LAB argumentierte hingegen, dass ein unbefristeter Streik gegen Entlassungen von einzelnen Beschäftigten oder für eine Lohnerhöhung durchaus wirksam sein kann. Im Fall von Mecaner wehren sich die Kolleg*innen aber gegen eine Werkschließung durch ein multinationales Unternehmen wie Stellantis. Wenn Stellantis im September 2023 die Ankündigung macht, ist es im Grunde schon zu spät, weil es die Produktion bereits in andere Standorte verlegt hat. Tatsächlich hatte sich herausgestellt, dass Stellantis schon Aufträge umgeleitet hatte und ein Streik demnach kein geeignetes Druckmittel wäre. LAB und ESK war dies bewusst und setzten deswegen auf das neue "Werkzeug" des sozial-ökologischen Transformationsplans.
Wie wurde der sozial-ökologische Transformationsplan erstellt?
Der Plan wurde mit Mitteln der Gemeinde von Urduliz, der Kleinstadt, in der Mecaner liegt, finanziert. Es handelt sich um eine Stadt mit 10 000 Einwohnern, in der EH Bildu regiert, die linke Opposition zur baskischen konservativen Landesregierung der PNV. Nachdem der Betriebsrat von Mecaner im Oktober 2023 den Vorschlag annahm, beauftragte er das Forschungs- und Bildungsinstitut Garúa, eine Studie zu alternativen Produktionsmöglichkeiten für das Werk durchzuführen. Zum damaligen Zeitpunkt arbeitete ich bei Garúa und hatte bereits andere Gewerkschaften bei sozial-ökologischen Fragen zum Umbau der Automobilindustrie beraten. So begann ich im November 2023 federführend das Projekt, was sich bis Februar 2024 zog. Ich traf regelmäßig den Betriebsrat, nahm an den Betriebsversammlungen teil, tauschte mich mit Fachexpert*innen und Industriepolitiker*innen der baskischen Landesregierung aus.
Was sieht der sozial-ökologische Transformationsplan vor?
Im Plan haben wir vier alternative Produktionsszenarien skizziert. Für die Auswahl galten drei Kriterien: Erstens sollten die Herstellungsverfahren ähnlich bleiben wie bei Mecaner, zweitens sollten die neuen Produktionssektoren im Einklang mit den Fachkenntnissen der Arbeiter*innen (hauptsächlich Metallbearbeitung und Stanzen) und dem derzeitigen Maschinenpark stehen und schließlich sollte es sich um Produkte handeln, deren Marktrelevanz und Finanzierungswürdigkeit durch staatliche Einrichtungen infolge der Energiewende tendenziell steigen wird. Demnach kamen wir auf vier Produktionsszenarien, die dem, was bei Mecaner hergestellt wurde, am nächsten kamen: Erstenes Batteriegehäuse für Elektrofahrzeuge, ein Produkt, das laut den Produktionsleitern von Mecaner morgen produziert werden könnte. Zweites Produkt sollte ein Bestandteil von Elektrolyseuren für die Wasserstoffproduktion sein. Drittens Wärmetauscherplatten, die in Energieeffizienzsystemen, in Gebäuden oder in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden. Und schließlich als viertes Produkt ein Bestandteil der Lamellen, die in Windkraftanlagen und Elektromotoren verwendet werden.
Welche Eigentums- und Beteiligungsmodelle sieht der Plan vor?
Auch hier haben wir in Szenarien gearbeitet. Ein Szenario war, dass Stellantis die Schließung letzten Endes zurücknimmt und selbst zum Reindustrialisierungsakteur wird. Parallel dazu werden im Plan verschiedene Szenarien staatlicher Beteiligung skizziert, die von einem direkten Kauf des Fabrikgeländes durch die baskische Regierung bis hin zu Mischformen, in dem ein dritter Investor mit einem erheblichen Anteil an öffentlichem Kapital einbezogen wird. Der genossenschaftliche Weg wurde im Plan zwar aufgegriffen, in den verschiedenen Diskussionen mit dem Betriebsrat, manchen Teams und einzelnen Kollegen wurde dieser allerdings aus zwei Gründen stark kritisiert. Einerseits ist das erhebliche Risiko, das mit der Umwandlung eines Industrieunternehmens mit sehr hohem Kapitalvolumen und großem Umsatz in eine Genossenschaft einhergeht. Anderseits die Tatsache, dass wir ja eine wahrhafte Konversion vorschlugen, sprich einen Wechsel des Produktionssektors und demnach die notwendige Erschließung neuer Wertschöpfungsketten. Daraus entstand die grundlegende Angst, als kleine und neue Genossenschaft auf dem Weltmarkt konkurrieren zu müssen. Was die Finanzierung anbelangt, so war der Plan darauf ausgerichtet, die industriepolitischen Instrumente und Fonds zu nutzen, die von der baskischen Regierung in anderen Fällen schon bereitgestellt wurden.
Wie reagierte die baskische Landesregierung auf euren Plan?
Als die Ergebnisse der Studie vorlagen, fanden mehrere Treffen mit dem Industrieministerium der baskischen Regierung statt. Dort wurde uns zwar bestätigt, dass die baskische Landesregierung jene Produktionszweige, in denen wir die Zukunft von Mecaner sahen, tatsächlich finanziell und technisch überdurchschnittlich stark unterstützt. Gleichzeitig könnte nur ein kapitalistischer Akteur und kein Betriebsrat oder eine Gewerkschaft diese Hilfestellungen in Anspruch nehmen. Stellantis hatte aufgrund mangelnder Rentabilität bereits abgelehnt, die Produktion auf alternative und nachhaltige Industriezweige umzustellen, und ein weiterer Akteur fand sich nicht. Somit begannen im April 2024 die Verhandlungen über die Werkschließung, ohne dass die baskische Landesregierung mit im Boot war.
Und wie wurde der Plan von den Arbeitern aufgenommen?
Anfangs waren einige Arbeitnehmer recht skeptisch Das lag einerseits daran, dass die Kolleg*innen bei Ökologie nicht an einen Produktionsplan dachten und fragten: „Was soll diese ökologische Umstellung der Produktion bedeuten? Sollen wir jetzt gärtnern? Ich bin Metallarbeiter.“ Zum anderen war die Verwendung eines Transformationsplan durch eine Gewerkschaft im Baskenland etwas grundlegend Neues. Sobald wir den Plan schwarz auf weiß diskutieren und seine Inhalte vermitteln konnten, öffneten sich uns die meisten. Die Kolleg*innen begriffen nämlich schon, dass er ein weiteres Mittel war, um ihren verzweifelten Kampf fortzuführen. Sie sahen ja selbst, wie die Zeit verging und ihre Kündigung immer näher rückte. Ich hatte den Eindruck, dass sie aufgrund der Verzweiflung offen waren, über Produktionsalternativen nachzudenken. Zwei Bedenken teilten aber einige Kolleg*innen: Erstens die geringere Komplexität der neuen Produktionsverfahren im Vergleich mit der Herstellung von Gussformen und die damit verbundene Befürchtung, dass die Zahl der notwendigen Arbeiter*innen geringer ausfallen würde als bei Mecaner. Zweitens ob sie im globalen Wettbewerb mithalten könnten. Weil ihr Werk dies zuletzt nicht mehr tat, wurde es ja gerade erst geschlossen.
Welche Rolle spielte der Fall GKN Florenz für dich, für den Plan, aber auch für die Kolleg*innen?
Einige Hauptamtliche der Gewerkschaft und wir vom Forschungsinstitut Garúa kannten den Fall GKN. Wir hatten bereits zum Umbau der Automobilindustrie gearbeitet und der Konversionsplan vom Fabrikkollektiv war für uns deswegen ein Referenzbeispiel. Wir strebten bei Mecaner etwas Ähnliches an. Entscheidend dabei war für uns nicht sein utopischer Überschuss, sondern das Konkrete der Planung und dass der Kampf noch lief. Denn der Verweis auf den Lucas-Plan von 1970 bringt einem Betriebsrat heute nicht viel. Darüber hinaus lagen die Parallelen auf der Hand, denn sowohl Mecaner als auch GKN sind Zulieferer von großen multinationalen Playern. Im Betriebsrat wurde sich auch deswegen intensiv mit dem Fall GKN Florenz auseinandergesetzt.
Rückblickend denke ich, dass wir es vielleicht versäumt haben, alle Lehren zu ziehen, die das Fabrikkollektiv GKN zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich bereits gezogen hatte.
Welche Lehren hättet ihr denn ziehen können?
Zum Beispiel bei der Frage nach der Art der Produkte, die man vorschlagen sollte. Im späteren Austausch mit Dario Salvetti und anderen GKN-Arbeiter*innen erzählten sie uns, dass sie zu spät erkannt hatten, dass Bestandteile, die in langen Wertschöpfungsketten eingebunden sind, nicht wirklich eine Option für sie sind. Denn dann ist es eine politische Frage: Egal wie gut und wettbewerbsfähig dein Produkt ist, wenn dein Projekt umstritten ist oder für gewisse politische Gleichgewichte eine Störung darstellt, dann wirst du von Lieferanten und anderen Konzerne ausgeschlossen. In Florenz erkannten sie demnach, dass sie sich auf Endprodukte konzentrieren müssen, also auf Produkte die sie direkt auf den Markt verkaufen können. Ausgehend von dieser Erwägung hat das Fabrikkollektiv GKN dann den zweiten Reindustrialisierungsplan erarbeitet, in dem Solarpanele das Herzstück sind.