Sicher ist nur, dass keine Strömung der historischen und neuen Linken alleine die kommenden Herausforderungen wird meistern können. Deswegen stellt sich auch für die Bewegungslinke die Notwendigkeit, die Veränderungen des Kräftefeldes neu auszumessen. Der Beitrag behandelt diese Umbrüche aus der Sicht eines Aktivisten in der Interventionistischen Linken (IL). Die IL ist ein Zusammenschluss von zumeist postautonomen Gruppen und Individuen. Sie spielte eine zentrale Rolle bei der Organisierung der Proteste 2007 in Heiligendamm und bei den Blockaden gegen das rassistische Europatreffen der »Initiative Pro Köln«. Zu ihrem Selbstverständnis gehört die Anerkennung der Differenzen in der Linken als potenzielle Produktivkraft und die Arbeit an einer strategischen Bündnisorientierung.1

DIE KRISE DER LINKEN IN DER KRISE

Selbst in der größten – internationalen – Krise des Kapitalismus seit 70 Jahren gelingt es der Linken bisher nicht, relevante Kräfte zu mobilisieren – das verweist auf tief greifende Probleme aller linken Strömungen. Die politische Grundlage u.a. der »Anti-Globalisierungsbewegung« der letzten zehn Jahre verflüchtigt sich. Diese bestand im Protest gegen den Neoliberalismus und seine Auswüchse. Die Fronten waren klar: Kampf gegen Agenda 2010 und die Politik der Hartz-Parteien aus SPDCDUCSUFDPGRÜNE. Auch wenn die Hartz-Gesetze nicht verhindert werden konnten, so gab es zunächst durchaus Erfolge. Die zahlreichen Proteste von Basisinitiativen setzten diese informelle große Koalition unter Legitimationsdruck. Auch die Gewerkschaften, die zunächst die Hartz-Gesetze begrüßt und unterschrieben hatten, wurden durch den Druck der Basis gezwungen, diese Position zu revidieren. Die Partei Die Linke unterstützte die Proteste und hatte auf parlamentarischer Ebene ein Alleinstellungsmerkmal. Die Hoffnung, in der Finanz- und Weltwirtschaftskrise könnte es zu einem Aufbruch breiterer Teile der Bevölkerung gegen die herrschende Politik kommen, erfüllte sich allerdings nicht. Die Demonstrationen des letzten Jahres schöpften das bisherige Mobilisierungspotenzial aus. Mehr gelang nicht. Zwei Gründe seien hierfür genannt: Zum einen haben die Herrschenden bislang »ihre Politik« recht erfolgreich verkaufen können. Der befürchtete »Kahlschlag« ist (noch) nicht eingetreten und man spürt eine Art Erleichterung darüber, dass eigentlich alles noch viel schlimmer hätte kommen können. Wie lange dieser »Aufschub« dauert, ist ungewiss. Ob es dann zu den erhofften Protesten kommt, wird auch davon abhängen, wie es der Regierung weiterhin gelingt, sich durch die Krise ideologisch und materiell zu lavieren. Zum zweiten fehlt derzeit den Protesten der historische Rückenwind. Was heute die Krise der Linken in der Krise auch kennzeichnet, ist das fehlende Vertrauen in die eigene Fähigkeit, gesellschaftliche Verhältnisse grundlegend transformieren zu können. So eine Dynamik lässt sich nicht einfach verordnen, sie entsteht in gesellschaftlichen Aufbrü- chen. Es gibt aber derzeit kein »Versprechen«, also einen emotionalen und symbolischen Überschuss. Dies ist aber eine Bedingung für eine Wendung der Krise in Richtung Emanzipation. Es gibt kein »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« wie in der Französischen Revolution, kein »Land, Frieden, Brot« wie in der Russischen Revolution – von den kreativen Parolen im Mai 68 mal ganz abgesehen. Selbst im »Yes we can« von Obama steckte noch mehr Aufbruch als in der Parole »Eine andere Welt ist möglich«.

DIE KARTEN WERDEN NEU GEMISCHT

In dieser Situation – Ausbruch der Krise, Ende der Großen Koalition, Auslaufen des Protestzyklus – werden die Karten auch innerhalb der Linken und der Protestbewegung neu gemischt. Welche Chancen ergeben sich für einen neuen Anlauf? Ein Blick auf einige relevante Akteure soll das Feld sortieren helfen. 1 | Die Partei Die Linke steht unter gewaltigen inneren Spannungen. Eine Sozialdemokratisierung der Partei ist nicht auszuschließen. Mit dem Scheitern der SPDPolitik werden dort die Kräfte gestärkt, die die Abgrenzungspolitik gegen Die Linke nicht weiter verfolgen. Stattdessen wird es zu einer inhaltlichen und personellen Annäherung kommen. Perspektive ist ein Wahlsieg unter Einschluss der Grünen spätestens 2017. Auch der öffentliche Druck in Richtung »Sozialdemokratisierung« der Partei ist enorm. Dabei wird oft vergessen, dass eine starke Opposition in der Regel mehr bewegt als eine schwache Partei in der Regierung. Wird Die Linke also wie schon die Grünen eine »stinknormale Partei« – so die These des Politologen Lösche – oder wird sie auch weiterhin eine Offenheit gegenüber außerparlamentarischen Bewegungen wahren? Wie auch immer die Entscheidung ausfallen mag, sie wird enorme Folgen für die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und die Linken in ihrer Gesamtheit haben, wie ein Blick nach Italien zeigt. Die Regierungsbeteiligung der Rifondazione (PRC) hat sowohl die Partei als auch die außerparlamentarische Linke paralysiert (vgl. den Beitrag von Mimmo Porcaro in diesem Heft). 2 | Nach einer vorsichtigen Öffnung der Gewerkschaften in den letzten Jahren gegenüber sozialen Bewegungen (vor allem durch ver.di und Kreise in der IG Metall um Hans-Jürgen Urban), zeigen sich vor allem innerhalb der IG Metall eher wieder Vorbehalte gegenüber dieser Öffnung. Die Mehrheit scheint auf die Wiederherstellung des Bündnisses mit einer in der Opposition »erneuerten« SPD zu setzen. Für diese Linie steht etwa der Betriebsratsvorsitzende Klaus Franz bei Opel. Den Gewerkschaften würde noch stärker als bisher die Rolle des »Co-Managers« im Rahmen eines Wettbewerbskorporatismus zufallen. Ein Ausweg aus der bisherigen »Passivitätskrise« (Frank Deppe) ist damit aber nicht ersichtlich. Diese ist Folge des Rückstands gegenüber einem global agierenden Kapital. Obwohl dieses Problem vielfach analysiert ist, werden daraus bis heute keine strategischen und organisatorischen Konsequenzen gezogen. Schlimmer noch: Es finden kaum Debatten darüber statt.2 3 | Das »Ende des neoliberalen Grundkonsenses« wird auch eine Verschiebung und Ausdifferenzierung im Feld der »globalisierungskritischen Linken« mit sich bringen. Auch Attac befindet sich – allen 10-Jahres-Feiern zum Trotz – in einer konzeptionellen und personellen Krise. Die Differenzen zwischen den Strömungen, die auf einen kapitalistischen »Green New Deal« und denen, die auf eine grundlegendere Kritik des Kapitalismus setzen, sind groß. Als mobilisierungsfähiger Akteur ist Attac abwesend. Eine Ausdifferenzierung ist auch in der NGO-Szene nach dem Scheitern der Klimakonferenz in Kopenhagen denkbar. Die Strategie zahlreicher NGOs in Richtung Lobbyismus und Politikberatung hat dort einen Schiffbruch erlitten. Bei einigen NGOs dürfte sich deswegen die Einsicht durchsetzen, dass nicht die besseren Argumente für die Politik der imperialen Staaten maßgebend sind, sondern deren Interessen. Gleichzeitig ist aber auch die (sich von vornherein radikaler gerierende) Bewegungslinke deutlich in einer Krise. Zwar kann sie immer wieder in spezifischen »ereignishaften« Situationen (Heiligendamm) Mobilisierungserfolge verbuchen. Dennoch verfügt auch sie über keine kontinuierliche Ausstrahlung und Mobilisierungskraft, die über das eigene Klientel hinausgehen würde.

MOSAIK, EREIGNIS UND BRUCH?

Momentan scheinen sich die Spielräume für soziale Proteste in der Krise also eher zu verengen. In dieser Situation schlägt Hans-Jürgen Urban die Bildung einer Mosaik-Linken vor. Diese zeichne sich durch wechselseitige Toleranz und die Bewahrung der organisationskulturellen Autonomie der Kooperierenden aus. Der Vorschlag klingt sympathisch. Doch: Ist er mehr als eine Leerformel? Jedenfalls bleibt das, worüber man sich verständigen müsste, unklar: die Krise der Linken in der Krise. Das hängt mit seinem geschichtslosen Appell zu einem neuen Aufbruch zusammen. Geschichtslos deshalb, weil das Gemeinsame des letzten Aufbruchs genau dieses Mosaikhafte – die Anerkennung der Differenzen der an ihm beteiligten Strömungen – zum Ausgangspunkt hatte. Was unterscheidet die »Mosaik-Linke« von dieser »Bewegung der Bewegungen« außer dem Label?3 Stand dahinter nicht der Anspruch, die Konsequenzen aus dem Epochenbruch von 1989 zu ziehen und eine neue Form zu schaffen, die nicht auf Vereinheitlichung zielt? Ist die Mosaik-Linke mehr als eine Metapher für das, was alle ohnehin immer schon machen? Welche Perspektiven aus den oben skizzierten Entwicklungstendenzen ergeben sich für eine Bewegungslinke und die IL? Die IL ist Teil dieser krisenhaften Linken, die in der Krise kaum handlungsfähig wird. Daher können bislang nur einige Orientierungen genannt werden: 1 | Eine strategische Bündnisorientierung ist weiter erforderlich. Schon damit sich der Möglichkeitsraum nicht zu sehr verengt. An den Debatten um eine Mosaik-Linke und bei der Organisierung von sozialen Protesten wird sich in absehbarer Zukunft zeigen, wie groß der Möglichkeitsraum ist. 2 | Die IL muss die Krise auf der Höhe der Zeit denken, die diversen Krisenphänomene dürfen nicht isoliert oder ökonomistisch analysiert werden. In Zukunft muss deswegen – um nur ein Beispiel zu nennen – linke Klimapolitik aus der »Ökoecke« herausgeholt werden. Dahin wird sie auch von vielen Linken oft abgeschoben. Demgegenüber muss die soziale Dimension der Klimapolitik stärker herausgearbeitet werden. Die herrschende Klimapolitik hat die Zunahme sozialer Kon- flikte zur Folge. Dasselbe gilt für den Zusammenhang von Klimapolitik und der Zunahme kriegerischer Auseinandersetzungen. 3 | Notwendig sind immer wieder öffentliche und öffentlichkeitswirksame Aktionen. Allerdings sollte man sich vor einem Aktionismus hüten, der die schmale Basis der AktivistInnen erschöpft. 4 | Die politische Landschaft kann sich schnell verändern. Auch wenn die skizzierten Entwicklungstendenzen unmittelbar keinen neuen Aufbruch erwarten lassen, ist es wichtig, darauf vorbereitet zu sein. Aufbrüche erfolgen spontan, sie sind letztlich unverfügbar. Der Mai 68 galt noch ein paar Tage vorher als unvorstellbar. Ein paar Tage später ließen sich Millionen mobilisieren. Frankreich war erschüttert. Cornelius Castoriadis, einer der maßgeblichen Denker des Mai 68, beschreibt die Folgen dieses Ereignisses: »Innerhalb weniger Tage gelangten Zwanzigjährige zu einem Verständnis und einer politischen Reife, die aufrechte Revolutionäre nach 30 Jahren Aktivismus nicht erreicht haben.« Solche Beschleunigungen finden wir auch in der Französischen und Russischen Revolution, bei der Pariser Kommune oder in Kuba. Auch im Kleinen lässt sich dies feststellen. Die Ereignisse von Seattle waren ebenso überraschend wie die Demonstrationen gegen die Hartz-Gesetze. Was bedeutet das für den politischen Aktivismus? Abwarten? Nein. Die Aufgabe bleibt – auch in der alltäglichen politischen Praxis –, die Horizonte für politische Ereignisse zu öffnen oder offen zu halten. Keine Strömung der Linken kann dies allein. Insofern brauchen wir in der Tat einen neuen Aufbruch. Meinetwegen kann er auch Mosaik-Linke heißen. Ein Mosaik aber ohne Platz für das Ereignis wird niemanden begeistern.  

Anmerkungen

1 Die Analyse beschränkt sich aus Platzgründen auf den nationalen Rahmen. Eine Einbettung in den internationalen Kontext ist aber unerlässlich. 2 vgl. dazu Riexinger/Sauerborn: Gewerkschaften in der Globalisierungsfalle. Supplement der Zeitschrift Sozialismus 10/2004; Frank Deppe: Die »Große Krise« und die Gewerkschaften, in: isw-Report 78 3 Thomas Seibert setzt in seinem Beitrag in diesem Heft beide Begriffe etwas vorschnell in eins. Ob dies möglich ist, wäre erst zu klären.