Das Versagen eines Kapitalismus mit einem ökologisch dominanten neoliberalen Finanzsystem hat viel stärkere Ansteckungseffekte für andere Kapitalismen oder für nichtkapitalistische Wirtschaftsstrukturen. So wurde die weltweite Finanzkrise in den USA verursacht und hatte Ansteckungseffekte weit über die Kernländer der neoliberalen Marktwirtschaft und weit über die Wirtschaftsstrukturen im engeren oder weiteren Sinne hinaus. Diese Aussagen beziehen sich auf die Ebene von Weltmarkt und Weltgesellschaft. Die EU-Ökonomie ist ein wichtiger Bestandteil des Weltmarkts und wird von diesen allgemeineren Krisentendenzen beeinflusst. In ihrer wirtschaftlichen Organisation macht sich aber ein besonderer Konflikt zwischen drei teilweise widersprüchlichen Zwängen bemerkbar: 1 | dem globalen Trend zum Neoliberalismus, der vom transnationalen Kapital und von der Achse der neoliberalen Staaten vorangetrieben wird, 2 | dem Druck zu neoliberalen Formen der europäischen Integration, der auch auf dem Problem beruht, ein solches Sammelsurium von Volkswirtschaften (mitsamt ihren regionalen und urbanen Elementen) nach einem einzigen Steuerungsmodell unter einen Hut zu bringen, und 3 | dem Druck durch Deutschland und die mit ihm verbundenen wirtschaftlichen und politischen Interessen, der auf die Aufrechterhaltung des »Modells Deutschland« zielt, als Basis für Deutschlands exportorientierte Wettbewerbsfähigkeit nach innen und, wenn möglich, nach außen. In diesem Spannungsverhältnis war das ökologisch dominante Wirtschaftsmodell nicht neoliberal (wie im Weltmaßstab), sondern neomerkantilistisch. Innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums könnte man sagen, dass die Dominanz des deutschen Neomerkantilismus im europäischen Krisenmanagement der Problemverursacher und Südeuropa der Problemabnehmer ist. Das scheint nicht plausibel, weil die Eurokrise im Süden ausbrach. Aber genauso wie die Asienkrise in den USA (durch den Neoliberalismus) verursacht wurde, aber in Ostasien zum Ausbruch kam, könnte man auch sagen, dass die Krise der Eurozone in Deutschland (durch dessen Rolle bei der Gestaltung des europäischen Währungssystems) konstruiert wurde, aber in Südeuropa ausbrach. Dies ist – wieder – keine Frage einseitiger Dominanz, sondern eine des relativen Gewichts im dynamischen Entwicklungszusammenhang eines politischen Wirtschaftsraums. Zum besseren Verständnis müssen wir das deutsche Wachstumsmodell untersuchen. Das »Modell Deutschland« umfasst mehr als nur das »deutsche Modell« des Kapitalismus. Es bezieht sich auf das spezifische geoökonomische und politische Gewicht dieses deutschen Modells im europäischen und globalen Kontext. Politisch entstand der Begriff 1976 bei den Bundestagswahlen als Wahlkampfslogan der SPD, wobei unter »Modell« nicht nur eine Vision verstanden wurde, die man in Deutschland verwirklichen wollte (also ein Zukunftsmodell), sondern auch eine real existierende institutionelle Struktur, die man in Europa nachahmen sollte (also ein Vorbild). Es definiert sich durch ein neomerkantilistisches Wachstumsmodell, das die exportorientierte Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt aufrechterhalten will und auf stabilen Preisen, einem selektiven Korporatismus und einem korporatistischen Sozialstaatsmodell basiert. Das verbindet sich mit der Förderung von Deutschlands zentraler wirtschaftlicher Funktion in einer hierarchisch organisierten internationalen Arbeitsteilung, in der auch andere europäische Ökonomien als alliierte Kernökonomien oder als halbperiphere und periphere Ökonomien die zweite oder dritte Geige spielen. Weil sich das deutsche Kapital auf die Produktion von (hauptsächlich technischen) Investitionsgütern und auf hochwertige, forschungsintensive Gebrauchsgüter spezialisiert, ist der heimische Binnenmarkt begrenzt. Es ist deshalb in seiner strukturellen Zusammensetzung anfällig für Krisen und allgemein ungleiche Entwicklung der Weltökonomie. Das erklärt sein Interesse an der Steuerung der Weltwirtschaft (schon seit 1945 und besonders in Zeiten der Krise und Krisenbewältigung), insbesondere an der Organisation des europä- ischen Wirtschaftsraums, wo seine Möglichkeiten der Einflussnahme größer als auf der Weltbühne sind. Obwohl in der Wirtschaftspolitik des »Modells Deutschland« neoliberale Elemente aufgetaucht sind, haben diese nicht zu einem neoliberalen Systemwechsel wie in den USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland oder Irland geführt. Sie wurden vor allem eingeführt, um das überkommene Modell aufrechtzuerhalten. Dies bestand vor allem darin, die Rolle Deutschlands im regionalen und internationaler Währungssystem zu sichern und die Probleme zu bearbeiten, die daraus entstanden, dass die D-Mark einerseits als nationales bzw. der Euro als regionales Zahlungsmittel und andererseits als internationale Währung diente. Die Bundesbank strebt nach wie nach einer national, regional und international entscheidenden Rolle Deutschlands, um Exportfähigkeit zu sichern, und als Faktor regionaler und internationaler Stabilität. Das sieht man an der ursprünglichen Konstruktion der europäischen Währungsunion und der Eurozone mit ihrem Stabilitäts- und Wachstumspakt, ihren Konvergenzkriterien, der Orientierung der EZB-Politik auf Preisstabilität (aber nicht auf die Verhinderung von bzw. Förderung von Beschäftigung oder Wachstum) und an den Restriktionen, die der EZB beim Ankauf von Staatsanleihen oder der Ausgabe von Eurobonds auferlegt wurden. Deutschland hat von der Eurozone in verschiedener Hinsicht profitiert: Der Euro hat einen niedrigeren Wechselkurs, als ihn die D-Mark hätte (was den Export fördert), er hat dadurch die Exportmöglichkeiten in Europa erweitert (besonders für hochwertige deutsche Konsumgüter), und er hat in Südeuropa Anlagemöglichkeiten für deutsches Kapital geschaffen (das zum Teil aus Exportüberschüssen stammt). Obwohl ich die problemverursachende Rolle des Modells Deutschland betone und die damit verbundenen Anstrengungen seiner wirtschaftlichen und politischen Eliten (und ihrer nationalen und internationalen Verbündeten), die inneren und äußeren Bedingungen für seine Aufrechterhaltung zu schaffen, würde ich nicht von einem deutschen Imperialismus (im traditionellen Sinne militärischer Eroberung und der Kontrolle von Territorien und Ressourcen) sprechen. Das Modell beinhaltet vielmehr die Organisation des Wirtschaftsraums durch Verwaltung der internationalen Arbeitsteilung, durch Gestaltung zwischenstaatlicher Kooperation und durch den Aufbau regionaler und internationaler Wirtschaftsordnungen. Es geht um Deutschlands ökologische Dominanz in einer europäischen »Großraumwirtschaft«, nicht um deren Organisation durch Gewalt und Vorherrschaft. Anders als in der Natur ist diese ökologische Dominanz nicht nur eine Sache blinder Ko-Evolution. Sie umfasst politisches Handeln, das sich in der institutionellen Gestaltung und in der Ausübung von Macht ausdrückt. Dies lässt sich im Sinne einer schwächeren Bedeutung von »Imperialismus« verstehen: Es entstehen dauerhafte Mechanismen, politische Maßnahmen werden beständig neu ausgerichtet auf die Reproduktion von Zentrum-Peripherie-Verhältnissen. In diesem Kontext versucht ein rheinisches [= deutsch-französisches, d. Übers.] Zentrum, das sich mit dem Modell Deutschland verbindet und Zentrum-Peripherie-Beziehungen geschaffen hat, die Krise der Eurozone in einer Form zu bewältigen, von der das Zentrum und nicht die Peripherie profitiert. Die Krise verändert die Architektur der Europäischen Union. Was bedeutet dies aus deiner Sicht für das, was du als einen »variegated capitalism« (diversifizierten Kapitalismus) auf neoliberaler Grundlage bezeichnest? Die Eurozone hat nicht so funktioniert, wie ihre Befürworter erwartet hatten. Das gilt auch, wenn wir den allgemeinen Einfluss der nordatlantischen Finanzkrise und ihre Ansteckungswirkungen in Rechnung stellen. Einige Länder traten ihr bei, ohne die Konvergenzkriterien zu erfüllen. Und die jeweilige Wirtschaftskraft (Produktivität, Lohnkosten, private und öffentliche Verschuldung, Inflation, allgemeine Wettbewerbsfähigkeit) blieb sehr unterschiedlich. Die Krisenbewältigung wurde wiederum behindert durch 1 | gegensätzliche Interpretationen der Krise (wobei man erst spät erkannte, dass es sich um eine Solvenz- und nicht um eine Liquiditätskrise handelt), durch 2 | unterschiedliche Ansichten über die Abwälzung der Anpassungskosten (wobei der Schutz des Finanzkapitals Vorrang vor den Interessen der Industrie, der Arbeiter und der Steuerzahler bekam) und 3 | durch die Versuche, die Erwartungen der Rentenmärkte mit notwendigen Wahlerfolgen angesichts zunehmend nationalistischer und populistischer Reaktionen in Einklang zu bringen. Zwar haben sich die Auseinandersetzungen zwischen Vertretern verschiedener Spielarten des Kapitalismus durch die Finanzkrise verschärft, der Neoliberalismus in der EU ist aber eher gestärkt als geschwächt worden – ein gutes Beispiel für das Diktum von Karl Deutsch, dass Macht die Fähigkeit ist, aus Fehlern nicht lernen zu müssen. Die neoliberalen Finanzeliten haben anders als das Industriekapital, die Beschäftigten und andere subalterne Kräfte nach einer kurzen Phase der Desorientierung schnell wieder ihren klaren Kopf, ihre Macht und ihre Profite zurückgewonnen. Eine andere Paradoxie zeigt sich in den politischen Strategien. Deutschland hat einerseits die neomerkantilistische Politik des Modells Deutschland (Subventionen für Kurzarbeit, Abwrackprämien zur Subventionierung der Automobilindustrie oder Exporthilfen) nach innen bekräftigt, sich aber andererseits für neoliberale Kürzungspolitik nach außen stark gemacht. Der betriebene Fiskalpakt wird den Neoliberalismus weiter festschreiben und Austerität zum permanenten Grundzug der Europäischen Union machen, mit einer stärkeren Fiskalunion und einer Überwachung der Staatshaushalte. Die Krise hat auch den politischen und finanziellen Gegensatz zwischen Großbritannien und den anderen politischen Hauptakteuren in der EU verstärkt. Da Großbritannien der Eurozone nicht beigetreten ist, wollen seine politischen Eliten den britischen Beitrag zu den Rettungspaketen möglichst gering halten. Sie erkennen aber auch, gewarnt von der City of London, die Ansteckungsgefahr und die Anfälligkeit des britischen Finanzkapitals für den möglichen Zusammenbruch von Banken innerhalb der Eurozone. Zweitens will die City of London, als Basis des internationalen Finanzkapitals und der dem internationalen Kapital dienenden Unternehmensdienstleistungen, den Finanzsektor weltweit so schnell wie möglich wieder auf Touren bringen und ihr wirtschaftliches und politisches Gewicht auf den internationalen Finanzmärkten vergrößern. London ist wegen seiner schwachen Regulation augenblicklich die wichtigste Operationsbasis der Hedgefonds-Industrie. Das hat auf dem Brüsseler Gipfel von 2011 zu Konflikten geführt, als Premierminister Cameron die Hedgefonds-Industrie gegen EU-Kontrollen verteidigte und sich gegen eine Steuer für Finanztransaktionen sperrte. In Deutschland haben die exportorientierten Sektoren größeres Gewicht, und deutsche Großbanken tätigen ihre internationalen Finanzoperationen oft im schwächer regulierten Londoner Umfeld. Südeuropa gerät durch die von Ratingagenturen, Anleihenmärkten und nordeuropäischen Ländern (vor allem Frankreich und Deutschland) geschnürten Sparpakete in mehrfacher Hinsicht ins Hintertreffen: 1 | werden die Bürgschaften vor allem zur Rückzahlung von Krediten an deutsche und französische Banken und zur Refinanzierung von Staatsanleihen benutzt. 2 | beinhalten die damit verbundenen Konditionen einen massiven Angriff auf den öffentlichen Sektor, der den Fahrplänen neoliberaler Politik entspricht, zusammen mit der Privatisierung von potenziell rentablem Staatseigentum. 3 | hat die Sparpolitik ohne ein allgemeines Wachstumsprogramm den Effekt, dass der Anteil der öffentlichen Verschuldung am Bruttoinlandsprodukt nicht kleiner, sondern größer wird, was ganz Europa in die Rezession treibt. Das wird die Zahl der Kernländer reduzieren, weil weitere Ökonomien in die Rezession stürzen; auch die Wachstumsaussichten Deutschlands werden geschwächt, weil in Südeuropa Absatzmärkte verloren gehen. Es gibt also die Gefahr eines Bumerangeffekts. Das kommt wiederum in den divergierenden Politikansätzen zum Ausdruck, die zur Reproduktion der Zentrum-PeripherieBeziehungen in der heutigen europäischen »Großraumwirtschaft« angewandt werden. Im rheinischen Zentrum, besonders in Deutschland, erleben wir die Konsolidierung des ordoliberalen Modells mit einer Stärkung des autoritären Staatsdenkens; in Südeuropa beobachten wir die Durchsetzung neoliberaler Austeritäts- und Strukturanpassungsprogramme. Um den – auf den Dollar gemünzten – Ausspruch von Nixons Finanzminister Connally (»It’s our currency, but it’s your problem«) zu paraphrasieren: »Die Krise der Eurozone ist das Ergebnis unserer Konstruktion, aber sie ist euer Problem – und wir sagen euch, wie ihr sie bewältigen sollt.« Du sprichst von einer »Krise des Krisenmanagements« – wie wirken sich die unterschiedlichen Tendenzen auf die Kräfteverhältnisse aus? Krisen sind ständige Begleiterscheinungen der Kapitalakkumulation, der politischen Systeme und anderer institutioneller und gesellschaftlicher Ordnungen. Deshalb gibt es Gewohnheitsmechanismen, entstanden teilweise nach dem Trial-and-Error-Prinzip, um Krisen zu bewältigen und, wenn möglich, wieder für den normalen »Gang der Geschäfte« zu sorgen. In dieser Hinsicht können Krisen ein System, das aus den Fugen ist, wieder ins Lot bringen. Eine Krise der Krisenbewältigung heißt, die gewohnten Rezepte funktionieren nicht mehr oder können sogar kontraproduktiv sein. Das kann die Wiederherstellung des Systems erschweren und zu noch tieferen Krisen führen, in denen soziale Kräfte radikalere Lösungen fordern. Oder es führt zu anhaltenden Perioden gesellschaftlicher Stagnation oder Implosion. Eine solche Krise der Krisenbewältigung wurde gegen Ende der fordistischen Nachkriegsexpansion mit ihrem keynesianischen Sozialstaatsmodell sichtbar. Es schuf die Voraussetzungen für den Aufstieg des Neoliberalismus. Die jetzige Phase ist eine Periode, in der das neoliberale Krisenmanagement in den USA, Großbritannien und Irland zusammengebrochen ist, und es gibt ähnliche Anzeichen für eine Krise der Krisenbewältigung in der Europäischen Union. Das zeigt sich nicht nur in der ständigen Sackgasse der Versuche zu einer Lösung der Wirtschaftskrise, sondern auch in verschiedenen Symptomen einer politischen Krise. Die Strategien der Krisenbewältigung in Europa ähneln denen in anderen Ländern des Nordens, werden aber verkompliziert durch die unterschiedlichen Ebenen, auf denen sie in Europa und in der Eurozone angewandt werden müssen. Die vorherrschende Strategie der Führungsländer verbindet die Sozialisierung fauler Wertpapiere des Finanzkapitals (besonders von Banken, die so groß oder verflochten sind, dass sie nicht zusammenbrechen dürfen) mit einem Programm der quantitativen Lockerung. Es soll den Banken billiges Geld zur Verfügung stellen, damit sie kriselnden Unternehmen und privaten Haushalten verstärkt Kredite gewähren und dadurch das Wachstum ankurbeln (während sie in Wirklichkeit ihre Bilanzen aufpolieren, den Staaten Geld zu höheren Zinssätzen leihen, als sie selbst an die Zentralbanken zahlen, und das Interbankengeschäft reduzieren, mit verheerenden Folgen für die Liquidität). Durch reduzierte direkte und soziale Lohnkosten soll die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Die Verfechter des neoliberalen Dogmas fragen kaum, wie die Verminderung der Binnennachfrage die Wettbewerbsfähigkeit steigern soll, wenn sich durch dieses Sankt-Florians-Prinzip für jedes Land die Nachfrage auf seinen europäischen Exportmärkten reduziert. Zwei andere gängige Strategien werden mehr propagiert als angewandt. 1 | die Forderung nach kurz- oder mittelfristiger Erhöhung der Staatsausgaben, um der Dämpfung der privaten Inlandsnachfrage und dem krisenbedingten Exportrückgang entgegenzuwirken – eine in der Regel missverstandene Politik, die vom neoliberalen Finanzkapital als Rückfall in den Keynesianismus abgelehnt wird. 2 | der Vorschlag eines »Grünen New Deal«, der auf einen Aufschwung mit grünen Investitionen zielt und auf einem neuen sozialen Kompromiss basiert. Die grüne Agenda wurde aber entweder im verzweifelten Bemühen um die Wiederherstellung des Wachstums ins Abseits gedrängt oder von neoliberalen Kräften im Blick auf die In-Wert-Setzung und Kapitalisierung von Naturressourcen vereinnahmt. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Strategien die Krise der Eurozone lösen können. Sie behandelt Löhne und Sozialleistungen als Kosten für die (internationale) Produktion und übersieht ihre Funktion, Nachfrage zu schaffen. Das führt zu kurzfristigen Gewinnsteigerungen auf Kosten der mittelfristigen Verbrauchernachfrage und ist einer der Hauptgründe für gebremstes Wachstum und sogar Double-Dip-Rezession. Es verbindet sich außerdem mit Strategien des Lohndumping und der »kollektiven Verelendung« nach der Devise »Wir sitzen alle in einem Boot«. Das hat Konsequenzen nicht nur für das Verhältnis von Kapital und Arbeit, sondern auch innerhalb der Arbeiterklasse, weil die Verbindung von Prekarität und geschlechtlich bedingter Arbeitsteilung zusammen mit dem besonders heftigen Angriff auf den öffentlichen Sektor (der nicht nur für weibliche Beschäftigung sorgt, sondern auch ein wichtiger Rückhalt für Frauen und die Familie ist) zur Folge hat, dass Frauen tendenziell stärker unter der Krise leiden als Männer. Das Krisenmanagement liegt im Interesse des Kapitals: 1 | Die Beschäftigten akzeptieren das herrschende Krisennarrativ oder sind durch den kumulativen Effekt von 40 Jahren neoliberaler Politik und ihren wirtschaftlichen Folgen dermaßen geschwächt, dass sie ihm nicht widerstehen können. 2 | Es bereitet den Boden für Teile-und-herrsche-Taktiken, die auf dem nationalen und nationenübergreifenden Wettbewerb unterschiedlicher Gruppen und Schichten von Beschäftigten beruht. 3 | Alternative Strategien werden erschwert, die Beschäftigte, soziale Bewegungen und linke Parteien mobilisieren könnten, anhand einer europaweiten solidarischen Politik, die über vereinzelte (und dadurch oft unwirksame) Abwehrmaßnahmen hinaus zu einer hegemoniefähigen wirtschaftlichen und politischen Vision führen könnte. Das neoliberale Krisenmanagement schützt fremdfinanzierte, oft betrügerische und räuberische Finanzinstitutionen, indem es faule Wertpapiere übernimmt oder sogar zu fiktiven Preisen in Mengen aufkauft: durch Schaffung von Staatsschuldscheinen zu Lasten der staatlichen Steueraufkommen. Wenn diese faulen Titel auf Zentralbanken, andere Finanzinstitutionen mit staatlichem Hintergrund oder direkt auf Staaten in Mengen übertragen werden, die über die Steuer- und Kreditaufnahmekapazität der Staaten hinausgehen, führt das zur Forderung von Anleihenmärkten, Sparkommissaren und Organisationen wie dem IWF nach Kürzung der öffentlichen Ausgaben. Die ursprüngliche Reaktion auf die Krise ermöglichte dem Finanzkapital, die Kosten seiner Fehler zum großen Teil abzuwälzen; die Abrechnung ist so nur vertagt worden. Ob sich diese Strategie aufrechterhalten lässt, ist eine Frage, die von der Politik und nicht von unveränderlichen ökonomischen Gesetzmä- ßigkeiten beantwortet wird. Ich fürchte aber, dass die Eurozone an ihre Grenzen stößt. Aus dem Englischen von Thomas Laugstien