Über die Wirksamkeit der Sanktionen gegen Russland wird kontrovers debattiert. Jan von Aken hat in einem Artikel der LuXemburg zuletzt Kritikpunkte an der Ziel-, Plan- und Wirkungslosigkeit der Sanktionen formuliert, einiges davon teile ich. Bezüglich der Energiesanktionen vertrete ich allerdings eine abweichende Meinung – ich halte sie nicht für grundsätzlich ziel- und wirkungslos.

 

  1. Die EU hat durchaus ein klares politisches Ziel für diese Sanktionen formuliert, nämlich zum Minsker Abkommen zurückzukehren, und damit auch ein Kriterium für ihr Ende festgesetzt.
  2. Es stimmt, dass die Sanktionen nur mit Übergangsfristen bzw. schrittweise umgesetzt wurden, was die Effekte zunächst deutlich abgeschwächt hat. Das geschah aber durchaus planvoll und war aufgrund der drohenden ökonomischen Folgewirkungen auch nachvollziehbar. 
  3. Die Wirkungen auf die russische Wirtschaft und den Staatshaushalt werden 2023 deutlich drastischer ausfallen als im vergangenen Jahr, wo der Preisanstieg den Exportrückgang überlagern konnte.


Dennoch bleiben wichtige Kritikpunkte an Lücken, Widersprüchen und mangelnden Kontrollmöglichkeiten der Energiesanktionen.

Klares politisches Ziel 

Der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine hatte wirtschaftliche Boykott-Maßnahmen des Westens gegen Russland zur Folge. Ein Teil von ihnen wurde in Sanktionspaketen der Europäischen Union festgeschrieben, ein anderer Teil wurde in EU-Papieren als geplante Reduzierung des Bezugs von Energierohstoffen formuliert. Einen Tag nach dem russischen Überfall auf die gesamte Ukraine kündigte der EU-Ministerrat im zweiten von insgesamt bislang neun EU-Sanktionspakten vom 25. Februar 2022 restriktive Maßnahmen für die Sektoren Finanzen, Verteidigung, Energie, Luftfahrt und Raumfahrt an. In der Präambel des Paketes heißt es, dass die Union ihren Standpunkt erst grundlegend ändern werde, wenn Russland „seiner Verantwortung für die Sicherstellung der vollständigen Umsetzung der Minsker Vereinbarungen in vollem Umfang“ nachkomme. Damit wird Bezug auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. Juni 2021 genommen, wo diese Formulierung verwendet wurde. Mit dieser Bezugnahme wurde ein klares politisches Ziel formuliert. Damit existiert auch ein klares Kriterium, an das ein Ende der Sanktionen gekoppelt ist. Dass das Ziel (nur) in der Präambel verankert ist, stellt keine Abwertung dar, sondern folgt der üblichen Struktur solcher EU-Dokumente. Die folgenden Sanktionspakete satteln auf dieses Paket auf und stehen insofern formal unter dem gleichen klar definierten politischen Hauptziel. 

Schwierige Umstellung

Die Sanktionen und Minderungen der Importmengen konnten zum Schutz der europäischen Wirtschaft nur mit Übergangsfristen oder schrittweise umgesetzt werden, was die Sanktionswirkung gerade im ersten Halbjahr 2022 begrenzt hat. 

Die genaue Abfolge und Tiefe der Sanktionen und Importminderungen wurde jedoch sehr überlegt festgelegt und folgte den möglichen Substitutionspfaden für Kohle, Öl und Gas, um eine Umstellung der Ökonomien zu ermöglichen. Das ist im Großen und Ganzen – mit allerdings hohen Kosten – auch gelungen. Es lohnt sich, diesen Prozess im Einzelnen nachzuzeichnen.

In ihrer REPower-Mitteilung vom 8. März 2022 kündigte die EU-Kommission eine Strategie für eine schnellstmögliche Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland an. Mit den Sanktionspaketen verhängte die EU bezüglich Energierohstoffen und -raffinerieprodukten unterschiedliche Maßnahmen. Dazu zählt ein Verbot der Ausfuhr von bestimmten Erdölveredelungstechnologien (zusätzlich zum Verbot der Ausfuhr von Ausrüstung für Erdölraffinerien aus dem Jahr 2014) sowie ein Importstopp für russische Kohlelieferungen (ab dem 11. August 2022). Russische Steinkohle deckte beispielsweise die die Hälfte des deutschen Bedarfs, viele Stadtwerke hatten direkte oder indirekte Verträge mit russischen Lieferanten, manche liefen fast vollständig mit russischer Kohle. Bei einem Sofort-Boykott wären tatsächlich in einigen deutschen Städten die Lichter ausgegangen. Anfang Dezember wurde dann ein Importstopp für auf dem Seeweg transportiertes russisches Rohöl umgesetzt, wobei die Bundesrepublik gemeinsam mit Polen freiwillig darauf verzichtete, von jener Ausnahme Gebrauch zu machen, die Ölimporte aus Russland über Pipelines erlaubt. Im Rohölbereich und bei Raffinerieprodukten war es einfacher, alternative Bezugsmöglichkeiten zu finden als bei Gas, allein schon, weil alternative Transportrouten per Schiff vorhanden sind. Dennoch wurde auch hier eine Übergangszeit benötigt - schließlich kam jede dritte Tonne Rohöl aus Russland. Im Falle der Raffinerie in Schwedt zeigt sich aber, dass eine solcher Ablösungsprozess nicht gelingt, in dem man einen Schalter umlegt. Es müssen Verträge neu geschlossen, Förderanlagen in anderen Staaten hochgefahren und Infrastruktur neu gebaut oder ertüchtigt werden. Natürlich hätte man den Ölverbrauch stärker herunterfahren können als es geschehen ist, etwa durch ein Tempolimit. Doch auch das hat Grenzen. 

Eine weitere Maßnahme ist das Verbot der Weiterleitung oder des Verkaufs raffinierter Erdölprodukte aus Pipeline-Öl an andere Staaten (ab 5. Februar 2023). Die G7, die EU sowie Australien verständigten sich zudem über einen Preisdeckel für Rohöl russischen Ursprungs auf dem Seeweg in Höhe von 60 US-Dollar je Barrel ab 5. Dezember 2022. Für russische Ölexporte wichtige Dienstleistungen dürfen nach dem Beschluss der „Price Cap Coalition“ nur noch dann ungestraft geleistet werden, wenn die Preisobergrenze für das exportierte Öl nicht überschritten wird. Erdgasimporte stehen zwar nicht auf den EU-Sanktionslisten, doch sie wurden deutlich reduziert, das heißt russische Lieferungen wurden zunächst stark gedrosselt und dann eingestellt. Bereits im Herbst 2021 hatte Gazprom die Liefermengen in die EU verknappt, insbesondere bei den Lieferkorridoren durch die Ukraine und Polen. Bis zum Überfall auf die Ukraine hatte Russland zwar alle vereinbarten langfristigen Lieferverträge erfüllt, jedoch kaum noch Gas am kurzfristigen Spotmarkt angeboten, wo die europäischen Importeure üblicherweise einen Teil ihres kurzfristigen Bedarfs decken. Russland wollte damit Druck ausüben auf die noch ausstehende Zertifizierung der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2 und die damit verbundene Entscheidung, ob sich der russische Staatskonzern Gazprom in Bezug auf eine Trennung von Netz und Betrieb der EU-Regulierung unterwerfen muss. 

Schrittweise Drosselung

Im Laufe des Krieges verringerte Russland die Gaslieferungen nach Europa enorm. Langfristige Lieferverträge wurden von Gazprom seit Juni 2022 nicht mehr vollständig erfüllt. Allerdings hatte die Bundesregierung ihrerseits bereits im März 2022 angekündigt, den Import russischen Gases bis zum Sommer 2024 schrittweise zu reduzieren - auf nur noch 10 Prozent Anteil am Gesamtverbrauch. 2021 betrug der russische Anteil mit über 50 Milliarden Kubikmetern 55 Prozent. Die starke Gasabhängigkeit Deutschlands von Russland sollte genauso verringert werden wie Einzahlungen in Putins Kriegskasse. Die Ankündigung erfolgte bei bestehenden Lieferverträgen zwischen Uniper und Gazprom, die bis zum Jahr 2036 reichten, und zwar mit einem Lieferumfang von mindestens 24 Mrd. m3 pro Jahr. Als Ergebnis beider Prozesse lag der russische Lieferanteil Ende Juni 2022 nur noch bei 26 Prozent des deutschen Verbrauchs, und fiel am 1. September 2022 auf null

Im Laufe des Jahres traten zwei Schwachstellen der deutschen Volkswirtschaft offen zu Tage, die vor allem (aber nicht nur) die Vorgänger-Regierungen zu verantworten haben: die starke einseitige Abhängigkeit der Bundesrepublik von russischen Energierohstoffimporten, insbesondere bei Erdgas, und die jahrelang verschleppte Energie- und Effizienzwende, welche Deutschland in dieser Situation verletzlicher macht als es sein müsste. Doch auch andere EU-Länder hatten durch den externen Schock Probleme. Eine schnelle, direkte Einführung der Sanktionen und Minderungen der Importmengen hätte eine größere Sanktionswirkung zur Folge gehabt. So kam es 2022 sogar - trotz sinkender Liefermengen - zu Rekordeinnahmen aus Energieexporten für den russischen Staatshaushalt. Jan van Aken schreibt, die EU hätte direkt und sofort ein Öl- und Gas-Embargo verhängen müssen, um ihr selbst formuliertes Ziel ernst zu nehmen. Dies hätte jedoch einen Kollaps der europäischen Industrie zur Folge gehabt. Vor diesem Hintergrund sind die Übergangsfristen zum Schutz der europäischen Wirtschaft durchaus nachvollziehbar.

An dieser Stelle eine Nebenbemerkung: In den Debatten wird mit Bezug auf die Energiesanktionen vielfach darauf verwiesen, dass die USA seit Jahren darauf hinarbeiten, russisches Trassengas durch US-amerikanisches LNG abzulösen. Dieser Hinweis ist richtig, doch diese Bestrebungen halte ich nicht für die Treiber des Sanktionsprozesses. Dennoch wäre es naiv, zu glauben, Einzelinteressen von Konzernen hätten bei der genauen Ausgestaltung der acht Sanktionspakete keine Berücksichtigung gefunden.

Spürbare Wirkung 2023

Inzwischen sind die Preise für Rohöl und Gas wieder auf Vorkriegsniveau gesunken. Im Januar 2023 exportierte Russland nach Europa 87 Prozent weniger Gas als im monatlichen Durchschnitt der letzten fünf Jahre. Die Gaslieferungen in den asiatisch-pazifischen Raum umzuleiten, wie es bei Öl über Tanker möglich ist, ist aufgrund fehlender Infrastrukturen weitgehend ausgeschlossen. So ist es kaum möglich, die Gaslieferungen per Pipelines nach China oder über Flüssiggastanker in andere Regionen der Welt innerhalb der nächsten Jahren auszuweiten: Bislang existiert mit „Power of Sibiria-1“ (PoS-1) nur eine (und zudem wenig leistungsfähige) Trasse nach China, über die 2021 lediglich 10,4 Mrd. m3 geliefert wurden. Die Menge könnte zwar bis 2024 durch die Fertigstellung weiterer Bauabschnitte verdreifacht werden, doch sie bleibt weit unter den rund 180 Mrd. m3, die 2021 über Pipelines in Richtung Europa und Türkei gingen. Zudem sind die nördliche Gasfelder Russlands nicht an PoS-1 angebunden. Der Bau des anspruchsvollen Teilabschnitts Power of Siberia-2 (PoS-2) durch die Mongolei, der eine westliche Route für Gaslieferungen nach China ermöglichen soll, könnte 2024 beginnen. Doch Fachleute rechnen mit einer Inbetriebnahme nicht vor 2030. Die Kapazität läge dann nicht über 50 - 80 Mrd. m3 pro Jahr. Darüber hinaus steht auch der Seeweg kaum offen. Denn es gibt es nur wenige LNG-Terminals zur Verflüssigung und Verladung an den russischen Küsten. Sie haben zusammen jetzt eine Kapazität von 47,3 Mrd. m3 pro Jahr. Der Bau neuer Terminals würde einige Jahre dauern, auch angesichts der Technologieboykotts.

All das bedeutet für die nächsten Jahre, dass Russland rechnerisch etwa zwei Drittel des Gases, dass früher in nach Europa und in die Türkei floss, nicht anderweitig absetzen kann - es muss in der Erde bleiben. Russisches Rohöl wiederum lässt sich am Weltmarkt nur mit einem hohen Abschlag verkaufen (31,5 Prozent im Januar 2023), vor allem nach Indien und China. In diesem Jahr muss Russland daher mit empfindlichen Mindereinnahmen für den Staatsetat rechnen. 

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Russische Rohölexporte in Barrel pro Tag nach Weltregionen (2021 bis Jan. 2023)

Quelle: Science Is Strategic (@scienceisstrat1) / Twitter

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Urals-Brent Preisdifferenz: Russisches Öl nur mit Abschlag verkaufsfähig (momentan minus 31,5 Prozent zum Brent-Preis)

Quelle: Thomson Reuters; Neste Urals-Brent spread 2023 | Statista

Die russischen Einnahmen aus dem weltweiten Verkauf von Öl, Gas und Kohle gingen bereits im Dezember 2022 deutlich zurück und waren erstmals niedriger als vor dem Beginn des Angriffkrieges. Noch deutlicher schrumpften die Einnahmen aus Exporten in die EU: Sie betrugen im März 2022 fast 700 Millionen Euro pro Tag, zum Jahresende jedoch nur noch gut 200 Millionen Euro. Die Einnahmen haben sich seit Kriegsbeginn mehr als halbiert und liegen auch deutlich unter dem Wert von September 2021.

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Russische Einnahmen sinken stark

 

Quelle: Table.Media, CREA Analyse, Einnahmen Russlands aus Export von Öl, Gas und Kohle sinken • Europe.Table

Die Anfang Februar 2023 in Kraft getretenen Sanktionen gegen russische Erdölprodukte werden sich womöglich deutlich negativer auf die russische Wirtschaft auswirken als die Ölrestriktionen. Auf den Raffineriesektor, der größte Sektor des verarbeitenden Gewerbes, entfallen 15 Prozent der Industrieproduktion des Landes. Asiatische Länder, die russisches Öl mit Abschlag abnehmen, haben eigene Raffineriekapazitäten. 

Das Übereinkommen könnte sich in Verbindung mit dem EU-Einfuhrverbot für Erdöl darum als wirksames Sanktionsinstrument erweisen: Es greift Russlands Einnahmen aus Drittstaaten am weltweiten Ölmarkt an. Zudem umfasst es auch Schiffsversicherungen, die von globalen Reedereien überwiegend in London abgeschlossen werden. Polen und die baltischen Staaten konnten sich allerdings nicht mit ihrer Forderung durchsetzen, eine Preisobergrenze von unter 30 Dollar pro Barrel festzusetzen und so näher an den geschätzten Produktionskosten und aktuellen Erlösen Russlands pro Barrel zu bleiben. Abzuwarten bleibt auch, ob Russland eine eigene „Schattenflotte“ von Öltankern aufbauen kann, um die Effekte zu umgehen.

Eine hohe Wirkung erzielen im Energiebereich auch die Technologie-Sanktionen. Technik für die Erdöl- und Erdgasgewinnung (etwa für komplizierte Horizontalbohrungen) steht auf dieser Liste, und auch hier dauert der Aufbau eigener Kapazitäten mehrere Jahre. Der Aufbau von zusätzlichen LNG-Vergasungs-Terminals in Russlands Norden wird ohne westliche Technik ebenfalls deutlich erschwert. 

Bleibende Probleme

Trotz alledem bleibt eine Kritik des Sanktionsmanagements der EU auch im Energiebereich wichtig. Denn die Sanktionen weisen einige Lücken auf und erweisen sich an manchen Stellen als zahnlos – hierauf hat etwa Sebastian Rötters im Tagesspiegel hingewiesen. 

So fehlt ein Embargo im Atombereich. Die EU erhielt 2020 20,2 Prozent ihres Urans aus Russland und 19,1 Prozent von Kasachstan, Russlands engem Verbündetem. Im Bereich Kohle ist das Embargo durch den Handel mit Drittländern leicht zu umgehen. Zudem ist die Obergrenze von 60 Dollar zu wenig ambitioniert. Zwar liegt der Rohölpreis bei Brent oder WTI darüber, doch Ural Brents - dass russische Öl - kann nur mit oben genannten Abschlag verkauft werden. Polen und die baltischen Staaten hatten erfolglos eine Obergrenze von 30 Dollar pro Barrel gefordert – Russland erzielt aktuell etwas über 40 Dollar pro Barrel. Allerdings soll der Preisdeckel alle zwei Monate überprüft werden. 

Die Übergangsfristen sind zudem teils sehr lang und die Sanktionen werden zu wenig dynamisch gesteuert. Teilweise ist unklar, wer die Einhaltung dieser Sanktionen überhaupt kontrollieren soll. Die USA haben eine mächtige Kontrollbehörde, die OFAC (Office of Foreign Assets Control), in der EU existiert so etwas nicht. Die 27 Mitgliedstaaten sollen selbst prüfen. Rötters warnt in dem Zusammenhang vor einem Missbrauch und einer Umgehung des Preisdeckels, etwa durch unangemessen hohen Fracht-, Zoll- und Versicherungskosten. Die EU sieht bei einem Verstoß gegen die Preisobergrenze ein 90-Tage-Verbot von Russlandgeschäften gegen Unternehmen vor. Für Rohstoffhändler, Finanzinstitute und Versicherungsunternehmen sind aber bislang keine Strafen möglich. 

Doch selbst wenn diese Fehler behoben würden - die Sanktionen allein werden Russland sicherlich nicht dazu bringen, den Krieg zu beenden und sich aus der Ukraine zurückzuziehen und zum Minsker Abkommen zurückzukehren. Sie sind nur ein Instrument unter anderen, um dieses Ziel erreichbar zu machen.

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