Ihr alle engagiert euch gegen Rassismus und rechte Gewalt und seid auch selbst davon betroffen. In welcher Weise greift diese Gewalt in euer Leben ein?

FERAT: Bei mir hat es so richtig begonnen 2018 mit dem Brandanschlag auf mich und meine Familie, den wir knapp überlebt haben. Seitdem sind Morddrohungen und Hassmails normal geworden. Ich bekomme nachts Anrufe, erhalte SMS, bin auf der Liste des NSU 2.0. Dieser Terror belastet nicht nur mich, sondern auch mein Umfeld. Das Wohnhaus meiner Eltern haben die Nazis immer noch im Visier. Ich selbst bin wegen meines politi­schen Engagements auf die Abschussliste geraten. Damit bin ich nicht der Einzige. Hier in Berlin-Neukölln gibt es seit elf Jahren orga­nisierten rechten Terror mit Brandanschlägen, Morddrohungen und auch Morden, an Burak Bektaş 2011 und Luke Holland 2015. Diese Gewalt hat mich tief geprägt. Angst ist seither Teil meines Alltags. 

BERENA: Ich erlebe keine so krassen Be­drohungen wie Ferat, aber ich kenne rechte Gewalt auf verschiedenen Ebenen. Gesell­schaftlichen Rassismus seit der Stunde null, schon bevor ich selbst irgendwie agieren konnte: Nachbarn, die kommentieren, Kinder, die mich auf dem Schulweg angehen, Lehrer, die mich anders behandeln. Das alles sind Erfahrungen mit Gewalt. Dazu kommt eine politische, eine institutionelle Gewalt. Ich erinnere mich genau, wann ich sie das erste Mal bewusst gespürt habe. Ich war mit Genoss*innen zur Prozessbeobachtung des NSU in München und wir haben uns den Tatort angeguckt, wo Habil Kiliç ermordet wurde. Als wir an einer Polizeiwache in der Nähe vorbeischlenderten und zu lange hinguckten, wurden wir festgenommen. Einfach weil wir »Zecken« waren. Die dritte Ebene ist das, wovon Ferat berichtet: Sobald du öffentlich auftrittst als Antifaschist*in, bekommst du es mit rechter Hetze zu tun. 

HANNAH: Ich bin nicht direktes Ziel von Alltagsrassismus, einfach weil ich weiß bin. Das Wissen um rechte Gewalt hat mich trotzdem seit meiner Kindheit geprägt, denn mein Vater saß als Antifaschist im KZ. Ich möchte aber nicht so sehr persönlich antworten, sondern über die verbale Gewalt sprechen, die inzwischen auch uns Omas gegen Rechts trifft, im Netz wie auf der Straße. Das wurde das erste Mal letztes Jahr deutlich, als der rechtsradikale Sven Liebig bei einer Demo per Lautsprecher dazu auf­forderte, man solle uns Omas mal in einem Flüchtlingsheim ordentlich »beglücken«. Diese sexistischen und rassistischen Angriffe haben viele der Frauen tief getroffen. Wenig später gab es in Halle auch tätliche Angriffe: Liebich-Anhänger umzingelten und schubs­ten eine Omas-gegen-Rechts-Gruppe, die gegen die AfD demonstrierte. Viele bekamen es mit der Angst zu tun. Als einige den Medi­en davon berichtet haben, versuchte Liebich, ihre Adresse herauszufinden – wieder eine Taktik, Leute einzuschüchtern. 

Was habt ihr gegen die Angriffe unternommen?

HANNAH: Wir versuchen, Solidarität untereinander zu schaffen, und dafür ist Vernetzung wichtig. Viele Betroffene haben Unterstützung erfahren und sich dann selbst für andere eingesetzt. Die Omas in Halle haben sich anfangs gar nicht mehr auf die Straße getraut. Nur durch unsere bundesweite Unterstützung fanden sie den Mut, weiterzumachen. Viele haben versucht, sich mit rechtlichen Mitteln zu wehren, und gegen Liebig Anzeige erstattet. Die Anzeigen wurden alle fallengelassen. Das hat viele erschüttert und mutlos gemacht. Es gibt einige, die sich zurückgezogen haben, aber auch viele, die umso entschlossener wei­termachen. Uns ist klargeworden, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder man wehrt sich, geht nach vorne. Oder man gibt auf, zieht sich zurück. 

FERAT: Ich sehe das genauso. Im Grunde habe ich den Spieß umgedreht: Durch Nichtstun würde ich eingehen. Ich lasse mich nicht einschüchtern. In der Folge des Anschlags musste ich meine Lohnarbeit auf­geben. Ich habe es nicht mehr hinbekom­men, acht Stunden am Tag etwas anderes zu machen, während meine Gedanken um das eine Thema kreisen. Inzwischen habe ich mein Engagement gegen rechts zum Beruf gemacht. Es hilft mir, meine Angst zu verarbeiten und mit Menschen zusam­menzukommen. In gewisser Weise hat der Anschlag meinem sozialen Engagement einen tiefergehenden und persönlichen Sinn gegeben. Mein Aktivismus hilft mir, mit der Bedrohung klarzukommen. 

Ferat, bei wem konntest du angesichts dieser extremen Bedrohung Unterstützung finden? Hast du dich durch Polizei oder andere Staatsorgane geschützt gefühlt? 

FERAT: Ganz konkret waren Opferberatungs­stellen wichtig, ohne die wäre in unserer Familie gar nichts gegangen. Sie haben das Thema mit uns an die Öffentlichkeit getra­gen, aber auch im Alltag unterstützt und zum Beispiel dafür gesorgt, dass die Laterne vor unserem Haus wieder funktioniert. Dass gerade diesen Initiativen die Gelder gekürzt werden, ist krass. Die brauchen eigentlich viel mehr Finanzmittel. Die Polizei war weniger hilfreich. Nach dem Anschlag hat sie mir ein Konzept vorgelegt, wie wir unser Haus schützen können. Hätte ich das umgesetzt, hätte ich 20 000 Euro zahlen müssen. Die habe ich nicht. Später habe ich erfahren, dass die Polizei meine Sicherheit sogar gefährdet hat: Sie wusste im Vorfeld des Anschlags, dass ich von Nazis beob­achtet werde, aber hat mich nicht gewarnt. Ich kann der Polizei also nicht vertrauen. Ein ungutes Gefühl hatte ich schon immer, als Mensch, der so aussieht wie ich und immer fürchten muss, kontrolliert zu werden. Dazu kommt jetzt eine neue Art von Angst. Dass da ein Polizist vor meinem Haus steht und ich nicht weiß, ist es ein guter oder ein böser. Das alles ist Teil eines größeren Problems, offensichtlich gibt es Strukturen, die den rechten Terror in Neukölln seit Jahren er­möglichen und begünstigen. Seit elf Jahren haben wir Anschläge und eine Ermittlungs­quote von null Prozent. Gleichzeitig gibt es immer wieder Polizeiskandale rund um diese Vorfälle. Wir Betroffene haben uns inzwischen zusammengetan und einen Un­tersuchungsausschuss gefordert, aber keine wirkliche Unterstützung von der Berliner Poli­tik erhalten. Vor Kurzem flog noch auf, dass die Staatsanwaltschaft mit verwickelt ist, der Zuständige für den rechten Terror wurde wegen Befangenheit abgezogen. Wir haben den Eindruck, keines der Staatsorgane kann uns helfen. Mir bleibt nur, systemkritisch an das Thema ranzugehen und mit anderen kritischen Menschen zu kämpfen, um mir ein gewisses Sicherheitsgefühl zu holen. Aber die Unsicherheit bleibt natürlich trotzdem. 

Was gibt dir die Kraft, trotzdem weiterzumachen? 

FERAT: Für mich war die Solidarität nach dem Anschlag überlebenswichtig. Dadurch bin ich wieder zurückgekommen. Wer mit Betroffenen arbeitet, weiß, dass man erst mal verloren ist. Man weiß nicht mehr, wem man vertrauen kann. Umso wichtiger ist die Unterstützung und Anteilnahme von anderen Betroffenen, wie zum Beispiel durch die Familie von Burak Bektaş. Irgendwann habe ich gespürt, dass meine Geschichte gehört wird, und mehr noch, dass meine Geschich­te Menschen motiviert, gegen rechts aktiv zu werden. Das hat mich ein Stück ins Leben zurückgebracht. Heute weiß ich, dass es das ist, was ich in meinem Leben machen muss: Antifaschismus, Antirassismus, von morgens bis abends. 

Antirassismus heißt Offensive. Siehst du das auch so, Berena? 

BERENA: Ich sehe das ähnlich: Rückzug ist keine Lösung. Ich wohne wie andere Men­schen, ich esse das gleiche Essen, ich kaufe dort ein, wo sie einkaufen. Ich bin Teil dieser Gesellschaft. Es kann nicht das Ziel sein, sich eine kleine sichere Insel aufzubauen. Im Gegenteil, spätestens Black Lives Matter hat klargemacht, dass Alltagsrassismus, institutioneller Rassismus und Nazi-Terror ineinandergreifen und wir eine Bedrohung auf verschiedenen Ebenen haben, gegen die wir uns allein gar nicht schützen können. Wir müssen Politik mit offenem Visier machen und in die Offensive kommen. Ein Akteur, der das exemplarisch verkörpert, ist für mich das Netzwerk We’ll come united. Die sagen, wir sind hier, wir bleiben hier, wir waren immer Teil der Gesellschaft. Natürlich muss man die Bedrohung ernst nehmen. Aber die Antwort kann nicht nur sein, das Telefon zu verschlüsseln. Ich sehe im Moment, dass die Gewalt sichtbarer, spürbarer wird – aber auch der Widerstand wird lauter. 

HANNAH: Ja, so erlebe ich es auch. Heute jährt sich zum ersten Mal der Anschlag auf die Synagoge in Halle. Gestern habe ich ein erschütterndes Bild aus Halle gesehen, das so typisch ist für dieses Land. Da war ge­sprayt: Niemals vergessen, Kevin und Jana. Darüber prangt seit gestern Abend ein rotes Hakenkreuz. Dieses Hakenkreuz ist eine Bedrohung für uns alle. Die rechte Gewalt dringt immer mehr in den Alltag, scheint immer normaler. Wir brauchen viel stärkere Bündnisse dagegen. 

FERAT: Genau das ist für mich eine Form von Selbstschutz: Kämpfe verbinden. Berena hat es schon gesagt: Rechter Menschenhass und rassistischer Terror sind nicht vom Himmel gefallen. Sie stehen in Kontinuität zur Abschottungspolitik an den EU-Außen­grenzen und zu einem rassistischen System. Wir müssen die Kämpfe zusammenbringen. Aber nicht zwanghaft nach dem Motto »Die Seebrücke muss bunter werden, Fridays for Future muss bunter werden«. Nein, wir müssen die Kämpfe zusammenbringen, indem wir die Inhalte betonen, die die Men­schen verbinden. Dann haben wir eine klare Antwort gegen die rechten und konservati­ven Kräfte, bei denen Profite über Menschen stehen. 

Wie genau muss eine offensive antifaschisti­sche und antirassistische Politik denn heute aussehen? Was ist jetzt strategisch wichtig? 

FERAT: Breite Bündnisse sind wichtig, aber das ist immer leicht gesagt. So breit sind sie oft gar nicht, oft reden die Politprofis der großen Organisationen und es fehlen migrantisierte Menschen. Ich würde deshalb sagen, wir brauchen sowas wie Unteilbar. auf migrantischer Ebene. Wir müssen den Akteuren, die es schon gibt, eine gemeinsa­me Plattform geben und dafür sorgen, dass die Betroffenen eine Bühne bekommen. In Berlin haben wir deshalb das Aktionsbünd­nis Antirassismus gegründet, um trotz aller Unterschiede und Konflikte mobilisierungs­fähig zu sein. Wenn es in Moria brennt oder ein Anschlag in Halle passiert, dann wollen wir in der Lage sein, schnell einen großen Protest auf die Straße zu bringen. Und dafür müssen wir Differenzen auch mal ausblen­den. Heute organisieren wir in Berlin zum Beispiel die Gedenkdemo zu Halle. Da geht es um Antirassismus und Antisemitismus, wo dann immer der Nahost-Konflikt auf­kommt. Halle ist exemplarisch dafür, dass diese beiden Kämpfe zusammengehören und unser Bündnis nicht an einem 3 000 Kilometer entfernten Konflikt zerbrechen darf. 

BERENA: Ich finde es wichtig, die Ver­bindung zwischen Kämpfen nicht nur zu behaupten, sondern zu verstehen. Wirklich zu begreifen, was die europäische Koloni­algeschichte mit den Gastarbeiter*innen zu tun hat und wie das mit Faschos zusammen­hängt. Wir haben so viele wichtige Bewe­gungen und Initiativen gegen Rassismus und Faschismus, aber häufig ist ihre Arbeit eng an bestimmte Identitäten geknüpft. Man streitet sich darüber, ob die Straßen­umbenennungen oder das N-Wort gerade relevanter sind als rechte Netzwerke in der Polizei oder der Kampf gegen Abschiebun­gen. Natürlich ist die Herangehensweise, die Ferat benannt hat, richtig: vor Ort Bündnisse zu schließen, um handlungsfähig zu sein. Kämpfe zu verbinden, fängt aber damit erst an und ist mit dem gemeinsamen Demo-Aufruf nicht abgeschlossen. Ich bin über­zeugt, dass Lernprozesse durch gemeinsame Praxis gelingen können. Es gibt Menschen, die sich in Willkommensinitiativen enga­gieren und jetzt begreifen, was ihre Arbeit mit dem Mord an George Floyd zu tun hat. Wenn ich verstehe, dass mein Kampf eng verbunden ist mit dem von anderen, dann stellt sich auch die Frage, wer zu welchem Thema sprechen darf, in dieser Weise nicht mehr. Dann sind wir »united against racism«, ob wir nun gegen die Klimazerstörung kämp­fen oder gegen Grenzregime. Dann handeln wir in Solidarität, in dem Bewusstsein und dem Umgang damit, dass manche mehr und manche weniger betroffen sind. 

HANNAH: Also toll wäre es, wenn die Omas gegen Rechts noch diverser wären: Migranti­fa, gebt uns die E-Mail-Adressen eurer Eltern, die müssen bei uns mitmachen! Was ich hier in Deutschland zentral finde: Es müssen viel mehr von uns wieder selbst Nazis blockieren. Bei den Corona-Demos im August war ich sehr enttäuscht. Es war klar, da kommen auch organisierte Rechte, und sie haben angekündigt, an der Synagoge und am Holo­caust-Mahnmal vorbeizulaufen. Das konnten wir durch die Anmeldung von Gegende­monstrationen und Proteste verhindern. Dennoch standen wir dort am Ende mit 350 Leuten und sahen Tausende Corona-Leugner und Rechte an uns vorbeiziehen. Da haben wir uns alleingelassen gefühlt, auch von der Linken. In solchen Momenten müssen mehr Menschen runter vom Sofa, raus aus der Wohlfühlzone und sichtbar auf der Straße sein. Die Unterschrift unter Aufrufe zu setzen reicht nicht. 

Wie blickt ihr in die Zukunft? Was wird entscheidend sein für die Bewegung? 

HANNAH: Ich wünsche mir, dass die Vernetzung, die begonnen hat, weitergeht. Dass wir einander solidarischer verbunden sind, indem wir uns besser kennenlernen. Für mich ist Sprache dabei wichtig: Wir müssen die Gesellschaft auch in der Sprache wieder verändern, auf Sprache aufmerksam machen und gleichzeitig lernen, gelassener zu sein, wenn jemand sich verspricht. Dass wir kämpferisch sind, wenn jemand mit Sprache angreift, aber eine eigene Sprache entwickeln, die alle mitnimmt. 

FERAT: Ich finde, wir müssen wieder und wieder die Ursachen in den Fokus nehmen: die Form des Nationalstaats, das kapita­listische Wirtschaftssystem. Wir brauchen eine grundlegend neue Art und Weise des Zusammenlebens, aber wir stecken in diesem System fest. Selbst die Parteien, in denen wir aktiv sind, verwalten oft nur noch die Strukturen, anstatt darüber hinaus zu denken. Die Menschen haben Angst, dass etwas Neues nicht funktioniert. Als Antifaschist*innen müssen wir uns in diesen Kampf um die Zukunft mehr einmischen, unsere Visionen wieder herauskramen und sagen: Eine bessere Welt ist möglich. Und lasst uns in Neukölln damit anfangen, hier, wo wir leben. 

BERENA: Da schließe ich mich an. Den politischen Horizont zu erweitern und zu verschieben, ist die Aufgabe von uns Linken. Und darauf habe ich richtig Bock. Ich habe Bock auf einen antirassistischen Kampf, der sich als antikolonialer versteht und die Per­spektive der Marginalisierten in den Fokus rückt. Auf Antikapitalismus, der Ausbeutung überall anprangert, wo sie passiert, in der Care-Arbeit oder in der Arbeit der Illegalisier­ten. Ich habe Bock auf einen feministischen Kampf für sexuelle Selbstbestimmung. Denn am Ende geht es um ein besseres Leben für uns alle. So pathetisch es klingt: Touch one, touch all! Wir können alle nicht frei sein, solange es Unterdrückung gibt. Das sage ich nicht, weil es gut klingt, sondern weil ich an diesem Punkt überzeugte Universalistin bin: Antirassismus, Feminismus, Dekolonisierung versprechen tatsächlich Befreiung für alle Menschen. Und der faschistische feuchte Traum ist eine totale Dystopie, ein Albtraum für alle. Das ist so irre, wie dieses System unsere kollektive Fantasie beschränkt. Wir leben in einem Europa, das Gleichheit und Freiheit in jeder blöden Nationalhymne trällert, aber wo man sich Bewegungsfreiheit nicht mal als Utopie vorstellen kann. Ich würde die Frage also andersherum stellen: Wie können wir unsere Kämpfe denn nicht zusammen begreifen? Wir sind voneinander abhängig. Ich kann gar nicht anders, als mich mit euch verbunden fühlen, ohne euch macht mein Kampf keinen Sinn. Das ist der Ausgangspunkt meiner politischen Praxis. 

HANNAH: Ein schöneres Schlusswort kann man sich wohl nicht vorstellen: Eine Liebes­erklärung an den gemeinsamen Kampf. 

Das Gespräch führten Rhonda Koch und Hannah Schurian.