwungen, sich zu verstecken und als anderes Geschlecht durchzugehen, um 
zu überleben«, schreibt Leslie Feinberg
(1992). Sie waren aus den Vorstellungen eines respektablen Rechtssubjekts der bürgerlichen Gesellschaft ebenso ausgeschlossen wie aus den (meisten) Vorstellungen des politischen Subjekts der Arbeiterbewegung oder der Frauenbewegung. Seit 1949 ist »transsexuell« in der Sexualwissenschaft, Psychologie und Medizin der gängige Begriff für »ein individuelles Projekt der Geschlechtsumwandlung« (Connell 2012, 859). »Beeinflusst von Entwicklungen in den USA schuf die Sexualwissenschaft in Deutschland mit Transsexualismus eine klar abgegrenzte Kategorie, deren Subjekte sie pathologisierte, heterosexualisierte und im Laufe der 1970er mittels rigider diagnostischer und Behandlungsprogramme in ihrer Selbstexpertise und Selbstbestimmung einschränkte.« (De Silva 2017, 177)

In Deutschland bestätigte nach knapp 
20 Jahren hin und her zwischen unterschiedlichen Gerichten und Instanzen das Bundesverfassungsgericht 1978 das Recht auf Personenstandsänderung bei »irreversibler Transsexualität«. Das Transsexuellengesetz (TSG) wurde erst 1980 eingeführt. Um die heterosexuelle Ehe und die damit verbundenen Geschlechtervorstellungen nicht infrage zu stellen, wurde die Personenstandsänderung neben einem Mindestalter von 25 Jahren an eine irreversible geschlechtsangleichende Operation, an die Hormoneinnahme und bei Verheirateten an die Scheidung gebunden (ebd., 180). Dazu kamen der Zwang zu Psychotherapie, psychiatrische Gutachten und ein sogenannter Alltagstest, der die Tauglichkeit, dauerhaft 
im gewünschten Geschlecht zu leben, erfassen sollte. »Die Institutionalisierung einer obligatorischen zweigeschlechtlichen Ordnung in allen gesellschaftlichen Bereichen – z. B. Schule, Ausbildung, Beruf und Arbeitsmarkt, Staatsbürger_innenschaft, Ausweisdokumente, öffentliche Toiletten, Gesundheitswesen, Notunterkünfte, Krankenhäuser, Gefängnisse etc. – führt dazu, dass Trans*Menschen strukturell diskriminiert werden.« (Fütty 2017, 112)

Klasse mit Differenz: das queere Prekariat sichtbar machen

Der Begriff trans* ist selbst umkämpft und überdeckt schnell Differenzen in gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Daher greift es zu kurz, Trans*-Subjektivitäten nur im Zusammenhang mit der Frage der Identität und Identitätskritik zu betrachten oder, wie in Teilen der Queer- und Transgender-Studien üblich, vor allem auf Selbstverhältnisse, Subjektivität und Körperrepräsentationen in Diskursformationen zu schauen und diese von den materiellen Überlebens- und Reproduktionsbedingungen zu trennen. Die Lebensweisen von Trans*-Menschen sind in intersektional geprägte Klassenverhältnisse eingebunden.

Klasse umfasst mehr als die kapitalistischen Produktionsverhältnisse, in denen die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft organisiert wird. Klassen konstituieren sich in der Gesamtheit der ökonomischen, politischen und kulturell-ideologischen Verhältnisse. Von Antonio Gramsci stammt der Gedanke, dass sich die heterogen zusammengesetzte bürgerliche Klasse über die Auseinandersetzungen um eine mit der kapitalistischen Produktionsweise zu vereinbarende gesellschaftliche Entwicklung und Regulierung von Arbeits- und Lebensweisen als herrschende Klasse organisiert. Diese Perspektive muss jedoch intersektional erweitert werden: Die Produktions- und Lebensweise ist mit patriarchalen, sexistischen, heteronormativen, rassistischen und kolonialen Verhältnissen verwoben. Die Auseinandersetzungen um diese verwobenen Machtverhältnisse sind Klassenkämpfe im umfassenden Sinne, Kämpfe um Aufrechterhaltung, Veränderung und Überwindung von Hegemonie (vgl. Becker 2018).

Veränderte Geschlechterverhältnisse, eine Aufweichung der Heteronormativität und sich entsprechend ausdifferenzierende Lebensweisen im neoliberalen Kapitalismus bilden seit den 1990er-Jahren auch den Rahmen für Umbrüche in der Regulation von Trans*-Lebensweisen. In westlichen, kapitalistischen Gesellschaften hat sich der Diskurs zwischen 1990 und 2010 in Richtung einer Anerkennung von trans* als Identität innerhalb einer angenommenen Zweigeschlechtlichkeit verschoben. Positionen, die das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung mit Bezug auf ein liberales Subjektverständnis, die Idee eines freien Individuums oder die Menschenrechte begründen, sind hierzulande besonders im liberalen Bürgertum, den lohnabhängigen Mittelklassen, in urbanen Räumen und innerhalb der jüngeren Generationen stärker geworden, aber gesamtgesellschaftlich noch längst nicht hegemonial. Transfeindliche Einstellungen existieren weiter hinter der brüchigen Fassade der Toleranz gegenüber (meist weißen) Queers und Trans*. Auch unter den veränderten kulturell-politischen Kräfteverhältnissen mussten Verbesserungen der rechtlichen Situation hart erkämpft werden. Der trans*-Menschenrechtsbewegung und ihren Verbündeten ist es gelungen, schwere Einschränkungen von Grundrechten, wie sie der Zwang zu Operationen und Sterilisation, die Bindung rechtlicher Anerkennung an medizinische Maßnahmen, die Zwangsheterosexualität und das Eheverbot darstellten, zu überwinden (vgl. Lauwaert 2017). Die pathologisierenden Definitionen und Regulationen der Transition bestehen aber weiter.

Ein Großteil der lohnabhängigen Trans*-Menschen in Europa ist Teil des »queeren Prekariats« (Hollibaugh/Weiss 2015), das heißt, ihr Arbeits- und Lebensalltag ist durch dauerhafte Unsicherheit, intensive Ausbeutung, eine mangelhafte Gesundheitsversorgung, das Fehlen existenzsichernder Renten, eine prekäre Wohnsituation und die Angst vor Verdrängung geprägt. Ihre Lebensverhältnisse kommen in den medialen Diskursen und 
in der politischen Repräsentation jedoch meist nicht vor. So sind über 30 Prozent aller Trans*-Personen in der EU erwerbslos. Da es nicht überall und für alle einen Zugang 
zur Arbeitslosenversicherung gibt, überleben viele mit informeller Arbeit. Die Mehrheit der trans*Beschäftigten arbeitet zu unterdurchschnittlichen Löhnen, über 40 Prozent haben ein Einkommen, das keine Existenzsicherung im Alter oder bei schwerer Krankheit zulässt. Häufig bestimmen Stereotype über transfeminine Menschen (und inwieweit diese als trans* wahrgenommen werden) zusätzlich zu Qualifikation, Bildungsabschlüssen und den Auswirkungen körperlicher Einschränkungen über die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Die Verschränkung von alltäglicher Diskriminierung, Passing-Stress, pathologisierenden und belastenden Transitionsverfahren mit ökonomischer Prekarität sind Ursache dafür, dass viele Trans*-Menschen unter starken psychischen Belastungen leiden, dadurch den hohen Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht genügen können und entsprechend häufig in prekären Teilzeitjobs landen.

Viele gender-nonkonforme und Trans*-Menschen versuchen in Bereichen Arbeit zu finden, in denen die Gender-Performance nicht so stark mit Disziplinierung und Diskriminierung verbunden ist, zum Beispiel im Handel, in der Logistik und Pflege oder in untergeordneten Positionen in der Medien- und Kulturbranche. Auch die Pink-Economy mit ihren Jobs im Kultursektor, in der Gastronomie oder in der Solo-Selbstständigkeit bedeutet oft relativ niedrige Einkommen und geringe soziale Absicherung. Feministische Diskussionen um Care-Arbeit sind nach wie vor von der Vorstellung geprägt, dass alle Care-Arbeiter*innen cis-geschlechtlich leben. Viele Trans*, besonders Trans*-Migrant*innen, arbeiten jedoch in der Sexarbeit oder in Privathaushalten in der Pflege.

Im neoliberalen Kapitalismus findet eine flexiblere, differenzielle Regulation von Trans*-Körpern und -Lebensweisen statt. Miteinander verwobene Verhältnisse von Klasse, Rassismus, Hetero- und Cisnormativität beeinflussen, wessen (Gewalt-)Erfahrungen sichtbar werden, wessen Probleme als gesellschaftlich relevante anerkannt werden und wessen Leben als staatlich schützenswert gilt. Zwar gibt es inzwischen in vielen Ländern eine teilweise auch von den Krankenkassen finanzierte Gesundheitsversorgung für Trans*-Personen. Diese orientiert sich aber stark am Prinzip der Prävention und Kostensenkung mit dem Ziel des Erhalts der Arbeitsfähigkeit von (mehrheitlich weißen) Mittelklasseangehörigen während und nach der Transition. Viele Trans*-Menschen haben weiterhin keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Beratung und Versorgung, gerade außerhalb der Großstädte fehlt es oft an entsprechenden Infrastrukturen, und eine Veränderung der belastenden Arbeits- und Lebensverhältnisse spielt darin keine Rolle. So wird der häufig frühzeitige Tod von Trans*-Menschen weiter in Kauf genommen. Über das genaue Ausmaß und die Folgen solcher struktureller »intersektionaler Gewalt« (vgl. Fütty 2017) gibt es zu wenige Untersuchungen. Transgender Europe zufolge sind zwischen 2008 und 2015 weltweit mehr als 2 000 Trans*-Personen ermordet worden, über drei Viertel davon in Nord- und Südamerika. Die meisten Opfer waren transfeminine, nicht-weiße Personen, viele von ihnen Sexarbeiter*innen. Prekäre und gesundheitsbeeinträchtigende Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie die Lebenssituation als Migrant*in führen zu einer höheren Betroffenheit von Gewalt (vgl. ebd., 113).

Transfeminismus und verbindende Klassenpolitik

Die Klassenfrage ist als intersektionale zentral, um ein besseres Leben und Emanzipation
für alle Queers und Trans*-Menschen zu erreichen. Aber das queere Prekariat existiert (noch) nicht als organisierte Allianz unterschiedlicher prekär lebender und marginalisierter Subjekte. Gleichzeitig ist noch relativ unklar, was »queere Klassenpolitik« konkret in der Praxis bedeuten könnte. Es geht sicher nicht darum, Trans*-Bewegungen unter
 der Überschrift Klassenpolitik zu subsumieren. In den Auseinandersetzungen um den Rechtsruck in der Gesellschaft sind die Stimmen derjenigen, die am stärksten von (struktureller) Gewalt und Diskriminierung betroffen sind, bislang zu wenig präsent.
Um dem rechten Kultur- und Klassenkampf entgegenzutreten, müssen queere Geflüchtete und People of Color, queere Muslime/a*, Arbeiter*innen(kinder) und Trans* als politische Subjekte gestärkt werden. Zugleich scheint Klasse als Thema queerer Politiken schon seit längerer Zeit eine untergeordnete Rolle zu spielen. Notwendig sind daher auch andere Repräsentationen von Klasse (vgl. Beyer in diesem Heft), Räume für Erfahrungsaustausch und militante Untersuchungen über prekäres Leben und Klassendifferenz in (unterschiedlichen) queeren und Trans*-Communities.

Für intersektionalen und und sozialistischen Transfeminismus

Die kollektiven Emanzipationskämpfe und die Organisierung marginalisierter und prekär lebender queerer und Trans*-Menschen 
sind politische Einschnitte in die hetero- und cisnormativen kapitalistischen Verhältnisse. So gingen etwa die Stonewall-Riots 1969, die nachträglich zur Geburtsstunde der LGBT-Bewegung wurden, zunächst von transsexuellen, zum Teil obdachlosen Frauen*, Transvestiten und Drag Queens of Color aus, die sich gegen die ständigen Schikanen durch die Polizei wehrten. Ein wichtiger Strang transfeministischer Forschung setzt darauf, dieses »unterworfene Wissen« sichtbar zu machen (vgl. Stryker 2008). Die sich nach Stonewall ausweitende schwule Bewegung wurde jedoch schnell von Mittelklasseangehörigen dominiert, die sich mehrheitlich nicht mehr für die Anliegen der Queens und Transfrauen of Color interessierten. In der lesbischen Bewegung wiederum erstarkten in den 1970er- und 1980er-Jahren transfeindliche Diskurse, die Allianzen erschwerten. Die Geschichten der in den Auseinandersetzungen nach Stonewall von Sylvia Rivera und anderen marginalisierten Trans* of Color gegründeten Street Transvestite Action Revolutionaries (STAR) und anderer Selbstorganisierungen stehen für eine intersektionale Klassenpolitik avant la lettre, die von den eigenen Erfahrungen und Überlebenskämpfen ausging (vgl. ebd.).

Um intersektionale Allianzen zu ermöglichen, müssten queere und Trans*-Politiken über Subversions- und Aufstandsphantasien ebenso hinausgehen wie über Lobby-Politik. Entsprechende Ansätze existieren längst. Die Erfahrungen aus der Praxis des Transformative-Justice-Organizing von queeren und Trans*-Selbstorganisationen wie dem TGI Justice Project, Southerners On New Ground (vgl. SONG in diesem Heft) oder dem Sylvia Rivera Law Center, um nur einige US-amerikanische Beispiele zu nennen, sind wichtige Ausgangspunkte, um eine intersektionale, transfeministische Klassenpolitik in der Praxis weiterzuentwickeln. Es geht dabei um eine Organisierung, die nicht in Stellvertreterpolitik aufgeht und sich nicht in einer subkulturellen Szene-Politik erschöpft, sondern sich durch eine neue Verbindung auszeichnet; dazu gehören Unterstützung im prekären Alltag (Rechtsberatung, Wohnen, Gesundheitsversorgung, emotionale Unterstützung), Bewusstseinsbildung durch Bildungs- und Kulturarbeit, Arbeit an Bündnissen und schließlich Aktionen, die Druck machen für konkrete Verbesserungen (vgl. Spade 2013). Ziel solcher Ansätze des »Transformative Organizing« ist die ständige Ausweitung der Aktivenbasis. Es geht darum, »mehr zu werden«, durch gezielte Organisierung, durch die Herausbildung von »organischen Intellektuellen« aus dem Kreise der marginalisierten Gruppen sowie durch die Demokratisierung von Führungsaufgaben. Die andere Gesellschaft, die wir wollen, muss im Prozess der Organisierung bereits in Ansätzen sichtbar werden (vgl. Liss/Staples 2011).

Die Geschichte der Trans*-Bewegung zeigt, dass Trans*-Emanzipationskämpfe auf Verbündete und auf Bündnisse angewiesen sind, um aus der Marginalisierung heraus überhaupt politisch sichtbar und wirkmächtig zu werden. Bündnisse sind aber kein Zuhause, sondern »Bündnisse tun weh«, wie die schwarze Feministin Bernice Johnson Reagon 1981 über feministische, intersektionale Praxis und das Subjekt Frau schrieb. Was für den Feminismus gilt, gilt für die Veränderung von Klassentheorie und Klassenpolitik erst recht. Bewegungen wie Women’s Strikes in den USA, Lateinamerika, aber auch in Spanien oder auch Black Lives Matter verbinden Feminismus, Antirassismus und Klassenfragen. Einige queere People of Color sind dort in führender Rolle als organische Intellektuelle aktiv. Das Manifest von Women’s Strikes thematisiert die Vielgestaltigkeit der Arbeiter*innen. An die Stelle des einheitlichen »Wir« tritt eine Perspektive, die Differenzen und Machtverhältnisse innerhalb der lohnabhängigen Klasse und zwischen Frauen* sichtbar macht, Zusammenhänge herstellt und Solidarität ausgehend von unterschiedlichen Erfahrungen und dem Ziel gemeinsamen Widerstands entwickelt: »In den vergangenen Jahrzehnten haben wir ein besseres Bewusstsein über die Spreizung sozialer Bedingungen von Cis- und Transfrauen in Bezug auf Klasse, Ethnizität, race, Lebensalter, Behinderung und sexueller Orientierung gewonnen. Die Herausforderung für eine neue feministische Bewegung ist, diese Unterschiede in Forderungen, Aktions- und Organisationsformen nicht unsichtbar zu machen, sondern im Gegenteil, diese ernst zu nehmen.« (Arruzza 2018) Die Entwicklung eines intersektionalen »Feminismus ohne Grenzen«, der sich für transfeministische Standpunkte öffnet, ist eine hoffnungsvolle Perspektive. Ausgehend von solchen Artikulationen der Klasse mit Differenz kann sich auch das Verständnis von Klassenpolitik verändern.

Gramscis Erneuerung des marxistischen Klassenbegriffes mündete im Begriff des Blocks: eines Bündnisses subalterner Klassen auf der Grundlage einer erst zu bildenden gemeinsamen kritischen Weltauffassung, der Einheit von Selbstveränderung und kollektivem Willen zur radikalen Transformation der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Gramscis Perspektive der sozialistischen Hegemonie muss heute neu und intersektional gedacht werden. Es geht darum, in den verschiedenen Emanzipationskämpfen und Bewegungen eine intersektionale Klassenperspektive zu entwickeln und zu stärken. Eine solche Perspektive braucht einen engen Zusammenhang von Theorie und Praxis. Klassenanalyse mit Differenz löst sich vom alten Container-Denken der Zuordnung von Subjekten zu primär ökonomisch bestimmten Klassenfraktionen. Sie fragt stattdessen danach, welche Teile der lohnabhängigen und subalternen Klassen in intersektionalen Klassenverhältnissen einen »common context of struggle« (Mohanty 2013) teilen und auf welcher Grundlage Allianzen gebildet werden können, die diesen erweitern (vgl. Becker 2018).

Raewyn Connell (2012) plädiert dafür, Fragen des (Über-)Lebens im prekären Alltag in den Mittelpunkt transfeministischer Organisierung und Wissenschaft zu stellen, die über Trans*-Identität als Gemeinsamkeit hinaus Bündnisse mit feministischen Initiativen, linken Bewegungen, Parteien und Organisationen für »soziale Gerechtigkeit« ermöglichen. Dabei sollten verschiedene Konfliktfelder eine Rolle spielen, darunter:

  • eine soziale Absicherung für alle Lebensweisen: gute Gesundheitsversorgung, Pflege, Absicherung eines würdevollen Lebens im Alter sowie von Wahlverwandtschaften und Formen der Elternschaft und Familie jenseits der hegemonialen Cis- und Heteronorm sowie Normen der Gesundheit und Leistungsfähigkeit;
  • Kämpfe gegen prekäre Arbeit und Diskriminierung am Arbeitsplatz, für radikale Arbeitszeitverkürzung und gerechte Verteilung aller Arbeiten;
  • Kämpfe um Wohnen und das Recht auf Stadt;
  • Solidarität und Organisierung gegen rassistische, sexistische, homo- und transfeindliche Gewalt, für Bleiberecht und soziale Rechte für alle, für sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung und die Abschaffung pathologisierender und diskriminierender Gesetze.


Prekarisierung, zunehmende (männliche) Gewalt, der Aufschwung autoritärer Bewegungen, imperiale Politik zur Aufrechterhaltung einer (post-)kolonialen kapitalistischen Arbeitsteilung und die Militarisierung von Staatlichkeit bilden einen Zusammenhang. In vielen Ländern führt das zu extremer Gewalt und »sozialer Säuberung«, die sich gegen Sexarbeiter*innen, Homosexuelle und Travestis richtet. Der Kampf um eine gerechte gesellschaftliche Arbeitsteilung in globaler Perspektive und die Lebbarkeit queerer und Trans*-Lebensweisen im globalen Süden sind eng miteinander verbunden. Queeren Politiken sollte es daher auch um eine Demokratisierung des Staates, um Entmilitarisierung und Perspektiven solidarischen Wirtschaftens gehen. Die Entstehung des Transfeminismus ermöglicht neue Bündnisse – ob sie zustande kommen und wie weit sie tragen, hängt nicht allein von Trans*-Menschen und Queers ab. In Zeiten von Trump und Entwicklungen hin zu einem autoritären Kapitalismus, dessen intersektionalen Klassenverhältnisse Trans*- und queere Subjekte auf besondere Weise treffen, sind diese Bündnisse notwendiger denn je.