Dass solche Netzwerke in den letzten Jahren zunehmen, ist Zeichen eines Rechtsrucks in den Behörden und damit Ausdruck eines gesellschaftlich verbreiteten Rassismus, den wir auch auf anderen Feldern beobachten können: In den Parlamenten wird diese Bewegung durch die AfD verkörpert, in der öffentlichen Debatte wird sie dadurch gestützt, dass Protagonist*innen der extremen Rechten in Talkshows und Interviews viel Raum erhalten. Auf dem Feld des Terrorismus erleben wir seit 2019 eine ungeheure Ballung rechter Anschläge. Wesentlich an diesem Rechtsruck insbesondere in den Behörden ist, dass er nicht nur von Leuten getragen wird, die sich selbst als nationalsozialistisch verstehen. Es handelt sich vielmehr um Soldaten, Polizisten, Staatsanwälte (überwiegend Männer), die der rechten Erzählung vom Kontrollverlust nach 2015 anhängen. Sie teilen die Vorstellung, die Kanzlerin habe damals »einem Strom« geflüchteter Menschen die Grenzen geöffnet und so die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet. Dieses ebenso falsche wie wirkmächtige Narrativ ist zum Kristallisationspunkt einer Strömung geworden, die sich von demokratischen Grundrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien abwendet. An ihre Stelle tritt Selbstjustiz, ein Handeln, das als Notwehr verstanden und durch die Absicht legitimiert wird, das deutsche Volk vor seinem Untergang zu retten.
Verschärfend kommt eine ohnehin schon ungenügende Verankerung demokratischer Kultur in Polizei und Bundeswehr hinzu, gesteigerter Nationalismus, Hang zu Autorität, ein gefährlicher Korpsgeist, der Kritik als Verrat brandmarkt und jede Veränderung zum Besseren blockiert, sowie eine verhängnisvolle Vorstellung von Männlichkeit (vgl.Autor*innenkollektiv Fem. Intervention in diesem Heft). Diese Bedingungen werden immer wieder Strukturen wie die eingangs beschriebenen hervorbringen – und Männer, die zu schweren Gewalttaten fähig sind, wenn die Umstände es zulassen.
Was tun?
Zu den diskursiven Gewinnen der letzten Jahre zählt, dass die Strategie, derartige Vorkommnisse als Einzelfälle zu etikettieren, nicht einmal mehr von den Vertreter*innen der Sicherheitsbehörden verfolgt wird. Die Praxis entspricht jedoch weiterhin dem geübten Umgang. In den seltensten Fällen erfahren die leitenden Verantwortlichen Konsequenzen für ihr Versäumnis, solche Entwicklungen nicht erkannt und gestoppt zu haben. Anstrengungen, das Ausmaß der Demokratiefeindschaft in den Apparaten überhaupt zu erforschen, werden von höchster Ebene verhindert. Die von der SPD im Oktober als Kompromiss angekündigte Studie wird weder rechte Einstellungen noch strukturellen Rassismus untersuchen. Die Aussage, es werde um den polizeilichen Alltag gehen und um die Frage, inwieweit der Kontakt mit bestimmten Bevölkerungsgruppen bestimmte Einstellungen befördere, lässt befürchten, dass diese Untersuchung eher auf die Rechtfertigung rassistischer Praktiken hinauslaufen wird.
Ein echter Wandel müsste an der Erkenntnis ansetzen, dass Beamt*innen und Soldat*innen, die Todeslisten anlegen, Drohbriefe verschicken und Munition und Waffen entwenden, um einen Umsturz vorzubereiten, der Demokratie und dem Rechtsstaat den Krieg erklärt haben. Diese Kriegserklärung müsste ernst genommen und beantwortet werden. Polizei und Bundeswehr verfügen über ein beträchtliches Arsenal an Disziplinierungsmitteln. Bislang gelten jedoch vor allem diejenigen als Problem, die auf Missstände aufmerksam machen. Es ist entscheidend, dass auch diejenigen in den Blick genommen werden, die nicht widersprechen und beispielsweise rechte und rassistische Nachrichten unter Kolleg*innen nicht melden.
Dass sich immer mehr Politiker*innen für eine Einstellungsuntersuchung in Polizei und Militär aussprechen, ist gut. Die letzten Studien dieser Art liegen lange zurück. Zu fordern wären auch Untersuchungen über strukturellen Rassismus. Dabei geht es nicht mehr darum, diesen festzustellen. Das haben Organisationen wie die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland oder das Deutsche Institut für Menschenrechte seit Jahren getan. Vielmehr ginge es darum, Möglichkeiten zu identifizieren, wie diese Strukturen verändert werden können.
Die LINKE fordert unter anderem die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle mit Ermittlungs- und Aufsichtskompetenzen, an die sich Opfer rassistischer Polizeigewalt, aber auch Polizist*innen, die Verstöße bemerken, wenden können. Dass solche Stellen nicht nur zur Dokumentation von Missständen dienen, zeigt ein Blick nach Großbritannien. Dort kann das Independent Office for Police Conduct selbst Ermittlungen gegen Polizist*innen führen oder polizeiliche Ermittlungen begleiten. Auch beaufsichtigt diese Behörde sämtliche Einheiten, die für interne Ermittlungen in der Polizei zuständig sind. Fälle, bei denen Menschen in polizeilichem Gewahrsam sterben oder schwer verletzt werden, werden automatisch von dieser Behörde untersucht. Eine Beschwerdestelle für die Bundesrepublik sollte außerdem befugt sein, »unabhängig von individuellen Beschwerden von ihr identifizierte systemische Mängel [zu] untersuchen, die diskriminierendes oder unverhältnismäßiges Verhalten befördern«. Und sie sollte dem Bundestag jährlich Bericht erstatten.5
Auch der Defunding-Ansatz, der im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste große Bekanntheit erlangte, verdient eine gründliche Prüfung (vgl. Brazzell in diesem Heft). Zu klären wäre hier insbesondere, wie nicht nur die Umverteilung von Geldern, sondern auch von Befugnissen und damit verbundener gesellschaftlicher Anerkennung von der Polizei hin zu anderen Berufsgruppen, beispielsweise im Bereich der sozialen Arbeit, zu erreichen wäre. All das wird nicht aus den Apparaten heraus verfolgt und von keiner Bundesregierung aus freien Stücken angeschoben werden. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass es des gesellschaftlichen Drucks durch kritischen Journalismus, antifaschistische Recherche und linke Opposition bedarf, damit sich die Verantwortlichen zum Handeln genötigt sehen. Diesen Druck müssen wir erhöhen.