Der Einmarsch des russischen Militärs in der Ukraine ist ein Akt der Aggression, der unsägliches Leid für die ukrainische Bevölkerung verursacht und durch nichts zu rechtfertigen ist. Das Blutvergießen trifft auch russische Soldat*innen und die Bevölkerung in Russland wird für die Kriegskosten bitter bezahlen müssen. Sowohl der Widerstand in der ukrainischen Bevölkerung als auch die ersten Anzeichen russischer Proteste gegen den Krieg verdienen deshalb unsere volle Solidarität.
Es ist gut, dass Partei und Fraktion den Angriffskrieg von Russland auf das schärfste verurteilten und einen sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug der russischen Truppen forderten. Auch das demütige Eingeständnis, dass unsere Partei den Krieg durch Russland nicht für möglich gehalten hat, war richtig und wirkt glaubwürdig. Noch wenige Tage, bevor die ersten Bomben fielen, hatten einzelne Fraktionsmitglieder zu einer Kundgebung unter dem Motto »Sicherheit für Russland heißt Sicherheit für Deutschland aufgerufen« und die Warnungen vor einem Einmarsch ins Reich der Märchenerzähler*innen verwiesen. Was für eine verheerende Fehleinschätzung. Die Auseinandersetzung über das Verhältnis zu Russland beschäftigt die Partei seit ihrer Gründung. Die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung von dem Faschismus, die 27 Millionen Todesopfer durch den faschistischen Krieg und Terror, Not und Entbehrung, die der Bevölkerung der damaligen Sowjetunion aufgezwungen worden sind, wurden weltweit in der Linken nicht vergessen. Gerade in Zeiten des kalten Krieges war das keine populäre Haltung. Teile der Partei bewegten sich außerdem in der Traditionslinie des sowjetisch geprägten »realen Sozialismus«, der bis heute ihre Haltung zu Russland prägt. Unabhängig von der berechtigten Kritik vieler Linker am Charakter dieses Systems hat in Russland eine neoliberal geprägte Transformation zum Kapitalismus stattgefunden. Das Putin Regime verkörpert einen autoritären Oligarchenkapitalismus, der mit einem erstarkten Nationalismus einhergeht. Dieses System hat mit linken Vorstellungen nichts zu tun – im Gegenteil: Es liegt weit hinter den Maßstäben selbst bürgerlich liberaler Demokratien zurück. Unter Putin hat Russland wieder eine aktivere Rolle in der Weltpolitik eingenommen. Dabei geht es um knallharte Interessen, die auch militärisch durchgesetzt werden. Tommaso Di Francesco von il manifesto, der schon die Entscheidung von Putin, die Unabhängigkeit von Lugansk und Donezk anzuerkennen, als »Akt der Gewalt« und als abenteuerlichen Vorboten eines neuen Krieges bewertete, bezeichnet Russland als »von seiner ideologischen und militärischen Expansion angetrieben«.
Bei einer überwiegenden Mehrheit der Mitglieder unserer Partei ist die Haltung zu Russland auf Grund der autoritären Entwicklung im Land und Russlands Außenpolitik (zu der seit einigen Jahren auch die Unterstützung rechts-autoritärer und nationalistischer Kräfte in verschiedenen Ländern gehört) bereits seit längerer Zeit ausdifferenziert und kritischer geworden. Wir sind Friedenspartei und nicht außenpolitische Interessensvertretung anderer Länder. Diese Haltung wurde oft als eine ›Äquidistanz‹ kritisiert. Das ist eine Fehleinschätzung. Es ist keine Verharmlosung des US-Imperialismus, wenn Russland kritisiert wird. Die LINKE wird jedoch unglaubwürdig, wenn sie an unterschiedliche imperiale Mächte unterschiedliche Maßstäbe bei Menschenrechten, Demokratie, sozialer Gleichheit und friedlicher Außenpolitik anlegt. Sie muss uneingeschränkt jede kriegerische und imperiale Politik kritisieren und bekämpfen. Schon um gegenüber den westlichen Politiker*innen glaubwürdig zu sein, die mit völkerrechtswidrigen Kriegen der USA oder der NATO keine Probleme haben. Sie bedienen immer wieder die Erzählung, dass wir es mit dem ersten Krieg nach 1945 auf europäischem Boden zu tun hätten. Serbien, das 1999 unter tätiger Mithilfe der damaligen Rot-Grünen-Regierung bombardiert wurde, gehört jedoch genauso zu Europa wie die Ukraine.
Richtig war es, dass die LINKE Bundestagsfraktion spätestens nach den Reden von Olaf Scholz und Friedrich Merz den Antrag der Ampelkoalition abgelehnt hat, der die Unterstützung der Ukraine in einer Art Hau-Ruck-Aktion mit einem massiven Aufrüstungsprogramm verband. Die Bundeswehr wird mit einem Sonderfonds von 100 Mrd. Euro ausgestattet. Finanzielle Mittel werden innerhalb kürzester Zeit in einem Umfang mobilisiert, den die aktuelle und die Vorgängerregierung in sozialen Fragen, bei der Aufnahme von Geflüchteten oder bei der Entwicklungshilfe immer verweigert haben. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO soll übererfüllt werden, damit steigen Rüstungsausgaben auf über 70 Mrd. Euro. Der Jubel der anderen Parteien bei dieser Ankündigung von Scholz im Bundestag ist befremdlich. Das gleiche gilt für die Genehmigung von Waffenexporten. Offensichtlich drohen gerade alle Dämme zu brechen. »Mit der historischen Entscheidung, tödliche Waffen zu liefern, und seiner Rede im Bundestag hat sich Olaf Scholz zum Kriegskanzler gewandelt« schreibt Barbara Junge in der Taz, nicht ohne es als historische Ausnahmesituation zu bezeichnen. Gleichzeitig titelt die Taz: »Putin rüstet Deutschland auf«. Die Erzählung, dass bisher nicht aufgerüstet wurde, und wir eine völlige Zäsur der deutschen Außenpolitik erleben, ist nur zum Teil richtig. Die Mittel für die Bundeswehr wurden schon in den letzten Jahren gewaltig erhöht und das Zwei-Prozent-Ziel wurde auch seither nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Wahr ist auch, dass jetzt der letzte Widerstand in der SPD z.B. gegen bewaffnete Drohnen gebrochen ist. Wie immer ringen die Grünen mit sich, um dann doch die gewaltige Aufrüstung mitzutragen.
Auch wenn es schwer ist, und derzeit eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Maßnahmen der Bundesregierung unterstützt, muss die LINKE Kurs halten und die Stimme der Vernunft gegen Aufrüstung und Militarisierung sein. Ein neuer Rüstungswettlauf erhöht nicht nur die Kriegsgefahr, er kostet auch Geld, das für andere Zwecke nicht mehr vorhanden ist. Außerdem ist die Kritik an der NATO nach wie vor berechtigt. Sie hat ihren Einflussbereich nach Osten erheblich ausgedehnt, sie ist kein Friedensbündnis, sie ist Teil des Problems, nicht der Lösung. Das darf jedoch nicht mit Rechtfertigung verwechselt werden. Auch der Hinweis auf berechtigte Sicherheitsinteressen von Russland rechtfertigt keinen verbrecherischen Krieg oder relativiert die Kritik an seinen Verursachern.
Gerade weil wir für Abrüstung und Verhandlungen sowie gegen Waffenexporte und Aufrüstung sind, können wir nicht gleichzeitig gegen Sanktionen sein. Die bisherige Haltung »Sanktionen treffen die Bevölkerung, deshalb sind wir dagegen« lässt sich nicht durchhalten. Deshalb ist es richtig, dass in unseren Antrag Sanktionen gegen Oligarch*innen und Kriegstreiber*innen aufgenommen wurden. Wer könnte da ernsthaft etwas dagegen haben. Aber das wird nicht ausreichen. Die Ukraine wurde angegriffen und hat das Recht auf Selbstverteidigung. Waffenexporte an die Ukraine aber drohen das Blutvergießen zu verlängern; sie können sogar in eine direkte militärische Konfrontation mit Russland führen, uns in einen Krieg hineinziehen. Wer aber in dieser zugespitzten Situation eines Angriffskrieges auf Deeskalation setzt und Waffenexporte aus guten Gründen ablehnt, wird sofort mit der ebenso berechtigten Frage konfrontiert, wie denn Russland unter Druck gesetzt werden kann, einem Waffenstillstand zuzustimmen oder sogar den Krieg zu beenden. Wirtschaftliche Sanktionen sind der bessere Weg als der militärische. Natürlich werden die Sanktionen Putin unter Druck setzen. Auch wirtschaftliche Folgen etwa durch Sanktionen gegen die russische Zentralbank gehören da unvermeidlich dazu, da nur sie effektiven Druck erzeugen. Putins Wirtschaftspolitik hat es geschafft, das Pro-Kopf-Einkommen Russlands unter das Niveau von Rumänien zu verringern. Der Lebensstandard der russischen Bevölkerung sinkt und wird durch den Krieg weiter sinken.
Es ist am Ende eine offene Frage und eine Frage der politischen Auseinandersetzungen in Russland, ob eine sich verschlechternde wirtschaftliche Lage auch zu wachsendem Protest gegen den Krieg führt; die Regierung Putins setzen sie allemal unter Zugzwang.
Gezielte Sanktionen sind eine klare und letztlich die einzige derzeit politisch vermittelbare Alternative zu Waffenexporten. Sonst bleiben nur Appelle oder die Forderung, Putin ein Angebot zu unterbreiten, das er nicht ablehnen kann. Was soll das sein? Friedensverhandlungen müssen schließlich zwischen der Ukraine und Russland stattfinden. Dazu ist ein Waffenstillstand dringend erforderlich. Das jedoch hat allein Russland in der Hand, dessen kriegerischer Akt der Aggression nicht ohne Folgen bleiben darf. Wenn wir keine Aussagen treffen können, wie Druck auf Putin ausgeübt werden kann, wird es umso schwerer, der Stimmung »jetzt helfen nur noch Waffen« und dem richtigen Appell, die Ukrainische Bevölkerung nicht alleine zu lassen, etwas entgegen zu setzen.
Die LINKE muss deshalb m.E. offen für gezielte Sanktionen mit Maß sein, die die russische Oligarchie treffen und zugleich einer unkontrollierbaren Eskalationsspirale vorbeugen.
Es ist übrigens auch nicht so, dass die LINKE vor unserer Parteigründung nicht für Sanktionen war. Natürlich haben wir die Boykottkampagne gegen das Apartheidsystem in Südafrika und Hafenarbeiter*innen, die südafrikanische Produkte nicht entladen haben, unterstützt. Dass Putin durch die eigene Bevölkerung gestoppt wird, wäre natürlich das Beste. Das wird jedoch nicht schnell geschehen und der Krieg ist längst in Gange. Dass Niko Popp in der Jungen Welt sagt, wenn die Linke auf Sanktionskurs gehe, dann sei ihr Abmarsch im Dienst des Imperialismus erfolgt, ist eine bösartige Fehleinschätzung. Wir verbinden Sanktionen nicht mit Aufrüstung und Militarisierung wie die meisten anderen Parteien, sondern mit dem Gegenteil: Mit Abrüstung und Friedenspolitik.
Neben den bestehenden Sanktionen wäre z.B. die Beschlagnahmung eines relevanten Teils der Auslandsvermögen von russischen Oligarch*innen, wie sie mittlerweile auch anerkannte linke Ökonom*innen wie Paul Krugman oder Thomas Piketty auf unterschiedliche Weise ins Spiel bringen, geeignet, den linken Ansatz in dieser historischen Krise deutlich zu machen. Das oligarchische Vermögen könnte Faustpfand für den Abzug der russischen Truppen sein.
Der Hinweis, dass die unteren Gruppen der Bevölkerung die damit einhergehenden Energiepreissteigerungen bezahlen werden, kann nicht einfach übergangen werden. Hier ist es aber richtiger, staatliche Unterstützung zu fordern, soziale Ausgleichsmaßnahmen, eine staatliche Preisregulierung gegen die Energiekonzerne und eine stärkere Belastung der Reichen. Es wäre eine Sackgasse, wenn der Eindruck entsteht, dass Teile der LINKEN über Benzin- und Gaspreise diskutieren, während in der Ukraine Tausende von Menschen ihr Leben verlieren. Diesem Dilemma können wir entgehen, wenn wir deutlich machen, dass die immensen Milliardenbeträge für die Aufrüstung auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit gehen werden. Die Milliarden für Aufrüstung sind für einen wirklichen europäischen sozial-ökologischen Umbau und einen Friedensplan besser aufgehoben als in Konfrontation und Milliarden für Rüstungskonzerne. »Ohne eine andere sozial gerechte und klimagerechte europäische Wirtschaftsordnung kein Frieden in Europa und anderswo.« Mit dieser Richtung kann die LINKE in der neuen, deutlich jüngeren Friedensbewegung wirken und deutlich machen: dauerhaftem Frieden stehen die Interessen der Oligarch*innen in Russland und Kiew, der EU und den USA entgegen.
Neue Friedensbewegung
Zurzeit gehen Hunderttausende gegen den Krieg auf die Straße. Es ist richtig, dass die LINKE mit dazu aufruft und sich zugleich klar auf die Seite der »neuen« Friedensbewegung stellt. Das ist je nach örtlicher Lage gar nicht so einfach, denn es gibt Misstrauen gegen die LINKE wegen ihrer vermeintlichen oder teilweise tatsächlichen Kritiklosigkeit gegenüber Russland. Wir werden eher als Teil der »alten« Friedensbewegung betrachtet, die die Bindung an die junge Generation verloren und in ihren Aufrufen- oder Aufrufentwürfen für die Ostermärsche teilweise kein kritisches Wort über die Truppenaufmärsche an der ukrainischen Grenze gesagt hat. Ob sie wieder Zugang zu den Menschen bekommen wird, die derzeit auf die Straße gehen, ist eine offene Frage und wird davon abhängig sein, ob sie glaubwürdig eine Korrektur ihres bisherigen Kurses vornimmt. Wir sollten uns dafür nicht in Mithaftung nehmen lassen. Es ist völlig klar, dass sich ganz unterschiedliche Gruppen und Menschen mit zum Teil gegensätzlichen Vorstellungen auf den Straßen und Plätzen treffen. Da sind auch Forderungen nach Waffenlieferungen dabei oder nach Aufnahme der Ukraine in die NATO. Und natürlich, alles andere würde verwundern, versucht der herrschende Block, sie zu vereinnahmen, Kritik an der NATO oder der Bundesregierung unter den Teppich zu kehren. Die LINKE kann die klare Kritik an Russland verbinden mit der Kritik an Aufrüstung und Militarisierung, eine klare Stimme gegen einen erneuten Rüstungswettlauf sein. Auch die Gefahren der atomaren Bewaffnung können zu einem späteren Zeitpunkt wieder in den Vordergrund rücken. Die Drohung Putins, dessen Verhalten irrational und gefährlich ist, macht deutlich, welche Gefahren die Atombewaffnung darstellt, und dass ein Großteil davon auf die Länder in Europa gerichtet ist.
Viele der Hunderttausend, die jetzt auf die Straße gehen, sind entsetzt über das Leid und Elend, das dieser Krieg verursacht. Sie sind zurecht empört über die Brutalität des Putin-Regimes und die Geringschätzung der Interessen der Menschen in der Ukraine. Sie wollen nicht tatenlos zusehen, wie wenige Flugstunden von uns entfernt ein blutiger Krieg geführt wird. Vielfach sind es die gleichen jungen Menschen, die auch gegen die bedrohliche Klimakatastrophe auf die Straße gehen. Das ist ermutigend. In welche politische Richtung das geht, wird nicht unwesentlich von unserer eigenen Haltung und Glaubwürdigkeit abhängen. Erste Umfragen zeigen, dass 25 – 30 Prozent der Bevölkerung den Aufrüstungsplänen kritisch gegenüber stehen. Bei den Anhänger*innen der Linken sind es 67 Prozent. Sie müssen in unserer Partei eine glaubwürdige Vertretung finden.
Zuerst veröffentlicht auf bernd-riexinger.de, 28.2.2022