Im Januar dieses Jahres hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) eine Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel vorgelegt, die bundesweit große Empörung hervorgerufen hat. So schlägt die SWK beispielsweise Einschränkungen bei Teilzeitregelungen, größere Klassen, erhöhte Unterrichtsverpflichtung und die (freiwillige) Verschiebung des Ruhestandseintritts (SWK 2023) vor. Dies würde eine noch stärkere Belastung ausgerechnet der Lehrkräfte bedeuten, die aktuell noch an deutschen Schulen arbeiten. Dabei ist besonders brisant, dass ausgerechnet eine Kommission der KMK diese drastischen Vorschläge unterbreitet. Schließlich war es die KMK selbst, die mehr als 15 Jahre versäumt hat, den sich abzeichnenden Lehrkräftemangel über länderübergreifende Maßnahmen und Absprachen wirksam zu begegnen. Und noch etwas ist klar geworden: Der Lehrkräftemangel ist nicht kurzfristig behebbar, er wird noch mindestens 20 Jahre andauern.

Doch wie konnte es dazu kommen?

Dass der sogenannte Schweinezyklus aus Lehrkräftemangel und –überangebot an sein Ende kommt, hat sich schon in den früher 2000er Jahren abgezeichnet. So beschrieb der Uni SPIEGEL (2004), dass auf Deutschland eine Pensionierungswelle zurolle und die Zahl der Lehramtsabsolvent*innen sinke. Offensichtlich hat auch die KMK, die seit 1961 die Daten über Schüler*innen, Klassen, Lehrkräfte und Schulabsolvierende erfasst, den sich verstetigenden Lehrkräftemangel ignoriert und nicht rechtzeitig gegengesteuert.

Dabei ist die Entwicklung hinlänglich voraussehbar gewesen: Die Generation der Babyboomer geht in Rente oder Pension und die nachfolgenden geburtenschwachen Jahrgänge bedeuten insgesamt weniger Studierende. Wenn dann der Anteil der Lehramtsstudierenden sinkt und inzwischen die Bundesländer im Durchschnitt 18 Prozent weniger Lehrkräfte ausbilden als sie für ihren eigenen Bedarf brauchen (Rackles 2022, 8), entsteht eine Lücke, die kaum noch zu schließen ist. Steigende Geburtenzahlen und die Zunahme von Migration führen zudem dazu, dass auch die Zahl von Schülerinnen und Schülern wieder deutlich ansteigt.

Auch die neuen Bundesländer haben die Trendumkehr verschlafen. Gab es aufgrund des starken Geburtenrückgangs in den frühen 90ern ein deutliches Überangebot ausgebildeter Lehrer*innen, auf das mit Zwangsteilzeit und der Reduzierung der Ausbildungsplätze reagiert wurde, stellt sich die Situation aktuell mit noch größerer Schärfe. Denn hier ist ein deutlich höherer Anteil der Lehrkräfte 50 Jahre und älter (mit 54 – 64 Prozent statt 40 Prozent im Bundesdurchschnitt) (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2022, 62). All diese Lehrkräfte werden in einem absehbaren Zeitraum aus dem aktiven Arbeitsleben ausscheiden. Der Abbau der Studienplätze für das Lehramt bewirkt hier noch stärker, dass der eigene Bedarf nicht annähernd gedeckt werden kann. 

2009 trat Deutschland der UN-Behindertenkonvention bei und verpflichtete sich damit, mittelfristig die Förderschulen abzuschaffen. In der Folge werden nun vermehrt Kinder mit Förderbedarf in Regelklassen unterrichtet Diese bildungspolitisch richtige Entscheidung bewirkt unter den aktuellen Rahmenbedingungen allerdings, dass die erforderliche Mehrarbeit den Lehrer*innen aufgebürdet wird. Angesichts der deutlichen Mehrarbeit von Lehrkräften (Hardwig/Mußmann 2018) reagieren diese mit der Reduzierung ihrer Arbeitszeit[1], einem vorzeitigen Pensionseintritt und Dauererkrankung.

Doch statt nach gemeinsamen Lösungen eines inzwischen bundesweiten Lehrkräftemangels zu suchen, wozu sich die KMK bereits im Jahr 2009 verpflichtet hat (Rackles 2022), versucht aktuell jedes Bundesland für sich, einen Umgang mit diesem Problem zu finden. So will Nordrhein-Westfalen Lehrkräfte von weiterführenden Schulen befristet an Grundschulen versetzen (RND 2022) und hat die Pflichtstunden für Lehrkräfte hochgesetzt (Vieth-Entus 2023), Baden-Württemberg erwägt größere Klassen, Brandenburg will künftig Lehrkräfte bereits nach dem Bachelor-Abschluss verbeamten, Sachsen-Anhalt überlegt, zur 4-Tage-Schulwoche überzugehen und den 5. Tag über externe Angebote zu „füllen“, Berlin hat die Verbeamtung der Lehrkräfte wieder eingeführt und Bayern wirbt offensiv mit höheren Gehältern und Prämien um Lehrkräfte aus anderen Bundesländern (SPIEGEL 2023). Denn auch die in einigen Bundesländern (Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Thüringen) seit vielen Jahren massive Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen, die jetzt auch in Bayern und Baden-Württemberg erfolgt, kann die Lehrkräftelücke nicht mehr füllen, weil auch sie nicht mehr in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen.

Angesichts der zugespitzten Situation formiert sich nun Widerstand gegen den seit nunmehr 15 Jahren anhaltenden Missstand, der durch die Empfehlungen der SWK – hoffentlich – Fahrt aufnehmen wird. So organisieren schulpolitische Initiativen wie Schule muss anders in Berlin oder Schule3 in Nordrhein-Westfalen Kampagnen von Lehrer*innen, Eltern und Schüler*innen gegen den Personalnotstand und für Schulneubau und fordern die (Landes-)Politik zu einem stärkeren, auch finanziellen Engagement heraus. Und auch die GEW weist seit Jahren auf den Lehrkräftemangel und auf die Be- und Überlastung von Lehrkräften hin. Aktuell verbindet sie in Berlin ihre Forderungen nach seiner Behebung mit denen eines Tarifvertrages Gesundheitsschutz für Lehrkräfte[2], der unter anderem durch kleinere Klassen abgesichert werden soll.

Doch was sind angesichts dieses zugespitzten, bereits seit 2009 bestehenden und noch ca. 20 Jahre anhaltenden Problems Lösungsstrategien? Wo muss angesetzt werden?

Strategien zur Abmilderung des akuten Lehrkräftemangels

Auch wenn sich alle Expert*innen einig sind, dass der Lehrkräftemangel nicht kurzfristig zu beseitigen ist, müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden, die den akuten Mangel mildern und mittel- und langfristig nachhaltig beheben. Denn es geht um nicht weniger als die Zukunft unserer Kinder und darum, wie soziale Ungleichheit auch in der Schule überwunden werden soll. Dabei hat der seit 15 Jahren anhaltende Lehrkräftemangel die Probleme des deutschen Bildungssystems erheblich verschärft: Seit PISA (2000) wissen wir, dass in keinem anderen der OECD-Staaten[3] Bildungserfolg und soziale Herkunft so stark zusammenhängen wie in Deutschland und dass das segregierte Schulsystem zur Aufrechterhaltung dieser herkunftsbedingten Ungleichheit beiträgt. Die Tatsache, dass der Lehrkräftemangel an Schulen in Wohngegenden, in denen überdurchschnittlich viele sozial marginalisierte Menschen leben („Brennpunktschulen“), im sonderpädagogischen Bereich, an beruflichen Schulen und im ländlichen Raum besonders hoch ist, während er in den wohlhabenderen Teilen der Großstädte und an Gymnasien moderat ist und in naher Zukunft behoben sein wird (KMK 2020, Klemm 2022), verweist einmal mehr darauf, wie ungleich die Bildungschancen in Deutschland sind. Dies zeigt auch der IQB-Bildungstrend von 2022, der nachweist, dass insbesondere Kinder aus armen und Familien mit Migrationshintergrund nicht einmal Mindestkompetenzen in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen erreichen. Dieser bereits vor der Corona-Pandemie konstatierte Befund hat sich nach Monaten von Schulschließungen und Distanzunterricht noch einmal verstärkt.

Die Dauer und die Tiefe des Problems sowie die Tatsache, dass eine Reihe von Ursachen für den Lehrkräftemangel verantwortlich sind, bedürfen nicht nur kurz-, mittel- und langfristiger Gegenstrategien, sondern auch eines aktiveren Zusammenwirkens von Bund, Ländern und Kommunen.

Stärkere Verantwortlichkeit des Bundes für den bundesweiten Lehrkräftemangel

Die Verantwortung für die Bildung, auch für die Ausbildung von Lehrkräften, liegt gemäß Grundgesetz Art. 30 bei den Bundesländern, während die Finanzierung durch die Länder und Kommunen erfolgt. Diese ist mit der Föderalismusreform und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2006 zum de facto Kooperationsverbot von Bund und Ländern noch einmal bestätigt worden. Andererseits hat der Bund immer wieder Programme aufgelegt und finanziert, wenn relevante bildungspolitische Probleme durch die Länder nicht allein gelöst werden konnten.[4] Dazu wurde das Grundgesetz befristet außer Kraft gesetzt.

Im aktuellen bildungspolitischen Notstand, der sich aufgrund der Corona-Pandemie noch einmal zugespitzt hat, ist es überfällig, dass der Bund sich kurz- und mittelfristig stärker an der allgemeinen Bildungsfinanzierung sowie auch an der Lehrkräftebildung bundesweit beteiligt. 

Stärkeres finanzielles Engagement des Bundes

Deutschland verausgabt – gemessen an seiner Wirtschaftskraft – verhältnismäßig wenig für seine Bildung. Während im OECD-Durchschnitt 4,9 Prozent und im EU-Durchschnitt immer noch 4,4 Prozent des BIP für Bildung ausgegeben werden, lag der Anteil in Deutschland bei nur 4,3 Prozent (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022).

Dieses unterdurchschnittliche Engagement, das sich auch in unterdurchschnittlichen Ergebnissen bei internationalen Studien zum Kompetenzerwerb niederschlägt[5], hatte bereits im Jahr 2008 zur Ausrufung der „Bildungsrepublik Deutschland“ geführt. Bundeskanzlerin Merkel und Bildungsministerin Schavan hatten auf dem Bildungsgipfel in Dresden verkündet, dass sich bis 2015 die Ausgaben für Bildung und Forschung auf 10 Prozent des BIP erhöhen sollten, 7 Prozent allein für (Schul-)Bildung. Mit der Ausnahme von 2020, als aufgrund von Corona die Wirtschaft eingebrochen war, wurde dieser Anteil bis heute nicht erreicht.

Eine der Strategien für den Lehrkräftemangel muss es daher sein, dass der Bund sich stärker finanziell an der Bildung in Deutschland beteiligt. Für die Beseitigung des Lehrkräftemangels konkret bedeutet dies eine Ko-Finanzierung des notwendigen Ausbaus von Studienplatzkapazitäten an den Universitäten und Hochschulen der Länder. Angesichts des eklatanten Lehrkräftemangels sowie weiterer bildungspolitischer Herausforderungen[6] ist es angezeigt, analog zum Sondervermögen für die Bundeswehr eines für die Bildung in Höhe von 100 Mrd. € aufzulegen, wie es die GEW (2022) und die LINKE[7] fordern. Selbst „die heute-Show bläst zum Angriff auf ein Sondervermögen Bildung“[8] – damit ist das Thema sehr stark in die mediale Aufmerksamkeit eines breiten Publikums gerückt.

Darüber hinaus sollten die Mittelzuweisungen für Sonderprogramme des Bundes im Bildungsbereich nicht länger über den „Königsteiner Schlüssel“ erfolgen. Dieser legt das Steueraufkommen der Länder (neben der Bevölkerungszahl) zur Grundlage und stellt dadurch finanziell stärkere Bundesländer besser. Stattdessen sollte ein Multipler Benachteiligungsindex (MBI) (GEW 2022a) als Grundlage der Verteilung von Bundesmitteln angelegt werden, der zusätzlich die soziale Bedürftigkeit der Bevölkerung und deren Bildungsstand berücksichtigt. Mit Anwendung des MBI würden finanziell schwächere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz deutlich, Bremen, Hessen und Berlin hingegen weniger stark von der Zuweisung von Mitteln profitieren. Damit könnte ein wichtiger Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit unter den Ländern hergestellt werden.

Vom Kooperationsverbot zum Kooperationsgebot in der Lehrkräftebildung

Bereits 2020 hat Mark Rackles, ehemaliger Staatssekretär für Bildung in Berlin in seinem Policy Paper herausgearbeitet, dass die Lehrkräfteausbildung in Deutschland weder bedarfsdeckend noch bedarfsgerecht erfolgt und dass die KMK regelmäßig den Bedarf an Lehrkräften unterschätzt. Als Ausweg aus dieser Situation schlug er einen Staatsvertrag der Länder für die Lehrkräfteausbildung vor, der übergreifend Strukturvorgaben und Standards definiert. Über diesen würden die Länder verpflichtet, ausreichend Kapazitäten für die Lehrkräftebildung bereitzustellen, um mindestens ihren eigenen Lehrkräftebedarf abzusichern. Darüber hinaus würden sie zu einer einheitlichen Erfassung[9] des Lehrkräftebedarfs verpflichtet. Dadurch wäre eine Grundlage geschaffen, um eine verlässliche Bedarfsprognose für Lehrkräfte darzustellen. 

In seiner für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellten Expertise von 2022 ergänzt Rackles die Forderung nach einem Staatsvertrag um die einer bundesweiten Ausbildungsoffensive für Lehrkräfte (Rackles 2022). Aufgrund des Ausmaßes und der Dauer des Lehrkräftemangels ist ein bundesländerübergreifendes Agieren inklusive Werbekampagnen zum Lehramt erforderlich, bei der eine Bundesbeteiligung sinnvoll wäre. Die vom Bund mit 500 Mio. € finanzierte „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ (2015 bis 2023) ist dafür unzureichend.

Die Übernahme des KMK-Vorsitzes 2023 durch Berlin, das bereits in seinem Koalitionsvertrag von 2021 den Abschluss eines Staatsvertrages in der Lehrkräfteausbildung beinhaltete, eröffnet neue Chancen einer Durchsetzung. Umso mehr, als auch 2024 und 2025 der KMK-Vorsitz voraussichtlich bei den sogenannten A-Ländern[10] liegen wird. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für ein Vorhaben, dass die Souveränität der Bundeländer in Bildungsfragen einschränkt. 

Und auch in der Bundesbildungspolitik bewegt sich etwas: So wurde bereits im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung eine stärkere Verantwortung des Bundes für die Bildungspolitik festgelegt. Und Bildungsministerin Stark-Watzinger (FDP) hat sich im Januar 2023 dafür ausgesprochen, die Alleinzuständigkeit der Bundesländer zu beenden und Kompetenzen in der Schulpolitik auf den Bund zu übertragen. Bildung sollte „Gemeinschaftsaufgabe“ von Bund und Ländern werden; es sollte zu einem „Kooperationsgebot“ kommen.

Neben dem Bund als künftig stärkerem Player in der Bildungspolitik müssen aber auch die Bundesländer weitere Initiativen zum Abbau des Lehrkräftemangels entwickeln.

Möglichkeiten der Bundesländer bei der Gewinnung von Lehrkräften

Die laut Grundgesetz für Bildungspolitik zuständigen Länder verfügen über eine Reihe von Möglichkeiten, den Lehrkräftebedarf ihrer Länder mittel- und auch langfristig abzusichern.

Neben der (Wieder-)Einführung der Verbeamtung in Thüringen (2019), Sachsen (2019) und zuletzt Berlin (2022) ist die Angleichung der Bezüge von Lehrer*innen aller Schulformen eine wichtige Form der Anerkennung von Lehrkräften. Der Forderung von GEW und dem Verband Bildung und Erziehung (VBE), die Bezahlung von Grundschullehrer*innen an die Besoldung in weiterführende Schulen anzugleichen, sind inzwischen die meisten Bundesländer nachgekommen. Nachdem nun auch Hessen eine schrittweise Anhebung auf A13 angekündigt hat, stehen nur noch in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Saarland und Baden-Württemberg die Höhergruppierungen von Grundschullehrer*innen bzw. Lehrkräften in nicht gymnasialen Schulformen aus.

Neben einer adäquaten Bezahlung der Tätigkeit bedarf es jedoch weiterer Maßnahmen, um diesen Beruf (wieder) attraktiv(er) zu machen. Wie eine Befragung von Lehrer*innen zeigt (GEW 2021), wünschen sich diese insbesondere eine Entlastung in ihrer Arbeit. Dies betrifft die Reduzierung von Pflichtstunden, eine Entlastung von unterrichtsfernen Verwaltungsaufgaben sowie den Wunsch, in kleineren Klassen unterrichten zu können. Beide Formen der Entlastung würde es Lehrer*innen ermöglichen, den Unterricht in gewünschter Qualität und geforderter Differenzierung zu ermöglichen. Die seit 2009 gesetzlich geforderte Inklusion[11] von Kindern mit Einschränkungen erfordert zusätzliche Lehr- und Betreuungskapazitäten und einen nach Fähigkeiten differenzierten Unterricht, der durch eine Lehrkraft allein nicht geleistet werden kann.

Um die Arbeit von Lehrkräften an Schulen in Wohngegenden mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen („Brennpunktschulen“) zu entlasten, können Länder die Zuweisung von Lehrkräften über einen Sozialindex steuern, der die Zusammensetzung der Schüler*innenschaft bzw. der Herkunftsfamilien erfasst. Dieser Sozialindex ermöglich es den Ländern die Finanzierung von Schulen nicht „nach Gießkasse“, sondern bewusst unterschiedlich vorzunehmen, um so herkunftsbedingte Ungleichheiten abzumildern. In der Regel enthalten diese Programme zusätzliche Lehrer*innenstunden, beratende Unterstützung für Unterrichts- und Organisationsentwicklung, Qualifizierungen für Lehrkräfte, Teamentwicklung und Funktionsstellen. Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Berlin wenden einen Sozialindex für die Mittelzuweisung an Schulen an. Obwohl die Ergebnisse der sozialindizierten Mittelzuweisung hinter den Erwartungen zurückblieben, zeigen sie dennoch Effekte in den „weichen“ Erfolgskriterien: im Zuwachs sozialer Kompetenzen von Schüler*innen, in einem verbesserten Schulklima und einer erhöhten Motivation der Lehrkräfte (Beierle/Hoch/Reißig 2019).

Eine weitere Entlastung von Lehrer*innen ergibt sich kurz- und mittelfristig durch die Einstellung von Verwaltungskräften an Schulen, von Quer- und Seiteneinsteiger*innen und unterstützendem Personal sowie durch die Etablierung von multiprofessionellen Teams an Schulen. Letztere können zwar nicht den Fachunterricht unterstützen, sind aber für einen qualitativ guten Ganztag zwingend erforderlich. Sie ermöglichen das Neu- und Umverteilen von Arbeit, und zwar im Team an Stelle des*r „Einzelkämpfer*in im Klassenraum“, welches für viele Lehrkräfte wichtig ist und gewünscht wird (Fokken 2022). Allerdings ist der Fachkräftemangel bei Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen und Sozialarbeiter*innen ähnlich hoch wie bei Lehrer*innen. Hier müssen die Länder ebenso wie der Bund nicht nur Geld in die Hand nehmen, wie es unter anderem die LINKE (2022) fordert, sondern parallel auch die Ausbildung weiterer Professionen an Schulen aktiv fördern. Dafür können auch Bundesmittel des Programms Fachkräfteoffensive „Erzieherinnen und Erzieher: Nachwuchs gewinnen, Profis binden“ genutzt werden. 

Eine weitere Strategie der Bundesländer für die Gewinnung von Lehrkräften ist der Abschluss von Hochschulvereinbarungen und -verträgen, die diese verbindlich zur Ausbildung von einer je spezifisch zu definierenden Zahl von Lehramts-Absolvent*innen nach Schulabschlüssen und Fächern verpflichten. Diese Zahl muss mindestens den Eigenbedarf der Länder decken. Die mit der Föderalismusreform von 2008 gestiegene Autonomie der Hochschule erschwert es den Landesregierungen, steuernd in die Hochschulen einzugreifen. Allerdings sind Hochschulen nach Hochschulrahmengesetz (HRG) in der Regel staatliche Einrichtungen, die öffentlich vom Bund oder Land finanziert werden und zur Vorbereitung auf ein berufliches Tätigkeitsfeld verpflichtet sind. Mit der Bereitstellung erforderlicher Mittel für die Lehramtsausbildung (Personal, Räume) kann das Land steuernd eingreifen[12]. Da die Lehrer*innenbildung eine Daueraufgabe von Hochschulen ist, die in den kommenden Jahren deutlich ausgebaut werden muss, sollte das wissenschaftliche Personal in der Lehrkräftebildung entfristet werden, wie es die GEW (2022b) fordert. Zusätzlich müssen die Länder ausreichend Referendariatsplätze zur Verfügung stellen, die für die volle Lehrbefähigung zwingend erforderlich sind und die Ausbildungsbedingungen im Referendariat verbessern. 

Parallel dazu müssen die Zulassungsverfahren zum Lehramtsstudium in einer Weise verändert werden, dass die Zahl von Studienanfänger*innen insbesondere in den Mangelfächern Grundschullehramt, Sonderpädagogik, Musik, Kunst, Sport sowie im MINT-Bereich massiv steigen kann. Es ist vollkommen widersinnig, dass bei dem akuten und noch lange anhaltenden Lehrkräftemangel ein hoher NC Studieninteressierte am Lehramt davon abhält, dieses Fach zu studieren.

Mittelfristig müssen die Studieninhalte auf das künftige berufliche Einsatzfeld angepasst werden, um die Erfolgsquoten in den Studiengängen zu erhöhen. Das bedeutet eine Stärkung von Methodik und Didaktik auch zu Lasten von Inhalten, die auf fachliche Abschlüsse orientieren. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass angehende Lehrer*innen ihr Studium nicht abschließen können oder abbrechen, weil sie an den Fachprüfungen (beispielsweise im MINT-Bereich) scheitern.

In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob die (Wieder-)Einrichtung von pädagogischen Hochschulen, die die Ausbildung von Lehrkräften aller Schulformen beinhaltet, die Quote der Absolvent*innen erhöhen kann. 

Eine weitere Strategie zur Behebung des Lehrkräftemangels ist die Qualifizierung von Querund Seiteneinsteiger*innen[13] zu Lehrer*innen mit voller Lehrbefähigung. Dazu müssen diese – berufsbegleitend – qualifiziert werden. Viele Bundeländer gehen diesen Weg, ermöglicht er doch einer wachsenden Zahl von Hochschulabsolvent*innen einen dauerhaften Weg an die Schule. Hier ergeben sich durchaus Fachkräftereserven, die gehoben werden können, beispielsweise durch die Anerkennung von Ein-Fach-Lehrer*innen[14], wie sie auch von Lehrkräften aus dem Ausland angeboten werden. Generell muss der Zugang zum Lehrer*innenberuf für Personen mit im Ausland erworbener Qualifikation deutlich erleichtert werden. 

Ein weiterer Weg zur Milderung des Lehrkräftemangels wäre die Umstellung der Lehrkräfteausbildung von Schulformen auf eine nach Schulstufen (GEW 2017). Dies würde den Lehrkräftemangel, der zwischen den Schulformen unterschiedlich stark ausgeprägt ist, durch höhere Einsatzfähigkeit reduzieren.

Wie die Ausführungen insgesamt zeigen, haben die Länder erhebliche Möglichkeiten, dem Lehrkräftemangel Strategien zu seiner Überwindung entgegenzusetzen. Und sie können wiederum steuernd auf die bildungspolitischen Aktivitäten der Kommunen einwirken. Diese sind nicht nur für den Bau und Erhalt von Gebäuden zuständig, sondern auch für die Ausstattung und mit der Ausweitung des Ganztags auch für die außerunterrichtlichen Angebote, die in der Regel von freien Trägern abgedeckt werden.

Möglichkeiten der Kommunen bei der Reduzierung des Lehrkräftemangels

Aufgrund der Zuständigkeitsverteilung im Bildungsbereich von Bund, Ländern und Kommunen haben letztere die geringsten strategischen Optionen zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels, da sie weder über breiten finanziellen Spielraum verfügen noch für das Lehrpersonal zuständig sind. Aber es gibt sie: Sinnvoll eingesetzt können sie durchaus ihren Teil dazu leisten, den Lehrkräftemangel zu reduzieren

Diese ergeben sich insbesondere durch die ausreichende, idealerweise nach Sozialindex verteilte Bereitstellung von nicht-pädagogischem Personal, sofern dieses nicht beim Land beschäftigt ist. So ist die Kommune für die Finanzierung des Ganztags verantwortlich, der in vielen Bundesländern im Wesentlichen über freie Träger abgedeckt wird. Darüber hat die Kommune nicht nur auf die Quantität von Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen und -pädagog*innen Einfluss, sondern auch auf die Qualität des Personals. Denn es macht einen Unterschied, ob stundenweise beschäftigte Hausaufgabenhilfen ohne Tarifvertrag arbeiten oder fest Angestellte Fachkräfte mit Tarifbindung in einer Arbeitszeit, die ihren Wünschen entspricht. Nur mit letzteren lässt sich ein qualitativ guter Ganztag anbieten. Auf dieser Grundlage können echte Kooperationen zwischen Lehrer*innen und weiterem pädagogischem Personal „auf Augenhöhe“ stattfinden, die die Voraussetzung für ein multiprofessionell arbeitendes Team sind. Kooperation und Arbeitsteilung können alle Beteiligten stärker entlasten und die Arbeitszufriedenheit erhöhen.

Weitere Möglichkeiten für Kommunen ergeben sich aus dem erforderlichen Schulneu- und -ausbau und durch die Schulsanierung. In Gebäuden mit undichten Dächern und Fenstern, Schimmelbefall, ohne funktionierendes WLAN und ausreichende mobile Endgeräte, verdreckten Fluren und Toiletten wollen weder Lehrkräfte lehren noch Schüler*innen lernen. Hier ist es auch Aufgabe der Kommune[15], eine dem 21. Jahrhundert adäquate Lernumgebung zu schaffen. Eine Rekommunalisierung der Schulreinigung etwa wird von einigen Kommunen als Strategie verfolgt, um nicht nur gute Arbeitsplätze, sondern auch eine lernfreundliche Schulumgebung zu schaffen.[16]

... packen wir es an

Die angestellten Überlegungen zu Strategien gegen den Lehrkräftemangel sind weder neu noch revolutionär. Von bildungspolitischen Akteuren (Parteien, Gewerkschaften, Wissenschaft, Interessenvertretungen von Eltern und Schüler*innen) werden sie seit Jahren mit wachsender Dringlichkeit vorgebracht. Und es gibt auch kein Erkenntnisproblem, worin die Ursachen der Probleme liegen und wie diese zu beheben wären. Aber es gibt ein Handlungsproblem, das die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten von Bund, Länder und Kommunen zusätzlich erschwert. Auch wenn klar ist, dass der Lehrkräftemangel uns noch mindestens 20 Jahre begleiten wird, bedarf es einer konzertierten Aktion von Bund, Ländern und Kommunen, um den Mangel mittelfristig zu beheben. Und es bedarf dieser Aktion jetzt!