Streik in der Schule, Streik im Betrieb – der Slogan, der die Klimabewegung schon lange begleitet, wurde am 3. März zum ersten Mal Realität. In über 40 Städten streikten Schüler*innen von Fridays For Future Seite an Seite mit Beschäftigten des ÖPNV. Parallel zum globalen Klimastreik von Fridays For Future hatte ver.di bundesweit zu einem Aktionstag unter den Nahverkehrsbeschäftigten aufgerufen – und in sechs Bundesländern auch zum Warnstreik. Unter dem Motto #wirfahrenzusammen setzten Aktivist*innen und Beschäftigte ein gemeinsames Zeichen für bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV und für eine Mobilitätswende als unverzichtbaren Bestandteil einer sozial gerechten Klimapolitik. In einem gemeinsamen Redebeitrag beim Klimastreik in Leipzig brachten ein Azubi der Leipziger Verkehrsbetriebe und eine FFF-Aktivistin diese Botschaft auf den Punkt: „Die schlechten Arbeitsbedingungen bei der LVB machen uns genauso fassungslos wie das kontinuierliche Versagen in der Klimapolitik.“
Die gemeinsamen Streiks sind ein Meilenstein auf dem Weg zu einer sozial- und klimagerechten Verkehrswende. Dass die Allianz um ver.di und FFF mittlerweile echte Schlagkraft aufbaut, zeigt nicht zuletzt die Reaktion der Gegner*innen: So warf die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände dem Bündnis im SPIEGEL eine „gefährliche Grenzüberschreitung“ vor, während die SZ titelte: „So streiken Verdi und Fridays for Future die Verkehrswende kaputt“.
Erste Gehversuche einer sozial-ökologischen Allianz
Die Allianz aus Klimabewegung und Beschäftigten im ÖPNV ist nicht ganz neu. Vor über drei Jahren machten sich einige Klimaaktivist*innen auf den Weg, um eine Vernetzung aufzubauen, die über Studierende und Schüler*innen hinausgeht, eine Kooperation zwischen Fridays for Future und ver.di. Dabei war anfangs ungewiss, ob eine solche Zusammenarbeit gelingen würde: In den Betrieben herrschte Skepsis, ob das Anliegen eines konsequenten Klimaschutzes wirklich mit dem Ziel besserer Arbeitsbedingungen und mehr sozialer Absicherung kompatibel wäre. Schließlich werden soziale und ökologische Anliegen insbesondere bei Finanzierungsfragen im öffentlichen Diskurs häufig gegeneinander ausgespielt und als unvereinbar dargestellt. Auf der anderen Seite waren Gewerkschaften nicht gerade für ihre dynamische, vorantreibende Klimapolitik bekannt. Angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise erschien das Ausfindigmachen von Kontaktpersonen in den Betrieben, die Überzeugungsarbeit und der Aufbau von Vertrauen mit den Kolleg*innen bei ver.di als ein langwieriges Projekt, das der Klimabewegung Zeit und Kräfte rauben könnte, die an anderer Stelle effektiver eingesetzt werden könnten.
Doch die Zusammenarbeit gelang trotz aller Zweifel. In der Tarifrunde im öffentlichen Nahverkehr 2020 wurden die Kolleg*innen von ver.di in über 30 Städten von Fridays for Future-Gruppen an den Streiktagen besucht und unterstützt. Die Klimabewegung stärkte den gesellschaftlichen Rückhalt für die Streiks der Beschäftigten und legte gleichzeitig einen stärkeren Fokus auf das Klima. Trotzdem gab und gibt es kritische Stimmen in den Betrieben. Schließlich stimmen die Anliegen von Klimabewegung und Beschäftigten trotz des gemeinsamen Slogans „Ende der Welt, Ende des Monats - gleicher Kampf“ oft nicht zu 100 Prozent überein. Nicht alle Busfahrer*innen räumen Klimaschutz die gleiche Dringlichkeit ein wie ihrer besseren Bezahlung, genauso wie nicht alle Klimaaktivist*innen die Angst vor dem leeren Konto am Monatsende nachvollziehen können. Die Herausforderung lag umso mehr darin, das Gemeinsame statt des Trennenden in den Mittelpunkt der Zusammenarbeit zu stellen. Ganz offensichtlich konnte die Kampagne #wirfahrenzusammen 2020 noch nicht die Verkehrswende einleiten. Aber sie zeigte, dass es möglich ist, ökologische und gewerkschaftliche Anliegen miteinander zu verbinden und unterschiedliche Akteure mit verschiedenen Machtressourcen zusammenzubringen– Akteure eines echten Climate Labour Turns. Den mühsamen Weg dorthin haben die beteiligten Aktivist*innen in der Broschüre „Mein Pronomen ist Busfahrerin“ ausführlich beschrieben (vgl. Autor*innenkollektiv CLIMATE.LABOUR.TURN 2021).
Zwischen Austeritätsökologie und fossilistischem Comeback
Seitdem ist einige Zeit vergangen, und die Voraussetzungen für eine bundesweite Bewegung aus Gewerkschaften und Klimabewegung haben sich verändert: Im Herbst 2021 kam mit der Ampelkoalition eine Regierung an die Macht, die sich selbst der grünen Modernisierung verschrieben hat. Von Anfang an war absehbar, dass ihr grün-kapitalistischer Kurs weder den Klimabekenntnissen der Grünen noch den sozialen Versprechen der SPD gerecht werden würde – nicht zuletzt, aber nicht nur aufgrund der Regierungsbeteiligung der FDP und Christian Lindner im Finanzministerium. Die Krisenbewältigungspolitik der Regierung lässt sich als Austeritätsökologie kennzeichnen. Sie folgt dem neoliberalen Prinzip, die Kosten der Klimakrise auf die unteren Gesellschaftsschichten abzuwälzen (vgl. Schnapp 2021).
Der Krieg in der Ukraine und die anhaltende Inflation stellen die Krisenpolitik der Regierung seit einem Jahr vor zusätzliche Herausforderungen. Die Regierung nahm vermehrt die extrem klimaschädliche Braunkohlekraftwerke in Betrieb und genehmigte trotz lokaler wie bundesweiter Protestbewegungen neue LNG-Terminals, in einem Ausmaß, dass über den Deckungsbedarf der deutschen Energieversorgung weit hinausgeht. Demgegenüber blieben klimapolitische Maßnahmen wie das im Koalitionsvertrag angekündigte Klimaschutzsofortprogramm auf der Strecke. Durch die Energiekrise und die gesteigerte Rüstungsproduktion erfuhren fossilistische Politiken zuletzt wieder Aufwind. Gleichzeitig treiben die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise viele Menschen in existentielle Nöte. Doch anstatt Krisengewinner zu besteuern und Löhne zumindest an die Inflation anzupassen, verhöhnen die Arbeitgeber die Beschäftigten in den Tarifverhandlungen mit Scheinangeboten.
Im Verkehrssektor verdichten sich aktuell zahlreiche dieser Entwicklungen: Eine Mobilitätswende ist unabdingbar, um der Klimakrise entgegenzuwirken. Der Verkehrsbereich ist einer der Sektoren mit den größten Emissionen in Deutschland. 2022 verfehlte er das von der Bundesregierung vorgegebene Sektorenziel erneut (dieses Jahr um 9,7 Millionen Tonnen), und eine Trendumkehr sei laut dem Expertenrat für Klimafragen nicht zu erkennen. Trotzdem will Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) in den nächsten Jahren 850 Kilometer neue Strecken für Autobahnen bauen. Diese Neu- und Ausbaupläne könnten mit 153 Milliarden Euro rund dreimal so teuer werden wie erwartet – Geld, das stattdessen in den massiven Ausbau des ÖPNV investiert werden könnte. Wissing steht als Verkehrsminister für dieses Versagen, dass als so fundamental eingeschätzt wird, dass Fridays for Future mittlerweile seinen Rücktritt fordert – erstmalig in der Geschichte der Bewegung.
Ein anderer ÖPNV ist nötig – und möglich
Die Beschäftigungsverhältnisse im ÖPNV waren bereits vor der Inflation enorm prekär. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass es bis 2030 kaum noch Bus- und Straßenbahnfahrer*innen geben wird, wenn der Beruf nicht an Attraktivität gewinnt. Dafür wäre es dringend notwendig, dass die Beschäftigten endlich gerechten Lohn und die verdiente Anerkennung bekommen – denn ohne sie kann es auch keine Verkehrswende geben. Die seit Jahren steigenden Ticketpreise belasten zudem vor allem die einkommensschwachen Bevölkerungsteile. Die große Nachfrage nach dem 9€-Ticket im letzten Sommer hat eindrücklich gezeigt, dass der Bedarf nach bezahlbaren ÖPNV da ist. Es wurden aber auch die Fallstricke deutlich, wenn günstige Ticketpreise nicht mit einem ausgebauten Streckennetz, einer höheren Taktung und ausreichendem, gut bezahltem Personal einhergehen. Ab Mai wird das Deutschlandticket als Nachfolgeangebot für das 9€ Ticket eingeführt – mit 49€ ist es allerdings deutlich teurer und für diejenigen, die es am dringendsten bräuchten, weiterhin kaum erschwinglich. Inwieweit dieses Angebot dennoch viele Menschen entlasten und zu einer verstärkten Nutzung des ÖPNV beitragen wird, bleibt noch abzuwarten.
Der Staatsinterventionismus in Pandemiezeiten, das Sondervermögen für die Bundeswehr sowie zuletzt die Entlastungspakete während der Inflationhaben ins öffentliche Bewusstsein gerufen, dass die Austeritätspolitik des vorangegangenen Jahrzehnts anders als behauptet nicht alternativlos ist. Die härteren Verteilungskonflikte führen dazu, dass die Streikbereitschaft unter den Beschäftigten steigt und die Gewerkschaften ihre Arbeit stärker auf offensive Strategien und einen konfliktorientierten Arbeitskampf ausrichten. Nicht zuletzt die Erfolge der Krankenhausbewegung in den letzten Jahren können das Bewusstsein für die ökonomische Macht von Beschäftigten gestärkt haben. Auch die jüngsten Streiks bei der Post, im öffentlichen Dienst und bei der Bahn haben bewiesen, dass die Beschäftigten nicht länger einsehen, die Kosten der Krise zu tragen. Mit dem gemeinsamen Mega-Streik am 27. März zeigten die Kolleg*innen bei ver.di und der EVG, wie ernst sie es meinen: Im ganzen Land standen Busse, Bahnen, Schiffe und Flugzeuge still.
Auch die Klimabewegung steht an einem anderen Punkt als vor drei Jahren. Die Hochphase der Massenmobilisierungen von 2019 ist vorbei. Zahlreiche Aktivist*innen sind nach jahrelangen Protesten auf der Straße enttäuscht und frustriert von den leeren Versprechen der Politik. Die anfängliche Hoffnung auf eine klimapolitische Kursänderung unter der Ampel-Regierung hat sich spätestens mit der Abbaggerung von Lützerath in Luft aufgelöst. Kein Wunder also, dass sich immer mehr Aktivist*innen auf die Suche nach neuen Strategien begeben haben – und viele bereit sind, sich mit den Beschäftigten zusammenzutun, um gemeinsam an Stärke zu gewinnen.
Eine Kampagne, die verschiedene Machtressourcen unter einem gemeinsamen Anliegen – einer sozial-ökologischen Mobilitätswende – zusammenbringt, kann unter den aktuellen gesellschaftlichen Umständen eine neue Richtung weisen. Die Bereitschaft, sich auf ein solches Bündnis einzulassen, ist unter Beschäftigten und Aktivist*innen entsprechend groß, möglicherweise um einiges größer als letztes Mal.
Neustart für #WirFahrenZusammen
Seit Oktober arbeiten zahlreiche Aktivist*innen und Kolleg*innen daran, die Kampagne #wirfahrenzusammen in eine neue Runde zu führen. An immer mehr Orten entstehen lokale Vernetzungen (am 3. März fanden bereits in über 40 Städten gemeinsame Aktionen von FFF und ver.di statt), in regelmäßigen Mega-Zooms werden die nächsten Schritte geplant und über die letzten Monate wurden unzählige Klima-Aktivist*innen in Organizing-Methoden geschult.
In einigen Bundesländern streiken schon jetzt ÖPNV-Beschäftigte anlässlich der Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Dort organisieren bereits unzählige Klima-Aktivist*innen Unterstützung für die Streikenden: mit Kaffee am Streikposten, Solidaritätsbekundungen auf den Demonstrationen, mit Haltestellengesprächen und Postkartenaktionen, um auch in der Stadtgesellschaft um Verständnis für die Streiks zu werben. Ihren eigentlichen Höhepunkt wird die Kampagne aber erst im kommenden Jahr erreichen, wenn Anfang 2024 die Verhandlungen in der Tarifrunde Nahverkehr anstehen. Die Forderungsfindung für die TVN-Runde beginnt bereits im Sommer. Bereits 2020 war ein zentrales Anliegen von ver.di, einen Manteltarifvertrag einzuführen und die Zersplitterung des Flächentarifsystems aufzuheben, um bundesweit einheitliche Standards zu setzen. Dieses Mal wird neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen vermutlich auch die Anpassung der Löhne an die Inflation eine wichtige Forderung sein. In den kommenden Monaten wird es darauf ankommen, in den Betrieben Stärke aufzubauen, um bis 2024 eine große Streikbewegung unter den ÖPNV-Beschäftigten auf die Beine zu stellen.
Streiken fürs Gemeinwohl
Eine essenzielle Idee hinter der #wirfahrenzusammen-Kampagne ist eine breite Politisierung der Tarifrunde im Nahverkehr – als ein gesellschaftspolitisches Anliegen, das weit über die betriebliche Ebene hinausgeht. Inspiration für einen solchen „Streik fürs Gemeinwohl“ ist die Gewerkschaft United Teachers LA in den USA, die 2019 neben höheren Löhnen auch kleinere Klassen, Grünflächen in den Schulen und Sanierung und Neubau von Schulgebäuden unter enger Einbindung der Schüler*innen und Eltern erstreikt haben (vgl. Zeise 2022).. In der Tarifrunde ÖPNV könnten die Kolleg*innen gemeinsam mit der Klimabewegung, mit Verkehrs-Initiativen oder der Stadtgesellschaft auch Forderungen wie den Ausbau des Streckennetzes oder die Taktung der Bahnen und Busse in ihren Kampf aufnehmen. Die Lehrer*innen in Los Angeles haben diese gemeinsamen politischen Anliegen – obwohl sie kein Bestandteil des offiziellen Forderungskatalogs waren – zur Grundbedingung von Verhandlungen gemacht: Sie haben erst dann über Löhne verhandelt, als die Politiker*innen den anderen Forderungen zugestimmt hatten. Genauso könnte ein Bündnis aus streikenden ÖPNV-Beschäftigten und protestierender Klimabewegung vorgehen: Es müsste zunächst eine Zusage für den Ausbau des ÖPNV durchsetzen, bevor in den tariflichen Verhandlungen die Arbeitsbedingungen erstreikt werden, die die Beschäftigten verdienen.
2020 beschränkte sich ver.di in den Verhandlungen allerdings auf die Arbeitsbedingungen. Inwieweit die Gewerkschaft für eine solche Strategie heute offen wäre, bleibt abzuwarten. Nicht zuletzt die Angriffe von Arbeitgebern, Politik und Medien auf den 3. März zeigen, dass ein politisierter Streik ein hohes Risiko für Gewerkschaften birgt. Denn das Streikrecht in Deutschland ist auf die Forderungen beschränkt, die unmittelbar das Arbeitsverhältnis betreffen. Den Lehrer*innen in den Los Angeles gelang es trotz eines ähnlich restriktiven Streikrechts, ihre Forderungen durchzusetzen – doch dem ging der jahrelanger Aufbau einer gemeinsamen Streikbewegung voraus. Um fürs Gemeinwohl zu streiken, könnte also ein langer Atem notwendig sein. Doch das Vorbild aus den USA zeigt: Gemeinsam wird Gewinnen möglich.
Sollte ein gemeinsamer Streik fürs Gemeinwohl im kommenden Jahr noch nicht gelingen, gibt es dennoch Möglichkeiten, die Streiks im Nahverkehr mit einer politischen Kampagne zu begleiten. Sie könnte die gesellschaftlichen Anliegen – wie etwa den Umbau des Verkehrssektors oder niedrige Ticketpreise – ins Zentrum stellen. So könnten die Aktivitäten synchronisiert werden, auch wenn die Machtressourcen noch nicht unmittelbar zusammenwirken.
Eine Chance für linke Politik
Egal, wie die Zusammenarbeit genau aussehen wird: Wenn die Tarifrunde von ökologischen Forderungen begleitet wird, setzt das die Kolleg*innen bei ver.di unter massiven Druck. Umso wichtiger ist es, gesellschaftliche Rückendeckung für die anstehenden Streiks im kommenden Jahr zu organisieren. Darin wird die Klimabewegung eine entscheidende Rolle spielen, aber auch die Unterstützung anderer Akteure der Zivilgesellschaft darf nicht fehlen. Hier wären Stadtversammlungen, die Zusammenarbeit mit Verkehrsinitiativen oder auch öffentlichkeitswirksame Aktionen im Stadtbild wichtige Beiträge. Aber auch die LINKE kann eine aktive Rolle darin übernehmen, gesellschaftlichen Rückhalt für die Streikenden zu organisieren und zugleich Druck zu machen für die breiteren Forderungen einer sozialökologischen Mobilitätswende. Der Zeitpunkt bietet sich an, um mit einer politischen Kampagne den Bedarf nach bezahlbarem Nahverkehr aufzugreifen – beispielswiese einem Bürgerbegehren für die Fortführung des 9€-Tickets, für ein 365€-Ticket oder kostenlose Sozialtickets. Damit ließen sich –breite Bevölkerungsteile jenseits von Klimabewegung und Gewerkschaften für das gemeinsame Anliegen einer sozial-ökologischen Verkehrswende gewinnen.
Höhere Löhne für die Beschäftigten, Investitionen in den Ausbau des ÖPNV und bezahlbare Ticketpreise dürfen jedoch in der konkreten Umsetzung nicht gegeneinander ausgespielt werden. Um das zu verhindern, muss insgesamt mehr Geld von den Kommunen, den Ländern oder vom Bund für die Verkehrswende zur Verfügung gestellt werden. Dort, wo die LINKE regiert, sollte sie auf die Bereitstellung dieses Geldes hinwirken. Dort, wo sie Oppositionskraft ist, sollte sie den Druck von der Straße und aus den Betrieben ins Parlament bringen. Denn die Durchsetzung von günstigen Ticketpreisen und hohen Löhnen bedeutet eine Umverteilung von oben nach unten und ist ein zentrales Anliegen linker Politik. Die Finanzierung der Verkehrswende eröffnet auch die Frage nach Unternehmensabgaben und Vermögenssteuer und kann zur Debatte um eine gerechte gesellschaftliche Umverteilung beitragen. In diesem Zusammenhang müssen auch die Subventionen in fossile Energien und die Autoindustrie in Frage gestellt werden, um das fossile Kapital herauszufordern. Die LINKE kann hier ihr ökosozialistisches Profil unter Beweis stellen, indem sie eine Politik sozialer Entlastung und echten Klimaschutzes durchsetzt. Sie kann auf das kontinuierliche Versagen von SPD und Grünen hinweisen und dazu beitragen, die FDP-geführten Ministerien der Finanzen und des Verkehrs gemeinsam mit den Protesten auf der Straße und den Streiks in den Betrieben unter massiven Handlungsdruck zu setzen.
Für eine andere Zukunft
In diesen Zeiten droht die Linke zwischen den Verteidigern der fossilistischen Lebensweise und den Befürwortern einer grün-kapitalistischen Modernisierung zerrieben zu werden. Die Bilder von gemeinsamen Streiks der Klimabewegung und der ÖPNV-Beschäftigten machen da Hoffnung, genauso wie die Bilder vom 27. März, als EVG und ver.di mit der Klimabewegung im Rücken streikten. Es sind Beispiele einer ökologischen Klassenpolitik, die zeigen, dass der angebliche Gegensatz von „Jobs vs. Climate“ überwunden werden kann. Nur wenn die Klimabewegung ihre Machtressourcen mit denen der Beschäftigten und der Allgemeinheit vereint, könnten erste Schritte in Richtung einer klimagerechten Mobilität gegangen werden, gegen die Beharrungskräfte des fossilen Kapitals. Denn eine radikal andere Zukunft ist nicht nur möglich, sie ist auch dringend notwendig: Um sie zu verwirklichen, kommt es jetzt darauf an, möglichst viele Menschen hinter dem sozial-ökologischen Projekt der #wirfahrenzusammen-Kampagne zu vereinen.
In zehn Monaten könnten wir in den Nachrichten Bilder sehen, in denen die 80.000 Beschäftigten im ÖPNV, die zum Streik aufgerufen sind, Seite an Seite mit 80.000 Klima-Aktivist*innen die Streikposten besetzen und, gestärkt von einer solidarischen Öffentlichkeit, wortwörtlich den Verkehr im ganzen Land lahmlegen.
Damit diese Bilder Wirklichkeit werden, sind die kommenden Monaten zentral. Es gilt, die gemeinsamen Anliegen von ÖPNV-Beschäftigten, Klima-Aktivist*innen und Stadtgesellschaft herauszuarbeiten, die in der #wirfahrenzusammen-Kampagne politische Schlagkraft entfalten können. Gemeinsame Streiks und Aktionen für eine sozial-gerechte Verkehrswende von unten können echte Gegenmacht aufbauen und spürbare Veränderungen erwirken. Damit können sie auf lange Sicht zur Neukonstituierung einer Arbeiter*innenklasse beitragen, die ihre gemeinsamen Interessen erkennt und vereint ihre Handlungsfähigkeit zurückerlangt – um eine lebenswerte und gerechte Zukunft zu erkämpfen.