Die Kolleg*innen aus NRW  haben den Staffelstab der Pflegebewegung aus Berlin übernommen. Unter dem Motto »Notruf NRW« kämpfen nun auch sie für einen Tarifvertrag Entlastung. Zwei Beschäftigte aus dem Universitätsklinikum in Köln erzählen von ihrem Arbeitsalltag und einer Bewegung, die ihre Arbeit und ihr Leben verändert hat und verändern wird. 
 

Was bewegt dich, in den Streik zu gehen? 

Rosa: Es ist ganz einfach: Ich möchte in Zukunft von der Arbeit nach Hause kommen und sagen können: »Das war ein guter Tag, denn heute konnte ich mich vernünftig um meine Patienten kümmern«. Ich habe einfach keine Lust mehr, unzufrieden nachhause zu gehen. Und um das zu ändern, brauchen wir mehr Pflegepersonal  in den Krankenhäusern.  Wir - das sind fast 12.000 Kolleg*innen in ganz NRW - wollen den Beruf, den wir alle sehr gerne ausführen, wieder attraktiv machen und so auch Leute zurückholen, die die Pflege wegen der unsäglichen Arbeitsbedingungen verlassen haben.   

Wie sieht euer Arbeitsalltag in der Notaufnahme aus? 

Jenny: Da geht es schon los: Es gibt keinen Alltag. Jeder Tag ist unterschiedlich und am Anfang des Tages weiß man nie, was alles passiert. Das hat eine Notaufnahme  so an sich. Die Menschen kommen mit den verschiedensten Problemen zu uns, sie brauchen nicht nur eine Ersteinschätzung und eine Blutabnahme, sie haben nicht nur Schmerzen, sondern auch Ängste. Ihre  Angehörigen machen sich Sorgen, sind in Trauer. Wir müssen also auf ganz verschiedenen Ebenen in der Notaufnahme für die Patient*innen da sein, eigentlich. 

Eigentlich?

Rosa: Es ist echt keine Seltenheit, dass Patienten*innen und das ist nicht schön, schon mal 10-14 Stunden bei uns liegen. 

 

Jenny: Das liegt unter anderem daran, dass wir immer mehr Fälle aufnehmen, denn die Patient*innen werden kränker und älter. Aber obwohl es immer mehr Aufgaben gibt, gibt es eben nicht mehr Pflege. Im Gegenteil müssen wir immer mehr Aufgaben übernehmen und Verantwortung, der wir nicht gerecht werden können. Zeit für die Sorgen und Ängste der Patient*innen haben wir kaum. 

 Gab es für euch ein Schlüsselmoment, der euch klar gemacht hat: Jetzt muss sich etwas ändern - ich organisiere mich und werde Teil von »Notruf NRW?«

Jenny: Für eine Fachweiterbildung hatte ich zwei Jahre die Notaufnahme verlassen. Als ich wieder kam, war ich schockiert darüber, wie überlastet meine Kolleg*innen waren. Ab da war mir klar, dass ich aktiv etwas verändern will, dass wir als Kolleg*innen diese Situation nicht länger akzeptieren können, sondern die Veränderung jetzt selbst in die Hand nehmen müssen. Im Übrigen hatte ich in diesem Moment schon lange die Hoffnung aufgegeben, dass ein Politiker die Sache für uns richten wird.  

 

Rosa: Die gute Nachricht ist: Unsere Bewegung hat bereits jetzt gezeigt, dass wir, die Kolleg*innen selbst, wirklich etwas verändern können. Im Grunde hat sich schon in den letzten Monaten vor diesem Streik so viel für uns verändert. 

Was hat sich verändert? 

Rosa: Das wichtigste war, dass wir uns Zeit genommen haben, um mit unseren Kolleg*innen zu sprechen. Wir haben Interviews geführt, um zu hören, was auf Station stört und wo wir Dinge verbessern können. Dadurch sind wir als Kolleg*innen heute so vernetzt wie noch nie. Und auf diese Vernetzung lässt sich aufbauen. 

 

Jenny: Um das deutlich zu machen: In unserer Notaufnahme arbeiten 36 Kolleg*innen. Als die Bewegung startete, gab es auf unserer Station vier ver.di Mitglieder. Mittlerweile ist die überwältigende Mehrheit der Kolle*innen bei ver.di organisiert, d.h. wir haben jetzt 80 % Gewerkschaftsmitglieder in der Notaufnahme. 

Wie bestreikt ihr die Notaufnahme?

Jenny:  Unser Ziel in den Vorbereitungen war:  Wir wollen die Notaufnahme komplett abmelden. Und das ist uns gelungen: Die Normalstation der ZNA (Zentrale Notaufnahme) ist geschlossen und die ZNA wird für den Streik komplett abgemeldet. Das gab es so noch nie - und ist ein Resultat der überwältigenden Stärke unseres Teams. Um keine Patient*innen zu gefährden, haben wir eine Notdienstvereinbarung erarbeitet, auch zusammen mit dem ärztlichen Personal. Die regelt, wie wir nun im Streik mit der Patient*innenaufnahme verfahren. 

Das heißt?

Rosa: Im Streik nehmen wir Notfälle weiterhin auf, aber nicht mehr die kleineren Fälle. Die Abmeldung der Notaufnahme bedeutet, dass Rettungswagen andere Krankenhäuser in der Stadt anfahren. Sie werden frühzeitig vor unserem Streik informiert. Patient*innen, die mit kleineren Beschwerden zu uns kommen würden, müssen ebenfalls auf andere Krankenhäuser ausweichen. Wir haben aber Kolleg*innen, die im Falle eines Notfalls sofort einspringen. Einen schlimmen Motorradunfall beispielsweise werden wir natürlich nicht abweisen. 

Eine komplette Notaufnahme im Streik: Ihr schreibt ein neues Kapitel in der Pflegebewegung. Wie wichtig sind für euch die Erfolge der Berliner Pflegebewegung? 

Jenny: Berlin ist eine absolute Motivation für uns. Es gibt uns den Mut, dass wir ähnliches auch hier schaffen können. In Gesprächen mit unseren Kolleg*innen ist der Erfolg aus Berlin sogar häufig die Grundlage, um sie zu überzeugen, nun auch hier in NRW für Entlastung zu kämpfen. Außerdem ist unsere Bewegung auch anstrengend, es gibt Momente, in denen wir durchhängen. Aber dann denken wir an die Kolleg*innen in Berlin und wissen wieder, warum wir uns in unserer Freizeit für unsere Arbeitsbedingungen einsetzen. 

 

Rosa: Der Erfolg der Kolleg*innen aus Berlin motiviert aber nicht nur, sondern wir konnten auch sehr viel von ihnen lernen. Wir sind im engen Austausch mit der Rettungsstelle bei Vivantes in Reinickendorf. Wir telefonieren viel, machen gemeinsame Videkonferenzen. Uns hat auch Stella, eine Kolleg:in aus der dortigen Rettungsstelle, besucht. Gemeinsam haben wir den Film der Rosa-Luxemburg-Stiftung angesehen. 

In Gesprächen höre ich oft: Ach, die Forderung ist doch viel zu hoch, dass klappt doch eh alles gar nicht. Was erwidert ihr auf diese Argumentation?

Rosa: Dieses Mal ist es anders. Auch bei ver.di fand ein Umdenken statt: Pflege wird als eigener Berufsstand gesehen. Und das motiviert. Was jedoch ausschlaggebend ist, ist, wie wir unsere Bewegung aufbauen. Jede Station hat, wenn sie mehrheitlich organisiert ist, Teamdeligierte. Als solche unterstützen wir unsere Kolleg*innen in der Tarifkommission. So können diese die Verhandlungen unterbrechen und den Verhandlungsstand mit uns rückkoppeln und diskutieren. Dadurch ist nicht nur garantiert, dass wir in den Verhandlungen mitentscheiden können, sondern auch, dass in diese unser Expert*innenwissen einfließt. Schließlich sind wir es, die am besten wissen, welchen Personalschlüssel eine Station braucht. Wir alle - Service, Pflege, Transport, Röntgen etc. - sitzen also mit am Tisch, wenn Dinge entschieden werden! 

Wirklich alle können mitsprechen, wie soll das gehen? 

Jenny: Wir haben im Vorfeld mit den Kolleg*innen gesprochen und sogenannte Forderungsinterviews geführt. Dadurch hat jede Kolleg*in eine Stimme. Beim Krankenhausratschlag in Oberhausen haben sich dann die Teamdeligierte aus den jeweiligen Fachbereichen getroffen, gemeinsam über die Ergebnisse der Gespräche gesprochen und daraus Forderungen entwickelt. Diese Forderungen wurden dann mit allen abgestimmt.  

Haben die bevorstehenden Landtagswahlen einen Einfluss auf euren Tarifkampf? Was erwartet ihr von der Politik?

Jenny: Kurz gesagt: Ihr Wahlkampf ist unsere Bühne. Wir machen Pflege und Gesundheit zu den zentralen Themen im Wahlkampf. Vor uns wird die Politik die Augen also nicht mehr verschließen können. Ähnlich wie in Berlin werden wir der Politik also jetzt jeden Tag auf die Nerven gehen.

Das Gespräch führte Fanni Stolz.