Ein „hilfloser Antifaschismus“ kennzeichnet die vielen guten Einzelvorhaben zur Bekämpfung der extremen Rechten, wie sie im Koalitionsvertrag der Ampel festgelegt wurden. Für SPD und Grüne ist Antifaschismus eine Herzenssache. Das spiegelt sich auch in den konkreten Vorhaben in diesem Bereich. Die FDP hat hier wenige Einwände. Ihre Aufgabe ist es, die Äquidistanz zu allen „Extremismen“ anzumahnen und die grundsätzliche Linie des Extremismusansatzes zu halten.

Ursachen, soziale und gesellschaftspolitische Voraussetzungen für den Aufstieg einer extremen Rechten werden von der Koalition jedoch genauso wenig in den Blick genommen, wie die zunehmende Spaltung der Gesellschaft oder die Abwendung vieler Menschen von der Demokratie. So bleibt es letztlich bei einer reaktiven Politik, die an den Erfolgsbedingungen der Rechten nichts Grundsätzliches ändern wird.

Schon Horst Seehofer hatte die extreme Rechte als größte Gefahr für die Demokratie benannt. Immerhin. Nach den rechtsterroristischen Taten 2019/20 (Mord an Walter Lübcke, antisemitisch und rassistisch motivierter Anschlag in Halle, rassistische Morde von Hanau) musste selbst ein konservativer Innenminister einen gewissen Abstand davon nehmen, die rechte Gefahr weiterhin zu verharmlosen. Es war also zu erwarten, dass die neue Koalition hier nachlegen würde und vor allem die Projekte und Vorhaben stärkt, mit denen sie in Teilen seit vielen Jahren eng verbunden ist.

Demokratieförderung per Gesetz

Die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder hatte 2001 die wichtigen und bis heute zentralen Präventionsprojekte auf den Weg brachte. Seit nunmehr 20 Jahren verharren diese jedoch in der „Projekte-Logik“ und müssen sich in regelmäßigen Abständen erneut um Förderung bewerben. Mitarbeiter*innen melden sich nicht selten im Oktober arbeitsuchend, weil unklar ist, ob ihre jahrelange Tätigkeit im Januar weitergehen kann. Ganz so, als sei das Engagement gegen die extreme Rechte, Rassismus und Antisemitismus temporär begrenzt, statt eine Daueraufgabe. Mit einem „Demokratiefördergesetzt“ sollte dieser misslichen Lage abgeholfen und eine dauerhafte Finanzierung aus Bundesmitteln möglich werden. Unter Schwarz-Rot scheiterte das Vorhaben jedoch vor allem an Widerständen in der Union. Sie wollte eine Extremismusklausel im Gesetz festschreiben und damit die Träger der Projekte unter tendenziellen Extremismusverdacht stellen.

Die Ampel verspricht nun, bis 2023 ein Demokratiefördergesetz auf den Weg zu bringen. Mit dem lapidaren Satz: „Für uns ist es selbstverständlich, dass alle unterstützten Maßnahmen eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit leisten und die dazu geförderten Organisationen auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen müssen“, scheint die Debatte um die Extremismusklausel vom Tisch zu sein. Ob die Präventionsprojekte mit diesem Vorhaben allerdings tatsächlich aus der Projektlogik herauskommen und dauerhaft gesichert werden, bleibt abzuwarten.

Rechter Terror, rechte Netzwerke

Die rechten Netzwerke in Polizei, Bundeswehr und weiteren Behörden, wie sie in den letzten Jahren im Wochenrhythmus bekannt wurden tauchen im Koalitionsvertrag überhaupt nicht auf. Ganz offensichtlich hat sich hier die Linie „kein Generalverdacht“ durchgesetzt. Von einer unabhängigen wissenschaftlichen Studie zu strukturellem Rassismus in den Sicherheitsbehörden, wie sie von den Grünen noch aus der Opposition herausgefordert wurde, findet sich kein Wort. Der dürre Satz, „Wir öffnen die Polizei stärker für unabhängige Forschung“ ist unkonkret und ohne Substanz. Gleiches gilt für die Ankündigung, die Sicherheitsüberprüfung von Bewerber*innen auszuweiten: Der teils toxische Corpsgeist in manchen Einheiten wird damit aber nicht erfasst, schließlich treten viele nicht als Rechte den Sicherheitskräften bei, sondern radikalisieren sich erst im Laufe der Zeit in den Einheiten selbst.

Die Entwaffnung der Naziszene ist eine zentrale Forderung im Kampf gegen den Terror von rechts. Ein wenig dreht die Koalition hier an der Schraube des Waffenrechts: Evaluation der letzten Verschärfungen, effektive Kontrollmöglichkeiten, bessere Erfassung. Den Schwerpunkt beim Thema Rechtsterrorismus legt sie jedoch bei der Aufklärung vergangener Anschläge. So soll ein Archiv zum Thema Rechtsterrorismus zusammen mit den Ländern auf den Weg gebracht werden. Hinzu kommt die Ankündigung, einen Erinnerungsort und ein Dokumentationszentrum für die Opfer des NSU errichten zu wollen. Symbolpolitisch sind diese Punkte richtig und wichtig, sofern sie in enger Abstimmung mit den Hinterbliebenen und den sie unterstützenden Gruppen erfolgen. Unklar bleibt jedoch, was z.B. in dem angestrebten Archiv präsentiert werden soll? Hier müsste es um all jene Akten und Materialien gehen, die der Öffentlichkeit aufgrund der Geheimdienstlogik der Behörden bis heute vorenthalten werden. Die Offenlegung aller Akten zu rechtsterroristischen Taten wäre entsprechend eine notwendige Ergänzung in diesem Punkt, die wohl weiterhin von der Zivilgesellschaft erstritten werden muss.

Inlandsgeheimdienst bleibt

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat von der neuen Regierung nichts zu befürchten. Zwar hatten die Grünen in der Opposition zunächst einen „Neustart“ des BfV, und dann sogar seine teilweise Ersetzung durch unabhängige Beobachtung gefordert. Geblieben ist davon fast nichts. Jetzt gelten die „Nachrichtendienste“ als „wichtiger Teil der wehrhaften Demokratie.“ Aus der unabhängigen wissenschaftlichen Beobachtung ist ein Hilfsinstrument der Dienste geworden, wenn es im Koalitionsvertrag heißt: „Die Arbeit der Dienste wird durch eine fundierte wissenschaftliche Analyse gestärkt und differenziert.“ So können kritische Analysen zur extremen Rechten schnell zur Legitimierung einer geheimdienstlichen Durchsetzung der Szene missbraucht werden. Denn natürlich bleibt auch unter der „Ampel“ das V-Leute-System erhalten und soll lediglich in anonymisierter Form parlamentarisch überprüfbar werden.

Rassismus

Rassismus, Antisemitismus und alle Formen der Abwertung von Menschen aufgrund realer oder zugeschriebener Merkmale werden von der Koalition stärker in den Fokus genommen. Das ist zu begrüßen. Ein*e Antirassismusbeauftragt*e soll ebenso eingerichtet werden wie eine entsprechende Stelle im Bereich Antiziganismus. Der Begriff „Rasse“ soll aus dem Grundgesetz gestrichen, die Dokumentation antisemitischer Vorfälle und der Schutz von Muslim*innen verbessert werden.

Modernisierung des Standort Deutschland

Der Koalitionsvertrag im Bereich Kampf gegen rechts spiegelt das Gesamtbild der Ampelkoalition: Zahlreiche Fortschritte und Verbesserungen an einzelnen Punkten, ohne jedoch das Thema in einen gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang zu stellen. Dazu fehlt offenbar der politische Wille.

Seit mehr als 20 Jahren werden aus den Sozialwissenschaften empirische und qualitative Studien zum Aufstieg einer modernisierten radikalen Rechten, zu autoritären und extrem rechten Einstellungen bei Teilen der Bevölkerung, zur Demokratieentleerung und zur gesellschaftlichen Spaltung vorgelegt. Bei allen Differenzen zwischen diesen Untersuchungen wird immer wieder ein Zusammenhang deutlich: der zwischen einer als problematisch eingeschätzten Rechtsentwicklung und den Tendenzen eines zunächst marktradikalen und zunehmend autoritären Kapitalismus. Mit dem Unwillen der neuen Koalition, die sozialen und Klassenspaltungen der Gesellschaft in den Blick zu nehmen, geht einher, dass sie die Aufstiegsbedingungen der extremen Rechten und ihrer Anhängerschaft nicht angemessen erfassen kann. Um an diesen „Deutschen Zuständen“ (Heitmeyer) etwas zu ändern, müsste die Koalition mehr auf den Weg bringen, als einen progressiven Neoliberalismus oder eine etatistische Modernisierung des „Industriestandortes Deutschland“.

Was folgt daraus für DIE LINKE?

Sie muss mit Kritik und eigenen Vorschlägen dort ansetzen, wo sich die realen Lücken und Fehlstellungen der neuen Koalition zeigen, statt in einen symbolischen Wettbewerb um den radikalsten Antifaschismus einzutreten.

Die Präventionsprojekte, antirassistische Initiativen und viele andere linksliberal Engagierte gegen rechts werden in der neuen Regierung nun Ansprechpartner*innen haben und Unterstützung gegen konkrete Angriffe und Bedrohung finden. Das ist gut und das gilt es von LINKS zu stärken. Der Preis für diese Front gegen die AfD wird aber im Beharren der Koalitionäre auf der Extremismuslogik liegen und im öffentlichen Bekenntnis, sich von allen „Extremismen“ in gleicher Weise abzugrenzen. Der LINKEN muss es in den nächsten Jahren besser gelingen, diesen Extremismusansatz öffentlich zu kritisieren. Menschenwürde, politischer Gleichheitsgrundsatz, Demokratieprinzip – diese zentralen Säulen der Verfassung werden nur von der extremen Rechten angegriffen – nicht von links. Eine Ausgrenzung der extremen Rechten muss hier ansetzen, muss sich stärker inhaltlich und am Verstoß gegen diese demokratischen Mindeststandards begründen, auch wenn Linke diese Säulen bürgerlicher Demokratie anders ausbuchstabieren würden. Wir müssen eine inhaltliche Ablehnung der Rechten deutlicher nach außen tragen.

FDP und Grüne haben sich in der Opposition als Anwält*innen für Bürger*innenrechten und Transparenz dargestellt. Die Grünen in Hessen zeigen aber auf erschreckende Weise, was daraus in Regierungsverantwortung werde kann. Hier behindern sie die NSU-Aufklärung nach Kräften, tragen die Sperrung einschlägiger Geheimdienstakte für 120 Jahre (!) mit und verteidigen die Geheimdienstlogik, gegen die sie sich früher gewandt haben. Die Ablehnung des und Alternativen zum sogenannten Verfassungsschutz sind entsprechend jetzt wichtiger als zuvor. Im parteipolitischen Feld werden sie nur noch von der LINKEN geäußert werden können.

Ähnlich beim Thema struktureller Rassismus und rechte Netzwerke in den Sicherheitsbehörden. Wir müssen dafür sorgen, dass aus Ankündigungen – „Polizei stärker für wissenschaftliche Forschung öffnen“ – kritische Studien mit verbindlichen Folgerungen werden. Dazu gilt es das Bündnis mit kritischen Wissenschaftler*innen in diesem Feld zu stärken und auch von dort aus zivilgesellschaftlichen Druck in dieser Frage mitzuorganisieren.

Schließlich muss DIE LINKE einlösen, was sie von anderen fordert: Der rechte Aufstieg muss in die gesellschaftspolitischen Auswirkungen des Gegenwartskapitalismus eingeordnet und daraus politische Folgerungen gezogen werden. Was bedeuten diese Einsichten für eine verbindende Klassenpolitik konkret? Dafür reicht das Fernziel eines demokratischen Sozialismus nicht aus. In allen Themenfeldern muss die Frage eine Rolle spielen, wie es verhindert werden kann, dass die Rechten von den wachsenden Spaltungen in der Gesellschaft profitiert.

Konkret: Wie kann der Tatsache begegnet werden, dass sich mehr und mehr Menschen von der Demokratie und demokratischen Institutionen abwenden? Welche Erfahrungen von Partizipation und Selbstwirksamkeit in politischen Prozessen kann die LINKE unterstützen oder organisieren? Wie sieht eine linke Antwort auf Verschwörungsmythen, Irrationalismen, medialen Gegenwelten aus? Welche rechten Allianzen zeichnen sich ab, wie entwickelt sich das Verhältnis von Union und AfD in der Opposition und wie können wir darauf reagieren? Wie lassen sich soziale Frage und Antifaschismus konkret und erfahrbar verbinden?

Sehr viele, sehr schwierige Fragen. Es wäre gut, wenn die LINKE im ersten Schritt weitere Orte oder Formate entwickeln würde, in denen stärker als bisher über diese Fragen gemeinsam nachgedacht werden kann. Zusammen mit den Initiativen und Selbstorganisierung der Betroffenen von rechter Gewalt, mit Wissenschaftler*innen und Bildner*innen gilt es, sich an Antworten heranzutasten.