Denn Gewerkschaften versuchen seit Jahrzehnten Software-Ingenieur*innen zu organisieren – ohne großen Erfolg. Dieses Mal könnte es anders sein. Ben Tarnoff sprach mit zwei von Lanetix gefeuerten Ingenieuren, Björn Westergard und einem anonymen Kollegen, den wir „Will“ nennen.

Die Anfänge

Ben Tarnoff: Wie haben die ersten Gespräche über Organisierung am Arbeitsplatz angefangen? Björn Westergard: Es gab da eine Mitarbeiterin – nennen wir sie Jane –, die die Dinge wirklich zum Rollen gebracht hat. Jane hatte einen eng integrierten Freundeskreis in der Firma. Sie haben alle an einem Coding-Bootcamp für Frauen in San Francisco namens „Hackbright Academy“ teilgenommen und danach angefangen bei Lanetix zu arbeiten. Irgendwann haben sie im Slack, der Kommunikationsplattform der Company, einen Kanal zum Chatten aufgemacht. Das wurde ein Ort für persönliche Gespräche, in denen es zum Beispiel darum ging, Kolleg*innen zu unterstützen, die gerade eine schwere Zeit durchmachen. Aber irgendwann kam auch das Thema bezahlter Urlaub zur Sprache. Lanetix bietet zwei Wochen bezahlten Urlaub. Praktisch jedoch lag die Anzahl an Urlaubstagen, die Leute nehmen konnten, in der Hand ihrer Manager*in. Alle Leute waren genervt davon, dass ihre Manager*in sie dauernd unter Druck setzt keinen Urlaub zu nehmen. Es gab das Gefühl, letztlich vom Gutdünken der Chefs abhängig zu sein. Jane sprach dieses Problem gegenüber ihrer Manager*in an und ermutigte andere, dasselbe zu tun. In dem besagten Chat war auch einer der Vorgesetzten, deswegen wusste das Management bereits von den Unterhaltungen. Jane fing dann an die Sache voranzutreiben – und konnte schließlich ein großes Zugeständnis herausschlagen. Der Firmenchef erklärte, dass die Leute mehr bezahlte Urlaubstage erhalten würden. Will: Jane war bereits bekannt dafür sich mit Anliegen, die von anderen Ingenieur*innen der Firma geteilt wurden, an ihren Manager zu wenden. Sie war nicht die Einzige, die das tat, aber sie war auf jeden Fall eine der lautstarken Stimmen. BW: Aber kurz danach kam ein anderes Problem auf den Tisch: Anfang 2017 hatte der Technische Leiter einen grandiosen Plan verkündet, wie wir mit der Plattform Slack konkurrieren können. Die Ingenieur*innen, einschließlich Jane, taten alles, um einen Slack-Konkurrenten zu erschaffen. Aber im November 2017 wurde klar, dass der Markt überhaupt nicht darauf ansprang. Die Zahl der Nutzer war winzig. Jane und ihr Team hatten schon mehrere Monate an dem Projekt gearbeitet, als ihnen aufgetragen wurde innerhalb von zwei Wochen die komplette Benutzeroberfläche noch einmal umzugestalten. Obwohl allen längst klar war, dass das Projekt keinen Erfolg haben würde. Jane war ziemlich geschockt und fragte nichts ahnend: „Ich würde wirklich gern verstehen, was hier passiert ist: Wie sind wir an diesem Punkt angelangt? Und was können wir dafür tun, dass das nicht nochmal passiert?“ Ich denke deswegen – und weil sie immer schon offen über Probleme in der Firma gesprochen hatte – wurde sie am 26. November 2017 plötzlich gefeuert. W: Es war ganz klar, dass Jane gut gearbeitet hatte. Ihr Standing war astrein. Sie war gerade erst beauftragt worden ein Team anzuführen und bekam mehr Verantwortung übertragen. Bloß kamen scheinbar ihre kritischen Fragen nicht so gut an. BT: Und wie haben die Leute auf Janes Rausschmiss reagiert? W: Die Ingenieur*innen sind alle ziemlich ausgerastet. Es war völlig unverständlich, wie Jane einfach aus heiterem Himmel gefeuert werden konnte, vor allem angesichts dessen, was sie vorher geleistet hatte. Außerdem machten wir uns Sorgen um unsere eigenen Jobs. Am nächsten Tag lud uns mein Bereichsleiter in sein Büro. Er hatte für das Gespräch Anweisungen aus dem Management erhalten und sie Wort für Wort auf kleine Karteikarten geschrieben: „Seid keine Spalter. Wenn ihr irgendwelche Probleme habt, sprecht nicht untereinander darüber, sondern bringt sie über die genehmigten Kanäle bei eurem Manager an.“ Unter vier Augen meinte er dann, er sei angewiesen worden, alle seine Mitarbeiter*innen auf den externen Slack-Kanal anzusprechen. Falls ich Teil dieses Kanals sei, sollte ich ihn schleunigst verlassen. Wer daran teilnähme, stehe beim Management auf der ‘Shit-List’. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt gar nichts von einem externen Slack-Kanal. Anfangs hatten wir uns ja über das Firmen-Slack unterhalten. Aber letztlich führte das dazu, dass wir wirklich einen neuen Kanal eröffnet haben, um diese Dinge zu diskutieren. Denn wir fanden, dass das Management überhaupt kein Recht hat, unseren Informationsaustausch zu kontrollieren. Dass es den Arbeiter*innen erlaubt sein muss untereinander zu sprechen wie auch immer sie wollen. Über den neuen Slack wollten wir diskutieren, wie wir unseren Frust beim Management anbringen können. BW: Aber das Management wollte nicht, dass wir den externen Slack-Kanal nutzen, weil dort keine Manager beteiligt waren und machte eine ganze Reihe repressiver Statements dagegen. Sie haben den Ingenieur*innen sogar während der Arbeit über die Schultern geschaut, um zu sehen, ob sie in dem Slack-Kanal waren. Die offene Gestaltung des Büros in San Francisco machte es dem Management relativ einfach zu sehen, wer den Arbeiter-Slack benutzte. Aber die Bürogestaltung war zugleich der Grund, warum die Ingenieur*innen Slack benutzten. Denn die offenen Räume erhöhten die Wahrscheinlichkeit, dass die Manager*innen Gesprächen lauschen konnten. So unterhielten sich Ingenieur*innen selbst dann über Slack, wenn sie direkt nebeneinander saßen. BT: Klingt, als hätte Slack bei der Organisierung eine wichtige Rolle gespielt. BW: Die Kampagne hätte ohne Slack nicht stattfinden können. Über 90 Prozent der Aktivitäten fanden über Slack statt. Anders wäre es nicht möglich gewesen, denn die Firma hatte zwei Büros, eins in San Francisco und eins in Arlington, Virginia. Slack wurde also zu beidem: einem Organisationswerkzeug und einem Ort, um seinem Ärger Luft zu machen. Die Leute waren wütend. Nicht nur weil Jane gefeuert wurde, sondern auch darüber, dass ihnen ein eigener Slack, ohne Kontrolle der Manager*innen, verboten wurde. Es war ganz wie man so sagt: Bosse sind die besten Organizer*innen.

Die Eskalation

BT: Wie kam dann die Idee auf, eine Gewerkschaft zu gründen, nachdem Jane gefeuert worden war? W: Das ist nicht über Nacht passiert. Alles in allem hat der Vorgang knapp drei Monate gebraucht. BW: Eine von Janes Freundinnen war Journalistin bevor sie Ingenieurin wurde und hat bei einer Zeitung in Milwaukee gearbeitet, die der NewsGuild–Communications Workers of America (CWA) angehörte. Sie war die erste, die das Wort „Gewerkschaft“ laut ausgesprochen hat, nachdem Jane gefeuert wurde. Als erstes sagte sie nicht, dass wir uns gewerkschaftlich organisieren sollten. Aber sie sagte etwas in der Richtung von „Als ich in einem Laden mit Gewerkschaft gearbeitet habe, konnten Arbeiterinnen nicht willkürlich gefeuert werden.“ Die Idee war also da, es dauerte aber trotzdem, bis Leute anfingen das ernsthaft zu diskutieren. BT: Was genau ist passiert, dass die Leute angefangen haben die Idee ernsthafter zu diskutieren? W: Nachdem Jane gefeuert wurde kamen wir zusammen, um einen Brief zu schreiben. Wir forderten die Firma auf: a) unser Recht auf Organisierung anzuerkennen und b) Jane gegenüber Wiedergutmachung zu leisten. Am Anfang hat das Management uns ignoriert. Dann irgendwann schwärmte der Firmenchef aus, um Vier-Augen-Gespräche mit jedem einzelnen von uns zu vereinbaren. Wir sagten ihm, dass wir uns als Gruppe treffen wollten, schließlich haben wir den Brief zusammen geschrieben. Also beraumte er eine Konferenz an. Dort war er sehr herablassend und paternalistisch. Die Quintessenz war: „Hey, sorry, dass das alles nicht richtig gehandhabt wurde – aber Papa ist jetzt wieder Zuhause und kümmert sich drum.“ BW: Er hat sich immer wieder mit einem Elternteil und uns mit Kindern verglichen. Das hat uns richtig angekotzt. W: Wir nahmen mit, dass dies ein langer, schleppender Kampf werden würde. Der Boss gab eine Menge vager Nettigkeiten von sich, aber es war klar, dass er nicht auf unsere Probleme eingehen würde. Die Mehrheit der Ingenieur*innen wollte immer noch abwarten und sehen, was das Management tun würde. An diesem Punkt begannen Gespräche über eine gewerkschaftliche Organisierung; aber das hatte wenig Unterstützung. BW: Im Januar 2018 erhielten wir dann eine E-Mail vom Management, die besagte, dass die Firma irgendwann bald plane ein Büro in Osteuropa zu eröffnen. Genaueres war dem – bewusst – nicht zu entnehmen. Dieselbe E-Mail lud fast alle Ingenieur*innen von der jährlichen Klausurtagung des Unternehmens aus. Beides zusammen hat viele von uns ziemlich aufgebracht W: Diese E-Mail war der Umschlagpunkt. Die Leute kamen jetzt mit der Idee an, dass wir uns vielleicht gewerkschaftlich organisieren sollten – falls uns unsere Arbeit genug am Herzen läge, um zusammenzuhalten, statt nach einem neuen Job zu suchen. Es war die Drohung unsere Jobs outzusourcen, die die Mehrheit dazu brachte eine gewerkschaftliche Organisierung zu unterstützen. Um eines klar zu machen: wir dachten nicht, dass es eine glaubwürdige Drohung war. Der Programmiercode war mit Abstand der komplizierteste, an dem ich jemals gearbeitet habe – es wäre nicht einfach gewesen die Programmier-Arbeit auszulagern. BW: Das Management hatte keinen Plan, die wollten uns nur einschüchtern. Aber das ging nach hinten los, weil sich an diesem Punkt die Mehrheit dazu entschied, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Wir hatten eine überwältigende Unterstützung. Mitte Januar 2018 schrieben wir einen Brief an das Management, in dem wir unsere Beschwerden zusammenfassten und unsere Absicht zum Ausdruck brachten, uns in der NewsGuild-CWA zu organisieren. Wir haben außerdem eine Petition bei der Aufsichtsbehörde für Arbeitsrechte, NLRB, eingereicht. Zehn Tage später hat das Lanetix-Management die gesamte Ingenieurs-Belegschaft rausgeschmissen. NewsGuild-CWA reichte sofort eine Beschwerde bei der NLRB ein, die anführte, die Massenentlassung sei eine illegale Vergeltungsmaßnahme für den Versuch der gewerkschaftlichen Organisierung gewesen. Wir forderten die NLRB und das Gericht auch auf, sofort zu intervenieren, um das Management dazu zu zwingen uns unsere Jobs zurückzugeben – inklusive Lohnnachzahlungen.

Die Schlussfolgerungen

BT: Ihr hattet erwähnt, dass der Brief an das Management eure Beschwerden aufgelistet hat. Für manche scheint die Idee einer Tech-Arbeiter-Gewerkschaft vielleicht abwegig, weil sie nur schwer glauben können, dass Tech-Arbeiter*innen überhaupt einen Grund zur Beschwerde haben. Schließlich sind Software-Ingenieur*innen recht gut bezahlt. Wie seht ihr das? BW: Eine Sache, die uns antreibt – und die ich schon mit vielen Freund*innen im Tech-Bereich diskutiert habe – ist die Rolle, die die Launen der Manager*innen in deiner Arbeitsumgebung spielen, wenn es keine genau definierten Regeln gibt. Für die meisten Leute außerhalb dieser sehr privilegierten White-Collar-Jobs geht der Trend in Richtung Mikromanagement und hoch restriktive Arbeitsregeln. Man denke nur an die Lagerarbeiter*innen bei Amazon. Die Disziplinierung wird immer und immer feinmaschiger. Im Tech-Bereich dagegen wird noch nicht mal eingestanden, dass es sie gibt. Es kam zu einem wirklichen Wendepunkt in der Kampagne, als die Ingenieur*innen erkannt haben, wie viel sie gemeinsam haben. Die Leute sagten plötzlich Sachen wie: „Ich dachte mir geht es bloß so schlecht, weil ich nicht so produktiv bin, wie andere Leute oder nicht in die Unternehmenskultur passe.“ Aber als sie anfingen ihre Reports zu vergleichen, wurde ihnen klar, dass jede Manager*in überall versucht hatte die Beschwerden, die alle hatten, zu individualisieren. Für uns war das der Hauptgrund den Weg über die NLRB zu gehen. Wir wollten einen Vertrag haben, der genau regelt wie viel Urlaub wir kriegen, wann wir auf Abruf sein sollen und so weiter. Dann hätte es keine psychologischen Spielchen zwischen Arbeiter*innen und Manager*innen mehr gegeben. Die Leute wollten noch nicht mal so viel mehr Urlaub oder weniger Zeit auf Abruf. Sie wollten nur wissen, wo sie stehen. Sie wollten nicht die ganze Zeit in diese total vereinzelten Verhandlungen verwickelt werden. Es ging noch nicht mal darum, dass die Regeln das Management bevorteilten – es gab schlichtweg keine Regeln, und eben diese Undefiniertheit wirkte sich zugunsten des Managements aus. W: Software-Ingenieure verlangen relativ hohe Löhne, aber finanzielle Entschädigung ist nicht das einzige, was die Menschen interessiert. Wenn du einen Manager hast, der sich unberechenbar oder gar böswillig verhält, oder wenn du einen Mangel an Klarheit und Transparenz hast, beschädigt das die Unternehmenskultur. Klar, viele Ingenieur*innen könnten einfach gehen und woanders einen Job finden. Aber wenn die Arbeiter*innen untereinander loyal sind, werden sie lieber ihren Arbeitsplatz verbessern, als gleich den Exit zu nehmen. BT: Die Arbeitsbedingungen einer Software-Ingenieur*in sind offensichtlich deutlich besser, als die der meisten Arbeiter*innen. Aber Software-Ingenieur*innen machen oft sehr lange Überstunden. Könnte dieses Problem auch ein Weg sein Gespräche über Organisierung im Tech-Bereich anzustoßen? W: Es gibt beim Software-Ingenieurswesen einen inhärenten Boom-Bust-Zyklus. Bei anderen Arten des Ingenieurwesens, wie im Hoch- und Tiefbau und Maschinenbau, hast du einen statischen Input der zu einem statischen Output führt. Wenn du eine Autotür bauen willst, dann fängst du mit einer bekannten Reihe an Materialien an und wendest immer denselben Prozess an, um immer wieder dasselbe Ergebnis in der derselben Zeit zu erzielen. Beim Software-Ingenieurswesen dagegen hast du eine variable Menge an Inputs und eine variable Menge an Outputs. Das führt zu dem gewohnten Szenario, dass Projekte hinterherhinken, weil sie sich an veränderliche Erfordernisse und Situationen anpassen müssen. Deswegen müssen Software-Ingenieur*innen oft am Ende der Projekte wahnsinnig lang arbeiten, um sie zu Ende zu bringen. Das kann zu einem Teufelskreis werden. Jeder, der im Bereich Software gearbeitet hat, kennt diesen Hero-Mode-Zyklus: Du und dein Team arbeiten die Nächte und Wochenenden durch um eine Krise in den Griff zu kriegen, aber du bist so sehr unter Druck, dass du Abstriche machst und schlechte Codes schreibst. Wenn du es schaffst, das Projekt fertig zu bringen, wirst du als Held gefeiert, aber sehr bald wird diese Schludrigkeit eine andere Krise hervorrufen – und die wird schlimmer sein als die vorhergegangene, falls niemand aktiv daran arbeitet, den Kreislauf zu durchbrechen. Das ist die prekäre Situation, die dazu führt, dass Tech-Arbeiter*innen mehr und mehr ausgebeutet werden. Aber diese Situation ist nicht unausweichlich. Du musst das nicht akzeptieren. Du kannst dich organisieren und gemeinsam aktiv werden, um dem Management etwas entgegenzusetzen, falls es zu nichts führt alleine auf dieses wiederkehrende Problem hinzuweisen. Du kannst einen besseren Arbeitsplatz schaffen und gewerkschaftliche Organisierung wird dir dabei helfen. BW: Ein anderes vielversprechendes Thema ist die allgegenwärtige Angst um die eigene professionelle Entwicklung. Von Software-Ingenieur*innen wird erwartet, dass sie ständig neue Technologien erlernen um beschäftigungsfähig zu bleiben. Sie haben Angst zurückzufallen. Tatsächlich kam das Thema bei Lanetix oft auf. Als zwei der älteren Ingenieure gingen, hatten die Leute Angst nicht mehr länger in der Skills-Tretmühle mithalten zu können. Und zwar deswegen, weil diese zwei Ingenieure sehr fundierte Kenntnisse hatten und wir, einfach indem wir mit ihnen arbeiteten, eine Menge Dinge gelernt haben, die ganz materiell unsere längerfristige Jobsicherheit verbessert haben. Man findet diese Dynamik sehr oft vor. Wenn das Management entscheidet eine Beschleunigungsmaßnahme einzuführen oder die Leute dazu bringt Überstunden abzuleisten, sind es vor allem Lernmöglichkeiten, die verloren gehen. Das ist eine ernsthafte Bedrohung für jemanden, der versucht von seiner Arbeit als Software-Ingenieur*in zu leben. Ich denke also schon, dass das Bedürfnis der Ingenieur*innen ihre Skills im Job zu verbessern ein mögliches Motiv für die Organisierung liefern kann. Aber diese Art von Solidarität ist kompliziert und nicht so ganz geradlinig. Denn Arbeiter*innen können in einer Firma zusammenhalten, um ihre Skills auf Stand zu halten, und sich dadurch zugleich in eine Arbeitsmarktkonkurrenz mit Arbeiter*innen anderer Firmen begeben. Die Frage ist, wie wir Leute mit solchen Ängsten zusammenbringen können und sie in ein breiteres soziales Projekt integrieren, das sie nicht auf diese Weise spaltet. BT: Das bringt einen wichtigen Punkt zur Sprache. Wie gleich sind die Möglichkeiten verteilt sich im Tech-Bereich zu organisieren? Ich kann mir vorstellen, dass es für bestimmte Arbeiter*innen einfacher ist dem Management etwas entgegenzusetzen, als für andere. W: Wir müssen immer auf den Kontext achten. Deine Möglichkeiten gegen das Management zurückzuschlagen hängen stark von der Firma ab, für die du arbeitest, und von deinem eigenen Status als Ingenieur*in. Eine Belegschaft, die sich aus jungen Ingenieur*innen zusammensetzt, die gerade eines der Bootcamps abgeschlossen haben, wird eine schwächere Verhandlungsposition haben, als ein paar dienstältere Ingenieur*innen. BW: Es gibt da eine wachsende Polarisierung unter Software-Ingenieur*innen. Die tagtägliche Arbeit von Leuten mit dem Titel „Software-Ingenieur*in“ diversifiziert sich immer mehr. Einige Software-Ingenieur*innen machen eine Arbeit, die eine umfangreiche theoretische Ausbildung verlangt, wie etwa Writing-Compiler*innen, Übersetzer*innen von Programmiersprachen. Andere kommen frisch aus einem Bootcamp und wissen gerade genug, um eine JavaScript-App hinzubiegen. Das ist eine Herausforderung bei der Organisierung, denn die Verhandlungsmacht der Ersteren ist deutlich größer als die der Letzteren. Tatsächlich – und trotz dem Gerede über den Mangel an Software-Fachkräften – haben viele Absolvent*innen der Bootcamps Probleme in der Industrie Fuß zu fassen. Außerdem ist die Software-Industrie sehr ungleich. Man preist diese Welt als glorreiche Utopie postfordistischer Arbeitsbeziehungen, aber in Wirklichkeit sind viele Software-Unternehmen ziemlich planlose Eintagsfliegen. Sie werden unfassbar schlecht gemanagt und produzieren nutzlose Produkte, falls sie überhaupt irgendwas produzieren. Es gibt also Firmen, denen es extrem gut geht, und in denen gemeinsame Aktionen besser machbar sind, weil es objektiv im Interesse des Managements liegt, wenn das Zusammenspiel mit dir klappt. Und dann ist da die Mehrheit der Firmen, in denen das nicht so leicht der Fall ist. BT: Zum Ende: Was glaubt ihr, welche Rolle linke Politik in diesen Organisierungsdebatten spielen kann? Innerhalb der letzten Jahre ist eine kleine aber bedeutende Tech-Linke entstanden, verkörpert durch Organisationen, wie die Tech Workers Coalition und die Tech Action Working Group der New Yorker Gruppe der Democratic Socialists of America (DSA). Hat das Wissen um diese aktuellen politischen Entwicklungen eine Rolle unter euren Kolleg*innen in der Organisierungskampagne gespielt? BW: Falls du mich am Tag bevor wir gefeuert wurden gefragt hättest, wie informiert meine Kolleginnen über die Tech-Linke sind, hätte ich gesagt: überhaupt nicht. Aber dann, nachdem wir gefeuert wurden, stellte sich heraus, dass ein paar meiner Kolleg*innen auf einer Demo der Tech Workers Coalition in San Francisco waren. Und einige hatten Freund*innen bei der DSA-Gruppe in San Francisco. Trotzdem, so sehr ich das vielleicht gewollt hätte, wir haben nicht das Banner der Tech-Linken hochgehalten. Wir waren von einfachen, naheliegenden Dinge motiviert: Jane verteidigen, den Slack verteidigen, mehr bezahlter Urlaub. Aber selbst wenn Politik nicht die Hauptantriebskraft unserer Organisierungsbemühungen war, versuchte das Management Politik zu nutzen, um uns von der Organisierung abzuhalten. Ein paar Manager*innen, die angesichts der beginnenden gewerkschaftlichen Organisierung besonders links erscheinen wollten, haben immer darüber geredet, wie schlimm Trump doch ist. Solange du im Herzen gegen Trump bist, dachten sie wohl, kannst du doch keine böse gewerkschaftsfeindliche Manager*in sein. Es hat mich fasziniert, dass das Management die Opposition zu Trump als ein Schutzschild benutzt hat, um der angespannten Beziehung zwischen Chefs und Arbeiter*innen nichts ins Gesicht zu sehen. Die Spannungen waren nicht neu, aber das Bewusstsein darüber war es. Das war es, was mich an der ganzen Erfahrung letztlich so glücklich macht: Das Gefühl, dass der Schleier gelüftet wurde. Jede hat so etwas in der Richtung gesagt: Es war nicht so, dass alles auf einmal total schlimm wurde, sondern, dass wir uns bewusst darüber wurden, wie mies es die ganze Zeit schon war. Als der typische Internet-Marxist, der ich war, dachte ich, ich wäre darauf vorbereitet. Aber es tatsächlich passieren zu sehen war wirklich außergewöhnlich. Leute, die noch einen Monat vorher total scharf auf Posten im Management waren, wussten auf einmal sehr klar auf welcher Seite sie stehen. Man lernt sehr schnell auf welcher Seite man steht. Das Interview, geführt von Ben Tarnoff, erschien zuerst auf Englisch beim Jacobin Magazine. Die Übersetzung (Till Manderbach) ist eine Vorabveröffentlichung von Ada - dem deutschsprachigen Schwester-Magazin von Jacobin.