Du bist aktiv bei der Plattform #KeineMehr, die die Debatte über Feminizide nach Deutschland tragen will. Warum sprecht ihr von Feminiziden statt von Mordfällen an Frauen?

Feminizid oder auch Femizid bezeichnet Tötungen an Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Alle Feminizide sind Tötungen von Frauen, aber nicht alle Tötungen von Frauen sind Feminizide. Es geht
also nicht darum, einfach die Opfer nach Geschlecht zu differenzieren. Vielmehr soll der Begriff bestimmte Frauenmorde als eine Form von Hasskriminalität sichtbar machen und den Blick auf deren gesellschaftlichen Kontext lenken. Das bedeutet, Feminizide als extremen Ausdruck ungleicher Geschlechterverhältnisse und männlichen Dominanzstrebens zu fassen. Zahlreiche Gutachten zeigen: Das Risiko von Frauen, Gewalt ausgesetzt zu sein, steigt besonders dann, wenn traditionelle Geschlechterarrangements angegriffen werden, insbesondere während und nach einer Trennung oder Scheidung. Die Tötung ist die Zuspitzung dieser Gewalt. Forscher*innen sprechen deshalb auch von der Rache des beleidigten Machismus. Außerdem heißt es, nach den gesellschaftlichen Bedingungen
zu fragen, die es erlauben, dass solche Taten überhaupt stattfinden können. Von Feminiziden zu sprechen, macht diese Tötungen von Frauen nicht nur sichtbar. Es hilft auch dabei, politische Gegenwehr zu mobilisieren.

Aktuell wird Gewalt gegen Frauen vor allem dann öffentlich diskutiert, wenn die Täter Geflüchtete sind. Kann das Konzept des Feminizids helfen, dieser rassistischen Instrumentalisierung zu begegnen?

Solche rassistischen Deutungen sexueller Gewalt haben gerade wieder Konjunktur, aber sie sind ja nicht neu. Nicht nur im Kolonialismus und in der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Gefahr des gewalttätigen und übergriffigen Fremden heraufbeschworen und diente zur Legitimation der eigenen Gewalt. Auf dieses kulturelle Gedächtnis kann immer wieder zurückgegriffen werden. Wir haben das auch bei der Debatte um sogenannte Ehrenmorde seit 2005 gesehen. Diese erhalten weit mehr öffentliche Aufmerksamkeit als Tötungen in Partnerschaften unter Herkunftsdeutschen. Die Konstruktion eines »Anderen« dient auch immer der Konstruktion des »Eigenen«, in diesem Fall einer scheinbar geschlechtergerechten deutschen Mehrheitsgesellschaft, in die sich die »Anderen« nicht integrieren können. Gleiches passiert jetzt wieder. Als die »Tagesschau« den Mord an einem 15-jährigen Mädchen durch ihren afghanischen Exfreund in Kandel im vergangenen Dezember als »Beziehungstat« einordnete und damit als außerhalb des öffentlichen Interesses stehend, gab es einen großen Aufschrei dieser Mehrheitsgesellschaft. Wenn es um vermeintlich deutsche Täter geht, ist diese Beschreibung jedoch leider Standard. Das Konzept des Feminizids stellt hier eine wichtige feministische Intervention dar, weil es weder verharmlost noch aussondert. Wir wollen ja nicht, dass über Morde im Namen einer vermeintlichen Ehre nicht mehr gesprochen wird. Vielmehr geht es darum, auch Beziehungstaten zu einem Gegenstand öffentlichen Interesses zu erheben. Wenn es uns gelingt, den Blick
auf die patriarchalen Strukturen hinter solchen Taten zu lenken, können wir auch rechten Instrumentalisierungen entgegenwirken. Die Projektion auf die »Anderen« hat ja auch die Funktion, das »Eigene« reinzuwaschen. Das ist dann nicht mehr möglich.

In eurem Namen bezieht ihr euch auf die Bewegung Ni Una Menos aus Argentinien. Dort demonstrieren seit 2015 Hunderttausende Frauen gegen Feminizide und patriarchale Gewalt. Siehst du Chancen für eine solche feministische Mobilisierung in Deutschland?

Ni Una Menos stellt einen qualitativen Sprung dar in der Art und Weise, wie Feminizide thematisiert werden, und bindet inzwischen zahlreiche antipatriarchale Forderungen zusammen. Den aktuellen Massenprotesten sind aber jahrzehntelange Organisierungsbemühungen und viele Debatten vorangegangen. Davon kann in Deutschland nicht die Rede sein. Die Frauenbewegung hat hier sehr viel erreicht. Das hat aber auch dazu beigetragen, den Mythos, Geschlechtergerechtigkeit sei bereits Realität, zu stärken. Hinzu kommt, dass die institutionelle Einbindung und damit oft auch Einhegung von großen Teilen der Frauenbewegung unabhängige Organisierungen erschwert hat. Das änderte sich gerade erst wieder. Hier gab es viele Bewegungen rund um die Themen sexualisierte Gewalt und sexuelle Selbstbestimmung. Aber es gibt noch sehr wenig Bewusstsein davon, dass es auch hier zur extremen Form des Feminizids kommt. Im letzten Jahr sind allein 147 Frauen durch ihren aktuellen oder ehemaligen Partner getötet worden. Außerdem wurden 224 versuchte Tötungen in Partnerschaften gezählt, wobei die Dunkelziffer höher ist, da viele Tötungsversuche gar nicht als solche erkannt und erst recht nicht angezeigt werden. Das bedeutet, es gab fast jeden Tag einen Tötungsversuch – und das nur in Partnerschaften. Es fehlt aber leider stichhaltiges Datenmaterial. Insofern geht
es uns als #KeineMehr auch darum, Wissen zusammenzutragen und zu verbreiten, um Bewusstsein zu schaffen und die vermeintliche Ruhe in Deutschland zu stören. Deshalb haben wir uns entschieden, zunächst eine Konferenz zum Thema auszurichten, statt direkt zu größeren Aktionen aufzurufen.

Was waren denn die Ergebnisse der Konferenz? Welche Ziele und Forderungen habt ihr als Plattform #KeineMehr?


Die Konferenz fand im November 2017 statt und hatte drei Stränge. Zunächst haben die autonomen Frauenhäuser die vorhandenen Zahlen zu Feminiziden präsentiert und insbesondere die empirischen Lücken aufgezeigt. Es ist deutlich geworden, dass es für Deutschland mehr Daten braucht und eine differenzierte Analyse, im besten Fall durch ein unabhängiges Forschungsinstitut. In einem zweiten Schritt hat die Organisation Gender Equality Media die Berichterstattung über Femizide dargestellt, die starken Einfluss auf das öffentliche Verständnis der Problematik hat. Noch immer werden die Tötungen von Frauen durch Begriffe wie »Familientragödie« oder »Eifersuchtsdrama« verharmlost. Daraus ergab sich die Idee für einen Leitfaden für eine sensible Berichterstattung und für eine eigene Bilderdatenbank. Angesichts des Umstandes, dass in vielen lateinamerikanischen Ländern Feminizide bereits ein eigener Straftatbestand sind, ging es im dritten Strang um die deutsche Rechtsprechung. Die Paragrafen zu Tötungsdelikten erfordern eine Gesamtwürdigung aller Umstände, dazu gehören auch die Motive. Es hängt also von der normativen Bewertung des Gerichts ab, ob eine Tat aus Frust oder Verzweiflung geschah und somit als Mord oder Totschlag behandelt wird. Das Thema hängt deshalb direkt mit der Frage der allgemeinen Bewusstseinsbildung zusammen. Nur so kann auch das juristische Personal erreicht werden. Die Forderung nach Weiterbildung würde aufgrund der Unabhängigkeit der Justiz ins Leere laufen. Ein Blog fasst all die Ergebnisse der Konferenz zusammen und kann Interessierten und Multiplikator*innen als Datenbank und Anregung dienen.

Welche Ansätze für feministische Organisierung ergeben sich daraus? In Argentinien und Spanien gab es erfolgreiche feministische Streiks. Hältst du das auch hier für möglich?

Den Organisierungen gegen Gewalt gegen Frauen wird häufig – insbesondere durch andere Feministinnen – vorgeworfen, Frauen in eine passive Opferrolle zu drängen und sie erst recht handlungsunfähig zu machen. Nicht immer zu Unrecht. Mit dem Streik brechen wir eindeutig daraus aus. Er ist eine Möglichkeit, sich aktiv gegen die Bedingungen aufzulehnen, die Gewalt und Feminizide ermöglichen. Denn dazu gehören selbstverständlich auch die ökonomischen Verhältnisse. Deshalb hat auch #KeineMehr gemeinsam mit anderen dazu aufgerufen, am 8. März 2019 auch in Deutschland zu streiken. Allerdings ist hier nicht nur die feministische Bewegung eine andere, sondern auch die Streikkultur. Aber die Kraft, die von den Streiks in Argentinien und Spanien ausging, hat auch hier viele Frauen inspiriert und motiviert. Es gibt einen Süd-Nord-Transfer der Organisierungserfahrungen. Sicherlich wird das ein längerer Prozess werden, aber der ist nicht aufzuhalten.

Das Gespräch führte Lukas Hoffmann