Anknüpfend an den historischen Sieg von SYRIZA in Griechenland am 25. Januar, rief der Vorsitzende von Sinn Fein, Declan Kearney, dazu auf, eine organisierte Diskussion um den Aufbau einer breiten linken Koalition zu führen. In der Februarausgabe der republikanischen Zeitung An Phoblacht hatte Kearney die Linke aufgerufen, sich die verbreitete Wut gegen die lähmenden Sparmaßnahmen zunutze zu machen, um eine glaubwürdige linke Alternative in Irlands südlichem Staat aufzubauen. »In Irland sollte eine politische Diskussion um die Frage beginnen, wie ein Konsens zwischen Sinn Fein, progressiven Unabhängigen, der Gewerkschaftsbewegung, lokalen Initiativen und der nichtsektiererischen Linken herbeigeführt werden kann«, so Kearney. »Es ist jetzt Zeit für ernsthafte politische Diskussionen zwischen AktivistInnen progressiver irischer Politik, der Lokalpolitik und den Gewerkschaften über Ideen und Strategien, wie die Wahl einer linken Koalition im Süden erreicht werden kann, um eine neue nationale Republik zu begründen. Es ist der einzige Weg nach vorn.«

Breite Diskussion

Kearneys Artikel war der jüngste Beitrag in einer anhaltenden Diskussion in An Phoblacht unter dem Titel »Aufbau einer Alternative«. Beteiligt hatten sich daran auch Gewerkschaftsführer, die unabhängige Europaparlamentsabgeordnete Nessa Childers von der Kommunistischen Partei Irlands, Mitglieder des Linken Forums (Left Forum) und Sinn Feins. Das Linke Forum war aus dem Kollaps der Vereinigten Linken Allianz (United Left Alliance) entstanden, einem für die Wahlen 2011gegründeten Wahlbündnis sozialistischer Gruppen und unabhängiger linker AktivistInnen. In derselben Ausgabe wie Kearney beschrieb die Vorsitzende des Linken Forums, Dr. Helena Sheehan, ihren Wunsch nach einer neuen Partei der Linken, in der »aus der republikanischen Tradition stammende Kräfte mit Sinn Fein zu einer Allianz zusammenkommen, die schließlich die Grundlage für eine linke Regierung bilden kann.« Am 31. Januar unterstützte auch Jack O’Connor, der Präsident der größten irischen Gewerkschaft SIPTU (Services, Industrial, Professional and Technical Union), in seiner jährlichen Gedenkansprache für den irischen Gewerkschaftsführer und Sozialisten James Larkin die Aufrufe zu breiterer Zusammenarbeit. SYRIZAs Sieg in Griechenland, so O’Connor, sei ein Signal dafür, dass »das Ende des Alptraumes der einseitigen Austeritätsxperimente«, die »das demokratische System selbst bedrohen«, gekommen sei. Die irische Gewerkschaftsbewegung sei »wieder in der Offensive«. O’Connor rief SozialdemokratInnen, linke RepublikanerInnen und unabhängige SozialistInnen dazu auf, eine gemeinsame Plattform voranzubringen mit dem Ziel, die nächsten Wahlen zu gewinnen und die erste Mitte-Links-Regierung Irlands zu bilden. Richard Boyd Barrett, Abgeordneter vom Bündnis Menschen vor Profite (People Before Profit Alliance – vertreten im irischen Parlament, dem Dail) und Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei (Socialist Workers Party), sagte am 4. Februar, in Irland sei »das Potenzial für eine Bewegung wie Syriza [...] sehr stark«. Die Sunday Times berichtete am 1. Februar, dass Verhandlungen zwischen Sinn Fein, Gewerkschaften, linken Parteien und unabhängigen Abgeordneten um die Gründung einer gemeinsamen Plattform bereits seit mindestens zwei Monaten begonnen hätten.

Politik im Aufbruch

Diese Initiative zur linken Neugruppierung kommt in einem Moment, in dem die Politik Südirlands nach Jahren der Austeritätsmaßnahmen im Umbruch begriffen ist. Irland war eines der am härtesten von der Bankenkrise betroffenen Länder. Es musste 40 Prozent der Europäischen Bankenschulden schultern und mit Krediten von der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds »gerettet« werden (bail out). Die in diesem Rahmen vergebenen Kredite waren jedoch an die Bedingung gebunden, den irischen Arbeitenden und Armen weitreichende Sparmaßnahmen aufzuzwingen. Im Ergebnis wurden öffentliche Dienstleistungen gekürzt, die offizielle Arbeitslosenrate schnellte auf zweistellige Werte empor. Neue Steuern wurden eingeführt, mit denen die unteren Schichten unverhältnismäßig stark belastet werden. Zugleich blieben Steuerschlupflöcher für multinationale Unternehmen bestehen. Eine der am meisten verhassten Steuern ist die allgemeine Sozialabgabe (Universal Social Charge), die von der vorherigen Fianna Fail-Regierung 2011 eingeführt wurde. Sie muss bereits ab einem Einkommen von jährlich 4 004 Euro bezahlt werden. Diese Schwelle wurde nun auf 12 012 Euro angehoben, doch die Steuer ist weiterhin als ungerecht und als Strafmaßnahme verschrien. Eine weitere verhasste Steuer ist die Grundstückeigentumssteuer (Local Property Tax), die seit 2013 auf jegliches Wohneigentum angewendet wird. Trotz rapide verschlechterter sozialer Bedingungen war Irland nicht von dem Ausmaß sozialer Unruhen erfasst worden, wie es in anderen europäischen Ländern zu beobachten ist, etwa in Spanien oder Griechenland. Dies liegt auch an der massiven Auswanderungswelle, die als Druckventil wirkt. Ein erschütternder Anteil von zehn Prozent der Bevölkerung – zumeist junge Familien und Fachleute – sind auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben ins Ausland emigriert.

Wassergebühren lösen Protestwelle aus

Über das letzte Jahr hinweg hat sich sie Situation jedoch spürbar verändert. Die Einführung von Wassergebühren hat nun die jahrelang schwelende Unzufriedenheit zum Ausbruch gebracht. Die Wasserkosten sind bereits im Steueraufkommen enthalten, sodass die neue Gebühr weithin als doppelte Besteuerung für ein grundlegendes Menschenrecht gesehen wird. Für zusätzlichen Ärger sorgt der Umstand, dass es in Irland gleichzeitig nach wie vor Städte ohne sicheres Trinkwasser gibt. Von Beginn an war die neue staatlich betriebene Körperschaft, der die Erhebung der Gebühr obliegt, Irish Water, mit Vorwürfen der Vetternwirtschaft und Geldverschwendung konfrontiert. Ihre korporative Struktur lässt zudem auf Pläne für eine nachfolgende Privatisierung schließen. Schnell entstand eine Kampagne von Basisgruppen, die zum Boykott der Gebühr aufriefen. Kleine lokale Proteste und Mahnwachen wuchsen umgehend zu einer großen landesweiten Bewegung, die jetzt weitgehend durch die Right2Water-Kampagne koordiniert wird. Im Oktober, November und Dezember marschierten Hunderttausende gegen die Wassergebühr und skandierten: »Wir können nicht zahlen, wir werden nicht zahlen!«. Zehntausende weitere gingen am 31. Januar in ganz Irland auf die Straße – bis zu 30 000 waren es in Dublin. Angesichts dieses riesigen sozialen Ungehorsams war die Regierung gezwungen, das Datum für den Beginn der Abgabe zurückzunehmen. Sie stellten eine Begrenzung der Gebühren und eine »Erstattung« von 100 Euro in Aussicht, um damit die Stimmung in Richtung einer Duldung der Maßnahme zu drehen. Nichtsdestotrotz hatten sich bis zum 2. Februar, der jüngsten Frist bei Irish Water, weniger als die Hälfte der Haushalte des Landes registriert – und davon waren viele gegen ihren Willen registriert worden. Dass an Irish Water bis zu 2 Milliarden Euro öffentlicher Förderung durch die Regierung gingen und ein Teil des Geldes aus dem Einkommen durch die Eigentumssteuer und die Straßensteuer kam, verschärfte die öffentliche Debatte noch weiter.

Unterstützung für Sinn Fein und Unabhängige wächst

Kaum überraschend, ging die Unterstützung für die regierenden Parteien zurück, so dass laut letzten Umfragen die christlich-konservative Fine Gäl bei etwa 24 Prozent lag, während ihre Partner der Labour Party auf sieben Prozent abrutschten. Die Hauptnutznießer der Wut und Desillusionierung waren Sinn Fein und eine Reihe Unabhängige quer durch das politische Spektrum. Bei den Europawahlen im letzten Mai führte Sinn Fein einen Wahlkampf entlang eines strikten Anti-Austeritätsprogramms. Sie entsendeten aus jedem Teil Irlands eineN AbgeordneteN ins Europaparlament. Als erste Partei repräsentiert sie nun Nord- und Südirland im Europäischen Parlament. Im Oktober war Paul Murphy im Zuge einer Nachwahl in Dublin für die von der Sozialistischen Partei geführte Allianz gegen Austerität in den Dail gewählt worden. Im November lag Sinn Fein bei 26 Prozent, was sie zur populärsten Partei zu beiden Seiten der inneririschen Grenze machte. Bei derselben Wahl erhielten Unabhängige etwa 30 Prozent. Gleichzeitig befürworteten 47 Prozent der Befragten die Idee einer ganz neuen politischen Partei, wenn auch unklar mit welcher politischen Linie. Einige unabhängige Abgeordnete des Dail haben begonnen, neue politische Parteien zu gründen — die meisten davon der rechten Mitte und der Rechten zugehörig. Doch es bleibt weiterhin ein großer politisch unbesetzter Raum auf der Linken in der irischen Politik.

Linke Einheit ist möglich

Da die nächsten allgemeinen Wahlen im April 2016 anstehen, stellt sich nun die Frage, welche Form linker Einheit möglich ist, und wer Teil derselben sein wird. Versuche der Verschmelzung linker irischer Parteien zu einer effektiven politischen Kraft hat es in den letzten Jahren gegeben, doch diese blieben im Großen und Ganzen ohne Erfolg. So brachte die ULA die Sozialistische Partei, das Bündnis Menschen vor Profite (People Before Profit Alliance) und die Aktionsgruppe der Arbeitenden und Arbeitslosen sowie zahlreiche unabhängige SozialistInnen zusammen. Gegründet im Jahr 2010, gewann die ULA 2011 zunächst fünf Sitze im Dail, doch in weniger als drei Jahren zerfiel sie wieder. Eine weitere Initiative war das Linke Forum, das mit der Intention gegründet wurde, den Prozess der Zusammenkunft der Linken zu vereinfachen. Letzten Juni rief Sheehan in der Irish Left Review vor allem die Kräfte links von Sinn Fein zur Gründung einer neuen Partei der Linken in Irland auf, explizit an der Linie von SYRIZA orientiert. Die von Sinn Fein vorgeschlagene breitere Initiative indes hat das Potenzial, einen weit größeren Teil der irischen Linken zu erreichen, während sie eine neue Partei der radikalen Linken nicht ausschließt. Sie könnte Gewerkschaften, die Kommunistische Partei, SozialistInnen, Progressive und linke RepublikanerInnen in einer lockeren Koalition rund um eine gemeinsame Plattform einbinden. Der Sieg SYRIZAs hat der irischen Linken eine einzigartige Gelegenheit gegeben, nach Dekaden des Rückzugs die Initiative zurückzugewinnen. Dies bietet die Chance, eine neue politische Konstellation zu schaffen, in der die neoliberale Austeritätspolitik nicht nur aus der Opposition bekämpft, sondern durch eine linke Regierung praktisch umgekehrt wird. Dieser Beitrag erschien zuerst in der Green New Weekly. Aus dem Englischen von Corinna Trogisch Zurück zum GRIECHENLAND-SPECIAL