Doch selbst wenn die Hausarbeitskräfte im Arbeitsrecht berücksichtigt würden, wäre es angesichts ihrer besonderen Arbeitsverhältnisse schwer, sie zu organisieren oder grundlegende arbeitsrechtliche Bestimmungen durchzusetzen. Ihre Arbeitsplätze sind Privatwohnungen. Ihre Beschäftigungsund Arbeitsbedingungen werden von Haushalt zu Haushalt unterschiedlich verhandelt. Ohne klare Standards oder Gesetze zur Sicherung elementarer Rechte müssen diese jeweils individuell ausgehandelt werden, Tag für Tag und ohne reale Verhandlungsmacht. Nicht selten riskieren sie ihren Job, wenn sie grundlegende Rechte oder Bedürfnisse artikulieren, zum Beispiel einen freien Nachmittag für einen Arztbesuch oder für eine Mammographie. Auch für die wenigen Arbeitgeber, die adäquate Löhne und Bedingungen bieten wollen, gibt es kaum verfügbare Kriterien.
All diese Faktoren – rassistische Ausschließung aus dem Arbeitsrecht, sexistische Abwertung häuslicher Frauenarbeit, dezentralisierte Beschäftigungsverhältnisse und wirtschaftliche Zwänge, denen Arbeitsmigrantinnen aus dem Süden ausgesetzt sind – machen Haushaltsarbeiterinnen äußerst anfällig für Ausbeutung und Missbrauch. »Maria« ist Mitte sechzig und kommt aus Mittelamerika. Ihre Geschichte spricht Bände über die Erfahrungen vieler Haushaltsarbeiterinnen. Sie kam in die Vereinigten Staaten, um ihre Familie zu unterstützen. Ihr Sohn hatte Diabetes, und in ihrem Heimatland konnte sie nicht genug verdienen, um das teure Insulin zu finanzieren. In New York fand sie eine Stellung als Betreuerin eines behinderten Jungen. Neben dem »Vollzeitjob«, den es bedeutete, sich um den Jungen zu kümmern, musste sie außerdem noch kochen, putzen, bügeln und die gesamte Hausarbeit erledigen. Maria hatte einen 18-Stunden-Tag, eine 6-Tage-Woche und einen Stundenlohn von weniger als drei Dollar. Sie wohnte im Keller ihrer Arbeitgeber, wo undichte Abwasserrohre eine Überschwemmung verursacht hatten. Auf der Straße musste sie Pappkisten und Holzstücke suchen, über die sie nachts ins Bett stieg. Nach drei Jahren Arbeit unter diesen Bedingungen wurde ihr fristlos und ohne Abfindung gekündigt. Ihre Arbeitgeberin nannte nicht mal eine Begründung. »Ich bat sie, die Nacht im Haus bleiben zu dürfen, um mir am nächsten Tag eine andere Bleibe zu suchen. Ich konnte nicht schlafen, weil ich nicht wusste, wo ich hin sollte. Keiner kann sich vorstellen, was ich in dieser Nacht durchgemacht habe.«
Unter diesen Umständen ist es zwar schwer, sich zu organisieren, aber umso notwendiger. In den letzten zehn Jahren haben New Yorker Hausarbeiterinnen ein neuartiges Organizing-Modell entwickelt, um sich den Herausforderungen in ihrem Gewerbe zu stellen und von unten die Macht der Arbeiterinnen systematisch aufzubauen.
Domestic Workers United
Domestic Workers United (dwu), die Gewerkschaft der Vereinigten Haushaltsarbeiterinnen, entstand 1999 aus den gemeinsamen Bemühungen zweier Community-basierten Organisationen, caaav und Andolan. Beide waren jahrelang in verschiedenen asiatischen Communities aktiv und haben sich gegen Diskriminierungen von ArbeiterInnen engagiert.
Die DWU organisierte anfangs individuelle Unterstützungsaktionen für Kolleginnen, die von ihren Arbeitgebern missbraucht wurden, ihre Löhne nicht erhielten oder Frauenhandel überlebt hatten. Sie veranstalteten Demonstrationen vor den Betrieben der Arbeitgeber und kooperierten mit Anwälten zur Einleitung von Strafverfahren.
Mit zunehmenden Aktivitäten wurde klar, dass die Kombination aus Aufklärung und vereinzelten Kämpfen nicht ausreichte, um den nötigen Schutz zu bieten. Wir mussten Wege zur Veränderung des Arbeitsrechts finden. Im Jahre 2002 setzten sich die dwu in New York erfolgreich für eine städtische Verordnung ein, nach der die Arbeitsvermittlungs-Agenturen verpflichtet wurden, Hausarbeitskräfte und deren ArbeitgeberInnen über die Grundsätze des Arbeitsrechts aufzuklären. Bei der Verabschiedung im Jahr darauf drängten sich Haushaltsarbeiterinnen auf der Empore des New Yorker Stadtparlaments und zeigten ein Transparent: »Der erste Schritt zum Sieg – Der Kampf geht weiter.«
Nach diesem Anfangserfolg wollten wir dafür sorgen, dass die Belange der Haushaltsarbeiterinnen im Licht der Öffentlichkeit blieben und so den Prozess der kontinuierlichen Machtentwicklung in Gang halten. Wir veranstalteten einen Kongress. Die Having Your Say Convention (»Mach-den-Mund-aufKonferenz«) brachte Hunderte von Hausarbeiterinnen zusammen mit dem Ziel, eine noch weiter ausgreifende, landesweite Kampagne für eine neue Arbeitsgesetzgebung zu starten. Obwohl die Teilnehmerinnen aus mehr als einem Dutzend Ländern stammten und sechs verschiedene Sprachen sprachen, fanden sie durch die geteilte Erfahrung einer Arbeit ohne arbeitsrechtliche Grundlagen eine gemeinsame Sprache. Die Vorsitzende, Marlene Champion, eine Altenbetreuerin aus der Karibik, eröffnete die Konferenz mit den Worten: »Wir machen heute Geschichte. Ihr habt eine Stimme, und zusammen können wir viel erreichen.«
Im Anschluss an diese Konferenz entwickelten wir eine Liste vorrangiger Ziele, aus denen die spätere Bill of Rights hervorging. Dazu gehörte die Bezahlung von Überstunden, mindestens ein freier Tag pro Woche, Gesundheitsversorgung, ein Mindeststundenlohn von 14 Dollar, eine Kündigungsfrist mit Abfindung, bezahlte Feiertage, bezahlter Urlaub und Schutz vor Diskriminierung. Die dwu setzten sich mit den anderen New Yorker Organisationen für Hausarbeitskräfte zusammen, um die nächste Etappe des Kampfes einzuleiten. Zusammen formierten wir die New York Domestic Worker Justice Coalition. Die Bill-of-Rights-Kampagne wurde zu einem Aktionsfeld, in dem Haushaltsarbeiterinnen aller ethnischen Gruppen zusammenkamen, um ihre Macht als Arbeiterinnen zu stärken.
Unsere erste Reise nach Albany, dem Regierungssitz des Bundesstaates New York, unternahmen wir im Januar 2004 in einem vollbesetzten Kleinbus mit 15 Hausarbeiterinnen. Als wir an diesem kalten Wintermorgen durch die engen Straßen kurvten, hatten wir keine Ahnung, worauf wir uns einließen und was es bedeuten würde, Grundrechte für Haushaltsarbeiterinnen einzuklagen. Ein Gespräch nach dem anderen mit Abgeordneten und ihren Assistenten war von Fragen dominiert wie: »Wovon sprechen Sie? Geht es um häusliche Gewalt?« oder: »Was ist, wenn ich es mir nicht leisten kann, 14 Dollar pro Stunde zu zahlen?« Wir bekamen sogar zu hören: »Pass auf, Schätzchen, der Mann, der dein Auto auftankt, hat auf solche Privilegien auch keinen gesetzlichen Anspruch. Warum sollte die Babysitterin einen haben?« Die nächsten fünf Jahre mussten wir lernen, wie man die nötige Macht entfaltet, um in Albany einen Sieg zu erringen.
Macht aufbauen, um zu gewinnen
Moralische Argumente reichten nicht aus. Wenn wir Erfolg haben wollten, mussten wir systematisch unseren Einfluss ausbauen. Es kostete uns einige Legislaturperioden, um die Spielregeln zu erlernen, nach denen in Albany Politik gemacht wird. Wir mussten begreifen, wie es in dieser Welt der politischen Machtspielchen zugeht. Was für einen Einfluss haben wir? Was brauchen wir, um zu gewinnen? Wer hatte einen solchen Einfluss? Welchen Platz nahm die Gesetzgebung auf unserer Agenda ein? Uns wurde klar, dass wir nicht nur unsere eigene Basis von Haushaltsarbeiterinnen ausbauen mussten. Wir mussten auch unsere Unterstützerbasis in anderen gesellschaftlichen Bereichen erheblich verbreitern.
Wir bauten einen Unterstützerkreis unter unseren damaligen Verbündeten auf, indem wir konkret Leute in unsere Arbeit mit einbezogen, zum Beispiel durch das Sammeln von Postkartenunterschriften oder durch die Teilnahme an unseren Fahrten nach Albany. Wir erweiterten unseren Radius, sprachen auf Versammlungen anderer Organisationen, in Schulen und Kirchen. Durch die wachsende Unterstützung konnten wir immer mehr Abgeordnete davon überzeugen, unseren Gesetzesvorschlag mit zu unterschreiben.
Im dritten Jahr stärkten wir unsere Basis durch die Gründung eines KampagnenOrganisationskomitees, dem sich unsere Bündnispartner und Unterstützer anschließen konnten, um an der Planung der Kampagne direkt mitzuwirken. Wir forderten alle, die Lust und Energie hatten, zum Mitmachen auf – Studierende, Gewerkschafter, Anwälte, politisch Aktive. Indem wir einen solchen Raum für alle eröffneten, die sich für unseren Kampf interessierten, schufen wir einen Kern von Unterstützern, die selbständiges Organizing in ihren eigenen Zusammenhängen betreiben konnten.
Besonders wichtig war der Aufbau von Solidarität mit anderen Beschäftigten (workers’ solidarity). Der seiu-Ortsverband 32bj beispielsweise ist eine Gewerkschaftssektion, die Tausende von Pförtnern der New Yorker Luxusappartementhäuser vertritt. Zwischen ihnen und den dwu-Frauen gibt es eine natürliche Verbindung, weil sie oft Freunde, Vertraute oder sogar Ehegatten der in den Appartements der Reichen beschäftigten Dienstmädchen sind. Sie hören sich ihre Missbrauchserfahrungen an, helfen ihnen nach langen Babysitting-Nächten ins Taxi; an ihrer Schulter können die Frauen sich ausweinen, wenn sie fristlos oder ohne Abfindung gefeuert wurden. Die 32bj-Leute waren wichtige Verbündete in unserem Kampf. ArbeiterInnen-Solidarität bedeutete auch den Aufbau von Solidarität zwischen unterschiedlichen Gruppen von ausgeschlossenen Beschäftigten. Ein eindrucksvolles Beispiel war, als die Labor Religion Coalition des Staates New York und die örtliche Jobs-with-JusticeSektion bei ihrer jährlichen Fastenaktion unter dem Motto »Welcoming the Stranger: Prophetic Voices for Immigrant Rights« auf die Rechte von Haushaltsarbeiterinnen und Landarbeitern aufmerksam machen wollte. Die New Yorker Kampagne für die Rechte der Farmarbeiter und die Bill-of-Rights-Kampagne der Hausarbeitskräfte trommelten ihre Basis zur Teilnahme an den 40-stündigen Fastenaktivitäten zusammen, zu denen Parlamentsbesuche, ein ökumenischer Gottesdienst, eine Pressekonferenz und ein Protestmarsch gehörten. Im Laufe des Tages bildeten sich gemischte Arbeitsgruppen von LandarbeiterInnen und Hausarbeiterinnen. Sie lernten voneinander aus ihren Erzählungen, verbündeten sich und lachten. Am Abend sagte Lois Newland, eine DWU-Nanny: »Wir haben uns beim Thanksgiving-Dinner nie gefragt, wer sich dafür geschunden hat, damit das ganze Essen auf dem Tisch steht. Jetzt weiß ich es.« Die Farmarbeiter wiederum lobten den Mut und die Klarheit, mit der die Haushaltsarbeiterinnen Parlamentsabgeordnete einspannten. »Wir haben viel von euch gelernt«, sagte einer von ihnen. »Ihr habt uns mehr Kraft zum Kämpfen gegeben.«
Nach diesem Austausch gingen Hausarbeiterinnen kaum noch zu einer Veranstaltung, ohne auch die Anliegen der LandarbeiterInnen zur Sprache zu bringen. Wir haben in den folgenden Jahren bei allen unseren Aktionen die Farmarbeiter-Funktionäre immer mit eingeladen. Nach drei Jahren hatten wir schließlich eine so starke Unterstützerbasis, dass wir eine beeindruckende Mobilisierung für die Fahrten nach Albany zustande bekamen. Wir stiegen vom Kleintransporter auf Busse um und fingen an, Hunderte von Unterstützern in die Hauptstadt zu fahren. In den sechs Jahren der Bill-of-Rights-Kampagne fuhren dwu-Mitglieder und Sympathisanten mehr als 40 Mal nach Albany. Wir konnten mehr als tausend Leute für solche Ausflüge gewinnen, um dort mit Abgeordneten zu sprechen. Im fünften Jahr der Kampagne hatten wir endlich den nötigen Einfluss, um direkt mit dem Präsidenten der Abgeordnetenversammlung zu sprechen. Dieses Gespräch führte schließlich zur Verabschiedung eines Gesetzes, das den Ausschluss von Haushaltsarbeiterinnen aus dem Arbeitsrecht endgültig aufhob. Das verabschiedete Gesetz war noch nicht die vollständige Bill of Rights, aber es war ein Riesenschritt. Die Bill of Rights wurde dann in der folgenden Legislaturperiode vom Senat verabschiedet. Die Kraft solcher regionaler Initiativen könnte auch den Weg für eine Gesetzgebung auf Bundesebene schaffen, die in den Vereinigten Staaten insgesamt arbeitsrechtliche Standards einführen könnte. Damit würden die Ausschließung und Diskriminierung beseitigt, die das Leben ganzer Generationen von Hausarbeitskräften bestimmt hatten.
Auf der Verbindung zu den Menschen aufbauen
Die Arbeit der dwu geht davon aus, dass unsere Stärke sich aus unseren Mitgliedern schöpft, insbesondere aus ihrer Fähigkeit, unsere Organisation mit Leben zu füllen und die Richtung für eine breite Mobilisierung vorzugeben, die weit über die Anliegen der Hausarbeiterinnen hinausgeht. Die Bill-of-Rights-Kampagne hat diese Entschlossenheit gezeigt. Wir wussten, dass die Geschichten und die Zielstrebigkeit der Hausarbeiterinnen eine treibende Kraft der Kampagne sein würden. Was wir nicht erwartet hatten, war, wie viele Menschen das Gefühl hatten, dass ihre eigene Lebensgeschichte eng mit der von Haushaltsarbeiterinnen verbunden ist. Aus dieser Verbindung zog die Kampagne von Anfang bis Ende ihre Energie. Statt unsere Arbeit als eine Kampagne für Arbeitsrechte zu verstehen, die sich strikt auf Probleme der Haushaltsarbeiterinnen konzentriert, richteten wir den Schwerpunkt bewusst auf eine breite Thematisierung struktureller Ungleichheit. Wir gingen von unserer Analyse der Probleme aus, mit denen Hausarbeitskräfte konfrontiert sind. Dazu gehört die Abwertung häuslicher »Frauenarbeit«, das Erbe der Sklaverei in den Vereinigten Staaten und das nicht nur in den usa fehlende soziale Netz.
Durch den breiteren Rahmen konnten wir für die Bill-of-Rights-Kampagne Forderungen entwickeln, die uns halfen, wichtige Bündnisse zu schmieden. Durch die Forderung nach »Respekt für die Arbeit, die jede andere Arbeit erst ermöglicht«, konnten wir Beziehungen zu Frauenorganisationen, Müttern und langjährigen Kämpferinnen für Geschlechtergerechtigkeit und Frauengleichstellung zu entwickeln. »Beendet eine lange Geschichte von Diskriminierung und Ausschluss« brachte uns mit Landarbeitern, Obdachlosen, Gastarbeitern und all den Millionen zusammen, die im bestehenden Rechtssystem ausgegrenzt sind. Die These »Rechte nützen allen« betonte die wechselseitige Verbundenheit. Wir konnten dadurch Beziehungen zu GewerkschafterInnen, ArbeitgeberInnen, leaders in den religiösen Gemeinden und zu anderen aufbauen, die an den moralischen Imperativ von Menschenrechten glauben.
Wir lernten, dass sich jede Kampagne so breit anlegen lässt, dass man unerwartete Bündnispartner hineinziehen und dadurch mehr Kraft mobilisieren kann. Die Überzeugungskraft der Lebensgeschichten der Haushaltsarbeiterinnen sowie die Stärke unserer breit angelegten Konzeption haben die unterschiedlichen Bündnisse dieser Kampagne möglich gemacht. So konnten wir nicht nur die nötige taktische Macht entfalten, um unseren Kampf zu gewinnen, wir haben darüber hinaus in diesem Prozess das Verhältnis zwischen den Hausarbeitskräften, den von ihnen betreuten Kindern und ihren ArbeitgeberInnen nachhaltig verändert.
Die Macht der Kinder
An einem heißen Sonntagmorgen im Sommer 2009 bemalten Kinder jeder Altersgruppe und Herkunft die Bürgersteige vor dem New Yorker Rathaus. Sie schrieben mit bunter Kreide »Respect My Mom« oder »I love my Nanny«. Dann gingen sie los mit roten Luftballons am Handgelenk mit der Aufschrift »dwu« – Kinder von Hausarbeiterinnen zusammen mit Kindern, die von Hausarbeiterinnen betreut werden. Sie marschierten den Broadway hinunter und forderten die Verabschiedung der Bill of Rights für Haushaltsarbeiterinnen. Kinder sprachen darüber, wie sehr sie an ihren Betreuerinnen hingen, und Erwachsene, die von Hausangestellten aufgezogen worden waren, sprachen über die Rolle, die diese in ihrem Leben gespielt hatten.
Bei anderer Gelegenheit veranstalteten wir eine Versammlung für die Bill of Rights, und einige Verbündete aus der Arbeiterbewegung konnten den afl-cio-Vorsitzenden John Sweeney als Redner gewinnen. Er stand neben Barbara Young, einer Nanny und früheren Gewerkschaftsführerin in ihrem Heimatland Barbados, und sprach zu einem vollen Saal von mehr als dreihundert Hausarbeitskräften und Unterstützerinnen. Als Sohn einer Arbeitsmigrantin, die vierzig Jahre lang ohne soziale Sicherung als Hausangestellte gearbeitet hatte, berichtete er von seinen Erinnerungen an ihre Mühsal und von ihrer Enttäuschung über die Ausschließung der Hausangestellten, als 1935 der National Labor Relations Act verabschiedet wurde. »Die zehn Millionen Arbeiter der afl-cio unterstützen die Bill of Rights für Hausarbeitskräfte« – mit dieser Erklärung erweiterte der Vorsitzende des amerikanischen Gewerkschaftsdachverbands die Reihen der Beschäftigten, die sich endlich der Arbeiterbewegung zugehörig fühlen konnten.
Für den Vorsitzenden einer Gewerkschaftsorganisation, die sich in den veränderten ökonomischen Verhältnissen neu zu formieren sucht, war es ein wichtiger Entschluss, die Arbeiterinnen in diesem von der afl-cio bislang nicht organisierten Schlüsselsektor zu unterstützen. Die afl-cio konnte sich mit der dwu-Kampagne als Arbeiterbewegung für das 21. Jahrhundert neu positionieren, und sie eröffnete den Hausarbeitskräften einen Raum, in dem sie sich als Teil einer umfassenderen Bewegung begreifen konnten. Im Laufe der Kampagne fanden wir heraus, dass die Mütter vieler Arbeiterführer Hausangestellte gewesen waren. Diese Verbindung lieferte ein Fundament, auf das sich eine tiefgreifende Solidarität zwischen Arbeitern gründen ließ.
Die Arbeitgeber
Angesichts der starken ethnischen und Klassenunterschiede, die zwischen Hausarbeiterinnen und ihren Arbeitgebern bestehen, hätte sich ein Organisationsmodell angeboten, das den Gegensatz und das Ressentiment zwischen beiden Gruppen betont. Die dwu wollten aber einen Raum für die Entwicklung von Bündnissen mit den ArbeitgeberInnen öffnen, die nach einer Möglichkeit suchten, faire Arbeitgeber zu sein. Die Bündnisse erwiesen sich als bedeutend, sowohl um den für die Verabschiedung der Bill of Rights nötigen Einfluss zu mobilisieren, als auch für die Veränderung der Verhältnisse innerhalb des Gewerbes. Auch das Verhältnis zu den einzelnen ArbeitgeberInnen musste verändert werden.
Da die Beschäftigten ihre Verträge individuell aushandeln müssen, sieht dieses Verhältnis jedes mal anders aus. Manche Arbeitgeber zwingen sie, möglichst lange für möglichst wenig Geld zu arbeiten, andere zahlen einen existenzsichernden Lohn und bemühen sich, täglich pünktlich zu Hause zu sein. Während manche Beschäftigte Angst haben, zu verhandeln oder ihre Rechte geltend zu machen, nehmen andere kein Blatt vor den Mund. Viele Arbeitgeber nutzen aus, dass der Sektors fragmentiert und unsichtbar ist, andere hingegen tun es nicht.
Mitgefühl und wechselseitige Verbundenheit wurden zu leitenden Prinzipien der Bill-of-Rights-Kampagne. Auf diesen Werten beruhte eines unserer wichtigsten Bündnisse, der Kontakt zum Shalom-Bayit-Projekt der jüdischen Organisation für »rassische« und wirtschaftliche Gerechtigkeit (jfrej). Shalom Bayit – hebräisch für »häuslicher Frieden« – bringt fortschrittliche Arbeitgeber zusammen, die innerhalb der jüdischen Community die Rechte von Hausarbeitskräften unterstützen. Sie tun dies unter Rückgriff auf jüdische Werte und eine lang bestehende fortschrittliche Tradition jüdischer Gewerkschaftsarbeit. Als wir unsere landesweite Kampagne starteten, waren die jfrej-Leute von Anfang an dabei. Sie kamen zu den Versammlungen und ließen Arbeitgeberinnen auf unseren Aktionen sprechen. Eine von ihnen, Gayle Kirschenbaum, sprach vor dem DWU-Menschenrechtstribunal: »Das erste Mal, als mich Debbie – die Betreuerin unseres Sohnes – als Chefin ansprach, war ich etwas schockiert. Mir war das zu förmlich. Ich hatte mir die Art von Nähe erhofft, die ich bei anderen Eltern und deren Kindermädchen beobachtet hatte. Ich wollte, dass Debbie sich anders auf mich bezieht – nicht als Arbeitgeberin. Inzwischen ist mir klar geworden, egal, ob eine Arbeitgeberin gerne das Herrin-Magd-Verhältnis nachspielen will oder ob sie versucht, das bestehende Machtverhältnis komplett zu leugnen – durch beide Verhaltensweisen können die Rechte einer Hausangestellten verletzt werden. Wenn es keine geregelten Arbeitsbedingungen gibt, ist es reiner Zufall, an was für einen Arbeitgeber man gerät. Debbie ist an mich geraten. Weil ich mich nicht als Arbeitgeberin betrachten wollte, hat es zu lange gedauert, bis sie als Arbeitnehmerin behandelt wurde. Statt einen Vertrag zu machen und uns am ersten Tag über die Arbeitsbedingungen zu einigen, sprachen wir über ihre Vergütung so nebenbei, nachdem sie schon angefangen hatte zu arbeiten. In meinem eigenen Beruf hätte ich einen derartig unprofessionellen Umgang niemals durchgehen lassen.«
Lehren für transformativesOrganisieren
Unsere Kampagne hat nicht nur die staatliche Politik verändert. Genauso wichtig war der Prozess der Organisationsund Bündnisarbeit. Die Bill-of-Rights-Kampagne bot Menschen die Möglichkeit, aus ihren Verhaltensmustern herauszutreten, andere Entscheidungen zu treffen und veränderte Beziehungen einzugehen. Sie mobilisierte ganz unterschiedliche Gruppierungen auf der Grundlage eines umfassenderen Verständnisses eigener Interessen, das unsere wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten anerkennt.
Als Bewegung haben wir gewaltige Aufgaben vor uns. Die Bill-of-Rights-Kampagne ist ein Beispiel für die Art von Kampagne – voll harter Arbeit, Gefahr und Ungewissheit –, die wir zu führen haben, wenn sich für die nächste Generation etwas verändern soll. Trotz aller Unwägbarkeiten ermutigt sie uns zu Kampagnen, die auf Liebe setzen. Nur so können wir uns für die notwendigen Veränderungen zusammenschließen. Wenn wir diese Risiken eingehen, können wir zu dem werden, was wir als Bewegung sein sollten.
Ich arbeite seit über 15 Jahren als Organizerin. Ich habe eine ganze Reihe von Lehren aus meinen Erfahrungen und aus Gesprächen mit anderen OrganizerInnen gezogen:
* Einen engen Kreis von Leuten für die Mobilisierung der Basis gewinnen
Ich möchte zunächst betonen, wie wichtig es ist, eine breite Basis zu schaffen. Dies gilt für jede Organisierungsarbeit und für gesellschaftliche Veränderung generell. Wir müssen diese Basis sehr systematisch aufbauen und dafür sorgen, dass wir immer mehr Menschen erreichen. Dafür braucht man einen Kern von Leuten, die am selben Strang ziehen – sowohl, was die Perspektive, als auch was die Praxis angeht. Darin liegt eine zentrale Energiequelle für jede Organisierungsarbeit.
* Eine mitreißende Stimmung schaffen
Wir müssen darauf achten, was für eine Atmosphäre wir bei unserer Arbeit erzeugen. »Die Leute erinnern sich nicht daran, was du sagst«, hat Maya Angelou einmal gesagt, »sie erinnern sich daran, wie sie sich dabei gefühlt haben«. Es ist ganz wichtig, dass wir uns beim Organizing bewusst sind, was für ein Gefühl wir den Leuten vermitteln. Lösen wir Begeisterung aus? Geben wir ihnen Hoffnung?
Machen wir ihnen Mut, für die Arbeit ihr Bestes zu geben? Geben wir ihnen das Gefühl, dass sich überhaupt etwas verändern lässt?
* Zeit, Ort und Bedingungen
Im Labor Community Strategy Center in Los Angeles habe ich gelernt, wie wichtig ein Gespür für »Zeit, Ort und Bedingungen« ist. Wir müssen stets aufs Neue das politische Umfeld analysieren, innerhalb dessen wir arbeiten, und die Arbeit in den historischen Kontext unserer Kämpfe einordnen. Nur so kann klar werden, was zu einem gegebenen Zeitpunkt realistisch und machbar ist. Wir überschätzen häufig unsere Macht und unterschätzen tendenziell, womit wir es eigentlich zu tun haben. Unsere Forderungen kommen dann entweder zur falschen Zeit oder wir bemühen uns nicht ausreichend, die nötige Kraft zu mobilisieren, die wir zum Gewinnen bräuchten.
* Kämpfen, um zu gewinnen
»Wir werden den Weg zur Revolution nicht aus den Augen verlieren«, hat Terry Marshall im Organizing-Upgrade-Forum gesagt. Wir werden jedoch das Vertrauen der Arbeiterklasse in den Kampf um die Macht nicht erringen können, wenn wir nicht in erster Linie unsere unmittelbaren Kämpfe gewinnen. Die Arbeiterklasse hat in den letzten Jahrzehnten unzählige Niederlagen eingesteckt, und es wird immer noch schlimmer. Es ist unsere Pflicht, das Leben der Menschen ganz konkret zu verbessern und ihnen den Glauben an Organisierung und an die Kraft kollektiven Handelns zu vermitteln. Wir schaffen dies jedoch nur, wenn wir zeigen können, dass es sich lohnt und dass wir die materiellen Lebensbedingungen tatsächlich verändern können.
* Alle zusammenbringen, die sich zusammenbringen lassen
Es ist uns nicht ausreichend gelungen, alle Kräfte zu bündeln, die sich bündeln ließen. Wir tendieren dazu, für den Kampf um unsere jeweiligen Ziele immer wieder dieselben Leute zusammenzutrommeln. Fast alle unsere Zielsetzungen könnten aber genauso gut so angelegt werden, dass sich ein breites Spektrum gesellschaftlicher Kräfte mobilisieren ließe. Das könnte unsere Macht potenzieren. Dazu müssen wir jedoch über das Umfeld hinausgehen, in dem wir uns kulturell, organisatorisch und politisch wohl fühlen. Nur so können wir Stärke entwickeln und die Politik in einer anderen Dimension beeinflussen.
* Das gewohnte Umfeld verlassen
Wir können nichts verändern, wenn wir in unserem eigenen Dunstkreis bleiben. Es passiert, dass wir Fehler machen. Aber wenn wir es uns einfach bequem machen, läuft etwas schief. Wir haben es immer mit denselben Leuten zu tun, wir raffen uns nicht dazu auf, auf breiterer Front etwas zu bewirken, unterschiedliche Gruppen zu erreichen und unsere Sichtweisen zu verändern. Ich habe als Organizerin gelernt, dass man unbequem sein muss. Es ist wichtig, das zu begreifen.
* Nicht unnötigerweise Brücken abbrechen
Diese Lehre bezieht sich auf die Einsicht, wie wichtig es für uns ist, Allianzen zu schmieden und sich mit einem breiten Spektrum von Leuten zu vernetzen. Wir müssen ständig darauf achten, dass wir nicht unnötig Brücken abbrechen. Das heißt nicht, dass wir keine Risiken eingehen sollten. Wir sollten uns jedoch darüber im Klaren sein, welche Risiken wir wirklich eingehen wollen. Wenn wir eine Brücke abbrechen, sollten wir genau wissen warum. Die Dinge sind ständig in Bewegung und die Kräfteverhältnisse ändern sich. Wer heute dein Gegner ist, kann in einem anderen Zusammenhang ein wichtiger Verbündeter sein. Die Menschen haben ein langes Gedächtnis für abgebrochene Beziehungen. Wut und Abwehr führen uns nicht weiter. Wir müssen lernen, nicht gefühlsmäßig zu agieren, wenn wir beispielsweise einem Arbeitgeber erklären wollen, warum es sinnvoll ist, die Arbeitnehmerin auch dann zu bezahlen, wenn sie einen Tag krank ist. Wir müssen beide Sichtweisen ansprechen und ihnen helfen, das Problem in einem größeren Kontext zu sehen. Es passiert schnell, dass man aus einer Position der Wut und Enttäuschung reagiert, wenn man bedenkt, wie gravierend die Probleme sind, mit denen die Menschen zu kämpfen haben. Unser letztendliches Ziel ist es jedoch, die Machtverhältnisse zu verändern, und unsere
Fähigkeit, dies zu erreichen, hängt davon ab,
welche Allianzen wir schmieden können.
* Sich selbst verändern
Selbstveränderung ist ein wichtiger Bestandteil von Gesellschaftsveränderung. Im Grunde wollen wir Institutionen und Strukturen verändern. Wenn sich die Menschen in diesem Prozess jedoch nicht auch selbst verändern, hat die Veränderung der Institutionen keinen Bestand. Wir brauchen eine Kultur, die uns hilft, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Nur so können wir unsere eigentlichen Ziele im Blick behalten, statt uns in Erschöpfung und Selbstdarstellung zu verzetteln. Inzwischen wird die persönliche Veränderung stärker in die Organisierungsarbeit mit einbezogen. Das scheint mir für die Entwicklung eines tieferen, nachhaltigeren Organisationsmodells wichtig. Ich mache zum Beispiel Yoga. Yoga ist nicht jedermanns Sache, aber jedeR OrganizerIn kann sich einen Raum schaffen, um innere Ruhe zu finden, seine geistige, emotionale und körperliche Gesundheit zu pflegen und sich auf den Sieg zu konzentrieren.
* Kampagnen können uns verändern
Kampagnen haben ein ungeheures Veränderungspotenzial. Gute Kampagnen sind nicht nur auf materielle Veränderungen ausgerichtet, sie bieten auch Möglichkeiten für diese Art von Persönlichkeitsveränderung. Eine überzeugende Forderung kann uns eine Vorstellung von dem vermitteln, was vorstellbar ist. Sie kann uns helfen, daran zu glauben, dass das bisher Unmögliche möglich werden kann. Wir müssen ein breites Bündnis unterschiedlicher Gruppen zusammenbringen, in dem Bewusstsein, dass Menschen, die zusammen für etwas kämpfen, klarer erkennen, was sie verbindet. Aus der Position wechselseitiger Verbundenheit fangen sie an, Dinge zu erkennen und zu handeln.
* Mit Liebe und Hoffnung organisieren
Für Organizer ist es wichtig, an das Beste in den Menschen zu glauben. Wir dürfen nicht naiv sein. Wir sollten aber davon ausgehen, dass Menschen im Allgemeinen den Wunsch haben, das Richtige zu tun. Sie wollen gute Menschen sein, sie wollen gute Nachbarn sein, sie wollen andere so behandeln, wie sie selbst behandelt werden wollen. Dieser Wunsch, gut und richtig zu sein, ist ein unausgeschöpftes Potential, das wir anzapfen können, wenn wir dafür offen sind, wenn wir auf das Gute in den Menschen achten und nach Möglichkeiten suchen, es zum Vorschein zu bringen. Darauf müssen wir unsere Kontakte und Beziehungen aufbauen. Wir müssen mit Liebe organisieren. Das gibt uns die Möglichkeit, eine unendlich viel stärkere Kraft zu entwickeln.
Aus dem Englischen von Thomas Laugstien