Nordkreuz

Im Sommer 2017 machten Medienberichte erstmals auf ein Netzwerk von sogenannten Preppern aufmerksam, in dem sich überwie­gend Männer auf den Zusammenbruch des Staates vorbereiten. Auch Polizisten und Sol­daten sind Teil dieser rechtsradikalen Grup­pe, die bei Ausbruch eines angenommenen Bürgerkriegs die Entführung und Ermor­dung von Linken plant. Ein verschlüsselter Telegram-Chat, der die Struktur des Netz­werks bildete, trug den Namen Nordkreuz. Analog existierten weitere Chatgruppen in Ost-, West- und Süddeutschland. Doch der Austausch fand nicht nur im digitalen Raum statt. Die Mitglieder verabredeten sich zu Schießübungen und sammelten Geld, um Munition, Vorräte und Ausrüstung für den »Tag X« zu kaufen. Die Gruppe verfügte auch über einen mobilen Operationssaal und eine gut ausgestattete Notunterkunft (vgl. Bennhold 2020). 

Sechs Nordkreuz-Mitglieder stehen inzwischen im Fokus von Ermittlungen der Bundesanwaltschaft. Beschuldigt sind jedoch nur zwei von ihnen. Jan-Hendrik H. und Haik J. wird die »Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat« vorgeworfen (§ 89a StGB). Über den Anwalt Jan-Hendrik H. sagte der AfD-Politiker Holger Arppe: »Er hasst die Linken, hat einen gut gefüllten Waffenschrank in der Garage und lebt unter dem Motto: Wenn die Linken irgendwann völlig verrückt spielen, bin ich vorbereitet.« (Zit. nach FAZ vom 31.8.2017)1 Dem Polizisten Haik J. wird unter anderem vorgeworfen, über seinen Dienstcomputer Meldedaten poten­zieller Opfer recherchiert zu haben. Weder der Chat-Administrator Marko G. noch André S., ehemaliger KSK-Soldat und unter dem Pseudonym »Hannibal« zentrale Figur in den bundesweiten Chatgruppen, gelten im Verfah­ren der Bundesanwaltschaft als Beschuldigte. Ab drei Beschuldigten kann in einem solchen Verfahren auch wegen Bildung einer terroristi­schen Vereinigung ermittelt werden. Insofern stellt sich die Frage, ob es daran liegt, dass das Verfahren lediglich gegen zwei Beschuldigte geführt wird. Sollten in dem Netzwerk auch V-Leute von Geheimdiensten sein und diese gar maßgeblich an den strafrechtlich relevanten Vorgängen beteiligt, wäre möglicherweise das Verfahren bedroht. 

Wie weit das rechte Netzwerk in den Po­lizeiapparat hineinreicht, zeigt das Beispiel eines Lokalpolitikers aus Ludwigslust. Nach­dem er 2015 eine anonyme Morddrohung erhalten hatte, wendete er sich an die Polizei, die im Zuge einer Sicherheitsberatung eine Skizze seiner Wohnung anfertigte. Im Sommer 2019 wurde er als Zeuge polizeilich vorgeladen, weil er auf der Feindesliste von Nordkreuz geführt wird. Das wusste die Polizei zu diesem Zeitpunkt bereits seit knapp zwei Jahren, informiert wurde er jedoch erst nach öffentlichem Druck. Die Beamt*innen teilten ihm mit, dass sich in den Unterlagen, die die Rechten über ihn gesammelt hatten, auch ein Grundriss seiner Wohnung befindet. Es ist jene Skizze, die die Kolleg*innen vom polizeilichen Staatsschutz 2015 angefertigt hatten.

NSU 2.0

Seit mehr als zwei Jahren erhalten vor allem Frauen, die sich öffentlich links und antiras­sistisch äußern, Drohbriefe, die mit NSU 2.0 unterschrieben sind. Regelmäßig finden sich in diesen Drohungen private Daten aus dem Umfeld der Bedrohten, die nicht öffentlich zugänglich sind. Der beabsichtigte Effekt ist klar: Einschüchterung. 

Die Vermutung liegt nahe, dass das Netzwerk der Täter*innen in den Polizeiapparat hinein­reicht und sich über mehrere Bundesländer erstreckt. Die Anwältin Seda Başay-Yıldız beispielsweise erhielt die erste Drohung an dem Tag, an dem in einem Frankfurter Poli­zeirevier ihre Daten abgerufen wurden. Auf dem Handy der Polizistin, die dafür mutmaß­lich verantwortlich ist, finden sich rassistische Nachrichten, die sie mit Kolleg*innen aus­tauschte. Einer von ihnen gilt als tatverdächtig, die Drohungen an Başay-Yıldız verschickt zu haben. Auch in den Fällen der Künstlerin Idil Baydar und des*der Autor*in Hengameh Yaghoobifarah wurden kurz vor dem Eintref­fen der Drohungen persönliche Daten von Polizist*innen in Wiesbaden, Hamburg und Berlin abgefragt (vgl. Erb u. a. 2020). 

Trotz offensichtlicher Hinweise konnten jedoch nach mehr als zwei Jahren keine Täter*innen ermittelt werden – vielleicht auch deshalb, weil die Fälle von den Landeskrimi­nalämtern (LKA) Berlin und Hessen bearbeitet werden und nicht vom Bundeskriminalamt. Ermittlungen im kollegialen Umfeld sind nachweislich weniger erfolgreich (vgl. Flörs­heimer in diesem Heft).

Der Neuköln-Komplex

Die Drohbriefe des NSU 2.0 sind jedoch nicht der einzige Fall, der ein schlechtes Licht auf das Berliner LKA wirft. Auch im Zuge der Ermittlungen zu einer Serie von rechten Bedrohungen und Brandstiftungen gegen Linke und antirassistisch Engagierte im Berliner Bezirk Neukölln gibt es Hinweise, dass die Täter*innen über Kontakte zum Polizeiapparat verfügen. So wurde im Rahmen des Bundestags-Untersuchungsausschusses zum Anschlag auf den Berliner Breitscheid­platz bekannt, dass Detlef M., Polizist und AfD-Mitglied, Ermittlungsinterna an eine Gruppe Gleichgesinnter weitergegeben haben soll – darunter auch Tilo P., einer der Haupt­verdächtigen in der Anschlagsserie. 

Der zweite Hauptverdächtige, Sebastian T., wurde wiederum 2018 von Beamt*innen des Berliner Verfassungsschutzes bei einem Treffen mit mehreren Personen in einer Knei­pe beobachtet. Unter den Personen befand sich laut Geheimdienst auch ein Polizist des Berliner LKA, der unter anderem für Observa­tionen zuständig ist. Möglicherweise wurden die Neonazis von dem Polizisten gewarnt, vielleicht wurden sie mit sensiblen Informati­onen versorgt. Die Polizei und der betreffende Beamte bestreiten das Treffen, eine Durch­suchung seiner Wohnung wurde mehrfach richterlich abgelehnt.

 Wenige Wochen zuvor brannte in Neukölln das Auto des LINKEN-Politikers Ferat Kocak (vgl. Gespräch in diesem Heft). Dass dieser von Neonazis ausspioniert wurde, wussten Berliner Verfassungsschutz und LKA, weil der Geheimdienst ein entsprechendes Telefonat der Neonazis mitangehört hatte. Doch Kocak wurde weder gewarnt noch geschützt. Dass er und seine Eltern unverletzt blieben und das Feuer nicht auf die Gaslei­tung des Hauses übergriff, in dem die Familie zum Zeitpunkt des Anschlags schlief, ist nur Kocaks schneller Reaktion und dem Glück zu verdanken (vgl. Middelhof u. a. 2020)

Sympathisant*innen des rechten Terrors sollten jedoch nicht nur in der Polizei gesucht werden. Die Auswertung eines Gruppenchats, in dem der Neonazi Tilo P. über eine Verneh­mung durch einen leitenden Berliner Staats­anwalt berichtet, zeigt, dass auch die Justiz in den Blick genommen werden muss. P. ver­sichert darin seinen Mitstreiter*innen, dass von diesem Staatsanwalt nichts zu befürchten sei. Er habe durchblicken lassen, die AfD zu unterstützen. 

Auch im Neukölln-Komplex spielen Datenabfragen durch die Polizei eventuell eine Rolle. Zu zwei Betroffenen der An­schlagsserie wurden Daten von Polizeicom­putern abgerufen – darunter in zwei Fällen von Beamt*innen des Staatsschutzes. Eine Erklärung für die Abfragen konnte das LKA bislang nicht liefern und selbst gegenüber der Berliner Datenschutzbeauftragten weigert sich die Polizei, ihrer gesetzlichen Pflicht zur Zusammenarbeit nachzukommen und die Abfragen zu erläutern (vgl. Betsch­ka/Fröhlich 2020). 

All das begründet ein wachsendes Miss­trauen gegen die Polizei und wirft die Frage auf, ob sich nicht genau das ereignet, was ein rechter Polizist in Drohbriefen an Berliner Linke 2017 angekündigt hatte: die Weiterga­be privater Daten durch Polizist*innen an Neonazis.3

Schattenarmee oder Einzelfälle?

So wenig es sich um Einzelfälle ohne syste­matische Bedeutung handelt, so wenig haben wir es bisher mit dem koordinierten Versuch eines Staatsstreiches zu tun. Die bekannt ge­wordenen Fälle legen eher nahe, dass es sich um lose verbundene Netzwerke handelt, die aber durchaus Absichten verfolgen, die einem Staatsstreich nahekommen. Keineswegs geht es bei den Plänen von Nordkreuz und anderen nur um Vorbereitungen auf einen imaginären Notfall. Sie deponieren Waffen und Munition, um im richtigen Moment schlagkräftig zu sein. Der Übergang zu Aktionen, die darauf zielen, einen Bürgerkrieg zu provozieren, ist fließend. Das zeigt auch das Beispiel von Fran­co Albrecht, einem Bundeswehr-Oberleutnant, der im Kontakt zum Nordkreuz-Netzwerk stand und plante, unter der falschen Identität eines Flüchtlings einen schweren Anschlag zu begehen, um die gesellschaftliche Stimmung zuzuspitzen.4 Solche Pläne sind nicht neu, sondern finden sich immer wieder in der Geschichte der extremen Rechten (vgl. Rigoll in diesem Heft). Der schwerste Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik, das Attentat auf das Oktoberfest im September 1980, hatte eine solche Eskalation zum Ziel. Auch die Idee vom »Tag X«, vom Bürgerkrieg als Ausnahmezustand, war schon immer ein Fixpunkt der extremen Rechten. Die Drohung des Untergangs legitimiert die Wahl brutalster Mittel.

Dass solche Netzwerke in den letzten Jahren zunehmen, ist Zeichen eines Rechts­rucks in den Behörden und damit Ausdruck eines gesellschaftlich verbreiteten Rassismus, den wir auch auf anderen Feldern beobachten können: In den Parlamenten wird diese Bewegung durch die AfD verkörpert, in der öffentlichen Debatte wird sie dadurch gestützt, dass Protagonist*innen der extremen Rechten in Talkshows und Interviews viel Raum erhal­ten. Auf dem Feld des Terrorismus erleben wir seit 2019 eine ungeheure Ballung rechter Anschläge. Wesentlich an diesem Rechtsruck insbesondere in den Behörden ist, dass er nicht nur von Leuten getragen wird, die sich selbst als nationalsozialistisch verstehen. Es handelt sich vielmehr um Soldaten, Polizisten, Staatsanwälte (überwiegend Männer), die der rechten Erzählung vom Kontrollverlust nach 2015 anhängen. Sie teilen die Vorstel­lung, die Kanzlerin habe damals »einem Strom« geflüchteter Menschen die Grenzen geöffnet und so die Sicherheit der Bundes­republik gefährdet. Dieses ebenso falsche wie wirkmächtige Narrativ ist zum Kristalli­sationspunkt einer Strömung geworden, die sich von demokratischen Grundrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien abwendet. An ihre Stelle tritt Selbstjustiz, ein Handeln, das als Notwehr verstanden und durch die Absicht legitimiert wird, das deutsche Volk vor seinem Untergang zu retten. 

Verschärfend kommt eine ohnehin schon ungenügende Verankerung demokratischer Kultur in Polizei und Bundeswehr hinzu, gesteigerter Nationalismus, Hang zu Autorität, ein gefährlicher Korpsgeist, der Kritik als Verrat brandmarkt und jede Veränderung zum Besseren blockiert, sowie eine verhäng­nisvolle Vorstellung von Männlichkeit (vgl.Autor*innenkollektiv Fem. Intervention in diesem Heft). Diese Bedingungen werden immer wieder Strukturen wie die eingangs beschriebenen hervorbringen – und Männer, die zu schweren Gewalttaten fähig sind, wenn die Umstände es zulassen.

Was tun?

Zu den diskursiven Gewinnen der letzten Jahre zählt, dass die Strategie, derartige Vorkommnisse als Einzelfälle zu etikettieren, nicht einmal mehr von den Vertreter*innen der Sicherheitsbehörden verfolgt wird. Die Praxis entspricht jedoch weiterhin dem geübten Umgang. In den seltensten Fällen erfahren die leitenden Verantwortlichen Konsequenzen für ihr Versäumnis, solche Entwicklungen nicht erkannt und gestoppt zu haben. Anstrengungen, das Ausmaß der Demokratiefeindschaft in den Apparaten überhaupt zu erforschen, werden von höchster Ebene verhindert. Die von der SPD im Oktober als Kompromiss angekündigte Studie wird weder rechte Einstellungen noch strukturellen Rassismus untersuchen. Die Aussage, es werde um den polizeilichen Alltag gehen und um die Frage, inwieweit der Kontakt mit bestimmten Bevölkerungsgrup­pen bestimmte Einstellungen befördere, lässt befürchten, dass diese Untersuchung eher auf die Rechtfertigung rassistischer Praktiken hinauslaufen wird. 

Ein echter Wandel müsste an der Er­kenntnis ansetzen, dass Beamt*innen und Soldat*innen, die Todeslisten anlegen, Droh­briefe verschicken und Munition und Waffen entwenden, um einen Umsturz vorzubereiten, der Demokratie und dem Rechtsstaat den Krieg erklärt haben. Diese Kriegserklärung müsste ernst genommen und beantwortet werden. Polizei und Bundeswehr verfügen über ein beträchtliches Arsenal an Diszi­plinierungsmitteln. Bislang gelten jedoch vor allem diejenigen als Problem, die auf Missstände aufmerksam machen. Es ist ent­scheidend, dass auch diejenigen in den Blick genommen werden, die nicht widersprechen und beispielsweise rechte und rassistische Nachrichten unter Kolleg*innen nicht melden. 

Dass sich immer mehr Politiker*innen für eine Einstellungsuntersuchung in Polizei und Militär aussprechen, ist gut. Die letzten Studien dieser Art liegen lange zurück. Zu fordern wären auch Untersuchungen über strukturellen Rassismus. Dabei geht es nicht mehr darum, diesen festzustellen. Das haben Organisationen wie die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland oder das Deutsche Institut für Menschenrechte seit Jahren getan. Vielmehr ginge es darum, Möglichkeiten zu identifizieren, wie diese Strukturen verändert werden können. 

Die LINKE fordert unter anderem die Einrichtung einer unabhängigen Beschwer­destelle mit Ermittlungs- und Aufsichtskom­petenzen, an die sich Opfer rassistischer Polizeigewalt, aber auch Polizist*innen, die Verstöße bemerken, wenden können. Dass solche Stellen nicht nur zur Dokumentation von Missständen dienen, zeigt ein Blick nach Großbritannien. Dort kann das Independent Office for Police Conduct selbst Ermittlungen gegen Polizist*innen führen oder polizeiliche Ermittlungen begleiten. Auch beaufsichtigt diese Behörde sämtliche Einheiten, die für interne Ermittlungen in der Polizei zuständig sind. Fälle, bei denen Menschen in polizei­lichem Gewahrsam sterben oder schwer verletzt werden, werden automatisch von dieser Behörde untersucht. Eine Beschwerde­stelle für die Bundesrepublik sollte außerdem befugt sein, »unabhängig von individuellen Beschwerden von ihr identifizierte systemi­sche Mängel [zu] untersuchen, die diskrimi­nierendes oder unverhältnismäßiges Verhal­ten befördern«. Und sie sollte dem Bundestag jährlich Bericht erstatten.5

Auch der Defunding-Ansatz, der im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste große Bekanntheit erlangte, verdient eine gründli­che Prüfung (vgl. Brazzell in diesem Heft). Zu klären wäre hier insbesondere, wie nicht nur die Umverteilung von Geldern, sondern auch von Befugnissen und damit verbundener ge­sellschaftlicher Anerkennung von der Polizei hin zu anderen Berufsgruppen, beispielsweise im Bereich der sozialen Arbeit, zu erreichen wäre. All das wird nicht aus den Apparaten heraus verfolgt und von keiner Bundesregie­rung aus freien Stücken angeschoben werden. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass es des gesellschaftlichen Drucks durch kritischen Journalismus, antifaschistische Recherche und linke Opposition bedarf, da­mit sich die Verantwortlichen zum Handeln genötigt sehen. Diesen Druck müssen wir erhöhen.

1. Vgl. www.faz.net/aktuell/politik/inland/mecklenburg-vorpommern-afd-fraktionsvize-arppe-tritt-zurueck-15177753.html.[/ref] 

2.Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE »Ermittlungen gegen mutmaßliche rechtsterroristische Vereinigungen« (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/011/1901130.pdf)

3. Vgl. www.rbb-online.de/kontraste/pressemeldungen-texte/drohbriefe-eines-berliner-polizisten--hatte-er-helfer-.html

4. Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE »Rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr – Erkenntnisse zu Franco A., Nordkreuz & Uniter e. V.« (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/173/1917340.pdf)

5. Vgl. Antrag der Fraktion DIE LINKE »Unabhängige Polizeibeschwerdestelle auf Bundesebene einrichten« (https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/071/1907119.pdf).

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