Die Automobil- und Zulieferindustrie verschläft die Transformation und versperrt den Weg zur Verkehrswende. Aber was können Gewerkschaften tun? Uwe Zabel hat für die IG Metall im Tarifkonflikt bei Musashi verhandelt. Er findet, wirtschaftliche Mitbestimmung muss nicht nur betriebliche, sondern auch gesellschaftspolitische Perspektiven eröffnen.
Die Konflikte, die zuletzt bei den Autozulieferern GKN Driveline und Musashi Europe ausgetragen wurden, zeigen einmal mehr, wie Unternehmen der Automobil- und Zuliefererindustrie die Kosten der Krise auf die Beschäftigten abwälzen wollen. Wie kommt es dazu?
Die Zulieferer stehen vor dem Problem, dass ein Großteil ihrer Komponenten und Komponentensysteme mit der Umstellung auf Elektromobilität nicht mehr gebraucht werden. Verbrennungsmotoren sind in der Herstellung viel komplizierter als Elektromotoren. Die meisten Unternehmen haben sich auf einen Transformationsprozess nicht vorbereitet und wollen möglichen Profiteinbrüchen mit Betriebsschließungen, Kündigungen oder Entgeltkürzungen entgegenwirken. Manche nutzen den vermeintlichen Druck zur Kostenreduktion auch als Deckmantel, um ihre Profite zu steigern. Andere rationalisieren ihr Unternehmen im Hinblick auf die Umstellung auf Elektromobilität und verlagern die Produktion in Niedriglohnländer. Die IG Metall hat hierauf viel zu spät reagiert und nach wie vor geht sie mit viel Zurückhaltung vor.
Vor allem der Fall Musashi hat letztes Jahr eindrücklich gezeigt, dass ein offensiver Umgang möglich ist. Hier haben die Beschäftigten nicht nur massive Entgeltkürzungen verhindert, sondern auch Mitbestimmung im Transformationsprozess erkämpft. Du warst Verhandlungsführer und hast den Konflikt von Anfang an begleitet. Wie habt ihr das gemacht?
Die von Musashi angekündigte „Giftliste“ hätte für die Beschäftigten rund 600 Euro weniger im Monat bedeutet. Als Grund gab das Unternehmen an, in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage zu sein. Die Rahmenbedingungen, die solche Abweichungen vom Flächentarifvertrag nach unten ermöglichen, wurden in der Metall- und Elektroindustrie leider 2021 mit der IG Metall ausgehandelt, um den Unternehmen Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit zu garantieren. Wir haben bei Musashi gezeigt, dass man solche Zumutungen nicht hinnehmen muss – zumal sie auch keinen Beitrag dazu geleistet hätten, die Transformation und ihre Folgen aufzuhalten oder mitzugestalten. Viele Beschäftigte hatten zudem schlechte Erfahrungen mit der Hinterzimmerpolitik der IG Metall gemacht und wollten die Sache selbst in die Hand nehmen. Wir wollten die Arbeitsplätze unter Bedingungen des Flächentarifvertrags sichern, bis mindestens 2030. Und zwar für alle vier Standorte. Deshalb haben wir überlegt, welche Offensivmittel wir anwenden können, denn wir waren ja in der Friedenspflicht und konnten gar nicht streiken.
Und dann?
Uns fiel auf, dass die Aussage von Musashi, man brauche Geld, um die Beschäftigung zu sichern, impliziert, dass diese per se gefährdet ist. So konnten wir die Forderung nach einem erstreikbaren Sozialtarifvertrag aufstellen und uns damit aus der Friedenspflicht befreien. Gerichtlich geregelt ist nämlich, dass man für die sozialen Folgen von betriebsbedingten Kündigungen streiken kann, also für Abfindungen und die Finanzierung von Transfergesellschaften. Das Ziel war also, die Defensivsituation in eine Offensivsituation zu verwandeln und zu sagen: Okay, wenn ihr die Kürzungen durchsetzen wollt, dann machen wir das für euch so teuer wie möglich und streiken dagegen. Um durch einen Streik schnell großen wirtschaftlichen Druck auszuüben, sind die Bedingungen in der Zuliefer- und Automobilindustrie günstig, denn durch die kurzen Lieferketten gibt es enorme Folgewirkungen.
Klingt aber erstmal kompliziert.
Den Beschäftigten musste natürlich transparent gemacht werden, was das Ziel ist und warum die Strategie sinnvoll ist. Uns ging es ja gerade darum, die Unternehmensentscheidungen so zu beeinflussen, dass Beschäftigungsabbau verhindern wird, und nicht nur für den Fall von Kündigungen vorzusorgen.
Damit wart ihr dann ja auch erfolgreich.
Ja, am Ende der Verhandlungen stand ein Transformations-, Zukunfts- und Sozialtarifvertrag. Darinsind auch praktische unternehmerische Entscheidungen festgeschrieben, die die Beschäftigung unter den Bedingungen des Flächentarifvertrags bis mindestens 2030 sichern sollen. Darunter der Erhalt der vier Standorte und Regelungen zur Mindestpersonalbemessung. Ebenfalls festgeschrieben ist ein Beteiligungsverfahren, durch das die Beschäftigten den Transformationsprozess des Unternehmens aktiv mitgestalten und zum Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze beitragen können. Für den Fall, dass die Transformation nicht gelingt, haben wir festgelegt, dass betriebsbedingte Kündigungen für Mitglieder der IG Metall bis 2026 ausgeschlossen sind und es eine soziale Auffanglinie durch Abfindungen und eine Transfergesellschaft gibt.