Die Bus Riders Union (BRU) mobilisiert und organisiert Menschen, die auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, um für die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrssystems und des eigenen Lebens zu kämpfen. Sie richtet sich an die 400 000 Buspendler aus der Arbeiterklasse von Los Angeles, die größtenteils ethnischen Minderheiten angehören und wenig verdienen, viele von ihnen Frauen. Auf Plakaten, Flugblättern und T-Shirts stehen Slogans wie »Kampf dem Nahverkehrs-Rassismus«, »Regierungen dürfen sich nicht wie Konzernmanager verhalten« und »Öffentlicher Nahverkehr ist ein Menschenrecht«. Das wendet sich auch gegen jene Linken, die ihren Frieden mit der neoliberalen Globalisierung gemacht haben und mittlerweile konzernfreundliche Gewerkschaftsfunktionäre, community-organizer (1) oder einflussreiche Vertreter der Demokratischen Partei geworden sind.

 

Das Organizing von Bus-Fahrgästen basiert auf der Einsicht, dass öffentliche Versorgungseinrichtungen für die städtische Arbeiterklasse von strategischer Bedeutung sind. Die Arbeiter sind im Kapitalismus neben dem Arbeitslohn auf einen »sozialen Lohn« vom Staat angewiesen: in Form öffentlicher Finanzierung von medizinischer Versorgung, Verkehrswesen, Wohnungsbau, Bildung, Kultur und Freizeitangeboten. Privatisierung können sich nur die Reichen »leisten«, die Ärmeren sind u.a. auf öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Der Arbeitsweg in öffentlichen Verkehrsmitteln in zersiedelten Ballungsräumen wie Los Angeles, Atlanta oder Chicago raubt den Pendlern einen großen Teil ihrer Freizeit. Wenn Autopendler fluchend im Stau stehen, schalten sie Klimaanlage und CDSpieler ein und führen Geschäftsgespräche übers Mobiltelefon – sie leiden auf hohem Niveau. Die Wut der Buspendler hingegen, die oft mehrere Stunden täglich in schmutzigen und überfüllten Bussen sitzen, um ihre zunehmend weit entfernten Arbeitsplätze zu erreichen, und ständig Angst haben, wegen Verspätungen, verpassten Anschlüssen und nicht anhaltenden überfüllten Bussen zu spät zur Arbeit zu kommen und entlassen zu werden, richtet sich gegen ein klares Feindbild: die Metropolitan Transportation Authority (MTA) mit einem Jahresbudget von drei Milliarden Dollar. Würde dieses Geld für ein gutes Bussystem verwendet, könnte die Lebensqualität vieler Pendler erheblich gesteigert werden.

Ursprünge: Die Van Nuys Labor/ Community Coalition

Den Boden für die Gründung des Labor/ Community Strategy Center im Jahr 1989, aus dem heraus drei Jahre später die BRU gegründet wurde, bereitete die 1982 begonnene Kampagne der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) gegen die Schließung des General-Motors-Werks in Van Nuys, der letzten verbliebenen Schwerindustrie-Fabrik in Los Angeles mit mehr als 5 000 Beschäftigten. Diese Kampagne öffnete neue Wege für linke Politik. Sie verteidigte das Recht der Arbeiter und ihrer Gemeinden, v.a. Schwarzer und Latinos, sich der Kapitalflucht entgegenzustellen. Sie überwand »farbenblinde« Ansätze zur Einheit der Arbeiterklasse, indem sie – vor dem historischen Hintergrund von Sklaverei und Segregation – das besondere Recht von Schwarzen und Latinos auf Arbeitsplätze hervorhob. Sie betonte auch das besondere Recht von Arbeiterinnen, die sich nach Jahrzehnten des Ausschlusses ihren Platz in der Schwerindustrie erkämpft haben.

Da unser Gewerkschafts-Ortsverband sich weigerte, das Recht des Konzernmanagements auf freie Entscheidung über die Zukunft der Produktionsstätten anzuerkennen und Autos aus dem eigenen Konzern boykottierte, gerieten wir auf Kollisionskurs mit der internationalen Leitung der UAW. Sie verurteilte unsere »selbstzerstörerische Radikalität«: die Pflicht der Arbeiter(vertretungen) sei es, den Konzern international wettbewerbsfähiger zu machen. Unsere Kampagne führte zu einer neuen Form der Organisierung, der Van Nuys Labor/Community Coalition, einem unabhängigen Forum, um unseren Ortsverband mit den starken Gemeindekräften zusammenzubringen. Die strategische Bedeutung der Kampagne lag in der Art und Weise, wie sie das komplexe Gefüge von ethnischen, Klassenund Geschlechterverhältnissen angegangen ist. Differenzen und Widersprüchen wurden explizit angesprochen und das war entscheidend für unsere gemeinsame Handlungsfä- higkeit. In der Labor/Community Coalition waren ethnisch unterdrückte Arbeiter, v.a. Latinos und Schwarze, die stärkste Kraft – sowohl innerhalb der Arbeiterschaft als auch innerhalb der Gemeinden. Diese Konstellation prägt auch die Aktivitäten der BRU.

Der öffentliche Nahverkehr in Los Angeles und die Strategie der BRU

1980 und 1984 stimmten die Wähler in Los Angeles zwei Erhöhungen der Umsatzsteuer um jeweils einen halben Cent zu – im Gegenzug sollten reduzierte 50-Cent-Busfahrscheine eingeführt und schnelle, saubere Busse angeschafft werden. Einem Plan der MTA zufolge sollten allerdings gleichzeitig zahlreiche neue U-Bahn- und Stadtbahnlinien gebaut werden, an denen auch die Industrie großes Interesse hatte. Im Großraum Los Angeles kann jedoch kein brauchbares Nahverkehrssystem entstehen, wenn Bahnen Vorrang vor Bussen bekommen: Mit seinen über 10 000 Quadratkilometern ist er nicht dicht genug für den Schienenverkehr; nur Busse können mit dem Auto konkurrieren. Zudem sind neue Bahnlinien mit 220 Millionen Dollar pro U-Bahn-Kilometer und 90 Millionen Dollar pro Stadtbahn-Kilometer zu teuer. Ein gutes Bussystem hingegen, das täglich 500 000 Menschen befördern könnte, würde weniger als fünf neue U-Bahn-Kilometer kosten. Dennoch wurden die Bahnlinien gebaut und letztlich waren sie teurer und weniger ausgelastet als geplant, so dass unterm Strich jede Fahrt mit 5-10 Dollar öffentlich bezuschusst wurde – wobei die Bahnfahrer nur sechs Prozent der ÖPNV-Benutzer ausmachten und vorwiegend weiß waren. Die damals 500 000 Busfahrgäste, vorwiegend Schwarze und Latinos, machten die übrigen 94 Prozent der ÖPNV-Benutzer aus und mussten die Sache ausbaden: Anfang der 1990er Jahre waren von den ursprünglich 3 000 neuen Bussen nur noch 2 000 marode übrig und die Anzahl der Fahrgäste um 20 Prozent gesunken.

Die BRU nennt das »Nahverkehrs-Rassismus« und stellte hinsichtlich der fiskalischen Prioritäten die zentrale politische Frage: Welche Klasse soll von der Regierung bezuschusst werden? Die BRU forderte 1992 in der Kampagne »Milliarden für Busse«, die maroden Diesel-Busse durch emissionsarme Busse mit Erdgasantrieb zu ersetzen, zusätzliche Busse einzusetzen und neue Buslinien einzurichten. Durch das dafür nötige Personal würden neue Arbeitsplätze geschaffen und zudem würden durch ein attraktiveres Bussystem Autofahrer auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen.

Die Kampagne »Wir sind keine Sardinen« von 1997 schlug in diese Kerbe des »klassenbasierten Rassismus« und »ethnisch-basierter Armut«. Norma Henry von der BRU wandte sich damals an die MTA-Leitung: »Wenn das Bussystem 400 000 weiße Männer, egal ob reich oder arm, befördern müsste, würden Sie die unerträglichen Bedingungen unter keinen Umständen dulden.« Für die nicht-weiße Arbeiterklasse ist dies ein dreifacher Kampf gegen Rassismus, gegen Klassenherrschaft und für Geschlechtergerechtigkeit, aber Rassismus bleibt für die Schwarzen und Latinos der »Hauptwiderspruch«: Ihn zu bekämpfen bildet das Herzstück der BRU-Strategie und kann alle anderen Kämpfe entfesseln.

In Bussen kommen – wie in der Fabrik – Arbeitende verschiedener Nationalitäten, Ethnien, Geschlechter und Schichten zusammen. Sie verbindet, dass sie – unterschiedlich – unterdrückt und ausgebeutet werden. Busse sind daher gut geeignet, um das städtische Proletariat zu organisieren. Wer als Chicano (mexikanischer Amerikaner) im Osten von Los Angeles wohnt und im Westen arbeitet, fährt mit dem Bus nacheinander durch Pico Union (Mittelamerikaner), Koreatown, Crenshaw (Schwarze) und Fairfax (Weiße, Juden, Alte). Im Bus steht der koreanische Kellner neben der thailändischen Näherin, der Latino-Hotelarbeiter neben der schwarzen Kassiererin und die Hausangestellte neben Schulkindern und Arbeitslosen. Geteilte Schicksale und gemeinsame Feindbilder sind die Bedingungen, an denen die Organizer – ihre Strategie, Taktik, Agitation und Propaganda – ansetzen können.

In Los Angeles gibt es 400 000 Busbenutzer, die 1,3 Millionen Fahrten pro Tag machen. Auf den Hauptbuslinien fahren täglich über 20 000 Menschen, mehr als auf jeder Fernoder Stadtbahnlinie. Könnten sie alle organisiert werden, wären sie ein gewichtiger Machtblock in der Stadtpolitik. Momentan erreicht die BRU mehr als 500 00 Busbenutzer im Monat – durch Flugblätter, Ansprechen und Diskussionen im Bus, Theateraufführungen, Medienkampagnen, Fernsehshows und Filme. Die BRU hat 3 000 Beitrag zahlende Mitglieder und schätzungsweise 30 000 Unterstützer. Wenn wir in einen Bus steigen, gibt es meist mindestens ein bis zwei der 60–80 Fahrgäste, die uns kennen und hinter uns stehen.

Bei der Mitgliederwerbung in den Bussen merkte die BRU schnell, dass viele Buspendler bereits organisiert waren, z.B. in der Gewerkschaft für Hotel- und Restaurantangestellte, in der Textilarbeiter-Gewerkschaft UNITE, bei Justice for Janitors, im Los Angeles City College, bei der National Association for the Advancement of Colored People, in Kirchen oder in Gruppen für Behindertenrechte. Selbst Gewerkschaften, die unsere Politik ablehnen, gehen vorsichtig mit uns um, da viele ihrer Mitglieder gleichzeitig bei der BRU sind. Ricardo Zelada, Einwanderer aus El Salvador und langjähriger linker Aktivist, formuliert es so: »Ich trage zwei Hüte von zwei Gewerkschaften – den von UNITE für meinen Arbeitsplatz und den von der BRU für meine Bürgerrechte und meinen Transport.« Die BRU gliedert sich – indem sie die Arbeiterklasse in einem Kampf um eine öffentliche Versorgungseinrichtung organisiert – als neuartige Form von Arbeiter-Gewerkschaft quer zu den Branchen-Gewerkschaften in die Gewerkschaftsbewegung ein.

Als die BRU 1992 ihre Arbeit aufnahm, hatten die Fahrgäste und Busfahrer vor allem eines gemeinsam: Sie feindeten sich gegenseitig an. Sie waren mit ihren Erfahrungen vereinzelt, dachten und sprachen in verschiedenen Sprachen. Unsere Flugblätter verfassten wir von Anfang an auf Spanisch und Englisch, die meisten unserer Organizer sprachen beide Sprachen; auch eine Koreanerin gehörte dazu, wenn sie mit im Bus war, konnten wir erheblich mehr Menschen aus Korea erreichen. Unsere vielen schwarzen Organizer, die fließend Spanisch sprechen, beeindruckten v.a. Schwarze und Latinos und wirkten der verbreiteten reaktionären Anti-Latino-Stimmung unter Schwarzen entgegen.

Erfolge und Dilemmata

Das Labor/Community Strategy Center führte mit der BRU 1994 einen Prozess gegen die MTA: Das rassendiskriminierende Nahverkehrssystem verletzte u.E. das Bürgerrechtsgesetz von 1964 und den 14. Zusatzartikel zur US-Verfassung. Die Klage schuf einen Präzedenzfall und bewog die MTA zu einer freiwilligen Verpflichtung, die u.a. folgendes umfasste: einen preiswerten Buspass für 42 Dollar im Monat; die erste einklagbare Fahrgast-Obergrenze (in Bussen mit 43 Sitzen höchstens acht stehende Fahrgäste bis 2002); die Schaffung neuer Buslinien in Zusammenarbeit mit der BRU; die Anerkennung der BRU als offizielle »Klassenrepräsentantin« der 400 000 Busbenutzer. Drei Jahre nach diesem Sieg investierte die MTA auf Druck der BRU über 400 Millionen Dollar, um 1200 alte Dieselbusse gegen neue erdgasbetriebene auszutauschen. Sie stellte über 1000 Busfahrer und 500 Wartungskräfte ein.

1997 führte die BRU die Kampagne »Kein Sitzplatz – kein Fahrgeld« durch, um gegen die Weigerung der MTA zu protestieren, die Überfüllung der Busse auf das vereinbarte Maß zu reduzieren, und den Einsatz von 500 zusätzlichen Bussen zu erstreiten. Nach dieser Kampagne initiierten wir einen donnerstäglichen Fahrgeldstreik, um konstanten Druck auf die MTA auszuüben. Die BRU schickte Graswurzel-Lobbyisten nach Sacramento/CA und Washington/DC, um die Mittelverteilung der MTA zu beeinflussen. Eine weitere BRUKampagne wandte sich gegen den Versuch der Latino-Elite, eine neue milliardenschwere Bahnlinie durchzusetzen, die mit der freiwilligen Verpflichtung der MTA unvereinbar wäre. Die BRU trug die Kampagne weit in die armen Gemeinden hinein, die vom fehlenden Geld fürs Bussystem am meisten betroffen wären. Von den Forderungen der Arbeiter von General Motors über die ökologischen Forderungen ärmerer Anwohner im Watchdog-Projekt des Strategy Center zur heutigen Arbeit der BRU – die breite Verankerung eines anti-kapitalistischen und anti-imperialistischen Bewusstseins in der Arbeiterklasse war stets die zentrale Herausforderung unseres sozialistischen Projekts. Die BRU erwies sich – trotz vieler Unzulänglichkeiten und Dilemmata beim Versuch der Überwindung des »Bus-Bewusstseins« – einer Analogie zum Gewerkschafts-Bewusstsein, das meint, dass die Interessen nicht über die unmittelbar verkehrspolitischen hinaus formuliert werden – als erstaunlich überlebens- und anpassungsfähig. Ihr Herangehen trägt den Kampf gegen Rassismus und neoliberale Politik in Los Angeles in die nationale und internationale Arena hinein – in die Democratic National Convention und die militanten Proteste gegen WTO, Weltbank und IWF. Der mühsame Versuch der Buspendler von Los Angeles, ans Steuer ihrer eigenen Geschichte zu kommen, ist noch nicht zu Ende.

Aus dem Englischen von Oliver Walkenhorst. Gekürzte Übersetzung von »A race struggle, a class struggle, a women’s struggle all at once: Organizing on the Buses of L.A.«, in: Working Classes: Global Realities, Socialist Register Vol. 37, hg. von Leo Panitch u.a., New York 2001

1 Der deutsche Begriff der »Gemeinde« bezeichnet nicht in gleicher Weise auch kulturelle, soziale und klassenspezifi- sche »Gemeinden«, Red.

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