In den letzten Jahrzehnten ist in Deutschland der Anteil privater Kliniken in der Gesundheitsversorgung von etwa 20 Prozent im Jahr 2000 auf inzwischen rund 40 Prozent gestiegen. Auch hier stellt sich daher die Frage nach Vergesellschaftung.
Das Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) gehört der Rhön-Klinikum AG, einem privaten Klinikkonzern. Ist das nicht ungewöhnlich?
JAN: Allerdings, es ist sogar einmalig in Europa. Die CDU unter Roland Koch hat es Mitte der 2000er Jahre, zu Hochzeiten des Neoliberalismus, verkauft und damit die erste und einzige Privatisierung einer Uniklinik in Europa durchgesetzt. Die Erfahrungen waren so schlecht, dass zumindest in Deutschland kein weiteres Uniklinikum verkauft wurde.
Inwiefern schlecht?
JAN: Beim Kauf hat die Rhön-Klinikum AG viele Versprechungen gemacht – etwa, auf Investitionszuschüsse des Landes zu verzichten, eine Partikeltherapie-Anlage für eine besondere Form der Krebsbehandlung zu bauen, massiv in die Gebäudesubstanz zu investieren und vieles mehr. Nichts davon wurde so eingehalten wie verabredet. Stattdessen wurden die Probleme immer größer. Besonders eklatant ist das Missverhältnis zwischen der gestiegenen Zahl der zu behandelnden Patient*innen – mit denen der Konzern ja seine Profite macht – und dem vorhandenen Personal. Teils wurden sogar Stellen in der Pflege abgebaut.
Gab es Proteste gegen die Privatisierung?
JAN: Ja, vielen in der Region war klar, dass sich die Bedingungen für Beschäftigte und Patient*innen, aber auch für Forschung und Lehre deutlich verschlechtern würden. Es hat sich eine Bürgerinitiative gegründet, in der niedergelassene Ärzt*innen, der Betriebsrat, Klinikdirektor*innen, Gewerkschaften, Patient*innen, politische Parteien und viele Einzelpersonen all das kritisiert haben.
Nun habt ihr ein Gutachten in Auftrag gegeben, das prüft, wie das UKGM rekommunalisiert werden kann. Wie kam das?
JAN: Die Rhön-Klinikum AG hat das UKGM damals etwa zu einem Zehntel des eigentlichen Werts gekauft – dabei wurden dem Konzern schon haufenweise öffentliche Gelder in den Rachen geworfen. In den Protesten war über die Jahre immer eine Frage zentral: Warum muss ein Krankenhaus eigentlich Rendite für die Aktionär*innen eines Klinikunternehmens erwirtschaften? Und zwar auf Kosten der Beschäftigten und der Gesundheit der Patient*innen. Das hat zu großem Unmut geführt und die Proteste befeuert.
2019 ist dann die sogenannte Change-of-Control-Klausel ausgelaufen: Beim Verkauf war vereinbart worden, dass es im Falle eines Eigentümerwechsels eine befristete Rückkaufoption für das Land gibt. Kaum bestand diese rechtliche Möglichkeit nicht mehr, wurde das UKGM prompt von Asklepios übernommen. Das hat die Debatte neu entfacht, auch weil Asklepios bekannt ist für seine gewerkschaftsfeindliche und rücksichtlose Unternehmensführung. Dadurch hat sich die Frage »Wie können wir das beenden?« verschärft gestellt. Natürlich hat uns außerdem die Kampagne »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« (DWE) in Berlin inspiriert. So entstand die Idee, gemeinsam von der Fraktion der LINKEN, ver.di und der Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Gutachten in Auftrag zu geben. Es sollte prüfen, ob es nicht möglich wäre, den Konzern ebenfalls nach Artikel 15 (vgl. Drohsel/Röhner in diesem Heft) und auf Grundlage der hessischen Landesverfassung (vgl. Wilken in diesem Heft) zu vergesellschaften.
Und?
JAN: Die erfreuliche Nachricht ist: Es ist möglich!
Das klingt vielversprechend. Aber sind die Bedingungen in öffentlichen Krankenhäusern überhaupt so viel besser als in privaten?
JULIA: Naja, man muss schon sagen, dass die Zustände in öffentlichen Häusern ebenfalls miserabel sind. Auch hier kämpfen die Beschäftigten seit Jahren gegen Personalabbau vor allem in der Pflege, gegen ein Outsourcing sogenannter patientenferner Bereiche wie Küchen, Reinigung oder Labors und gegen einen Abbau von Betten. Zuletzt war das in den Streiks an den landeseigenen Kliniken Charité und Vivantes in Berlin eindrucksvoll Thema (vgl. Dück 2021; Stolz 2021).