Diese Auffassung wird aktuell aufgrund der geänderten Lage der BildungsarbeiterInnen kritisiert. Die Bildungsbranche hat sich professionalisiert. Dies gilt auch für die kritische politische Bildung. DozentInnen gewerkschaftlicher Bildungsträger und Volkshochschulen, Lehrbeauftragte von Stiftungen, Museums-, Theater- und ErlebnispädagogInnen, Lehrende von Integrationskursen – in immer mehr Bereichen versuchen Soloselbstständige, von dieser Arbeit zu leben. Die festangestellten MitarbeiterInnen übernehmen die Seminarakquise, gestalten das Bildungsprogramm, betreuen die Lehrenden und halten die Einrichtung am Leben. Viele DozentInnen wollen freiberuflich sein, andere hätten lieber eine feste Stelle. Aber für Lehrende gibt es zur Selbstständigkeit kaum eine Alternative.
Prekäre Selbstständigkeit
Selbständigkeit kann aufgrund der Autonomie in der Arbeitsgestaltung attraktiv sein. Doch dafür braucht es ein Mindestmaß an ökonomischer Sicherheit. Dozierende in der kritischen Bildung haben oft kaum Einfluss auf die Höhe der Honorare, vor allem nicht, wenn diese aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. In der gewerkschaftlichen Jugendbildung sind Tageshonorare zwischen 80 und 125 Euro nicht selten, in arbeitgeberfinanzierten Seminaren liegen sie etwas höher. PrivatdozentInnen an Universitäten bekommen eine Fahrkostenerstattung von um die 100 Euro, Aufwandsentschädigungen für Lehraufträge liegen zwischen 300 und 900 Euro pro Semester. Zur Deckung der Reproduktionskosten ist dieses Geld nicht vorgesehen.
Wie alle Selbständigen müssen sich BildnerInnen zudem um ihre soziale Absicherung, also Krankenkasse, Erwerbslosenversicherung, Berufshaftpflicht, Krankentagegeld etc., selbst kümmern. Dazu kommt, dass hauptberuflich Lehrende rentenversicherungspflichtig sind, dafür allein gehen etwa 19 Prozent von den Einnahmen ab. So schrumpft ein sowieso schon geringes Honorar – Stundenlöhne von unter einem Euro sind möglich. Viele BildnerInnen knapsen am Existenzminimum, stocken durch Transferleistungen auf, werden von ihren PartnerInnen unterstützt oder suchen sich zusätzliche ›Brotjobs‹. Einen gesicherten Lebensentwurf oder gar eine Familiengründung macht dies nahezu unmöglich.
An den Unis wird unbezahlte Arbeit mit dem (nicht einzulösenden) Versprechen legitimiert, dass es sich dabei um die Qualifikation für eine wissenschaftliche Karriere handelt. Die Motivation kritischer Lehrender ist allerdings komplexer. Natürlich hoffen viele, einen Fuß in die Tür (der Universität) zu bekommen. Oft wollen sie aber auch marginalisierte Inhalte an die Institution bringen, oder sie lehren, um ihren Titel nicht zu verlieren. Und wie andere Bildungseinrichtungen auch interpretieren Unis Lehre jenseits fester Stellen nicht als Erwerbsarbeit. Studentische TutorInnen werden häufig formal nicht angestellt, sondern mit Praktikumsscheinen ›bezahlt‹. Lehrbeauftrage werden als Menschen mit sicherem Einkommen angesehen, die mit ihrer Praxiserfahrung die Kernlehre ergänzen. PrivatdozentInnen wiederum, die die sogenannte Titellehre leisten, werden hypothetisch irgendwann auf eine Professur berufen, ihre unbezahlte Arbeit gilt daher als Investition in eine sicherere Zukunft. Und während manche (Fach-)Hochschulen dringend Lehrende suchen und daher gute Bedingungen bieten, entwickeln andere eine erstaunliche Kreativität, um Entlohnung zu umgehen: Manche Institutsleitungen verschikken mit dem Lehrauftrag gleich auch eine Erklärung auf Honorarverzicht, oder unbezahlte Lehre wird dem Lehrdeputat offiziell betreuender ProfessorInnen zugerechnet.
Diese Praktiken weisen Parallelen zur Care- oder Sorgearbeit auf. Auch hier ist zentral, wie die geleistete Arbeit interpretiert wird und welche Konsequenzen dies für diejenigen hat, die sie machen. Während nicht entlohnte Sorgearbeit oft als familiärer Liebesdienst gilt, stehen kritische BildnerInnen eben im Dienst der guten Sache. Ihre Professionalisierung, ihr Selbstverständnis als Erwerbsarbeitende trifft dabei nicht nur bei den zuständigen Festangestellten teilweise auf Unverständnis, es bringt sie auch in Konflikte mit denjenigen BildnerInnen, denen der ehrenamtliche Charakter dieser Arbeit wichtig ist. Letztere befürchten unter anderem, dass kritische Bildungsarbeit als Lohnarbeit unbezahlbar wird. Dies gilt vor allem, da Bildungsarbeit ähnlich wie Care-Arbeit nur ›in Echtzeit‹ geschehen kann, was sie im Verhältnis zu stärker rationalisierbarer Arbeit automatisch verteuert.
Branche am Limit
Es ist leicht, in diesem Konflikt mit dem Finger auf die Bildungsträger zu zeigen. Doch die Honorare fließen oft aus öffentlichen Geldern, und da diese knapp sind, kämpfen viele Einrichtungen selbst um ihre Existenz. Politische Bildungsarbeit ist unter Finanzierungsdruck geraten und muss sich fragen lassen, was sie bringt. Was als überflüssig gilt, wird gekürzt. Nicht zufällig geht diese Form der Kostensenkung mit einer Zunahme von Evaluation einher (vgl. Ahlheim 2003).
Von Bildungsträgern wird verlangt, wie Unternehmen zu agieren. Aber Bildung lässt sich nicht nach Maßstäben von Profitmaximierung organisieren, wenn der kritische Anspruch erhalten bleiben soll. Sie soll zugänglich sein für Menschen aller Einkommensverhältnisse, kritisches Denken, Diskutieren und Streiten ermöglichen, Freiräume schaffen, Abstand vom Alltag bieten. Bildungsveranstaltungen können scheitern, Erwartungen falsch sein, Konzepte nicht aufgehen, Seminare mangels Anmeldungen ausfallen. Diese Risiken sind nicht wegzurationalisieren, sie gehören originär zum Prozess und ermöglichen erst wertvolle Erkenntnisse. Politische Bildung bleibt ein konfliktreiches Zuschussgeschäft.
Allzu oft wird der ökonomische Druck nach unten weitergegeben. Daher finden sich in vielen Einrichtungen outgesourctes Reinigungspersonal, unterbesetzte Büros, Werkstätten und Küchen, und zunehmend ersetzen Menschen in Jobcenter-Maßnahmen, AbsolventInnen eines Freiwilligen Sozialen Jahres und Bundesfreiwilligendienstleistende Festangestellte. Als prekäre, konkurrierende EinzelkämpferInnen ohne feste Strukturen zur Verständigung untereinander und ohne institutionalisierten Schutz streiten Lehrende selten gemeinsam für verbindlichere Auftragslagen, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Honorare. Betriebliche Mitbestimmung seitens der (festen) Freien ist sowieso nicht vorgesehen. Nur so ist zu erklären, dass BildnerInnen die ihnen zustehende Rechte wie beispielsweise Ausfallhonorare nur selten geltend machen. Sie haben Angst vor Auftragsverlust. Wohl gemerkt, handelt es sich um Menschen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, herrschaftskritisches, kollektives Handeln anzuregen.
Linke Bildungsarbeit in Gefahr
Menschen, die bereit sind, unter diesen Umständen zu arbeiten, handeln meist aus Überzeugung. Ihre Identifikation mit kritischer Bildung (und mit ›ihren‹ Einrichtungen) drücken sie nicht aus, indem sie ihre Arbeitskraft verschenken, sondern indem sie sie unter Wert verkaufen. Zusätzliche unbezahlte Konzeptarbeit, unbezahlte Teamtreffen, Weiterbildung und politische Arbeit, von den AuftraggeberInnen oft vorausgesetzt, gehören für viele von ihnen dazu. Diese Bereitschaft stößt aber an Grenzen. Dozierende müssen überlegen, welche Qualität der eigenen Arbeit sie sich leisten können: Da Vor- und Nachbereitung nicht bezahlt werden, müssen sie möglichst knapp ausfallen. Teamtreffen, auf denen Erfahrungen ausgetauscht werden können, werden, wenn möglich, geschwänzt. Freiwillige Konzeptarbeit unterbleibt, wenn sie Verdienstausfall bedeutet. Fortbildungen werden abgesagt, wenn ein Auftrag winkt. Investitionen in Arbeitsmaterial müssen warten, Fachkonferenzen sind Luxus.
Die ertragreichste Seminarplanung ist es unter diesen Umständen, bewährte Methodenhäppchen aneinanderzureihen, anstatt sich auf jede Gruppe neu einzustellen. Denn wer rechnet – und Selbständige müssen rechnen –, merkt, dass sich die Arbeit nur lohnt, wenn Abstriche bei den eigenen Ansprüchen gemacht werden. Lehre gerät so zum Dienst nach Vorschrift, die ständige Aufforderung zu unbezahltem Mehreinsatz wird zur Zumutung. Die AuftragnehmerInnen fühlen sich in ihrer Lebenssituation nicht anerkannt, und die AuftrageberInnen zweifeln an der Motivation der Dozierenden. Dieser Frust untergräbt schließlich die kooperative Beziehung. So mancheR DozentIn beendet eines Tages nicht nur die Bildungsarbeit, sondern zugleich die Mitgliedschaft in Gewerkschaft, Partei oder Initiative. Nicht wenige Lehrende verlassen erzwungenermaßen das Feld, viele gehen frustriert oder im Zorn. Wissen geht so verloren, Konzepte und Methoden geraten in Vergessenheit. Kontinuierliche Bildungsarbeit als Teil eines emanzipatorischen Projekts ist ernsthaft gefährdet. Hinzu kommt die hohe Fluktuation auch bei den Festangestellten. Ständige Arbeitsüberlastung und Entgrenzung (»Alles nach 17 Uhr ist Ehrenamt«), fehlende Wertschätzung und mangelnde Sicherung (z. B. durch Dauerbefristung) beklagen sie wie ihre selbständigen KollegInnen, müssen diese Bedingungen aber gegenüber den Freien durchsetzen oder verteidigen. All das zeigt deutlich: Es braucht eine Perspektive für Veränderung, die diese komplexen Zusammenhänge aufzeigt und daraus Strategien entwickelt.
Keine einfachen Antworten
Das betrifft zum Beispiel das Verhältnis von Ehrenamt zu Erwerbsarbeit. Politische Arbeit ist ohne freiwilliges Engagement undenkbar, aber unbezahltes Arbeiten müssen sich Menschen erst mal leisten können. Hier ist eine kritische Debatte nötig: Was ist unentgeltlich leistbar, wo beginnt Erwerbsarbeit? Was ist mit Menschen, die sowohl ehrenamtlich als auch zur Existenzsicherung, politisch tätig sind? Wie lassen sich hier Grenzen ziehen? Ämter, Behörden und Versicherungen fällen dieses Urteil meist leicht. Mit einem Selbstverständnis als Erwerbsarbeitende könnten AuftragnehmerInnen lohnarbeitstypische Forderungen gegenüber den AuftraggeberInnen formulieren. Denn eines scheint klar: Im jetzigen Umfang kann Bildungsarbeit nicht allein ehrenamtlich gewährleistet werden. Die Diskussion könnte helfen, Einfallstore für Honorarsenkungen – etwa die Umdeutung als Aufwandsentschädigung – zu schließen. Ziel einer solchen Auseinandersetzung, die auch zum Beispiel feministische Erkenntnisse einbezieht, muss es sein, aufzudecken, wo hinter vermeintlichem Ehrenamt Erwerbsarbeit versteckt ist.
Auch die BildnerInnen müssen sich über ihre Konflikte dazu untereinander austauschen und sie für Selbstverständigungsprozesse nutzen.
Das Beispiel der gewerkschaftlichen Bildung verdeutlicht die Komplexität einer solchen Debatte. Satzungsgemäße ehrenamtliche Strukturen binden die Bildungsarbeit in die Organisation ein. Wenn sie an Profis abgegeben wird, entlastet dies zwar die Aktiven und verbessert die Lage der BildnerInnen, es verändert aber diese Bindung. Eine Möglichkeit, mit diesem Problem umzugehen, wäre eine Staffelung, wie sie etwa die Gewerkschaft ver.di für eigenfinanzierte Seminare beschlossen hat. ver.di unterscheidet, ob Lehrende sich allein durch Bildungsarbeit finanzieren oder ob sie anderweitig abgesichert sind. Wo Bildungsarbeit dem Lebensunterhalt dient, muss sie entsprechend behandelt werden. Höhere Honorare können allerdings bedeuten, dass Bildungsinstitutionen die sich verteuerten Lehrenden nicht mehr beauftragen. So gibt es bereits Universitätsinstitute, die, weil sie inzwischen alle Lehrenden bezahlen müssen, sich für Lehrbeauftragte schließen.
Ein weiterer Hebel für bessere Arbeitsbedingungen kann die betriebliche Mitbestimmung sein. Alle Beschäftigten einer Institution sind unabhängig von ihrem formalen Beschäftigungsverhältnis von den dort geltenden Bedingungen betroffen. Verstehen sie sich als KollegInnen, können sie solidarische Arbeitskämpfe führen. In der gemeinsamen Organisierung von bildnerischen Kern- und Randbelegschaften könnten zum Beispiel die Erfahrungen aus der IG-Metall-Leiharbeits-Kampagne aufgegriffen werden. Dazu braucht es auch gewerkschaftliche Unterstützung, nicht nur für die regulär Beschäftigten. Gewerkschaften betonen zurecht, dass sie kein Dienstleister sind, sondern gemeinsam mit ihren Mitgliedern tätig werden. Soloselbständige, die dies wörtlich nehmen, können ›ihren‹ Hauptamtlichen selbstbewusst gegenübertreten. Spätestens im Konfliktfall müssen dann auch FreiberuflerInnen gegen die negativen Folgen von Arbeitskämpfen abgesichert werden. Denn immer wieder werden Konflikte einseitig beendet, indem Lehrende einfach nicht mehr beauftragt werden, teilweise branchenweit. Nicht nur Einzelpersonen, ganze Bildungsteams sind schon kollektiv vom Auftraggeber »gekündigt« worden, um kritisches Engagement abzustrafen.
Doch gibt es auch ermutigende Erfahrungen. In einigen Gewerkschaften gab und gibt es Gruppen organisierter Selbständiger. Sie analysieren branchenspezifisch oder -übergreifend ihre gemeinsame Situation und verständigen sich über mögliche Strategien. Dabei sind oft Überlegungen zu einem Mindesthonorar zentral, aber auch betriebliche Mitbestimmung oder kollektive Konfliktbearbeitung. Im Wissenschaftsbereich wurden im Herrschinger Kodex (2012) und Templiner Manifest (2010) auch die Bedingungen für gute Lehre formuliert.
Auch außerhalb der Gewerkschaften gab und gibt es Initiativen, ob Lehrbeauftragtenstreiks, genossenschaftliche Bildungsteams, ob Zusammenschlüsse von Sprachlehrbeauftragten, PrivatdozentInnen, MusikhochschullehrerInnen, an Volkshochschulen Lehrenden oder Mittelbauinitiativen. Damit diesen nicht immer wieder die Puste ausgeht, müssen Erkenntnisse noch stärker geteilt, Proteste gebündelt werden. Ein mögliches gemeinsames Ziel wäre die Stärkung des Stellenwerts kritischer politischer Bildung, sowohl als Voraussetzung für als auch als Folge von verbesserten Arbeitsbedingungen aller in der Branche Arbeitenden.