Neoliberalismus ist mehr als die Privatisierung von Bahn, Strom und Post. Ebenso wenig kann er auf die Deregulierung von Arbeitsmärkten, die globale Handelsliberalisierung und die damit verbundene Dominanz des Finanzkapitals reduziert werden. Der Neoliberalismus ist auch und vielleicht sogar vorrangig eine fundamentale Restrukturierung der Art und Weise, wie Menschen sich reproduzieren müssen. Angesichts der heute weltweit sich mehrenden Proteste von Frauen, die zu Generalstreiks aufrufen (vgl. LuXemburg 2/2018), stellt sich für eine linke Politik die Frage, ob sich gegenwärtig nicht genau hier die wichtigsten antikapitalistischen Kämpfe formieren. 

Jedenfalls scheint sich in diesen Kämpfen ein heute weltweit virulenter Widerspruch zu artikulieren: der zwischen Akkumulationsökonomie und Versorgungsökonomie. Frauenstreiks sind immer auch Reproduktionsstreiks, verstanden als Kämpfe um die Ressourcen der Reproduktion, und zwar aus einem einfachen Grund, den die feministische Ökonomin Mascha Madörin (2019) nennt: »Die Versorgungsökonomie ist bis heute wesentlich eine Frauenwirtschaft, die Akkumulationsökonomie wesentlich männerdominiert.«

Der Haushalt als Produktionsstätte

Eine solche Formulierung legt nahe, dass wir es bei der kapitalistischen Produktionsweise nicht mit einer einzigen, sondern mit zwei Ökonomien zu tun haben, die in irgendeiner Weise miteinander verschränkt sind. Und genau in diesem Punkt erweist sich Rosa Luxemburgs Erweiterung der marxistischen Akkumulationstheorie als äußerst fruchtbar für eine Analyse auch der Gegenwart. Bekanntlich erhob Luxemburg in ihrem ökonomischen Hauptwerk »Die Akkumulation des Kapitals« (1913) Einspruch gegenüber der Vorstellung von Marx, dass die kapitalistische Produktionsweise als reine Mehrwertakkumulation zu verstehen sei, indem sie postulierte: »Die Akkumulation ist nicht bloß ein inneres Verhältnis zwischen den Zweigen der kapitalistischen Wirtschaft, sondern vor allem ein Verhältnis zwischen Kapital und dem nichtkapitalistischen Milieu.« (Luxemburg 1913, 364) 

In ihrer These, »dass der Kapitalismus auch in seiner vollen Reife« auf Formen der Akkumulation zurückgreift, in denen nicht der Vertrag, sondern »ganz unverhüllt und offen Gewalt, Betrug, Bedrückung, Plünderung« (ebd., 397) als Formen der Aneignung vorherrschen, widersprach Luxemburg Marx’ Annahme, dass »primitive« Formen der Akkumulation – die von Marx (1867, 741) so bezeichnete »ursprüngliche Akkumulation« – nur am Beginn und quasi bei der Entstehung des Kapitalismus eine Rolle spielten. Angesichts des Ersten Weltkrieges kam Luxemburg vielmehr zum Schluss, dass die Kolonien mit den darin vorherrschenden gewaltsamen Formen von Ausbeutung in ihrer ökonomischen Funktion für die kapitalistische Produktionsweise analysiert werden mussten, die somit als eine Form »fortgesetzter ursprünglicher Akkumulation« zu verstehen seien (vgl. Mies 2009, 265). 

Luxemburgs Thesen werden heute unter dem Stichwort einer »Neuen Landnahme« breit rezipiert, indem davon ausgegangen wird, dass der fortgeschrittene Kapitalismus solche äußeren Kolonien gewissermaßen in seinem Inneren laufend neu hervorbringt, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder »in Land zu nehmen«. Die Privatisierung von Volkseigentum stellt eine solche moderne Form der »Akkumulation durch Enteignung« dar (Harvey 2005, 151), ebenso die oftmals im Zuge von Finanzkrisen stattfindenden Plünderungen von Staatshaushalten. Darauf reagiert die gegenwärtige Diskussion um die Commons. 

Was in dieser Debatte jedoch meist mehr oder weniger stillschweigend übergangen wird, ist, dass es bereits in den 1970er Jahren eine feministische Rezeption der Thesen Luxemburgs gab: Theoretikerinnen der damaligen Hausarbeitsdebatte, allen voran die Bielefelder Entwicklungssoziologinnen Maria Mies, Claudia von Werlhof und Veronika Bennholdt-Thomsen, machten für den Bereich des Haushaltes geltend, dass die darin von Frauen unentgeltlich verrichtete Arbeit einer solchen Form von primitiver Akkumulation ausgesetzt ist. Der Haushalt produziere insofern das wichtigste Element der kapitalistischen Produktion, die Ware Arbeitskraft, quasi kostenlos.[1] 

Mit der unbezahlten Frauenarbeit thematisierten sie damit eine andere, aber mit der Lohnarbeit unmittelbar zusammenhängende Ausbeutungsform, die nicht nur inmitten der kapitalistischen Zentren stattfindet, sondern vom Kapitalismus selbst laufend neu hervorgebracht wird. 

Die damalige Rezeption hatte eine Lesart von Luxemburgs erweiterter Akkumulationstheorie vorgeschlagen, die heutige Diskussion um – auch in ökonomisch weit entwickelten Gesellschaften – fortdauernde Formen ursprünglicher Akkumulation vorwegnahm und diese auch teilweise anders interpretierte: Was den Bielefelderinnen in ihrer Theoretisierung einer »fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation« vor Augen stand, war nicht (nur) der Raub von Gütern, sondern das Anzapfen einer anderen Produktionsweise: Denn auch in Haushalten wird produziert. 

Genau in diesem Punkt aber erweist sich Luxemburgs Analyse, dass die kapitalistische Produktionsweise »in jeder Beziehung auf die gleichzeitige Existenz nichtkapitalistischer Schichten und Gesellschaften angewiesen ist« (Luxemburg 1913, 314), als fruchtbar. In ihrer Formulierung, »dass kapitalistische Akkumulation zu ihrer Bewegung nichtkapitalistischer sozialer Formationen als ihrer Umgebung bedarf, in ständigem Stoffwechsel mit ihnen vorwärtsschreitet und nur so lange existieren kann, als sie dieses Milieu vorfindet« (ebd., 315), macht sie deutlich, dass sie dieses Verhältnis als Artikulation unterschiedlicher Produktionsweisen denkt. In ihrem Beharren darauf, dass sich die kapitalistische Produktionsweise sowohl »nichtkapitalistisch produzierte Produktionsmittel« (ebd., 306) aneigne, wie dieses nichtkapitalistische Milieu als »Reservoir der Arbeitskräfte« (ebd., 317) nutze, macht sie deutlich, dass diese Artikulation eine eigene Form von Landnahme darstellt. Sie gibt darüber hinaus wichtige Hinweise darauf, wie diese Artikulation theoretisch zu konzipieren wäre, nämlich als eine Form von Subsumption, in der die Subsistenzproduktion der einen Produktionsweise unter die kapitalistische Produktionsweise subsumiert wird. Obwohl Luxemburg selbst den Begriff der Subsistenzproduktion nicht verwendet, hat sie von ihrer Wortwahl her bei den von ihr so bezeichneten »nichtkapitalistischen Produktionsformen« deren Ressourcen der Subsistenz vor Augen. In diesem Sinn könnte man sagen, dass Luxemburg letztlich von einer Subsumption der Subsistenzproduktion »nichtkapitalistische[r] Milieu[s]« (ebd., 314) unter die kapitalistische Produktionsweise spricht.

Unbezahlte Arbeit auf Dauer

Es war diese Vorstellung einer Artikulation unterschiedlicher Produktionsweisen, die die Bielefelder Soziologinnen schon damals zu dem bis heute wegweisenden Schluss kommen ließ, dass mit der Ausdehnung des Kapitalismus und der damit verbundenen Verbreitung der Lohnform zwangsläufig eine Ausdehnung der Subsistenzproduktion einhergeht. Die globale Ausweitung der Lohnform bringe folglich die Subsistenzproduktion keineswegs zum Verschwinden. Dies trifft insbesondere für die wichtigste, seit der Krise des Fordismus vor sich gehende Veränderung im Bereich der Reproduktion zu: Die Tatsache, dass ein Teil der vormals von Frauen gratis verrichteten Hausarbeit in die Lohnförmigkeit überging. Anders als zu erwarten und von der damaligen Frauenbewegung erhofft, führte dieser Formwandel aber nicht zu einem markanten Rückgang der unbezahlten Hausarbeit. 

Da der Care-Sektor als wertschöpfungsschwacher Sektor unter kapitalistischen Bedingungen zwangsläufig ein Niedriglohnsektor bleibt, in dem es kaum möglich ist, ein existenzsicherndes Einkommen zu generieren, bleiben die darin Tätigen für ihre eigene Reproduktion in großem Umfang auf unbezahlte Arbeit anderer angewiesen.[2]

So entsteht ein komplexes Ineinandergreifen von bezahlter prekarisierter Care-Arbeit und unbezahlter Care-Arbeit: Personen, meist Frauen, die etwa als überwiegend migrantische Haushaltshilfen, Pfleger*innen oder Nannys unter ihrem Reproduktionsniveau im Care-Sektor arbeiten, müssen sich selbst und ihre Kinder – da sie oftmals selbst Familienernährerinnen sind – durch unbezahlte Reproduktionsarbeit erhalten. Diese wird wiederum oft von anderen Frauen erbracht, die sich demselben Mechanismus aussetzen – ein Kreislauf, der sich unendlich fortsetzt und Reproduktionslücken nach ›unten‹ weiterreicht. Das heißt, die Überführung vormals von Frauen unentgeltlich verrichteter Arbeit in die Lohnförmigkeit führt unter kapitalistischen Verhältnissen paradoxerweise dazu, dass auch die Anforderungen an die unbezahlte Arbeit wachsen. Es scheint, zumindest für den Bereich der Reproduktion, eben nicht nur so, dass der Kapitalismus sein eigenes ‚Außen’ hervorbringt. Er hat darüber hinaus auch ein großes Interesse daran, sich dieses Außen zu erhalten, um weiterhin von seinen Ressourcen zu leben. Diesen Aspekt gibt das Konzept der Artikulation – anders als das Bild der Landnahme – sehr viel präziser wieder: Um ein laufender Zulieferer von unsichtbaren Ressourcen zu sein, muss das ›Außen‹ nicht nur enteignet, sondern auch erhalten bleiben.

Unsichtbare Enteignung

Mithilfe des Konzepts der »marginalen Masse« von Bennholdt-Thomsen (1981, 43) kann dieser Ressourcentransfer dahingehend beschrieben werden, dass mit dem Voranschreiten kapitalistischer Produktionsweisen die Menschen sich zunehmend außerhalb der Lohnverhältnisse reproduzieren, insofern sich die prekarisierte Lohnform generalisiert. Das heißt, Menschen reproduzieren sich, obwohl – oder gerade insofern – sie erwerbstätig sind, mehrheitlich außerhalb der Lohnarbeit in einer zweiten Produktionsweise, und damit aufgrund von Ressourcen, die nicht vom Lohn abgedeckt sind. Die in weit entwickelten Kapitalismen zu beobachtende Zunahme prekarisierter Lohnarbeit lebt integral von den Ressourcen der Subsistenzproduktion. Dabei ist zu bedenken, dass jede prekarisierte Lohnarbeit in spezifischer Weise Arbeitsressourcen der Reproduktion und somit »Mehrarbeit« anzapft, die zwar außerhalb der Lohnarbeit liegen, gleichwohl aber als Mehrarbeit in diese zurückfließen (ebd., 34f). Die Bedeutung der »marginalen Masse« liegt für Bennholdt-Thomsen also darin, dass diese sich aus der Perspektive des Kapitals kostenlos reproduziert, ihm aber, je nach Bedarf, dennoch wieder zur Verfügung steht:

»Da ein Teil der Bevölkerung die notwendige Subsistenzarbeit übernimmt, ohne dem Kapital Kosten zu verursachen, erhöht sich dadurch die Möglichkeit der Aneignung von Mehrarbeit für das Kapital enorm. [...] Die marginale Masse befindet sich nicht außerhalb oder am Rande, sie bildet vielmehr einen integralen Bestandteil des kapitalistischen Systems.« (Ebd., 44)


Es geht deshalb bei der von Bennholdt-Thomsen so bezeichneten »marginalen Subsumption« nicht um die Frage des Formwandels von unbezahlter in bezahlte Arbeit, sondern gerade um die für das postfordistische Akkumulationsregime notwendige Erhaltung der unbezahlten Arbeit oder noch genauer um das für postfordistische Verhältnisse konstitutive Wechselverhältnis von bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit, die beide zusammen die »normale« Lohnarbeit subventionieren. So berechnet Madörin (2017, 39ff) für die Schweiz, dass die bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit zusammen rund zwei Drittel des um die unbezahlte Arbeit erweiterten Bruttoinlandsproduktes ausmachen, das heißt, diese zwei Drittel des Wirtschaftens sind im Wesentlichen die ökonomische Grundlage, auf die sich der – so betrachtet – tatsächliche »Rest« des Wirtschaftens stützt. 

Rosa Luxemburgs Denken erweist sich für einen feministischen Zugang genau deshalb als fruchtbar, weil es auch ihr darum ging, jene von der marxistischen Theoriebildung vernachlässigten und damit weitgehend unsichtbar gemachten Ausbeutungsformen theoretisch zu erfassen und damit sichtbar zu machen. Der Fokus auf die spektakulären Formen der Enteignung, wie er die gegenwärtige Diskussion um neue Landnahmen dominiert, verstellt deshalb teilweise den Blick auf diesen schwerer greifbaren und daher stillschweigend vor sich gehenden Ressourcentransfer. Dieser stellt eben nicht einen einfachen Raub dar, sondern eine Form der Artikulation unterschiedlicher Produktionsweisen, für die es bisher in der linken Theoriebildung keine eigene Konzeptualisierung gibt. 

Luxemburgs Überlegungen bieten jedenfalls eine Lesart der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation, die es – wenn man sie als Artikulation unterschiedlicher Produktionsweisen begreift – erlaubt, der Situation des expandierenden Care-Sektors im Postfordismus und damit den veränderten Bedingungen der Hausarbeit im postfordistischen Akkumulationsregime Rechnung zu tragen. Das Konzept der Artikulation ist deshalb so zentral, weil es ermöglicht, die Reproduktion in ihrer bezahlten wie unbezahlten Form zusammen als eigene Produktionsweise zu denken, die – unter den vorherrschenden wirtschaftspolitischen Bedingungen – unter einer anderen Produktionsweise subsumiert wird.

[1] Die Zeitschrift The Commoner (Nr. 15., Winter 2012) greift in einer Themennummer „Care Work and the Commons“ auf diese älteren Debatten zurück. Darin sind auch wichtige Texte dieser Zeit wieder abgedruckt. 

[2] Ein Niedriglohnsektor bleibt der Care-Sektor, weil Care-Arbeit als arbeitsintensive Arbeit weitgehend rationalisierungsresistent ist und damit dem Segen der kapitalistischen Produktionsweise – der Möglichkeit zu Produktivitätssteigerungen mittels technischer Innovationen – nicht zugänglich ist (vgl. Madörin 2017). 

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