Die Religion gewinnt in den letzten Jahren gesellschaftspolitisch wieder an Bedeutung. Da wäre beispielsweise die Tea-Party-Bewegung in den USA: Angesichts eines entschlossenen Gegenangriffs des Wall Street nahen republikanischen Establishments schien sie eine Zeit lang im Niedergang begriffen. Mit der überraschenden Niederlage des republikanischen Mehrheitsführers im Repräsentantenhaus, Eric Cantor, gegenüber Dave Brat, einem Kandidaten aus dem Tea-Party-Spektrum, hat sie ihre Handlungsfähigkeit jedoch erneut unter Beweis gestellt. Dass kurz darauf die von wichtigen Kapitalfraktionen gestützte Reform der Einwanderungsgesetze gekippt wurde, unterstreicht dies.

In Lateinamerika stellt das evangelikale Christentum eine zunehmend einflussreiche soziale Bewegung dar: In Brasilien gelang es Marina Silva, einer für die Grünen kandidierenden evangelikalen Politikerin (deren relativer Wahlerfolg daher oft fälschlich einer ›Begrünung‹ politischer Diskurse zugeschrieben wurde) 2010 unerwartet, Präsidentin Dilma Rousseff in eine Stichwahl zu zwingen. Aktuellen Prognosen zufolge könnte sich diese Konstellation in den kommenden Präsidentschaftswahlen wiederholen – wobei Silva teilweise sogar eine Mehrheit zugetraut wird. In verschiedenen Teilen Afrikas stehen evangelikal-christliche Kräfte mit der brutalen Verfolgung von Menschen aus der LGBT-Community (z.B. in Uganda) oder mit sogenannten Korrektivvergewaltigungen (z.B. in Südafrika) in Verbindung. In Frankreich mobilisieren rechte Gruppierungen Hunderttausende, vor allem aus den kulturkonservativen, katholischen Milieus, zu Demonstrationen gegen die Homo-Ehe. Und in Teilen Osteuropas scheint sich ein neuer Block an der Macht herauszubilden, der aus Versatzstücken postkommunistischer Staatsapparate, nationalistisch-faschistischer Bewegungen und den durch den Kommunismus hindurch relativ stabil gebliebenen Kirchenstrukturen (ob orthodox oder katholisch) besteht. Und dann wäre da nicht zuletzt der politische Islam, dessen Speerspitze – der ›globale Dschihad‹ – sich zu einer starken transnationalen Bewegung entwickelt hat. In einem weiten Bogen von Mali bis Malaysia organisiert er Massenbewegungen, Putsche, Bombenattentate, Bürgerkriege und Aufstände, die Regierungen herausfordern.

»Ich bin fest davon überzeugt, dass der 11. September den ersten Bruch mit diesem planetarischen System bedeutet. Und das ist [...] ein wirkliches Paradox. Wer oder was ist dafür verantwortlich? Der Maoismus, der Marxismus, das revolutionäre Proletariat, die revolutionären Bauern? Nein, es war die verdammte Religion – die wir einfach vergessen hatten.« Stuart Hall, LuXemburg 2/2014

»Wo die syrisch-irakische Islamistengruppe ISIS herrscht, richtet und mordet sie ihre Feinde gnadenlos. Sie hat aber auch eine soziale Seite, impft Kinder, schüttet Schlaglöcher zu, installiert neue Stromleitungen und kümmert sich um die Qualität von Kebab.« Süddeutsche Zeitung, 17.6.2014

Während die Tea Party in den USA oder die homophoben Demonstrationen in Frankreich aus ihren jeweiligen nationalen Kontexten heraus zu erklären sind, ist der globale Dschihad ein transnationales Phänomen. Jenseits solcher Differenzen lässt sich jedoch feststellen, dass wir es mit einem Aufschwung politisch-religiöser Bewegungen zu tun haben, also mit »Bewegungen [...], deren Ziel es ist, religiöse Normen und Gesetze gesellschaftlich zu etablieren, entweder durch parlamentarische oder außerparlamentarische Mittel« (Moghadam 2012, 104). Die reaktionären Fraktionen sind aber mitnichten die einzigen religiösen Bewegungen, die in der Krise an Stärke gewinnen. Beispielhaft sind die enge Verbindung von progressiven Kräften mit religiösen Gruppen in den USA (von der Bürgerrechts- und Umweltgerechtigkeitsbewegung bis hin zur aktuellen Kampagne für einen Mindestlohn), die Diskussionen um Papst Franziskus, seine Kapitalismuskritik und seine (möglicherweise) progressive Agenda oder auch die hierzulande ungebrochene Dynamik und Größe religiöser Events wie etwa dem Kirchentag (im Gegensatz zu den dahinsiechenden 1. Mai-Aktivitäten). Wenn man sich frei macht vom Gedanken einer notwendigen Frontstellung zwischen Religion und der Linken, lässt sich die Frage anders formulieren: Wie steht es eigentlich konkret um das Verhältnis der Linken zu politisch-religiösen Bewegungen? Und wie könnte oder sollte es sich zukünftig entwickeln? Religiöse Bewegungen stehen der Linken nicht zwangsläufig antagonistisch gegenüber, in ihnen selbst drücken sich soziale Widersprüche aus. Sie sind mithin Teil des widersprüchlichen Terrains, auf dem um Hegemonie gekämpft wird. Sicher unterscheidet sich die Konstellation hierzulande von der im arabischen Raum, in Lateinamerika oder in Osteuropa. Was Jan Rehmann (2014) für die USA formuliert – »es besteht tatsächlich keinerlei Chance, in den USA eine nachhaltige linke gegenhegemoniale Bewegung aufzubauen, die keine starke religiöse Komponente hat« –, lässt sich nicht direkt auf andere Weltregionen übertragen. Da aber »Bewegungen armer und ausgegrenzter Menschen oft auch religiöse Bewegungen sind« (ebd.), geht es nicht um das abstrakte Verhältnis einer Linken zur Religion im Sinne Feuerbach'scher Religionskritik, sondern vielmehr um die konkrete Beziehung zu jenen gesellschaftlichen Gruppen, die traditionell die Basis der Linken bilden: die »Verdammten dieser Erde«.

Von der Rückkehr des Religiösen in der organischen Krise

»Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. [...] Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.« (Marx, MEW 1, 378) Tief in der organischen Krise, ohne realistische Transformationsperspektiven, befinden wir uns in einem solchen Jammertal – einem Interregnum, in dem alte Orientierungen verunsichert wurden (vgl. Candeias 2010) –, in einer Situation, in der religiöse Anrufungen gute Chancen haben, im gesellschaftlichen Alltagsverstand auf Resonanz zu stoßen. Wenn eine Analyse von diesseitigen Kräfteverhältnissen ein wenig hoffnungsvolles Bild ergibt, lässt sich der Optimismus des Willens oft nur aus der Transzendenz ziehen, aus dem Verweis auf etwas jenseits des Gegebenen. Darin liegt der materialistische Kern der These von der Rückkehr des Religiösen. Auch Gramsci wusste, dass »das religiöse Band, in normalen Zeiten gelockert, kräftiger und aufnahmefähiger wird in Zeiten großer moralisch-politischer Krisen, wenn die Zukunft voller Sturmwolken erscheint« (Gef. 1, H1, §48: 124). In dieser Situation müssen, analog zur Kritik von Marx an den Junghegelianern, die Waffen der traditionellen Religionskritik versagen, denn sie sind gerade eine Kritik des Heiligenscheins und nicht der wirklichen Verhältnisse. Die organische Krise bildet also den Rahmen, innerhalb dessen die ungleich(zeitig)en Entwicklungen im arabischen Raum, im südlichen Afrika, in Europa und in den USA miteinander verbunden sind. Gleichzeitig hängen sie zusammen mit der Schwäche linker Kräfte, die wenig zu bieten haben: »Mit der Niederlage säkularer Alternativen wurde die Religion zum Kristallisationspunkt des Widerstands in einigen der weniger entwickelten Regionen [...] des ›planetarischen Systems‹« (Hall in diesem Heft). Kurz: Die zunehmende Stärke religiöser Kräfte reflektiert die wachsende Schwäche der Linken.1 Dies gilt vor allem in Bezug auf ihre Basis im Alltagsleben der Subalternen. Diese Verschiebung lässt sich an drei Bereichen demonstrieren.

Reproduktion, Organisation, Revolution

Reproduktion: Es ist mittlerweile zum Allgemeinplatz geworden, dass die Stärke der Hamas im Gazastreifen zentral darauf fußt, dass sie dort Formen sozialer Wohlfahrt eingeführt hat. Während der ägyptischen Revolution wurde Kritik laut, dass die Moslembruderschaft die Wände von Grundschulen mit einem neuen Anstrich versah, während die Revolutionäre auf dem Tahrir-Platz bloß Wände mit Graffitti besprühten. Ähnliches gilt für Koranschulen in Afghanistan oder in Pakistan. Auf die Zerstörung sozialstaatlicher Strukturen in den sogenannten Entwicklungsstaaten des globalen Südens (von denen vor allem städtischen ArbeiterInnen profitiert hatten) konnte keine überzeugende linke Antwort formuliert werden. Dies hat politisch-strukturelle Gründe. Ob in Indonesien oder im Irak, ob in Ägypten oder in Algerien: Der neoliberalen Offensive gingen oft massive Angriffe auf linke oder kommunistische Strukturen voraus. Oft wurde die Entwicklung islamistischer Bewegungen und Organisationen aktiv ›von oben‹ vorangetrieben, um linke Kräfte zu schwächen. Auch dadurch wurde die Linke an vielen Orten von ihrer Massenbasis abgeschnitten, ihre Organisationen wurden zerschlagen. Darin besteht eine der Tragödien (im Wortsinne schuldloser Schuld) linker Politik. Manche der Bewegungen im globalen Süden , mit denen sich Linke des Nordens solidarisiert haben, haben ihre Basis in weniger benachteiligten Milieus als diejenigen, die von den religiösen Bewegungen organisiert werden. Beispiel Türkei: Während die Basis der gemäßigten islamistischen AKP auch in den kulturell und ökonomisch lange marginalisierten Bevölkerungsschichten aus Anatolien liegt, entstammten die Protestierenden im Gezi-Park vor allem der gebildeten, urbanen Mittelschicht: den »graduates with no future« (Mason 2011). Für die deklassierten und neuen Mittelschichten die Linke und für die subalternen ›Unterschichten‹ die politische Religion? Natürlich gibt es Gegenbeispiele wie die brasilianische Landlosenbewegung MST oder die SlumbewohnerInnen in Südafrika. Aber sie sind rar. Organisation: Die verlässliche Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen bedarf der Schaffung von Institutionen, die wiederum Organisierung erfordern und erleichtern. In Nordafrika stellt sich die Frage des Verhältnisses linker und religiöser Akteure am schärfsten. Seit den 1980er Jahren gründete die ägyptische Moslembruderschaft allerlei berufsständische Organisationen, Moscheen, karitative Strukturen und Finanzinstitutionen, »welche konkrete Hilfen für die Alltagsprobleme in den städtischen Armenvierteln und in den ländlichen Gebieten anbieten. Insbesondere dieser letzte Aspekt sorgte langfristig dafür, dass die Moslembrüder bei Beginn der Revolution im Januar 2011 als einzige Organisation der Opposition auf landesweite Strukturen zurückgreifen konnten, während etwa linke Organisationen in ihrer politischen Reichweite auf die Großstädte und die wenigen industriellen Ballungsgebiete beschränkt blieben« (Daniljuk 2013). Hier klingen Echos sozialdemokratischer Gesangsvereine, Bestattungsunternehmen und Genossenschaftsbanken an. Die Schwäche linker Organisierung, die Unfähigkeit der vernetzten ­graduates, ihre politischen Erfolge zu verstetigen, ist nicht das Resultat der sogenannten Netzwerkform, wie einige traditionelle Linke argumentieren. Sie folgt vielmehr aus der Abwesenheit linker Strukturen, welche die alltägliche Reproduktion der Subalternen unterstützen. Die aktuellen von den Mittelschichten getragenen Protestbewegungen in Brasilien zum Beispiel stellen ihre Ansprüche an einen Staat, dem in der moralischen Ökonomie der Postwohlfahrts- und Postentwicklungsstaaten immer noch die Rolle zugewiesen wird, die erweiterte Reproduktion der Arbeitskraft sicherzustellen und bestimmte soziale Rechte zu garantieren. Anders ausgedrückt: Die sich zunehmend aus der Mittelschicht rekrutierende Basis linker Bewegungen kämpft um den Zugang zu staatlicher Unterstützung für ihre Reproduktion, während ärmere und machtlosere gesellschaftliche Gruppen sich andernorts umschauen müssen. Mitte-Unten-Bündnisse sind da schwer. Revolution: Die historische Rolle der radikalen Linken war von jeher, die Möglichkeit einer fundamentalen Systemveränderung, einer Zeitenwende (im Sinne der Eschatologie) zu eröffnen und offenzuhalten. Jedoch: »Im Westen scheint die Fähigkeit zum eschatologischen Denken größtenteils verlorengegangen zu sein. Sie ist in der westlichen Lebensweise kaum immanent. Unabhängig von der Krisenhaftigkeit und Korruption des heutigen Liberalismus ist es weiterhin äußerst schwierig, sich ein Leben ohne den und jenseits des Liberalismus vorzustellen.« (Mezzadra u.a. 2013, 9) Die nachvollziehbare Unfähigkeit, eine überzeugende, ›immanente‹ revolutionäre oder transformatorische Perspektive in der organischen Krise zu entwickeln, treibt Menschen, die nach fundamentaler Veränderung suchen, tendenziell in die Arme solcher Kräfte, die ihre Veränderungsperspektive aus der Transzendenz schöpfen können (unabhängig davon, wie realistisch diese sein mag). Dies macht auch den Erfolg globaler linker Theorierockstars wie Negri, Žižek, Badiou und anderer Neocomm(unist)s aus, die sich zahlreicher religiöser Argumentationsfiguren bedienen: vom heiligen Paulus und von dem messianischen Akt, über Lenin als Jesus der Endzeit bis hin zu den Reitern der Apokalypse. Sie versuchen so, den utopischen Überschuss, Blochs berühmten Wärmestrom, der der Transformationslinken größtenteils abhandengekommen ist, wiederherzustellen oder zu bedienen. Trotz der strategischen Unbestimmtheit ihrer Konzepte stoßen diese Erzählungen bei vielen auf Resonanz, machen den Wärmestrom fühlbar. Sie scheinen nach einem einfachen Rezept zu verfahren: Wenn die weltgeschichtliche Situation strukturell immer religiöser wird, warum nicht auch die Linke?

Zwei Fragen an die Linke

Für Linke ergeben sich zwei Fragen, die sich wiederum aus der Doppelfunktion der Religion ableiten (vgl. Steckner 2013): als autoritär-paternalistische Kraft, welche die Subalternen passiviert, Herrschaft organisiert und stabilisiert, und zugleich als prophetische Kraft, die das Bestehende infrage stellt, die Subalternen aktiviert, mithin Teil eines linken, transformatorischen Mosaiks und seiner Kämpfe um gesellschaftliche Hegemonie sein kann. Die erste, eher langfristig gedachte Frage lautet: Wie können linke Kräfte in den drei Bereichen Reproduktion, Organisation und Revolution wieder Boden gutmachen? Hier liefern die Entwicklungen in Spanien und Griechenland ein hoffnungsvolles Versprechen (vgl. Candeias/Völpel 2014). Die andere, eher kurzfristig zu beantwortende Frage bezieht sich auf das Verhältnis der Linken zu politisch-religiösen Kräften: Wie können innerhalb des Feldes religiöser Bewegungen die emanzipatorischen Elemente gestärkt und mit diesen produktive Bündnisse entwickelt werden? Einige Antworten auf die erste Frage – entlang der oben genannten Dimensionen Reproduktion, Organisation und Revolution: Gegenwärtig erleben wir eine neue Verbindung feministischer und marxistischer Diskurse und Bewegungen, die sich vielleicht als ›Reproduktionsmarxismus‹ beschreiben ließe. Das Feld der Reproduktion(sarbeit) hat für soziale Kämpfe und linke Bewegung also wieder eine wichtige Bedeutung erlangt. Auch die Organisierungsfrage wird in (fast) allen Bereichen des linken Mosaiks wieder und oft produktiv, also in Richtung Konvergenz und Inklusion, diskutiert. Bleibt das Moment des revolutionär-utopischen Wärmestroms, ein Problemfeld der säkularen Transformationslinken. Unsere Erzählung über die Welt und strategische Handlungsoptionen linker Kräfte in ihr ist zwar inhaltlich überzeugender als die Perspektive der Neocomms einerseits und religiöser Erweckungsbewegungen andererseits. Jedoch wird im richtigen und doch verzweifelten Versuch, das Machbare mit dem Notwendigen ins Verhältnis zu setzen, eine Erzählung generiert, die zwar in einem analytischen Sinne richtig ist –, aber eben nicht im Badiou’schen Sinne. Es ist keine Wahrheit, die einen signifikanten Wahrheitseffekt hat. Sie überlässt das Feld affektiver politischer Bindung, die »nicht-kognitiv-vernunftbasierten Bestandteile« (Steckner 2013) linker Politik anderen Projekten, oftmals nicht nur der Religion, sondern auch rechten Kräften. In diesem Sinne kann Linken der Ruch des Elitären anhaften, denn es fällt oft schwer, in der Krise ein der Religion vergleichbar starkes Band zwischen subalternen Kämpfen und ›Vermittlungsintellektuellen‹ herzustellen (vgl. Porcaro 2011, 31f; Candeias/Völpel 2014, 209). Zumindest kurz- und mittelfristig ist der Aufschwung politisch-religiöser Bewegungen ein Faktum, an dem linke Politik kaum vorbeikommt, was uns zur zweiten Frage bringt. In einer Situation, in der die ›Zerstörung‹ der Religion zunächst weder möglich noch wünschenswert war – sie erfüllt ja eine wichtige Funktion –, formulierte Gramsci die klassische strategische Forderung: »Man muss deshalb den Typus des ›katholischen Radikalen‹ schaffen, also des ›Popolare‹, man muss [...] die bäuerlichen Massen organisieren, indem man aus dem Priester nicht nur den geistlichen Führer [...], sondern auch den sozialen Führer [...] macht.« (Gef. 7, H.13, §37: 1617) Für uns bedeutet dies, dass auch religiöse Bewegungen und Bündnisse zwischen diesen unabdinglich sind, damit die Subalternen in einem emanzipatorischen Sinne handlungsfähig werden. Natürlich dürfen sie nicht beliebig sein, dürfen sich Linke nicht bloß um des Bündnisses willen mit reaktionären religiösen Kräften in ein Boot setzen. Gerade weil das politisch-religiöse Feld heute mehrheitlich von Bewegungen dominiert scheint, die sich nicht für emanzipatorische Bündnisse anbieten, lohnt ein Blick in die Vergangenheit, in der es viele Formen der gelungenen Zusammenarbeit gab, und vielfach unabgegoltene Optionen für die Zukunft. Im Kampf für Klimagerechtigkeit etwa lässt sich eine starke sozialökologische Transformationsbewegung ohne Aufnahme der religiösen Kräfte, die sich für die Bewahrung der Schöpfung engagieren (und bei den Grünen keinen Ort mehr finden), kaum denken (vgl. Kern in diesem Heft). Es lassen sich zahlreiche ›Crossover-Projekte‹ finden, wie etwa die Antikapitalistischen Muslime, die während der Gezi-Proteste sichtbar wurden (vgl. Eliaçik in diesem Heft), die vielen Überbleibsel befreiungstheologischer Zusammenhänge in Lateinamerika (vgl. Barros in LuXemburg Online) oder die Offenheit von Riesenevents wie die deutschen Kirchentage für linke Anliegen und Themen (vgl. Ramminger in diesem Heft). Ein letztes Beispiel ist das aktuelle Sonderheft der progressiven christlichen Zeitschrift Publik Forum zum TTIP-Freihandelsabkommen mit dem Titel Der Beutezug. Getragen wird das Dossier von: Attac, Arbeitnehmer-Seelsorge Freiburg, Campact, Christliche Initiative Romero, INKOTA, Katholische Arbeitnehmer-Bewegung, Katholische Landjugendbewegung, PowerShift und Sozialdienst katholischer Männer und Frauen Erkrath. Sieht so vielleicht ein neuer Teil des linken Mosaiks aus?

Literatur

Candeias, Mario, 2010: Interregnum – Molekulare Verdichtung und organische Krise, in: Demirović, Alex u.a. (Hg.), Vielfachkrise, Hamburg, 45–62 Ders. und Eva Völpel: 2014, Plätze sichern! ReOrganisierung der Linken in der Krise, Hamburg Daniljuk, Malte: 2013, Krise, Aufstand und konservative Renaissance, in: telegraph 127/128, www.ostblog.de/2013/06/krise_aufstand_und_konservativ.php Gramsci, Antonio, 1991ff.: Gefängnishefte, 10 Bde., hgg. v. Klaus Bochmann und W. F. Haug, Hamburg Marx, Karl, 1844, Kritik der hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, Berlin/DDR 1976, 378–91 Mason, Paul, 2011: Twenty reasons why it’s kicking off everywhere, BBC-blog, www.bbc.co.uk/blogs/legacy/newsnight/paulmason/2011/02/twenty_reasons_why_its_kicking.html Ders., 2013: Why It’s Kicking Off Everywhere: The New Global Revolutions, London Mezzadra, Sandro u.a. (Hg.), 2013: The Biopolitics of Development: Reading Foucault in the Postcolonial Present, Heidelberg Moghadam, Valentine, 2012: Globalization and Social Movements: Islamism, Feminism, and the Global Justice Movement, Lanham u.a. Porcaro, Mimmo, 2011: Linke Parteien in der fragmentierten Gesellschaft. Partei neuen Typs – die ­»verbindende Partei«, in: LuXemburg 4/2011, 28–35 Rehmann, Jan, 2014: Some Remarks about the Left and the Problem of Religion. Vortrag auf dem Left Forum in New York. Steckner, Anne, 2013: Antonio Gramscis Auseinandersetzung mit Religion im Spannungsfeld zwischen Unterwerfung und Widerständigkeit, in: Grundrisse 44, 11–20, www.grundrisse.net/grundrisse44/Antonio_Gramsci_Religion.htm


1    Ausdruck der Ungleichzeitigkeit ist außerdem der Beginn eines transnationalen Bewegungszyklus seit der ›Arabellion‹ (vgl. LuXemburg, 3,4/2013).