In einer Rede am 1. Juni und als Antwort auf die durch das ganze Land schwappende Protestwelle, erklärte Premier Recep Tayyip Erdoğan: „Das Thema sind nicht die fünf bis zehn zu fällenden Bäume.“ Es ging ihm darum, die Protestierenden zu diskreditieren, indem er sie als „ideologisch“ diffamierte und nahelegte, sie seien bloß Kader der Opposition oder opportunistische Randalierer, die die Debatte um die Gestaltung von Istanbuls Gezi Park ausnutzten, um Unruhe gegen seine Regierung zu stiften. Allerdings waren sich der Premier und die Menschenmassen in den Straßen, die seinen Rücktritt forderten, an diesem Punkt einig: Es geht um viel mehr als um die paar hundert Bäume, die der Rekonstruktion einer Kaserne aus osmanischer Zeit weichen sollen, oder um die Bewahrung einer kleinen Grünfläche im Zentrum der ausufernden Stadt aus Beton. Am Dienstag, den 28. Mai, begannen die Demonstrierenden, sich im Park zu versammeln, nachdem ein Aufruf gefordert hatte, den Park gegen die Bulldozer zu verteidigen, die in der Nacht zuvor dort aufgetaucht waren. Der ursprüngliche Alarmruf kam von Taksim Solidarität (Taksim Dayanışması), einem 2012 gegen die Umgestaltung des Taksim-Platzes gebildeten Bündnisses. Angeführt vom Berufsverband der Architekten und Ingenieure, ist dieser Zusammenschluss lose mit einem breiten Bündnis von Bewegungen assoziiert, die sich unter dem Stichwort „Recht auf Stadt“ gegen Projekte städtischer Umgestaltung (Urban Transformation) – ein Charakteristikum der AKP-Politik – organisieren. Diese Stadtpolitik betrifft unter anderem die Vertreibung der Lohnabhängigen und von Minderheiten aus Armutsvierteln und Gegenden, die ‚aufgewertet’ werden sollen, sie betrifft die Zustimmung zu ökologisch desaströsen Infrastrukturprojekten wie z.B. der dritten Brücke über den Bosporus und zum Projekt Kanal Istanbul, sowie die Privatisierung ehemals öffentlicher Einrichtungen und Räume, einschließlich des berühmten Bahnhofs von Haydarpaşa und eben des Gezi Parks. Was als kleine Ansammlung von Menschen begann, die über die Bäume wachten, wuchs schnell zu einer Rund-um-die-Uhr-Besetzung des nördlichen Parks – am zweiten Tag bereits mit aufgeschlagenen Zelten und schließlich mit einer jede Nacht weiter wachsenden Zahl von Menschen auf den Kundgebungen. Am Donnerstagabend waren es bereits einige Zehntausend. Als die Polizei am 31. Mai zum zweiten Mal den Park erstürmte, die BesetzerInnen mit Tränengas überzog und Barrikaden errichtete, um jene aus dem Park fernzuhalten, entfachte die Besetzung eine landesweite Protestwelle, die seither andauert. Bislang war keine einzelne Strömung oder Partei in der Lage, diese Bewegung zu kapern und sie wieder in die gewohnten politischen Bahnen zu lenken. Der Ansatz und die Inhalte der Proteste waren von Viertel zu Viertel und von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich, mit verschiedenen Slogans und Symbolen (z.B. säkulare, nationalistische, linke, anarchistische) in den jeweiligen Kontexten. Die Millionen Menschen, die sich landesweit an den Protesten beteiligten, einen vor allem zwei Anliegen: Zum einen die Frustration gegenüber Erdoğan und dem autokratischen Stil seiner Amtsführung (anfangs hinsichtlich der städtischen Umgestaltung, für die das Taksim-Projekt steht, aber auch mit Blick auf zahlreiche andere Konflikte), und zum anderen die Wut über die gewaltsame Reaktion der Polizei sowie das Versagen der türkischen Mainstream-Medien, darüber zu berichten. Mittlerweile haben die Gezi-Proteste Anhänger fast aller ideologischen Schattierungen der türkischen Politik angezogen, mit Ausnahme der UnterstützerInnen von Erdoğans AKP. Die Mehrheit entstammt den säkularen Mittelschichten, aber die Beteiligung von ArbeiterInnen, praktizierenden Muslimen sowie ethnischen und religiösen Minderheiten straft jeden vereinfachenden Versuch Lügen, diese Bewegung als eine simple Wiederholung der existierenden Spaltungen zwischen säkular und religiös, städtisch und ländlich, Türkisch und nicht-Türkisch etc. zu beschreiben. Die Positionen und Ziele der an den Demonstrationen beteiligten Menschen sind divers und manchmal unvereinbar, aber der gemeinsame Satz, den sie allerorten rufen, lautet „überall ist Taksim, überall ist Widerstand“ („her yer Taksim, her yer direniş“) – ein Slogan, der sich auf den Taksim Platz und den angrenzenden Gezi Park bezieht, sowie auf die umkämpften Ansichten über und Nutzungsweisen des öffentlichen Raums, den diese repräsentieren.

Öffentlicher Raum und das Herstellen von Öffentlichkeiten

Am 2. Juni stellte Taksim Solidarität vier grundsätzliche Forderungen an die Regierung. Die vierte und letzte Forderung verlangt die Beendigung der Protest- und Versammlungsverbote auf allen Plätzen und öffentlichen Räumen der Türkei, zuallererst auf dem Taksim-Platz. Dies legt nahe, dass die Proteste teilweise von dem Willen getragen sind, öffentlichen Raum insgesamt ‚zurückzugewinnen’ – ein Anliegen, dem es nicht nur um den Widerstand gegen eine Reihe kontroverser Projekte der städtischen Umgestaltung geht, sondern darum, überhaupt das Recht auf eine bestimmte Form öffentlichen Engagements zu erstreiten. Manche verstehen darunter, sich ohne Angst vor Polizeigewalt an politischem Protest beteiligen zu können (ein Recht, das sollte hier nicht vergessen werden, das KurdInnen und anderen Minderheiten in der Türkei jahrzehntelang abgesprochen wurde). Für andere wiederum ist der Protest verbunden mit dem Aufschrei gegen eine neue restriktive Gesetzgebung zum Verkauf und Konsum von Alkohol sowie mit den Verwarnungen gegen ‚unmoralisches’ Verhalten in der Metro von Ankara (also damit, welche Lebensstile und Verhaltensweisen von staatlicher Seite gefördert oder geduldet werden). Die lebendige, selbstorganisierte Gemeinschaft, die in den vergangenen Wochen im Gezi Park entstanden ist, mit ihrer Bücherei, ihrem Garten, Volksküchen und Zelt-Nachbarschaften, ist zu einem weiteren Anschauungsmaterial für die Neuerfindung des öffentlichen Raums geworden. Dennoch sollten wir aufpassen, wie wir diese Anliegen formulieren: Statt die Proteste als Kämpfe für öffentlichen Raum schlechthin zu interpretieren, wäre es produktiver danach zu fragen, um was für Räume es sich dabei handelt und um welche Arten von Öffentlichkeit es geht, die in ihnen und durch sie hergestellt werden. Interessant sind hier etwa Aufzeichnungen aus Timurs Feldforschung in Eyüp, einem überwiegend religiösen und konservativen Viertel in Istanbul: Ich habe heute mit Zehra Hanım [Name geändert] gesprochen. Wir hatten gestern Nacht darüber gesprochen, uns vielleicht am Taksim zu treffen. Heute sagt sie mir, sie konnte nicht kommen, weil sie stattdessen zu einer Fahrt der Mavi Marmara gegangen war. Aber, fügte sie hinzu, ich bin wirklich froh, nicht zum Taksim gegangen zu sein als ich nach Hause kam und all die Nachrichten sah und die Dinge, die die Leute darüber schrieben, die Gewalt, das Steinewerfen auf Polizisten, die Zerstörung von Eigentum. Wir diskutierten über den Platz und über die Protestformen, darüber, welche dort erlaubt sein sollten und welche nicht. Ich bin schon mal dort gewesen, um für etwas zu protestieren, sagte sie, aber sowas, das sollte dort nicht erlaubt sein. Wo sollten sie dann stattfinden? entgegnete ich. Küçükçekmece, antwortete sie. Das ist ein Viertel westlich hinter dem Flughafen und in einiger Distanz zum Taksim. Ausgerechnet nach Küçükçekmece hatte die Regierung vorgeschlagen, die Feierlichkeiten zum 1. Mai zu verlegen. Ich antwortete: Aber es geht doch darum, gesehen zu werden. Deswegen protestieren die Leute doch auf dem Taksim! Genau deswegen bin ich nicht auf dem Taksim. Es gibt dort keine Moschee, immerzu trinkende Leute, ich erinnere mich, dass meine Tante früher um die Ecke vom Galatasaray wohnte [auf der İstiklal Caddesi, der Hauptfußgängerzone, die zum Taksim führt], da gab es ein Café voll mit Linken, die immer loszogen und Unruhe stifteten. [31. Mai 2013] Aus ihrer Sicht waren die Wiedererrichtung der Kaserne am Taksim – „ohne“, wie sie betonte, „irgendwelche Bäume zu fällen“ – und die Beschränkung von Protesten auf dem Platz absolut notwendig, um einen gesünderen, offeneren und angenehmeren Raum zu schaffen. Der Taksim, wie sie ihn sich vorstellt, ist zwar auch ein öffentlicher Raum, aber einer, der für und von einer anderen Öffentlichkeit hergestellt wird, im Einklang mit konservativeren Normen. Das ist eine Öffentlichkeit, die in großer Übereinstimmung zum sozialen und politischen Programm der AKP steht. Gleichwohl können wir die Veränderungen von politischer Öffentlichkeit seit dem 1980er-Putsch auch breiter fassen. In der Tat beziehen sich viele derjenigen, mit denen wir im Verlauf der letzten Tage gesprochen haben, auf die politische Gewalt der späten 1970er Jahre, in denen die Kämpfe um den öffentlichen Raum eng entlang der politischen Trennlinien verliefen. Öffentlicher Raum ist immer politisch, insofern er eine spezifische Vorstellung des Öffentlichen, der Menschen und ihrer Autorität bedingt. Was auf dem Taksim begann und seither weit darüber hinausging, ist zum Teil eine Debatte darüber, welche Art von politischem Auftreten sich aus spezifischen Räumen herausbilden kann. So sehr wir diese neuen Formen der Gemeinschaftlichkeit auch bestaunen mögen, die sich gegenwärtig an Orten wie dem Gezi Park entwickeln, so ist es doch wichtig, weiterhin nach den (materiellen, ökonomischen, kulturellen und religiösen) Grenzen dieser Öffentlichkeiten zu fragen, nach den Modalitäten, zu denen Menschen einbezogen werden, sowie nach dem Vermögen spezifischer Räume, multiplen Öffentlichkeiten Rechnung zu tragen. Wenn „Taksim uns gehört“, wie viele mittlerweile sagen, ist es notwendig, weiter danach zu fragen, wer dieses „wir“ ist, wie es sich zusammensetzt und wie inklusiv es ist, bzw. werden kann oder eben nicht.

Ein Baum oder seine Bedeutung

Vielleicht gerade weil die anfängliche Mobilisierung rund um den Gezi Park von den Standardkategorien politischer Organisation und Parteizugehörigkeit in der Türkei überwiegend getrennt ablief, war sie in der Lage, sich zu einer derart breiten und unvorhergesehenen Protestbewegung zu mausern. Während der Taksim-Platz lange Zeit sowohl als politisches Symbol (besonders für die türkische Linke und die Arbeiterbewegung) als auch als Ort öffentlicher politischer Praxis große Bedeutung hatte, war der Gezi Park – bis letzte Woche – ein deutlich weniger politisch und emotional aufgeladener Ort. Die Bewegung gegen seine Zerstörung zielte anfänglich auf die Erhaltung von Grünflächen – darauf, einen nefes alınacak bir yer (Ort zum Durchatmen) zu haben. Und sie formierte sich als Widerstand gegen die Einhegung von Gemeingütern, nachdem verkündet worden war, dass die rekonstruierte Kaserne voraussichtlich eine Shopping Mall, ein Hotel und Privatwohnungen beherbergen sollte. In diesem Kontext sind die bedrohten Gezi-Bäume – sowie der Park, in dem sie standen – zu einem mächtigen und flexiblen Symbol geworden. Offen genug, um von unterschiedlichen Menschen und politischen Standpunkten genutzt zu werden. In den frühen Tagen der Besetzung drückte sich dieser Facettenreichtum in den Bannern und Postern um den Park herum aus: Plakate, die eine Zeile des kommunistischen Dichters Nazim Hikmet zitierten – „wie ein Baum zu leben, einzeln und frei, und wie ein Wald, geschwisterlich, das ist unsere Sehnsucht“ – hingen neben dem Banner einer Organisation „revolutionärer Muslime“, das mit einem Zitat aus dem Koran geschmückt war – „die Bäume verneigen sich vor Gott“. In unmittelbarer Nähe gab es gesprühte Slogans über die Wichtigkeit von Grünflächen – „Parks, kein Beton“ – und ähnliche Forderungen von UmweltschützerInnen, emphatische Verurteilungen des renditesuchenden Kapitals und neoliberaler Urbanisierung, wie auch eine Reihe von Bannern mit Aufdrucken des riesigen laufenden Baumgeist Ents aus der Filmfassung von Herr der Ringe. Seit der Zurückdrängung der Polizei und der Wiederbesetzung des Parks am 1. Juni wurden die Bäume mit Spruchbändern und Zeichen geschmückt: „Hör auf dein Gewissen, töte mich nicht“. Oder sie wurden mit den Namen (in manchen Fällen auch Fotos) derjenigen versehen, die bei dem Roboski/Uludere Massaker und dem Bombenattentat in Reyhanlı getötet wurden. Hier wird das Bemühen deutlich, eine Verbindung zur Bewegung für kurdische Rechte und zur anhaltenden Kontroverse über die Rolle der Türkei im syrischen Konflikt herzustellen. Nach dem Tod eines jungen Demonstranten in Antakya am 3. Juni wurde sein Name – Abdullah Cömert – und sein Foto mit der Beschriftung „Märtyrer des Gezi Parks“ hinzugefügt. Die Bäume wurden zu einer Art flottierendem Marker, scheinbar a-politisch genug, um von einer ganzen Reihe von Bewegungen, Parteien und Positionen in Dienst genommen zu werden, während sie zugleich greifbar und verwurzelt an einem besonderen Ort stehen. Am 31. Mai twitterte ein Aktivist aus Ankara eine Zeile aus Orhan Pamuks Roman Mein Name ist Rot: „Ich möchte nicht der Baum selbst, sondern seine Bedeutung sein“. Da die Frage, was ein Baum bedeutet, offen ist, konnte er zu einem Symbol werden, um das sich all diejenigen versammelten, die kein Interesse an den etablierten Parteien haben oder von diesen verprellt worden waren. Während die Proteste einen Teil ihrer Dynamik und ihres Zuspruchs Organisationen verdanken, die über eine lange Tradition politischer Mobilisierung verfügen, haben sie auch Menschen angesprochen, die sich selbst als unpolitisch oder bewegungsfern bezeichnen. Gleichzeitig wurde einigen Parteien und Bewegungen, die die Kraft des Protests für ihre eigenen Zwecke vereinnahmen wollten – allen voran der Republikanischen Volkspartei (CHP) sowie ihrer kemalistischen und säkularistischen Anhängerschaft –, ein beachtlicher Widerstand von den Organisierten im Park entgegengesetzt. All dies bedeutet jedoch nicht, dass die symbolische Offenheit des Gezi Parks nicht auch Grenzen hätte. Die Aufwertung des Parks durch die Bewegung zu einem öffentlichen Platz für alle, lässt einen Teil seiner Geschichte außer Acht. Ein Teil des Parks überschneidet sich mit dem Armenischen Surp Agop Friedhof, der in den 1930er Jahren enteignet und zerstört wurde, um Platz für den Bau des Istanbuler Rundfunks, der Türkischen Radio- und Fernsehanstalt sowie für Hotels zu schaffen, die heute an die Nord- und Ostseite des Parks grenzen. Die Stufen in den Park wurden aus gestohlenen Grabsteinen des Friedhof gefertigt. Einige Mitglieder der armenischen Community Istanbuls haben sich der Besetzung angeschlossen und versuchen an diese unsichtbare Vergangenheit mit Schildern wie „Ihr habt uns unseren Friedhof genommen – ihr werdet uns nicht unseren Park nehmen“ zu erinnern. Andere wiederum fühlen sich durch die Floskel "Gezi gehört uns allen" brüskiert, da sie doch diese Geschichte ignoriert.

Infrastruktur als Performanz

Da die anhaltende Besetzung des Parks und des Platzes wie auch deren Umgebung diese Räume verändert hat, sind auch die sichtbaren Spuren dieser durch den Protest hervorgebrachten Veränderungen Gegenstand von Diskussionen geworden. „Trümmer bleiben zurück“, lautete die Schlagzeile der regierungsfreundlichen Zeitung Star am 3. Juni. „Umweltbewusstsein“, ergänzte die konservative Zaman, „wurde zu Brand und Zerstörung“. Das Bild eines ausgebrannten Fahrzeugs auf dem Taksim, mit zerbrochenen Scheiben und mit Graffiti besprüht, wurde von beiden Blättern exponiert abgebildet. Die tendenziell liberale Radikal brachte ein Foto vom selben Ort, die Aufmachung war jedoch deutlich verschieden in Inhalt und Botschaft. Im Hintergrund war dasselbe Auto zu sehen, im Vordergrund jedoch eine Gruppe von AktivistInnen, die Seite an Seite mit der Aufräumung des Platzes befasst waren. Die dazugehörige Schlagzeile lautete: „Jetzt wird es Zeit, Lehren zu ziehen“. Die Bilder von Zerstörung und Wiederaufbau lenken unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf die umkämpften Narrative über die böswilligen oder gutwilligen Motive der Protestierenden, sondern auch auf die Rolle, die Eigentum und Raum im öffentlichen Diskurs in der Türkei einnehmen. Eine der beachtlichen Fertigkeiten von Erdoğan und der AKP während der letzten Dekade besteht in der Art und Weise wie die Partei große und kleine Infrastrukturprojekte nutzte, um sowohl ihre Autorität zu begründen als auch ein bestimmtes Projekt der Inwertsetzung zu naturalisieren. Ob auf der kommunalen oder der nationalen Ebene, die Einweihung neuer Gebäude, Straßen, Brücken, Kulturzentren, Kanalisationsnetze, Freizeitparks und Wohnsiedlungen dient jeweils als Gelegenheit, die Transformation der bebauten Umwelt mit dem fortgesetzten Erfolg der AKP zu verknüpfen. Durch die enge Bindung ihrer politischen Wirkmächtigkeit an die Umstrukturierung der Städte und die Bereitstellung von Dienstleistungen für die städtische Bevölkerung ist es der AKP in der Tat gelungen, ein politisches Vokabular zu entwickeln, das lokale Erfahrungen mit einem breiten nationalen Bündnis verknüpft. Die Eröffnungszeremonie für die dritte Bosporus-Brücke am 29. Mai liefert ein weiteres Beispiel für dieses Prinzip. Die Rhetorik dieses Events zeichnete das Bild von einer aufsteigenden Nation und einem wohlhabenden, entwickelten Istanbul. Das Publikum bestand überwiegend aus Parteikadern, die mit Fähren aus allen Teilen der Stadt herbeigebracht wurden. Die ungezügelte Landspekulation, mit der Geld in private Hände gespült wird – in diesem Fall durch die Entwicklung der nördlichen Gebiete Istanbuls, die einen großen Teil der verbliebenen Wälder und Wasserreservoire zerstören wird –,  soll als natürliche Ordnung der Dinge hingenommen werden. In Gesprächen nach Ausbruch der Proteste mit Sympathisanten der AKP aus der Istanbuler Bevölkerung bezogen viele den Erfolg der Partei auf diese (Infra)Strukturen. Ein Cafébesitzer im überwiegend säkularen Stadtviertel Kadıköy, wo die oppositionelle CHP Kundgebungen zur Unterstützung der Proteste organisierte, griff einige dieser Ansichten in einem Gespräch mit Elizabeth auf, indem er das ökonomische Wachstum dee letzten zehn Jahre und den Ausbau öffentlicher Verkehrsnetze in Istanbul mit dem Stillstand und der Inflation der 1990er Jahre ins Verhältnis setzte. Während er viele jüngere Reformen der AKP Regierung missbilligte, wie die Einschränkung von Alkoholverkauf und des Rauchens im öffentlichen Raum, sagte er zugleich, „eine schlechte Entscheidung ist immer noch besser als Unentschlossenheit“. Die Aussage entspricht einer rhetorischen Figur, die Erdoğan häufig zu seiner Verteidigung anbringt: dass er ein entschlossener Anführer sei, und seine Verwaltung effektiv in der Bereitstellung von Dienstleistungen, und dass er ein Macher sei. Istanbul, so seine Argumentation, sei sauberer und besser organisiert, funktioniere besser als zu Zeiten, als noch die Opposition an der Macht war. Die AKP wolle eine schönere, modernere Stadt schaffen – Ansprüche, die auch in seiner Rede anklangen, die er unmittelbar nach seiner Rückkehr von einer Auslandsreise in der Nacht vom 6./7. Juli vor Anhängern hielt. Wie sehr wir auch den Argumenten über die Wirksamkeit und den Nutzen der Stadtpolitik der AKP widersprechen mögen, so sollte wir doch nicht vergessen, dass diese ihre rhetorische und ästhetische Wirkung auf die politische Basis nicht verfehlen. Sofern der Erfolg der AKP auf so etwas wie einer Performanz der (Infra)Strukturen gründet, bleibt es interessant, ob die Proteste in der Lage sein werden, eine alternative Denkweise sowohl über städtische Transformation als auch hinsichtlich der Produktion von Wert zu entwickeln, und ob es gelingen wird, diese Kritik einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln, die bislang mit solchen Projekten sympathisierte, auch wenn die Teilhabe an ihnen sehr ungleich verteilt war. In der Tat ist der langatmige Kampf von AktivistInnen von Taksim Solidarität für einen gerechteren und nachhaltigeren Ansatz städtischer Planung und Politik eines der Dinge, die das Fundament der Proteste gelegt haben. Ihr kritisches Vokabular wurde Bestandteil einer gemeinsamen Sprache der jüngsten Proteste. Neben den Forderungen nach einem Rücktritt Erdoğans und für Solidarität gegen autoritäre Politik besteht eine wachsende Unzufriedenheit mit der Art und Weise wie die Stadt umgestaltet wird. Unzufriedenheit mit den sich ausbreitenden Betontürmen, Einkaufszentren und Luxushotels, mit der Ästhetik des neo-osmanisch neoliberalen Urbanismus. Die städtischen Visionen, die im Gezi Park artikuliert werden, mit der Betonung auf Organisierung an der Basis und gegenseitiger Solidarität, stellen eine Herausforderung für den Anspruch der AKP dar, die einzige politische Kraft zu sein, die Infrastrukturen aufbauen und Dienstleistungen erbringen kann. Es ist nicht ausgemacht, ob es der Bewegung gelingen wird, ihre Vision über diesen besonderen Ort hinaus zu tragen, zu der Vielfalt an Leuten, die überall in der Stadt und im Land auf die Straßen gehen oder bislang zuhause geblieben sind.

Schlussfolgerungen: zukünftige Pfade?

Seinen Besuch auf dem Taksim-Platz erinnernd nannte derselbe Mann, der zuvor Erdoğans Entschlossenheit gelobt hatte, den Platz einen „Platz der Freiheit“. Er staunte über die Bandbreite der ko-existierenden politischen Strömungen auf dem Platz und über die Unterschiede zwischen seiner Generation und den jungen Leuten, die viele (aber bei weitem alle) Protestierenden stellten. „Das ist etwas Neues“, sagte er. Es ist unmöglich, sichere Aussagen über die künftige Entwicklung der Proteste und die neuen Formen politischer Praxis und Gemeinschaftlichkeit zu treffen, die aus dem Terrain erwachsen. Eine der interessantesten Dimensionen dieser Bewegung besteht darin, wie intensiv die eigene Dokumentation betrieben wurde, zum Teil in Reaktion auf das Versagen eines großen Teils der etablierten türkischen Medien, über die Demonstrationen zu berichten. Was wird passieren, wenn die Graffitis übermalt werden, und falls die Konfrontationen auf der Straße an Intensität abnehmen? Wir haben argumentiert, dass der Anspruch der AKP auf politische Autorität zum Teil aus der Produktion materieller Infrastruktur stammt, die ihre Effektivität bezeugt. Die offensichtliche Beständigkeit dieser Objekte und Räume untermauert die scheinbare Beständigkeit der AKP – und von Erdoğan selbst – an der Macht. Währed der Zeit der Proteste sind der Taksim Platz und der Gezi Park zu lebhaften Möglichkeitsräumen geworden. Es wird sich noch erweisen, welche dauerhaften Konsequenzen sich aus dieser Transformation ergeben. Doch selbst wenn die Zukunft des Gezi Parks und des Taksim Platzes – und die Möglichkeiten und Paradoxien, für die sie stehen – noch unbestimmt ist, eines wissen wir zumindest: sie sind zu einem Schauplatz einer ungewöhnlichen und bemerkenswerten Annäherung von Leuten und Perspektiven geworden, für die es keinen Vorläufer in der Geschichte der Türkei gibt. Wir wissen noch nicht, welche Art von Öffentlichkeit aus diesen Orten erwachsen wird und wie offen diese sein wird. Die Orte selbst bezeugen jedoch das Recht auf Protest, das Recht anders zu sein und das Recht andere Ansprüche an die Straße und die Stadt zu stellen. Unsere Hoffnung – so wie die vieler anderer, die auf dem Taksim und im Gezi Park versammelt sind – ist, dass diese Art von Öffentlichkeit Möglichkeiten und Gemeinsamkeiten schafft, sowie den verschiedensten Gruppen eine Plattform bietet, die an die Stelle der bisherigen eng beschränkten und polarisierenden Forderungen tritt, die auf die Homogenisierung von Menschen und Räumen zielten. Das, so glauben wir, könnte ein Taksim-überall sein. Das englische Original erschien zuerst bei Jadaliyya, hier.