Der Klimawandel ist außer Kontrolle. Wir bewegen uns in ein Katastrophen-Szenario.“ António Guterres mahnt in eindringlichen Worten zum sofortigen grundlegenden Umsteuern in der Klimapolitik. Anstieg der Meerestemperaturen, Wassernotstand und Dürre, ein Hitzerekord jagt den nächsten, sintflutartige Regenfälle. Wir stehen am Anfang eines Szenarios, das nach Warnungen der UNO geeignet ist, ganze Zivilisationen in den Abgrund zu reißen. Die Debatten um Klimaschutz, wie zuletzt in Deutschland um die längst überfällige Wärmewende, wirken dagegen merkwürdig entrückt und unzeitgemäß.
Gefühlte Klimapolitik
Das Vertrauen in die Klimapolitik der Bundesregierung hat einen Tiefpunkt erreicht. Das ist nicht einfach die Folge der Aktionen der „Letzten Generation“, sondern die Konsequenz einer erratischen Politik, der Ziel und Weg zu fehlen scheint. Die Lücke zwischen der „gefühlten Meinung“, also der öffentlichen Diskurshoheit und den medial dominierenden Affekten auf der einen Seite und den realen Einstellungen in der Bevölkerung auf der anderen Seite ist groß. Das zeigt das „Soziale Nachhaltigkeitsbarometer 2023“: Während ein Großteil der Befragten vermutet, dass nur eine Minderheit Maßnahmen bei der Energie- und Verkehrswende unterstützt, ist es real eine Mehrheit. Nur ist sich diese Mehrheit aktuell nicht ihrer eigenen Existenz bewusst. Es fehlt die Erzählung, wie die multiplen Krisen – Klima, soziale Krise, Krieg – angegangen und in Richtung einer solidarischen Gesellschaft gelöst werden können.
„Kulturrevolution von rechts“
Die AfD saugt ihren braunen Nektar aus der Krise und steigt von einem zum nächsten Umfragehoch, während CDU-Vorsitzender Merz seine Partei eifrig zur „Alternative für Deutschland mit Substanz“ erklärt. Doch eine schlechte Kopie lenkt den Blick eher aufs Original. Die AfD-Strategen haben Gramsci gelesen. Sie arbeiten Schritt für Schritt ab, wovon der Vordenker der „Neuen Rechten“ Alain de Benoist schon 1985 träumte: eine „Kulturrevolution von rechts“. Kubitschek, Höcke und Co. wissen: Eine Partei, die die politische Macht erobern will, muss um die kulturelle Vorherrschaft in der Gesellschaft kämpfen (vgl. Speit 2018). Konservative und liberale Kräfte spielen dieser Strategie der gesellschaftlichen Rechten in die Karten, indem sie sich auf das Terrain des rechten Kulturkampfes begeben. Um der AfD Stimmen abzujagen, wird rechts dahergeredet, über Migration, Klima oder Gendern. Doch wenn alle nach der rechten Melodie tanzen, wird sie unüberhörbar.
Die Heizungsdebatte als Exempel
Die Debatte um das Aus für Gas- und Ölheizungen ist das Paradebeispiel dafür, wie ein Thema auf rechts gedreht wird. Der im Februar geleakte Referentenentwurf für das Heizungsgesetz hatte eine zentrale Schwachstelle: Die Art und Weise der Förderung für Eigenheimbesitzer war nicht geklärt, noch weniger, wie Mieter und Mieterinnen zu entlasten seien. Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM), die Springer-Presse, CDU/CSU und FDP nutzten diese Lücke und bliesen zum Generalangriff auf die Wärmewende. Es wurde der Eindruck erweckt, Heizen mit Öl und Gas werde 2024 verboten.
Bereits am 5. Januar plädierte der Ökonom Manuel Frondel auf seinem Blog für die INSM für den Emissionshandel als Alternative zu einem Verbot von Öl- und Gasheizungen. Sein Argument: eine Förderung des Einbaus von Wärmepumpen würde „den Steuerzahler enorme Summen kosten.“ Durch den Emissionshandel hingegen würden Öl- und Gasheizungen ohnehin vom Markt verschwinden. Frondel war auch der Kronzeuge für die Kürzungen bei der Solarförderung, die unter Wirtschaftsminister Rösler von der FDP zum Niedergang der Solarbranche beitrugen. Seine Aussagen über die horrenden Kosten wurden von Spiegel, Focus und co. gerne verbreitet. Auch diese stellten sich im Nachhinein als maßlose Übertreibungen heraus, aber der Schaden war bereits angerichtet. 2020 hatte Frondel berechnet, dass erst bei Abständen von acht bis neun Kilometern Windkraftanlagen keinen Wertverlust für Immobilien mehr bedeuten würden. Deshalb seien verbindliche Mindestabstände dringend erforderlich. Er empfahl, „auf den weiteren Ausbau an Land vorerst gänzlich“ zu verzichten.
Anfang März vermeldete die Zeitung mit den großen Lettern „Habecks Wohnhammer kostet uns 1000 Milliarden Euro“. Woher kommt die Zahl? Auch hier hatte der INSM-Experte Frondel wieder seine Finger im Spiel: Er hatte berechnet, was es kosten würde, wenn sämtliche Heizungen in Deutschland bis 2045 durch Wärmepumpen ersetzt würden, einschließlich entsprechender Sanierungsmaßnahmen. Die Falschmeldung wurde später korrigiert, doch der Sound war gesetzt. In der Folge wurde gerade von FDP und Union ein wahres Bombardement an Fake News und Verkürzungen abgefeuert, denen, wie etwa Uwe Witt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung darlegt, jegliche Substanz fehlt. Infolgedessen wurde das Heizungsgesetz klimapolitisch entkernt, während die Förderungen sozialpolitisch auch weiterhin hinter dem Notwendigen zurückblieben. Dass das Gesetz nun erst nach der Sommerpause beschlossen werden soll, bietet Raum für weitere Angriffe von rechts.
„Verbotspolitik“ oder „Marktwirtschaft“?
Die sozialpolitischen Schwächen des Gesetzes sind fatal im Angesicht explodierender Verbraucherpreise und Mieten. Doch diese waren nicht entscheidend für die Kampagne. Im Kern ging es Springer und den konservativen Kräften darum, eine Klimapolitik anzugreifen, die auf Verbote und Ordnungspolitik setzt. Die Stärkung der Rechten ist dabei ein Nebeneffekt, der mindestens in Kauf genommen wird. Die AfD musste wenig mehr tun, als sich an steigenden Umfragewerten zu erfreuen. Das Ganze ist eine gefährliche Blaupause für kommende klimapolitische Debatten. Was die Experten von INSM und FDP wissen: Auf europäischer Ebene wird der Emissionshandel auf Gebäude und Verkehr ausgedehnt, der CO2-Preis könnte rasant auf 200 Euro und mehr pro Tonne steigen – ein sozialer Killer, wenn nicht entschiedene klima- und sozialpolitische Maßnahmen ergriffen werden. Doch diese Maßnahmen scheinen im aktuellen „Mexican Standoff“ in der Ampel schwer vorstellbar.
Bezahlen die USA die Klimabewegung, um Deutschland zu deindustrialisieren?
Leider wurde die rechte Kampagne gegen das Heizungsgesetz auch von einzelnen Akteuren der LINKEN befeuert. Die Speerspitze der Reaktion innerhalb des sich als links verstehenden Lagers bildete wie gewohnt Sahra Wagenknecht, die ohnehin auf dem Absprung nach rechts ist. In der Vergangenheit war sie wiederholt durch Fake News aufgefallen, etwa über die Verantwortung von Vegetariern und Veganer für den Klimawandel. Noch im Juli behauptete sie wahrheitswidrig, das Heizungsgesetz sähe vor, dass „intakte Gasheizungen rausgerissen“ und durch Wärmepumpen ersetzt werden sollten. Wärmepumpen würden in schlecht gedämmten Gebäuden nicht effizient funktionieren. Auch seien Wärmepumpen nicht sauberer als Öl- oder Gasheizungen, weil sie im Winter „großenteils mit Kohlestrom“ betrieben werden müssten. Generell, so Wagenknecht, sei die Energiewende nicht möglich, weil Stromerzeugung im Winter nur mit Wind- und Sonnenkraft nicht möglich sei. All das sind Mythen, die bereits widerlegt worden sind. Ihre Thesen werden dabei zunehmend schriller. „Sogenannte Umweltorganisationen“ würden aus den USA finanziert, behauptete sie im Gespräch mit dem Crash-Propheten Marc Friedrich, um durch „angebliche Umweltmaßnahmen“ die Deindustrialisierung Deutschlands voranzutreiben. Vom Verschwörungs-Geraune der „Neuen Rechten“ sind solche Thesen nicht zu unterscheiden.
Linke am Spielfeldrand
Doch auch der Rest der LINKEN war in seiner Kommunikation widersprüchlich. Ein Großteil stand bei einer zentralen Debatte, bei der es darum gegangen wäre, Sozial- und Klimapolitik miteinander zu verbinden, am Spielfeldrand. Trotz guter Beschlusslage in Partei und Fraktion gelang es nicht, eine tragfähige gemeinsame Position nach außen zu formulieren.
Obwohl sich die Linksfraktion noch in den vorherigen Legislaturperioden wiederholt für ein rasches Verbot von Öl- und Gasheizungen nach dem Vorbild Dänemarks ausgesprochen hatte, beklagte der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bartsch ein „Heizdiktat“ und forderte einen „Paradigmenwechsel in der Klimapolitik: Nicht immer teurer, nicht immer mehr Verbote, sondern Zuversicht, Fortschrittsdenken und attraktive Preise“. Die Parteivorsitzenden präsentierten demgegenüber fünf Maßnahmen für eine sozial gerechte Wärmewende, die auf sozialen Ausgleich in Verbindung mit Ordnungspolitik und Verboten setzten. Was blieb, war mal wieder ein vielstimmiger linker Missklang statt einer einheitlichen klaren Linie, einer nach vorne gerichteten Vision, wie sich soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz in der Wärmewende miteinander verbinden ließen.
Was tun? Linke Alternativen stärken
Die Lehre daraus? Wie verlockend auch immer Kampagnen von Bild und Co. wirken, weil sie real die gesellschaftliche Stimmung beeinflussen: Gegenhalten ist angesagt. Wenn die Wärmewende nach der Sommerpause wieder ins Kabinett kommt, wäre die LINKE klug beraten, ihre sozialen Alternativen einzubringen: ihr Konzept für eine gerechte Wärmewende und das gute Förderkonzept für einen sozialen Ausgleich beim Heizungstausch, das die Bundestagsfraktion mittlerweile vorgelegt hat. Gerade in Zeiten, in denen sich die Ampel-Parteien selbst blockieren und die rechte Opposition aus Merz-CDU und AfD immer schriller wird, braucht es klare, hörbare Alternativen von links, die deutlich machen, wie unsere Lebensgrundlagen erhalten und gleichzeitig unsere Gesellschaft und Umwelt lebenswerter und gesünder gestaltet werden können – übrigens nicht nur in Deutschland, sondern global.
„Unser Kapitalismus soll grüner werden“ ist inzwischen nur noch im besten Fall das Motto der selbsternannten „Fortschrittskoalition“. Mit dem Schleifen des Klimaschutzgesetzes und dem Rumeiern beim „Heizungsgesetz“ droht sie noch hinter die ehemalige „Große Koalition“ zurückzufallen. Dass die Klimaziele 2030 in weite Ferne rücken, zeichnet sich ohnehin schon ab. Angesichts intensiver rechter Propaganda besteht nicht mehr nur die reale Gefahr einer sozialen Spaltung, sondern eine Gefahr für unsere Demokratie. Die Wahlen im Osten der Republik im nächsten Jahr könnten dafür entscheidend werden.
Die Linke muss die sozialistische Alternative stark machen, in allen Bereichen. Sie muss wieder wählbar, politik- und bündnisfähig werden. Dafür muss sie vor allem lernen, nach außen eine gemeinsame Linie auf Basis der Beschlusslagen der Partei zu vertreten, nicht Statements je nach Wetterlage abzugeben. Neben der sozialen Flankierung des Heizungstausches und dem Mieterschutz bedeutet das in Bezug auf die Wärmewende: es bedarf eines massiven Ausbaus und einer Vergesellschaftung der Wärmenetze, um kollektive und erschwingliche Lösungen für viele Haushalte gleichzeitig zu ermöglichen. Und eines Verbots, mit der Wärme Profite zu machen. Diese Forderung ist in sämtlichen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge notwendig.
Die Ampel-Politik, die mitten in der Krise Kürzungspolitik vorantreibt, ist nicht in der Lage, die richtigen Antworten zu geben: Richtig wäre eine konsequente und glaubwürdige Klimapolitik, verbunden mit der Perspektive einer solidarischen Politik, die mehr Gleichheit schafft und nicht weniger. Die Frage Sozialismus oder Barbarei muss im Angesicht von rechtem Kulturkampf und Klimakrise von links beantwortet werden.