Es steht aber auch für die vielen Enttäuschungen mit der Drei-Parteien Allianz aus ANC, COSATU und SACP, die lange Zeit als legitime Vertretung der armen – also schwarzen – Bevölkerung galt. Nachdem sich deren ökonomische Situation in den letzten Jahren zusehends verschlechterte, öffentliche Güter und Infrastrukturen (Wasser, Strom, Bildung und Gesundheit) privatisiert wurden, wächst der Unmut gegen die Allianz. Ausdruck dafür sind die so genannten service delivery protests – Proteste, die den Zugang zu Infrastrukturen und öffentlichen Dienstleistungen fordern. Der Soziologe Peter Alexander (2010) nennt sie rebellions of the poor, denn es geht auch um Löhne und Jobs, um  Perspektivlosigkeit, Würde und Lebenschancen. Südafrika gilt derzeit als das Land mit dem höchsten Protestaufkommen nach China (vgl. Mottiar/Bond 2012). Diese Kämpfe sind allerdings nicht notwendig emanzipatorisch. In ihnen artikulieren sich auch Konkurrenzen und Machtkämpfe um die knappen Ressourcen. Nicht selten richten sie sich gegen MigrantInnen aus anderen afrikanischen Ländern. Umso bedeutender sind Bewegungen wie Abahlali, deren Selbst-Organisierung starke Elemente von Basisdemokratie umfasst und Perspektiven auf eine grundsätzlich andere Gesellschaft öffnet. Sie selbst nennen diesen Ansatz »lebende Politik« (2010). Mit mittlerweile über 10 000 zahlenden Mitgliedern sind sie eine wichtige – auch politische – Kraft in der Politik Durbans und Südafrikas geworden – auch wenn sie gemessen daran, dass allein in Durban über 800 000 Menschen in informellen Siedlungen wohnen, nur wenige sind (vgl. Gibson 2013). Immer wieder sind diese »Bewegungen von unten« mit massiven Einschüchterungsversuchen durch diejenigen konfrontiert, die sich in ihrer Macht beschnitten fühlen – ob auf kommunaler und provinzialer Ebene, ob durch (partei-)politische oder privatwirtschaftliche Akteure. Das Massaker in Marikana im Sommer 2012 (vgl. LuXemburg 4/2012) ist nur das eklatanteste Beispiel dieser Einschüchterung »von oben«. Corinna Genschel für die Redaktion Literatur Alexander, Peter, 2010: Rebellion of the poor: South Africa’s service delivery protests – a preliminary analysis, in: Review of African Political Economy, Vol. 37, No. 123, 25–40 Mottiar, Shauna, und Patrick Bond, 2012: The Politics of Discontent and Social Protest in Durban, in: Politikon: South African Journal of Political Studies Vol. 39, No. 3, 309–330
 
[i] www.abahlali.org
[ii] www.dearmandela.com   Entstehung – Wege zu Abahlali baseMjondolo Wie seid ihr zu Abahlali gekommen? Thembani Jerome Ngongoma Ich lebe in Durban, in einer informellen Siedlung, die GwaMashu heißt. Vor einigen Jahren war ich für meine Community in einem Programm aktiv, das sich »Recht und Ordnung« nannte – darüber bin ich mit Abahlali in Kontakt gekommen. Bei dem Programm ging es um die Kriminalität in den informellen Siedlungen. Wir hatten ein Radioprogramm, mit Hilfe dessen wir mit den Leuten sprachen: Sie erzählten uns ihre Probleme, z.B. wenn sie ZeugInnen von Verbrechen wurden – es ging darum, Ideen auszutauschen, wie auch ohne Hilfe der Polizei Gewalt reduziert werden könnte. Ich war total beeindruckt, wie die Leute von Abahlali unsere Probleme verstanden, und welche Ideen sie dazu hatten. Damals dachte ich: Wow, mit denen will ich arbeiten. Sie sind für die Leute an der Basis da – das ist in Südafrika selten. Das war 2009 – inzwischen bin ich stellvertretender Vorsitzender von Abahlali für meine Region und Vorstandsmitglied der Gesamt-Bewegung. Muziwhake Gerald Ndlalose Ich bin in einem kleinen Dorf im Norden von KwaZulu Natal aufgewachsen. Das Leben dort war ein ständiger Kampf, um Jobs, um dieses und jenes. 1992 bin ich in die Kennedy Road gezogen. Zu Apartheidzeiten war dies eine kleine Siedlung, 2005 lebten schon etwa 5000 Menschen dort, heute sind es vielleicht 7000. Nach dem Ende der Apartheid waren wir so voller Hoffnung, dass unsere Siedlung sich entwickeln würde, und dass die Bewohnerinnen und Bewohner der informellen Siedlungen ein besseres Leben führen könnten. Wir dachten, für die neue Regierung hätten die Armen Priorität und sie würden sich mit unserer schwierigen Situation befassen. 2005 mussten wir uns eingestehen, dass nichts passierte. Also beschlossen wir als BewohnerInnen der Siedlung, selbst aktiv zu werden – so kam ich zu Abahlali. Zuerst versuchten wir herauszubekommen, ob es im Rahmen des Wohnungsbauprogramms Entwicklungspläne für unsere Siedlung gab.[i] Immer wieder wurden wir abgewimmelt, als ob Arme in Südafrika gar nicht existierten. Wir merkten, dass wir uns selbst kümmern mussten, und benutzten dieselben Taktiken, die der ANC damals benutzt hatte: Briefe, Boykotte, Unruhen, Straßenblockaden. Damals hatten wir nur unsere Siedlung in Kennedy Road im Sinn – wir haben gar nicht über ganz Südafrika nachgedacht. Später blockierten wir dann die Hauptstraße, verbrannten Reifen, warfen Steine, verursachten Chaos, um Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Die Stadt reagierte mit einem großen Polizeieinsatz, bei dem sechs GenossInnen festgenommen und etliche u.a. durch Gummigeschosse verletzt wurden. Danach setzten wir uns wieder zusammen, um darüber zu diskutieren, wie wir mit den Festnahmen umgehen sollten. Es entstand die Idee, dass jeder Haushalt etwa fünf Rand [damals ca. ein Euro] beisteuern solle, um die Kaution für die Festgenommenen bezahlen zu können, was auch gelang. Wie habt Ihr euch organisiert? Nanntet ihr euch damals schon Abahlali? M.G.N. Zu diesem Zeitpunkt, 2005, waren wir noch dabei, richtige Strukturen aufzubauen, einen Ort zu schaffen, an dem diskutiert werden konnte. Wir brauchten RepräsentantInnen, die unsere Gemeinschaft vertreten konnten, also richteten wir verantwortliche Positionen ein: eine/n Vorsitzende/n und seine/n StellvertreterIn, SekretärIn und VizesekretärIn, SchatzmeisterIn bis hin zu den Organizern. Wir nennen das Entwicklungsstruktur. Es gibt ungefähr drei Treffen monatlich mit der Gemeinschaft der BewohnerInnen, um über die Situation zu sprechen, um Berichte zu hören z.B. auch von Treffen mit den Stadt- und Bezirksräten usw. Anders als Organisationen wie der ANC und die IFP[ii] arbeiten wir mit der Community zusammen. Wir sprechen nicht über Parteipolitik, sondern darüber, wie wir die Entwicklung vor Ort voranbringen können. Im nächsten Schritt überlegten wir, wie wir uns mit anderen informellen Siedlungen zusammentun könnten. Daher beschlossen wir, dass wir eine Organisation der Shack Dweller, der BewohnerInnen der Hütten brauchten – so entstand Abahlali baseMjondolo. T.J.N. Das ist ein einfacher Name, der die Leute anspricht. JedeR versteht, dass das eine Organisation für die BewohnerInnen der informellen Siedlungen ist.   Rechte für Arme und Zugang zu Land M.G.N. Unser erster Vorsitzender war S'bu Zikode. Er war sehr gut für die Bewegung, die nun anfing, auch die umliegenden Siedlungen zu organisieren. Leute kamen auf Abahlali zu, weil die Vorstellung, für unsere Rechte zu kämpfen einfach einleuchtend war. Damals ging es in erster Linie um die Entwicklung und den Ausbau unserer Siedlung und um unsere Rechte. Später entwickelte sich die Idee, für etwas Konkreteres zu kämpfen: nicht nur für den Ausbau der Siedlung, sondern für die Menschenwürde, für Anerkennung, für den Schutz unserer Verfassung. T.J.N. Und für Zugang zu Land, damit dort Häuser gebaut werden und die Siedlungen sich entwickeln könnten. M.G.N. Abahlali verbreiterte sich. Gruppen wie die Anti-Eviction Campaign (AEC) aus Kapstadt[iii], und die Landlosenbewegung schlossen sich unserem Kampf an. Auch in informellen Siedlungen finden staatliche Zwangsräumungen statt. Mit der Expansion von Abahlali entwickelten wir eine regionale Struktur, einschließlich Wahlen für die Vorstandsmitglieder, und eine Satzung. Sie ist sehr flexibel, weil sie von uns verfasst wurde, also von den Menschen, die selbst wissen, was sie brauchen und was sie verändern müssen, wenn es nicht funktioniert. Wir haben regelmäßige Wahlen. Nach einem Jahr entscheiden wir, ob sich neue Vorstandsmitglieder bewährt haben. So wurde S'bu Zikode von 2005 bis 2009 zum Präsidenten. Dann wurde ich zum Vorsitzenden der Gesamtorganisation gewählt.   Gewaltverhältnisse und Selbstorganisierung Abahlali steht auch für ein anderes System von Recht und Ordnung. Was bedeutet das genau? T.J.N. In Kennedy Road wie in allen informellen Siedlungen gibt es das Problem, dass die Polizei sich nicht so verhält, wie man es von ihr erwarten könnte. Wenn jemand bei der Polizeistelle anruft, heißt es, dass gerade keine Streifen zur Verfügung stehen. Dadurch schwindet das Vertrauen der Menschen in die Polizei. Die BewohnerInnen begannen, eigene Patrouillen aufzustellen, um sich selbst um diese Angelegenheiten zu kümmern – mit der Absicht, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Es geht dabei um den Schutz der BewohnerInnen. Es wäre an sich gar nicht nötig, eine »Sicherheitsstruktur« von unten aufzubauen, wenn die Polizei ihre Arbeit machen würde. Der Grund für diese Selbstorganisation ist, dass sich die BewohnerInnen sicher fühlen wollen und die Polizei nicht immer zur Stelle ist, wenn sie gebraucht wird. 2009 kam es in Kennedy Road zu massiven Angriffen auf Abahlali – und es passierte genau das. Die Polizei kam zunächst gar nicht, und als sie dann endlich kam, wurden die Patrouillen, die die BewohnerInnen vor dem angreifenden Mob schützen wollten, selbst festgenommen. Damals wurde der Konflikt auch für die Leute noch einmal deutlicher. Nach den Angriffen wurde euch vorgeworfen, das Recht in die eigene Hand zu nehmen. Zu eurem Sicherheitskonzept gehören auch Ausgangssperren?   T.J.N. Nun, ich würde es nicht Ausgangssperre nennen. Denn der »Sicherheitsapparat« von Kennedy Road agiert nicht nach eigenem Gutdünken. Alles wird auf den Versammlungen entschieden. Die BewohnerInnen entschieden, dass Shebeens[iv] wegen der hohen Kriminalität besonders am späten Abend zu einer bestimmten Stunde schließen sollten. Auf der Grundlage eines Mandats der Versammlung führte die »Sicherheitsstruktur« dies aus. Das wird dann oft verdreht und gegen uns gewendet. Unsere Gegner behaupteten, dass Verfechter von Recht und Ordnung eine Ausgangssperre verhängt hätten. Die BewohnerInnen selbst wollten, dass die Shebeens zu einer bestimmten Zeit schließen, um die Gewalt einzudämmen. An dieser Stelle entstand ein Konflikt. Denn die Shebeen-BetreiberInnen und diejenigen, die sich gerne länger darin aufhalten wollten, leisteten Widerstand gegen die Entscheidung der Versammlung. Wie geht ihr mit solchen Konflikten wie die um die Shebeens um? T.J.N. Wenn es auf einer Versammlung um die Shebeens geht, werden die BetreiberInnen natürlich dazu eingeladen. Sie müssen in die Entscheidung mit einbezogen werden und sie müssen unmittelbar mitbekommen, was entschieden wird. Abahlali ist basisdemokratisch. Wenn es zu Uneinigkeiten kommt, wenn kein Konsens erreicht werden kann, wird abgestimmt. Dann gilt der Wille der Mehrheit und der wird umgesetzt. Dennoch versucht unsere Organisation immer, eine Lösung zu finden, der alle zustimmen können.   Organisierte Angriffe auf Abahlali baseMjondolo 2009 Bitte erzählt etwas mehr über eure Form der Selbstorganisierung, auch von den politischen Konflikte, die diese auslöst. M.G.N. An dem Tag der Angriffe in Kennedy Road 2009 fand ein Jugendtreffen von Abahlali statt, ein Camp, das bis zum Morgen gehen sollte. Wir hatten noch nicht mal richtig angefangen, als zwischen 21 und 22 Uhr die Krawalle losgingen. Es fing damit an, dass jemand die Shebeen-BetreiberInnen rief, die mit der Entscheidung der Versammlung nicht glücklich gewesen waren. Das war der Auslöser, aber uns war von Anfang an klar, dass der Angriff nicht von ihnen ausging, sondern vom ANC geplant worden war. Sie hatten die Nase voll von Abahlali und dem, was in Kennedy Road passierte. Vor allem ärgerten sie sich über unsere Klage gegen den Slums Act, gegen den wir Verfassungsbeschwerde eingelegt hatten[v]. Der ANC wusste, dass er vor dem Verfassungsgericht verlieren würde und versuchte daher mit allen Mitteln, unsere Organisation zu zerstören und uns aus Kennedy Road zu vertreiben, weil das als unsere Hochburg galt. Der Angriff fand in der Nacht statt. Tagsüber hatten die Leute noch im Community Center und im Camp zusammen gesessen und den Heritage Day gefeiert, ohne zu ahnen, was am Abend passieren würde. Einige Abahlali-Mitglieder, die am nächsten Morgen festgenommen wurden, waren nicht einmal vor Ort, sondern feierten ihren Cultural Heritage Day mit Tänzen usw. in Claremont, in der Nähe von Durban. T.J.N. Sie wurden nur festgenommen, weil sie Abahlali und dem Sicherheitskomitee, den Patrouillen, angehörten. M.G.N. Als sie am frühen Morgen zurückkehrten, liefen sie schnell nach Hause zu ihren Familien, um herauszufinden, was passiert war. Sie suchten ihre Angehörigen, denn die Leute waren alle verstreut. Sie waren dabei, Kennedy Road zu verlassen. Sie hatten Angst. Viele ihrer Verwandten wurden schwer verletzt oder sogar fast getötet. Zum Zeitpunkt der Angriffe hatte die Polizei noch nicht eingegriffen, weil sie hinter den Angreifern stand, die unsere Sicherheitsleute attackierten. Diese wurden von der Polizei dann teilweise unter dem Vorwand, sie vor dem Mob zu schützen, in die Polizeiwagen gelockt und dann festgenommen. Daran waren auch die Beamten von der zuständigen Polizeistation in der Nähe von Kennedy Road beteiligt. Sie hatten ein Mandat für unsere Festnahme. Da entschieden wir, Kennedy Road zu verlassen. Unsere Häuser waren demoliert, S'bu Zikodes Haus gehörte zu den am stärksten zerstörten Gebäuden, weil sie sicherstellen wollten, dass er niemals zurückkehren würde. Seine Verfolger sollten ihn umbringen, wenn sie ihn fanden. Kennedy Road ist heute verwahrlost, es gibt viel Kriminalität. Was habt ihr nach diesen Angriffen getan? M.G.N. Wir verließen Kennedy Road. Wir versuchten auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene die Regierung anzugreifen, wir schrieben Briefe und E-Mails und versuchten es telefonisch. Keine Reaktion! Nicht mal der Katastrophenschutz reagierte, als wir versuchten, Notunterkünfte für uns und unsere Familien zu bekommen. Wir mussten bei NachbarInnen, FreundInnen oder GenossInnen unterkommen. Wir haben alles versucht, um mit der Regierung ins Gespräch zu kommen. Wir haben eine unabhängige Untersuchungskommission vorgeschlagen, die nicht nur die Seite der Regierung, sondern auch unsere Seite untersuchen sollte, um genau zu wissen, was in Kennedy Road passiert ist. T.J.N. Wir sind keine Bewegung, die es sich leisten kann, Kriminelle zu schützen. Das wäre gegen unsere Ethik. Es gab auch ein Gerichtsverfahren. Leute von Albahlali wurden wegen Landfriedensbruch angeklagt. Sie wurden aber freigesprochen, denn ihnen war ja das, was ihnen vorgeworfen wurde – nämlich den Angriff, dessen Opfer sie waren, selbst angezettelt zu haben –, nicht nachzuweisen[vi]. Was für Schlüsse habt ihr aus diesen Ereignissen in Kennedy Road gezogen? T.J.N. Die Menschen haben gelernt, dass es gefährlich ist, wenn man aufsteht und versucht, den eigenen Rechten Geltung zu verschaffen. Aber statt zu verschwinden, ist die Organisation sogar gewachsen. Menschen treten Abahlali in dem Wissen bei, dass es für sie lebensbedrohlich werden kann und sie von Sanktionen betroffen sind. Wer bekanntermaßen Mitglied bei Abahlali ist, bekommt keine Arbeit bei der Kommune. Trotzdem treten sie bei, weil sie wissen, dass Abahlali für die Rechte der Armen eintritt. Abahlali als Bewegung hat gelernt, dass es trotz der Gefahren möglich ist, von unten eine eigene Organisation aufzubauen, die sie selbst kontrollieren und die ihre eigenen politischen Vorstellungen verkörpert. Die Menschen aus Kennedy Road und die Bewegung als Ganze sind Beispiel und Inspiration für alle geworden.   Juristische Kämpfe In einigen Fällen entscheidet ihr euch auch, vor Gericht zu ziehen, um die Politik auf höherer Ebene in Frage zu stellen. T.J.N. Ja, das gilt besonders für Gesetze, die das Leben von Abahlali-Mitgliedern direkt beeinträchtigen. Ein gutes Beispiel ist der schon erwähnte Slums-Act. Er sollte legalisieren, dass Slums aufgelöst und die BewohnerInnen vertrieben werden. Er sollte der Kommune und den Landbesitzern mehr Macht geben, Menschen von ihrem Land zu vertreiben. Laut Verfassung hat aber niemand das Recht, andere vom Land und aus der Wohnung zu vertreiben. Wir haben dann vor dem Verfassungsgericht geklagt und das Verfahren gewonnen. Das Gesetz musste zurückgenommen werden. Wir waren nicht gegen das Gesetz als Ganzes, sondern gegen die Art, wie es umgesetzt wurde. Wenn es der Kommune um die Verbesserung der Siedlung geht, dann ist das zum Wohl der BewohnerInnen. Wir waren aber dagegen, dass die BewohnerInnen aus ihren Hütten in Durchgangslager oder temporäre Siedlungen umgesiedelt werden. Unsere Erfahrung war nämlich, dass sich die Durchgangslager zum festen Wohnort entwickelten. Und in den Durchgangslagern gibt es weder Wasser noch Strom noch sanitäre Anlagen. Dort ist das Leben noch schlechter als in der informellen Siedlung. Die Wohnungen sind klein und jede Familie bekommt nur einen Raum von sechs mal sechs Metern. Wären die Menschen in richtige Häuser umgesiedelt worden, hätten sie sich gefreut und niemand hätte einen Grund gehabt, vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Gibt es zurzeit andere Kämpfe, die ihr mit der Kommune auf rechtlicher Ebene austragt? T.J.N. Nur die Auseinandersetzungen um Zwangsräumungen und Wohnungsbau, also die Frage, wann und wo die Häuser gebaut werden. Wir wollen wissen, warum das Land nicht verfügbar ist. Die Kommune behauptet in den Medien und auf Nachfragen, dass sie gerne Häuser bauen möchte, aber kein Boden zur Verfügung steht. Wir fragen, wie es sein kann, dass es einen Mangel an Boden gibt. Wir sind die EinwohnerInnen von Südafrika. Wir sind diejenigen, denen das Land zugute kommen sollte, wie kann es da einen Mangel geben?  L.G.T. Sie sagen, der größte Teil des Bodens sei in privater Hand. Aber es gibt ein Gesetz zur Umverteilung des Bodens[vii]. Wieso wird es nicht umgesetzt? Vielfach befinden sich große Ländereien im Besitz einer einzigen Person, die den Boden aber nicht einmal landwirtschaftlich nutzt. Die südafrikanische Regierung ist nur am Schutz des Eigentums interessiert und nicht daran, das Leben der Armen zu verbessern. Findet ihr Bündnispartner in diesen Kämpfen und im Aufbau von Strukturen in den Siedlungen? L.G.T. Es gibt NGOs, mit denen wir zusammenarbeiten, besonders das Church Land Programme, Amnesty International, das Socio-Economic Rights Institute (SERI), das auch die Marikana-Minenarbeiter verteidigt hat (vgl. LuXemburg 4/2012). Wir sind auch auf Bündnispartner im finanziellen Sinne angewiesen, z.B. für Reise- oder Anwaltskosten. Denn von zehn Rand Mitgliedsgebühr können wir das nicht bestreiten. Wir arbeiten aber auch mit dem Rural Network und mit der Kampagne gegen Zwangsräumungen sowie der Erwerbslosenbewegung zusammen.   Sich selbst repräsentieren statt repräsentiert zu werden Könnt ihr euren Ansatz der Selbstrepräsentation etwas genauer beschreiben? Das ist ja eine für eure Bewegung sehr bestimmende Haltung. L.G.T. Wir repräsentieren uns selbst. Wir lassen uns von niemand anderem repräsentieren. Das hängt auch mit der Frage der Selbstorganisierung zusammen und damit, wie wir mit anderen zusammenarbeiten. Wir finden es nicht gut, wenn sich andere zu Repräsentanten einer Bewegung machen, der sie nicht angehören. Was uns am Ende immer hilft, ist Basisdemokratie. Andere Organisationen haben sich daran gewöhnt, für andere zu denken und in ihrem Namen zu sprechen. Basisdemokratie hebelt das immer aus. Sobald Organisationen sich uns nähern und versuchen, mit uns zusammenzuarbeiten, wird Basisdemokratie zum Selbstläufer. Das schreckt zum Teil ab, aber wer nicht bereit ist, echte Demokratie zu praktizieren, kann auch nicht mit Abahlali zusammenarbeiten. Die Führungen anderer Organisationen sind es oft nicht gewohnt zuzuhören, was die Menschen zu sagen haben. Sie sind es gewohnt, alles für sie, aber ohne ihre Beteiligung zu tun. Dieses Prinzip wird von Abahlali nicht unterlaufen. Es macht Abahlali zur Organisation der Menschen für die Menschen durch die Menschen, weil bei Abahlali nicht der Vorstand, sondern die Betroffenen selbst die Kontrolle über ihre Organisation haben.   Perspektiven Wie seht ihr eure Zukunft? Was sind die nächsten Schritte und wo seht ihr Abahlali in fünf Jahren? T.J.N. Wir stellen uns eine friedliche Welt vor, in der Menschen als Menschen mit Respekt und Würde in der Gesellschaft anerkannt werden, gleichgültig, ob sie arm oder reich sind. Das erste ist das Konzept des Friedens, denn es darf keine Entwicklung geben, wo Menschen gegeneinander kämpfen. Damit sind nicht nur physische Angriffe, sondern auch verbale Drohungen gemeint. Deshalb fangen wir immer damit an zu organisieren, dass sich die Menschen selbst verstehen, damit sie in der Lage sind, ihre wahren Gegner zu identifizieren. Wir ermutigen sie, nicht die individuellen Personen als ihre Feinde ins Visier zu nehmen, sondern hinter diejenigen zu schauen, die ihrem Wohl entgegenstehen, damit sie verstehen, dass es nicht die Individuen sind, sondern das herrschende System. Das ist der Ausgangspunkt des Hasses. Wenn das verstanden wurde, kann man sich zusammensetzen und weitersehen. Der nächste Schritt ist, weiter an der Basis zu mobilisieren und unsere Zweigstellen zu stärken. Außerdem wollen wir unsere Bündnispartner sensibilisieren und bei dem Versuch mitnehmen, einen Gipfel für die Mittel- und Arbeiterklasse sowie für Erwerbslose und Arme zu organisieren. Unser Ziel ist, dass die TeilnehmerInnen sich eine eigene Agenda geben. Sie müssen selbst entscheiden, worüber gesprochen werden soll. Wir werden die TeilnehmerInnen auch ermutigen, Resolutionen zu den Themen zu verabschieden, damit wir entsprechend handeln können. Wir werden zuerst auf lokaler Ebene zu solchen Gipfeln einladen, erst danach werden wir auf Provinz- und dann auf nationaler Ebene einladen. An diesem Punkt kommen auch unsere Bündnispartner ins Spiel, NGOs mit ähnlichen Ideen, wie wir sie haben. Wir wollen Politik abseits des Staates betreiben. In dieser Richtung haben wir bereits alles versucht, und trotzdem hat uns der Staat ignoriert. Jetzt sind wir dabei, eine völlig neue Gesellschaft von unten aufzubauen. Wir hoffen, dass uns das gelingt. Wir sind nicht in der Position zu bestimmen, was auf den Gipfeln diskutiert wird und welche Positionen die TeilnehmerInnen vertreten. Wir wollen einen wirklichen Neuanfang machen, bei dem die Menschen selbst beginnen aufzuschreiben, was die Regierung für sie tun soll. Das werden wir dann aufnehmen. Wir wollen eine Transformation Südafrikas von unten. Wir haben also mit dem Versuch begonnen, die Menschen von unten zu vereinen – nicht gegen ihre Regierungen, sondern gegen das System, das die Regierungen anwenden. Wir wollen die Regierungen dahingehend beeinflussen, dass sie das System ändern, wie sie mit den Armen umgehen. Es wird also von den Regierungen abhängen, ob sie bereit sind, das System zu ändern und mehr auf der Seite der Armen zu stehen, oder nicht. M.G.N. Wir brauchen keine Regierung, die für die Menschen entscheidet, die in ihrem Namen und über sie spricht, sondern eine, die ihnen zuhört und wirklich mit ihnen spricht. Denn wir sind mehr als bereit, einen sinnvollen Beitrag für unsere Länder zu leisten. Aus dem Englischen von Daniel Fastner und Corinna Genschel Literatur Alexander, Peter, 2010: Rebellion of the poor: South Africa’s service delivery protests - apreliminary analysis, in: Review of African Political Economy, 37(123), 25-40 Bond, Patrick und Shauna Mottiar, 2012: The Politics of Discontent and Social Protest in Durban, in: Politikon. South African Journal of Political Studies, 39:3, 309-330 Gibson, Nigel C., 2013: Was ist mit dem versprochenen Land passiert? Post-Apartheid Südafrika aus der Perspektive Franz Fanons, in: Prokla 170, 11–135    
 
[i] Anm. der Red.: Das Wohnungsprogramm war Teil des »Reconstruction and Development Programme«, das die erste demokratische gewählte Regierung 1994 aufgelegt hat. Dabei ging es sowohl um die Bereitstellung von Wohnraum/Häusern als auch um sauberes Wasser, Strom und ökonomische Entwicklungsmöglichkeiten für die von der Apartheid betroffenen armen Schwarzen in den Townships. RDP lief 2001 aus und wurde als stark unzureichend kritisiert. Es wurde nie genug Wohnraum gebaut – ob Mietkomplexe oder Siedlungen mit kleinen Häusern, auch waren die Häuser in der Regel völlig mangelhaft konstruiert. Zudem war die Vergabepolitik – für Baufirmen wie auch für die potentiellen BewohnerInnen – in keiner Weise kontrolliert. Bezahlbarer und würdevoller Wohnraum mit entsprechender Infrastruktur ist deswegen eins der größten sozialen Probleme mit viel Sprengstoff in Südafrika.
[ii] Anm. der Red.: Die IFP, Inkatha Freedom Party, wurde 1975 im damaligen KwaZulu Homeland für und von der ethnischen Gruppe der Zulu gegründet und verstand sich jahrzehntelang als Gegengewicht zum ANC. Nach dem Ende der Apartheid war sie viele Jahre in der Provinz KwaZulu Natal eine zentrale Partei und stellte den Premierminister. Seit 2009 hat sie massiv an Bedeutung verloren.
[iii] Anm. Der Red.: AEC, die Anti-Eviction Campaign wurde 2000 in Kapstadt gegründet, um gegen Zwangsräumungen (z.B. bei Mietrückstand), bei Strom- und Wasserabschaltungen zu protestieren und dieses zu verhindern. Auch wenn es die AEC mittlerweile in verschiedenen Städten und Regionen gibt, hat sie ihre Basis in Kapstadt und der Provinz Westkap. Siehe auch: http://antieviction.org.za/about-us/
[iv] Anm. der Red.: lokale, selbstorganisierte Kneipen mit selbstgebrautem Bier
[v] Der so genannte Slum Act – KwaZulu Natal Elimination and Prevention of Re-Emergence of Slums Act 2007 – sah vor, dass Stadtverwaltungen in der Provinz KwaZulu Natal »illegal errichtete« Siedlungen räumen lassen konnte, vgl. auch Gibson, S. 115. Dagegen hat Abahlali mit Erfolg Verfassungsbeschwerde eingelegt (siehe http://www.loc.gov/lawweb/servlet/lloc_news?disp3_l205401637_text oder www.pambazuka.org/en/issue/423).
[vi] Kerry Chance hat einen Versuch unternommen, die damaligen Ereignisse und Vorwürfen zu untersuchen. Siehe ihre hervorragende und erschütternde Arbeit: Chance, K. (2010) The Work of violence: a timeline of armed attacks at Kennedy Road. School of Development Studies Research Report, 83, July 2010 (http://sds.ukzn.ac.za/default.php?3,6,684,4,0)
[vii] Anm. der Red.: Die Rückgabe von Land (Land restitution) war eines der Versprechen des ANC, als dieser 1994 an die Macht kam. Zunächst wurde es mit Hilfe eines willing seller – willing buyer-Programms umgesetzt, in dessen Rahmen die Regierung Land von weißen Großgrundbesitzern aufkaufte und verteilte. Auch wurde Land von Schwarzen, das die Regierung in der Apartheid-Ära enteignet hatte, wieder zurückgegeben. Da die südafrikanische Landreform jedoch insgesamt nicht vorankam, kündigte die Regierung Anfang 2006 an, auch zum Instrument der Enteignung – mit Entschädigung der Grundbesitzer – zu greifen.