Zukunft des Atomdeals auf tönernen Füßen: Welche sind die neuralgischen Stellen?
Wegen seiner Unzufriedenheit mit Tillerson bildete Trump nach der Juli-Überprüfungsrunde ein Team von Vertrauten im Weißen Haus, um das Außenministerium in der Iran-Frage zu umschiffen und um ihn bei der nächsten 90-Tage-Überprüfung im Oktober mit der Möglichkeit zu versehen, Iran als vertragsbrüchig zu bezichtigen (Winter et al. 2017).
Im Folgenden sollen einige neuralgische Punkte des Atomdeals aufgezählt werden.
US-Strategie der »radikalen Umsetzung«
Die USA könnten den so genannten Spot-inspections-Mechanismus (sprich: kurzfristig angesetzte Inspektionen) des Deals nutzen, um Zugang zu Irans Militäranlagen einzufordern. Sobald Teheran dagegen protestieren sollte, zumal der Mechanismus nur im Falle greifbarer Beweise vorgesehen ist, dass jene Anlagen für unzulässige atomare Aktivitäten genutzt werden, könnte Trump in die Lage versetzt werden, Iran Vertragsbruch vorzuwerfen. Laut einem Bericht der New York Times Ende Juli sei bereits die Grundlage für eine Strategie der »radikalen Umsetzung« des Deals gegeben. So nannte es der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Senats, der Republikaner Bob Corker. »Falls sie [die Iraner, Anm.d.Verf.] uns nicht hereinlassen, [dann] Boom.« Ziel sei es, den Zusammenbruch des Deals Iran in die Schuhe zu schieben, damit es zu keiner Spaltung zwischen den USA und ihren am Atomdeal beteiligten Bündnispartnern kommt.
Trump zeige sich zuversichtlich, dass Iran im Oktober eine Verletzung des Abkommens angekreidet werden könne (Sanger 2017).
Zugang zu Irans Militäranlagen
Die USA fordern derweilZugang zu Irans militärischen Anlagen, um eine iranische Reaktion zu provozieren, die ihren Rückzug vom Deal legitimieren könnte. Im Vorfeld ihres Besuchs bei der IAEA in Wien, um deren Inspektionsregime in Iran zu diskutieren, sagte die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley, dass Teheran für »seine Raketenwerfer, Unterstützung des Terrorismus, Missachtung der Menschenrechte und Verletzungen von UN-Sicherheitsresolutionen« (Daniels 2017, Übersetzung des Verf.) zur Rechenschaft geozogen werden sollte Bei ihrem Treffen mit der IAEA, forderte Haley die Behörde auf, auch Irans militärische Anlagen zu inspizieren (Smith-Spark & El Sirgany 2017). Die IAEA ihrerseits lehnte diese Forderung prompt ab. Gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press erklärte IAEA –Direktor Yukiya Amano, dass seine Organisation Zugang zu allen Anlagen hätte, ohne „zwischen militärischen und zivilen Orten zu unterscheiden“. Denn im Atomdeal ist ein Mechanismus eingebaut, wonach die IAEA Zugang zu sensiblen Anlagen beantragen und sogar einfordern kann, falls fünf der sieben in der so genannten Gemeinsamen Kommsission vertreteten Vertragsunterzeichner dem zustimmen (Borger 2017).
Bislang gibt es jedoch keine Anzeichen dafür, dass die IAEA – anders als noch während des jahrzehntelangen so genannten Atomstreits – sich dem US-Druck beugen wird, zumal Washingtons Position von keinem der anderen Mitunterzeichner des Iran-Deals getragen wird. Tatsächlich ist die Erklärung der IAEA vom 30. Oktober, derzufolge, wie gesagt, der Iran seine Auflagen erfüllt habe, konsequent.
»Geist« des Atomdeals unterschiedlich interpretiert
Neben diesen politisch motivierten Schritten hin zu einem Zusammenbruch des Atomdeals gibt es aber auch eine Reihe von objektiven Aspekten, die dasselbe Ergebnis zeitigen könnten. Dazu gehören vor allem unterschiedliche Vorstellungen zum sogenannten Geist des Abkommens. Die Verletzung des Geistes des Abkommens allein hat jedoch keinerlei rechtliche Bewandtnis (Al Jazeera, 18.7.2017).
Dazu gehört auch die implizite Vorstellung, vor allem in den USA, infolge des Atomdeals werde es zu Kurskorrekturen des Iran kommen. Dort hieß es, dass die Unterzeichnerstaaten des Abkommens davon ausgehen (»anticipate«), dass die »vollkommene Implementierung dieses [Abkommens] sich positiv auf Frieden und Sicherheit regional und international auswirken werde« (EEAS 2015). Teherans Regionalpolitik war seit dem Abkommen in der Tat nicht mit diesen Zielen vereinbar.
Des Weiteren könnte die weithin ignorierte Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrates vom 20. Juli 2015, die den Atomdeal aufgriff, eine wichtige Rolle einnehmen. Darin wird nämlich Iran »aufgefordert, bis zu dem Tag acht Jahre nach dem Tag der Annahme des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans oder bis zu dem Tag, an dem die IAEO einen Bericht vorlegt, der die breitere Schlussfolgerung bestätigt, je nachdem, welcher Zeitpunkt früher liegt, keine Tätigkeiten im Zusammenhang mit ballistischen Flugkörpern durchzuführen, die dazu angelegt sind, Kernwaffen zum Einsatz bringen zu können, einschließlich Starts unter Verwendung von Technologie für solche ballistischen Flugkörper« (ebd.). Ob diese Aufforderung rechtlich bindend ist oder nicht, ist unter Experten umstritten. Dennoch besteht durchaus die Möglichkeit, dass neue Sanktionen mit der Fortführung des iranischen Raketenprogramms und damit einhergehenden Tests begründet werden könnten (Deutsche Welle, 30.3.2017).
Die EU und die USA pflegen jedoch unterschiedliche Lesarten, was die Frage nach dem Geist des Abkommens anbelangt. Europa sieht dessen Verletzung durch den Iran eher als punktuell und versehentlich an, während Washington darin eine Systematik sieht. Die Position Europas erklärt sich durch dessen Wirtschaftsinteressen gegenüber dem Iran (vgl. Cunnigham 2017).
Teheran seinerseits macht Washington für den Bruch des Geistes des Abkommens verantwortlich. Vor allem wirft die iranische Regierung den USA vor, sie würden die Aufhebung der Sanktionen ausbremsen. Zuletzt wurde Trump vorgehalten, am Rande des G20-Gipfels in Hamburg explizit Artikel 29 des Atomabkommens verletzt zu haben, indem er dort andere Länder aufrief, keine Geschäfte mit dem Iran zu betreiben (vgl. auch NIAC 2017).
Auswirkungen der US-Politik auf die europäische Iran-Politik: US- versus EU-Politik
Der Graben zwischen der Iran-Politik der EU einerseits und jener der USA andererseits bleibt erheblich. Während die EU-Staaten weiterhin am Annäherungskurs gegenüber Iran festhalten, verfolgt die US-Außenpolitik nunmehr eine Eindämmungspolitik gegenüber Iran (vgl. Fathollah-Nejad 2017b).
Derweil drohte der iranische Präsident Hassan Rohani im August bei einer Rede vor dem Parlament, das Atomprogramm in verstärkter Weise wieder aufzunehmen, falls die USA ihre Politik »der Sanktionen und des Zwangs« fortsetzten. Doch diese Drohung ist nicht besonders glaubwürdig (vgl. Hasselbach 2017). Denn immerhin hat das Regime in Iran durchaus vom Abkommen und seinen Folgen profitiert. Die Wiederbelebung der Wirtschaftsbeziehungen begünstigte allerdings ausnahmslos den autoritären Staat. Die Kritik aus dem Westen gegenüber der sich verschlimmernden Menschenrechtslage – Iran hält seit einigen Jahren den Weltrekord in puncto Exekutionsrate – verstummte.