Wenn in diesem Moment der existenziellen Krise der LINKEN ein derart grundlegendes Papier aus dem Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung erscheint, ist es zweifelsfrei relevant – für das Selbstbild der Partei und die weitere Strategie der Führungsebene. Die Thesen von Mario Candeias beschreiben real existierende Vorgänge, die von Seiten der Parteiführung und des Parteivorstands bereits unternommen werden. In Candeias’ Thesenpapier werden sie intellektuell eingeordnet und es wird ein Kurs für das weitere Handeln vorgeschlagen.


Der gesamte Text liest sich als Eingeständnis der eigenen Schwäche der Partei, aber auch der gesellschaftlichen Linken im weiteren Sinn. Entsprechend ist das Credo für das kommende Jahrzehnt: Rückzug in die Defensive. Zugleich ist in den Thesen ein Spannungsfeld, vielleicht sogar ein innerer Widerspruch angelegt: Die Situation sei gesellschaftlich geschlossen, aber die disruptive Neugründung der Partei gerade deshalb notwendig, um sich dann in die Defensive zu begeben. 


Was bedeutet es für Candeias, dass wir in “keiner offenen Situation” mehr leben? Ausgangspunkt seiner Analyse ist die Feststellung, dass die geopolitische Blockkonfrontation und die Stellung hegemonialer Blöcke im neu entstehenden hochtechnologischen grünen Kapitalismus zwar durchaus Brüche zuließe, aber die Linke (und damit nicht nur die Partei die LINKE, sondern linke Hegemonieprojekte schlechthin) sich trotzdem mit einem Jahrzehnt der Defensive zufrieden geben müssten. Dies steht im eklatanten Widerspruch zur Krisenhaftigkeit der Welt und dem überall offensichtlichen Handlungsbedarf. Auch die laut Candeias verbleibenden Optionen sind unklar bis widersprüchlich: Empfohlen wird eine “disruptive Neugründung” der Partei sowie gleichzeitig eine Rettung auf “Inseln des Überlebens”. Ein Aufbruch in die Nische, so klingt es. Vom Erhalt und Aufbau einer soliden Klassenbasis ist – zumindest in diesem Text –  keine Rede. Und das obwohl die “verbindende Klassenpolitik” seit Jahren ein strategischer Ankerpunkt für Candeias ist. Die Frage ist, inwieweit das Konzept getragen hat und ob es nicht in Zukunft durch eine gewisse Praxis der Klassenpolitik abgelöst werden sollte. Diese neue Praxis trifft allerdings zunächst auf sich verändernde Kräfteverhältnisse.

Zum grünen Kapitalismus

Es stimmt natürlich, dass die Transformation zu einem grünen Kapitalismus bereits geschieht, ganz egal, was Linke davon halten. Über die charakteristischen Eigenschaften und den besonderen neuen Modus dieses grünen Kapitalismus verliert Candeias relativ wenig Worte, doch genau dieser Modus weist Lücken auf, in die eine Linke eindringen kann. Die Ökonomin Daniela Gabor spricht in diesem Zusammenhang von einem »kleinen grünen Staat«, der Investitionen privater Kapitalbesitzer in Transformationstechnologien durch sogenanntes “Derisking” absichert. Der Staat, so Gabor, sei nach Jahrzehnten des Ultra-Neoliberalismus durchaus zurück, aber nur in dem Sinne, dass er die Risiken vergesellschaftet und dafür haftet, aber die Gewinne weiterhin privatisiert werden. Das war schon vorher so, doch wird es zunehmend zum selbstverständlichen Teil von Kapitalbildung durch Investitionen im großen Stil. 


Sehr deutlich konnte man diese Dynamiken kürzlich in Magdeburg erkennen, als eine von Intel geplante Chip-Fabrik erst die Zusage einer milliardenschweren Subvention des deutschen Staates erhalten musste, ehe der Bau des Werks weitergehen konnte. Der Staat ist im grünen Kapitalismus zwar sehr aktiv, aber nur im Sinne der Kapitalinteressen. In den USA kippt er mit dem Inflation Reduction Act gerade Hunderte Milliarden in die Industrie, in China führt er ein industriepolitisches Aufbauprogramm von bisher ungekannten Ausmaßen durch. Die EU hinkt diesen Entwicklungen hinterher, unter dem Hegemon Deutschland, dessen Exportmodell - worauf Candeias richtig hinweist - an sein Ende gekommen ist, Der nun aufgezwungene Sparkurs der deutschen “Fortschrittskoalition” ist ein Beispiel für eine besonders ineffektive Variante des kleinen grünen Staats. Die Regierung handelt damit zum Teil auch gegen Kapitalinteressen und wird deswegen früher oder später diesen Kurs aufgeben müssen oder daran zerschellen. Für die LINKE, die für eine umfassende Daseinsvorsorge und eine sozial-ökologische Transformation kämpft, sind diese Entwicklungen im Prinzip ein Geschenk. Sie könnte daraus einen enormen Zuwachs an Legitimität erfahren, wenn sie sich strategisch richtig dazu verhält und in ihrer politischen Kommunikation Erwartungen auf mehr weckt. Das Modell eines eingreifenden, planenden Staates hat gerade sogar weltwirtschaftlich Hochkonjunktur. Die entscheidende klassenpolitische Frage ist, in wessen Interesse dieser postneoliberale Staat agiert.


Candeias hat insofern recht, dass die hegemonialen Machtblöcke im Verhältnis zur Stärke der Linken natürlich übermächtig sind, eine Diagnose, die er auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau stellt und die daher universell gültig erscheint. Auch in Deutschland steht das im weitesten Sinne neoliberale Zentrum der Ampelregierung einem rechtskonservativen bis rechtsextremen Machtblock gegenüber. Candeias stellt diese reale politische Problemlage aber als unausweichliches Schicksal dar. Der Platz der Linken ist eigentlich klar: Sie muss einen solidarischen dritten Pol sowohl gegen das neoliberale Zentrum als auch gegen die rechte »Alternative« bilden. Die mystischen »Brüche«, von denen Candeias schreibt, müssen konkret benannt werden, damit auch aus dieser Position der Schwäche Handlungsmöglichkeiten entstehen. Begibt man sich auf mittlere Flughöhe und betrachtet die Rolle des Staates in der gegenwärtigen Konstellation und die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in ihrer Gesamtheit, ist populäre linke Politik alles andere als unmöglich. Es gibt weiterhin breite Mehrheiten für eine bessere Grundversorgung und für einen planenden und vorsorgenden Staat. Wenn die Ampelregierung aus ideologischen Gründen im inneren Streit festhängt und die konservativ-rechte Opposition sich in Kulturkämpfen verliert, ist es an der Linken, das Vakuum zu füllen und für einen eingreifenden, sozialen Staat zu kämpfen. Die postneoliberale Ära mag intellektuell vollzogen sein, politisch hängen wir jedoch noch mittendrin.

Selbstverzwergung

Durch Candeias’ Thesen zieht sich ebenso der Gedanke, dass die Abspaltung des Wagenknecht-Lagers von der LINKEN bereits vollzogen ist. Das mag für die Funktionärsebene stimmen, denn der Richtungsstreit hat in der Tat seit Jahren zu kräftezehrenden Auseinandersetzungen geführt. Aber die Abspaltung ist noch kein abgeschlossener Prozess, auch wenn ein Parteivorstandsbeschluss existiert, der Fakten schaffen soll und Wagenknecht öffentlich verkündet hat, in der LINKEN keine Zukunft zu sehen. Die Abspaltung wird sich dennoch noch Monate, wenn nicht Jahre hinziehen. Der Riss geht durch die Bundestagsfraktion, durch die Stiftung selbst, er zieht sich durch alle Kapillaren der Partei. Auch der letzte Kreisverband wird sich damit beschäftigen, genauso wie die gesellschaftliche Linke und selbst Linksradikale, die manchmal so tun, als sei das Schicksal der Partei nicht auch irgendwie ihres.


Auf die Einschätzung, man befinde sich in einer “Post-Wagenknecht”-Zeit, folgt der Gedanke der Neugründung. Dabei soll die Partei erhalten bleiben, “notfalls auch durch klare Profilbildungen, die Trennungen in Kauf nimmt”. Das schreibt sich leicht, wenn man das Abziehbild “linkskonservativ” auf die Teile bezieht, die die Partei verlassen würden und den Konflikt gesellschaftspolitisch verengt. In der parteipolitischen Wirklichkeit durchziehen die großen gesellschaftlichen Widersprüche bei den Themen Migration, Klima, Außenpolitik, und Corona-Maßnahmen jedoch alle Strömungen und Gremien, die Linien laufen teils kreuz und quer. Auch das nimmt Candeias wahr, doch die erhoffte klare Profilbildung setzt auf eine glatte Trennung, die so in der Realität nicht zu haben sein wird. Die implizite Verkürzung auf “linkskonservative” oder “sozialliberale” Milieus werden einer Linken nicht gerecht, deren Anspruch es immer war, diese Milieufragen durch Klassenpolitik zu überwinden. So nachvollziehbar der Wunsch nach klarer Profilbildung ist, nimmt sie eine Schwächung der Linken über Jahre in Kauf und beschränkt sich bewusst auf ein (eher aktivistisches) Milieu, das zwar ideologisch relativ kohärent sein mag, die Gesellschaft aber weder abbildet noch in der Lage ist, weiter in sie auszugreifen. 


Die Fokussierung aufs “progressive” Lager hängt mit der Einschätzung zusammen, dass die “tragende Mitte” der Partei zwischen Linkskonservativen und Progressiven “zerrieben” werde (These 10). Diese Beobachtung teile ich. Diese Mitte zwischen den beiden Polen muss unbedingt erhalten werden und sich womöglich klassenpolitisch auch neu aufstellen. Dies ist eine politische Entscheidung und berührt die Frage, inwieweit ein strategisches Zentrum dazu in der Lage ist, die divergierenden Strömungen zwischen Wagenknecht und Anti-Wagenknecht in dieser Frage zu einen.


Das Zentrum muss zum einen aus politischen Gründen erhalten werden, weil die Reaktion aus der möglichen Abspaltung nicht sein sollte, das Gegenteil von dem zu tun, was Sahra Wagenknecht tut. Ihre Kritik an der Bundesregierung etwa ist pointiert, wenn sie auch zu einseitig auf die Grünen abzielt. Ihre Inschutznahme Russlands ist ebenso einseitig, und trotzdem spricht sie als eine der wenigen von fehlgeleiteten Sanktionen und von Wirtschaftskrieg und organisiert eine Friedensdemonstration. Ihre Kritik an Lifestyle-Linken ist überzogen, und trotzdem trifft sie einen Punkt, wenn sie von einer akademischen Blase spricht – auch wenn klar ist, dass sie selbst keine wirkliche Klassenpolitik vertritt oder eine organische Verbindung zu Gewerkschaften hat und dass sie immer wieder gesellschaftspolitisch regressiv wird und eben keine universalen Werte vertritt.


Die nun forcierte Polarisierung stärkt jedoch eher Wagenknechts Position, weil man sich einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihren Schwächen entzieht. Das sorgt dafür, dass viele Mitglieder, die auch nur einen Teil ihrer Positionen teilen, vor eine Zerreißprobe gestellt werden und womöglich in die politische Apathie abwandern. Insbesondere strukturschwache Regionen und ganze Bundesländer im Osten scheinen für eine Wahlalternative zu gewinnen zu sein, und die LINKE droht, die Stimme des Ostens zu verlieren. Die Idee einer disruptiven Neugründung schüttet das Kind mit dem Bade aus, weil sie die Spaltung für unumgänglich erklärt und aus der akuten Schwäche der Partei die Notwendigkeit ableitet, die Dinge ganz anders zu machen. Damit stößt sie vielen, die sich unsicher sind, vor den Kopf.


Die Mitte muss zum anderen aus ganz praktischen Gründen erhalten werden. An ihr hängen vermutlich nicht nur tausende Mitglieder, die ihre politische Heimat verlieren würden. Sie aufzugeben würde auch bedeuten, sich der Wagenknecht-Abspaltung vollends auszuliefern und das Risiko einzugehen, parteipolitisch von ihr überschattet zu werden. Wie erfolgreich Wagenknechts Parteiprojekt sein wird, hängt aber von zwei entscheidenden Faktoren ab: Erstens von der Frage, ob diejenigen, die die Partei verlassen, organisatorisch überhaupt in der Lage sind, ein Gegenprojekt zu starten. Ich bezweifle es. Zweitens wird es darauf ankommen, wie sich die LINKE in diesem Moment verhält und ob es ihr gelingt, schwankende Mitglieder zu halten und Nichtwählerinnen und Nichtwähler anzusprechen. Durch eine Engführung aufs gesellschaftspolitisch progressive Lager, wie sie in Teilen der Parteiströmung der Progressiven Linken und auch in der Strömung der Bewegungslinken vorherrscht, wird das nicht gelingen. Und selbst wenn es sich bei beiden Strömungen um “Mehrheitsfraktionen” handelt, gibt es noch einen Gutteil der Partei, der diesen nicht zuzurechnen ist. Wenn die Einschätzung stimmt, dass sich die Partei in einer Post-Strömungs-Zeit befindet oder Strömungen sich entlang verschiedener Achsen gänzlich neu sortieren, wäre es ein guter Moment sich durch ein strategisches Zentrum zu einen und die lähmenden Strömungskämpfe, die in Wahrheit vor allem Machtkämpfe sind, zu überwinden..

Inseln des Überlebens vs. strategischer Parteiaufbau

Die Defensivposition, in der Candeias die Linke sieht, ergibt sich aus der eingangs erläuterten Analyse, es gäbe kaum einen offenen gesellschaftlichen Raum mehr. Die in These 11 entwickelten »Inseln des Überlebens« oder der Verweis auf das »rebellische Regieren« beziehen sich de facto auf einen Rückzug in die urbanen Zentren Berlin und Bremen. Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern werden kaum unter diese Bezeichnung fallen. Eine Regierung in Bremen oder ein selbstorganisierter, rebellischer Kiez mag in der Lage sein, Schutzräume zu schaffen, was selbstverständlich seinen Wert hat. Doch der Rückzug auf die Inseln beseelter feministischer, antirassistischer und sozialistischer Gruppen, auf Gesundheitskliniken und lokale Initiativen macht die Linke kleiner als sie derzeit ist. Sie würde zurückfallen auf eine Art außerparlamentarische Opposition mit wenigen Hochburgen. Allein deshalb sollte das nicht die alleinige Option sein, in der man sich schon jetzt gedanklich einrichtet. 


Es stimmt zwar, dass der »Druck zur Konvergenz links-sozial-ökologischer, links-gewerkschaftlicher, sozialistischer, feministischer und radikaler Kräfte« zunimmt (These 13), aber eine sozialistische Partei ist doch mehr als eine Addition verschiedener Kräfte und Bewegungen. Eine sozialistische Partei tritt für den Menschen als Menschen ein. Aus dem Marxismus kommend vertritt sie einen Universalismus. Daraus leiten sich universal geltende soziale Rechte ab. Sie hat den Anspruch, die Interessen der breiten Bevölkerung zu vertreten, ob sie die Partei dann auch wählen oder nicht. Die Aneinanderkettung verschiedener Bewegungen ist ein Zugeständnis an einen linksakademischen Diskurs der letzten Jahrzehnte, im Wesentlichen aber auch an die mit ihm verbundenen sozialen Bewegungen selbst. Mit Begriffen wie dem Horizontalismus, der Multitude oder der Intersektionalität wurden immer wieder auch soziale Bewegungen theoretisiert. Letztlich stehen diese Konzepte aber nicht für einen systematischen Machtaufbau, sondern im Gegenteil für ein relativ fluides Nebeneinander von politischen Belangen. Eine Partei aber ist das strategische Zentrum, um das sich verschiedene Bewegungen herum gruppieren, das ihnen im besten Fall auch ideologische Kohärenz abverlangt, sowie eine bestimmte Organisationsform. Sie ist kein Vehikel für die Interessen und Prioritäten einzelner Gruppen, sie handelt als Organisation selbstbestimmt. Zur Parteiform steht in den Thesen wenig, dabei ist sie es, die gerade auf dem Spiel steht.


Der systematische gesellschaftliche Machterhalt und auch -aufbau bleiben deshalb eine Leerstelle in den Thesen. Zwar wird auf den Streikfrühling verwiesen, aber die Rolle der Gewerkschaften bleibt insgesamt unterbelichtet. Dabei sind sie als Organisationen neben der Partei die Haupthebel, um die ökonomischen Interessen der Beschäftigten durchzusetzen und Selbstwirksamkeit überhaupt erst möglich zu machen. Sie als Anhängsel neben anderen Bewegungen zu subsumieren, unterläuft die strategische Bedeutung der Gewerkschaften als existenzieller Partner. Auch wenn das Bündnis mit der Klimagerechtigkeitsbewegung ein kluger Schritt nach vorn ist, wird am Ende die Organisationsmacht der Gewerkschaften über die Transformation entscheiden und nicht der bessere Diskurs oder ein wunderbares gesellschaftliches Bündnis.

Klassenpolitik in der Praxis

So richtig die von Teilen der Parteiführung und von Candeias vertretene “verbindende Klassenpolitik” als Kurs der letzten Jahre in der Theorie gewesen sein mag, in der Praxis muss sich das Konzept zumindest auf Bundesebene der Kritik stellen, dass Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellte und Gewerkschaftsmitglieder sowohl in der Mitgliederbasis als auch in der Wählerschaft weniger geworden sind. Das muss nicht bedeuten, dass die Strategie falsch war, sondern dass sie womöglich mit dem echten Leben nicht immer übereinstimmte. Denn arbeitende Menschen als solche offensiv anzusprechen, ist immer noch ein vielversprechendes politisches Projekt. Das zeigen nicht nur Studien, sondern auch praktische Erfolge wie kürzlich der Aufstieg von Andreas Babler in der österreichischen SPÖ. Sofern Menschen sich ernst genommen fühlen und ihre täglichen Probleme adressiert werden, hat auch eine linke Partei als Arbeiterpartei eine Chance. Klassenpolitik bleibt eine Phrase, wenn nicht jeder politische Vorschlag und jede Äußerung auch die Realität der arbeitenden oder armen Menschen ernst nimmt und bedingungslos für ihre Interessen eintritt. Genau dieser Impetus aber fehlt in den Thesen völlig.


Candeias verweist bei der Neugründung auf eine “LINKEplus”, was sich neben der einst von Michael Brie proklamierten PDSplus vermutlich auch auf die KPÖplus bezieht, die in Salzburg kürzlich mitreißende Erfolge feierte. Dort schloss sich die Junge Linke, die aus der grünen Partei in Österreich ausgeschlossen worden war, der kleinen lokalen KPÖ an. Was dort passierte – ich war selbst Zeugin des Prozesses – lässt sich allerdings nicht als Öffnung hin zu sozialen Bewegungen beschreiben. Im Gegenteil, die Parteijugend entschied sich bewusst für Klassenpolitik, indem sie vor allem die kommunale Verankerung der Themen des täglichen Lebens adressierte und mit einem praktischen Politikangebot verbindet, etwa Mieterhilfen. Darin liegt der Hauptunterschied zur jetzigen LINKEN, die in ihrer Öffnung zur Bewegung im Grunde vor allem die Klimabewegung meint. Die KPÖ war zwar klein, aber ideologisch relativ straff und als Kaderpartei organisiert. Das Plus kam einer Verjüngung, auch einer Änderung im Stil gleich, aber der Ansatz der kommunalen Politik und das »Helfen statt Reden« wurde aus dem Modell der steirischen KPÖ übernommen. Das ist der Rolle der Kümmererpartei der LINKEN im Osten viel näher als der Idee einer disruptiven Neugründung. Man könnte sagen, die Jungen wurden traditionalisiert und dadurch wirkmächtig.


Auch das in den Thesen genannte Beispiel Momentum aus Großbritannien ist fehlgeleitet: Es war eine kleine Gruppe aus Kadern, die Jeremy Corbyn durch einen erfolgreichen Mitgliederentscheid an die Spitze der Labour-Partei brachte. Um ihn herum formierte sich eine Kampagne und eine Öffnung für tausende junge Mitglieder. Aber auch hier ging es nicht um ein Zugeständnis an Bewegungen, sondern um eine Machtperspektive, die Corbyn mit einer glaubwürdigen Klassenpolitik verband. Empathisch, aber mit klarem marxistischem Kompass. 


Ein Beispiel europäischer Parteipolitik, das der Situation unserer jetzigen LINKEN wohl sehr nahekommt, ist die der Partei der Arbeit in Belgien. Diese stand vor zwanzig Jahren bei gerade einmal zwei bis drei Prozent und war kurz vor dem Verschwinden. Ein Parteikongress leitete die Wende ein: man bezog sich auf die Interessen der breiten Mehrheit und schloss jegliches Sektierertum aus. Mittlerweile steht die PTB bei zwanzig Prozent und hat 25.000 statt der anfangs 800 Mitglieder. In der Partei herrscht ein starker demokratischer Zentralismus, Listen und Mandate werden mit einer Arbeiterquote und die Partei in einem stetigen Prozess proletarisiert. Ein Element von PTB und KPÖ ist außerdem die Begrenzung der Mandatsgehälter, die dafür sorgt, dass Karrierismus im Namen des Sozialismus eher ausgeschlossen ist.


Die LINKE steht noch nicht bei drei Prozent (wenn sie dieser Marke auch erschreckend nah gekommen ist). Doch die Partei hat auf dem Land und im Osten noch eine Menge mehr Mitglieder zu verlieren als sie in urbanen Zentren auch mit außerordentlich guter Politik dazugewinnen könnte. Die notwendige Verjüngung und die Erneuerung muss aber nicht bedeuten, Grundauffassungen der Parteiform, der Programmatik oder der eigenen Traditionen für ein Nebeneinander von Interessen zu verwerfen. Vielmehr gilt es genau zu prüfen, welche Elemente des Parteiaufbaus von anderen europäischen Parteien übertragbar wären, welche es auszubauen gilt, und so weiter. Man müsste auch nicht so weit in die Ferne schauen, man kann sich von den eigenen gelungenen Beispielen etwas abschauen – dort wo Direktmandate, Bürgermeisterämter und Mehrheiten gewonnen werden, auch wenn das nicht immer unter dem Label der verbindenden Klassenpolitik lief, sondern schlicht als Parteiarbeit. Ein solcher Fokus auf das Gelingen und auf den Aufbau einer starken Klassenpartei wäre zentral. Das gedankliche Aufgeben eines gesellschaftlichen Machtaufbaus und eine defensive Haltung dagegen lähmen die Partei. Dann fehlt eine Perspektive auf echte politische Wirkmächtigkeit, auf eine lebendige Klassenpolitik und das Selbstbewusstsein einer Partei, die die Interessen der Mehrheit vertritt.