Nach Trump, Grillo und Le Pen?

Grillo, Le Pen, Wilders, Petry: Ist ihr großer Moment gekommen? Angesichts anstehender Wahlen quer durch Europa und einem Referendum in Italien fürchtet das Establishment ein politisches Beben. Verbissen in die Migrationskrise und die traumatischen Angelegenheiten des Brexit, hatten die Regierenden der Europäischen Union schon genug um die Ohren, bevor Donald Trump die Macht im Weißen Haus an sich riss. Die Neuigkeit von seinem Triumph brach über Europa herein wie zuvor am 23. Juni das britische Abstimmungsergebnis zum Austritt aus der EU, allen Umfrageinstituten und politischen Eliten zum Trotz, die behaupteten, dass die Wähler*innen der „fortgeschrittensten Demokratie der Welt“ einen solchen Schlag gegen die etablierte Ordnung nicht führen würden. Doch dann taten sie eben das. Trumps Wahlsieg veranlasste dieselben Eliten in EU-Hauptstädten, die zuvor den Brexit als kurzfristige Rebellion des schwierigsten Mitglieds darzustellen beliebten, ihre komfortablen Annahmen zu hinterfragen und sich endlich der Möglichkeit des Unmöglichen zuzuwenden. Die Frage ist: „Was geschieht als nächstes −und wo?“ Frankreich geht auf eine Präsidentschaftswahl im nächsten Frühjahr zu. Es wird erwartet, dass die populistische, EU-Gegnerin und Führerin des Front National, Marine le Pen, in die zweite Runde der Wahlen, die Stichwahl, einziehen wird, gegen den altgedienten orthodox-neoliberalen, ultra-rechten Abtreibungs- und Schwulengegner François Fillon von der Partei Les Républicains. Er ist der Favorit für den Élysée-Palast. Doch die Ereignisse in den USA, gegen fast alle Voraussagen, haben Risse in der arroganten Haltung des Pariser Establishments verursacht. Sie wecken ein mulmiges Gefühl nicht nur in Paris, sondern auch in Brüssel, Berlin und anderswo. „Heute die Vereinigten Staaten, morgen Frankreich“, twitterte Le Pens Vater und Parteigründer Jean-Marie. Ein Sieg für die Front National-Führerin könnte durch die Wahl Donald Trumps und den Brexit wahrscheinlicher geworden sein. Fillon hofft, als früherer Minister und dann Preminierminister von 2007 bis 2012 jene anzuziehen, die sich von den letzten Präsidenten im Stich gelassen fühlten und eine verantwortlichere Staatsführung wollen. Doch er verkörpert die alte Ordnung und wird von Le Pen auch als solche dargestellt werden – ganz so, wie es Hillary Clinton mit Trump erging. Sie tritt als Vertreterin der kleinen Leute auf, verspricht soziale Reformen für Franzosen. Nichts könne mehr als sicher gelten, und Le Pen könne und dürfe nicht als unvermeidliche Zweite abgetan werden, sagen nun auch Politiker aus dem Zentrum des Establishments. „Seit dem Brexit ist es nicht mehr die Vernunft, die den Ton angibt. Frau Le Pen kann in Frankreich gewinnen“, schloss der frühere Premierminister Jean-Pierre Raffarin. Für die Europäische Union wäre ein Sieg Le Pens weit schlimmer als der Brexit. Der Brexit kann eingedämmt werden. Ein von einer EU-gegnerischen Präsidentschaftskandidatin eingenommenes Frankreich nicht. Ihr Sieg könnte die EU zerstören. „Es wäre verhängnisvoll, existenziell, das Ende“, sagte ein EU-Diplomat. Stephan Mayer, CSU-Abgeordnter im Bundestag und Parteisprecher für Innenpolitik, erklärte in Berlin, falls Le Pen Frankreich übernehmen und aus Euro und EU herausführen würde, sei das Europäische Projekt erledigt. Norbert Röttgen, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses im Bundestag und seinerseits nicht für dramatische Übertreibungen bekannt, sagte, die Länder der Kernunion könnten sich nicht länger als immun gegen populistische Bewegungen begreifen: „Wir müssen uns auf Auflösungserscheinungen einstellen; auch das Undenkbare kann geschehen, und somit sollten wir nicht als gegeben annehmen, dass Le Pen nicht gewinnen kann.“ Philippe Juvin, konservatives Mitglied des Europäischen Parlaments aus Frankreich, sagte, die Suche nach Stimmen müsse in Frankreich auf dieselben weißen, sich abgehängt fühlenden Wähler*innen der Arbeiterklasse zielen, auf jene, die Trump in den USA unterstützt hatten. „Wir müssen aufhören, zu sagen, dass diese Leute falsch liegen, und ihnen zuhören“, erklärte er. Die Gefahr aus der Richtung Le Pens ist sehr real, so Juvin, und fügte hinzu, dass es in Frankreich geschichtliche Tradition sei, die etablierte Macht zu kippen. „Wenn Sie nicht verstehen, dass wir Revolutionäre sind, verstehen Sie nichts von den Franzosen. Erinnern Sie sich daran, dass wir vor nur zehn Jahren die EU-Verfassung durch ein Referendum abgeblockt haben.“ Dies kann sich durchaus wiederholen, mit ganz anderen geschichtlichen Folgen.

Schon morgen das nächste Beben?

Doch Frankreich ist nicht das einzige Problem für Europas führende Kräfte beim Versuch, die Union zusammen- und das Anschwellen des Rechtspopulismus aufzuhalten. Im nächsten Jahr gehen auch die Wähler_innen in den Niederlanden zur Urne, und hier stellt Geert Wilders von der ultrarechten Partei für die Freiheit eine Bedrohung dar – auch er ist seit Trumps Wahlsieg in heiterer Stimmung. „Die Politik wird nicht mehr dieselbe sein“, so Wilders. „Was in Amerika geschah, kann auch in Europa, und auch in den Niederlanden geschehen.“ Vor 2017, dem großen Wahljahr – in welchem es auch in Deutschland gewählt wird –, stehen schon morgen Präsidentschaftswahlen in Österreich an. Norbert Hofer von der Freiheitlichen Partei (FPÖ) hatte gute Chancen, die Wahl für sich zu entscheiden. Und am gleichen Tag, dem 4. Dezember, steht das Referendum zur Verfassungsreform in Italien an, von dem Premierminister Matteo Renzi seine Zukunft abhängig gemacht hat. Eine Ablehnung ist hoch wahrscheinlich, wenn auch laut Umfragen knapp. Bei möglichen Neuwahlen könnte Beppe Grillo von der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung Ministerpräsident werden (zu Italien vergleiche die Beiträge von Beppe Caccia und Marco Revelli im nächsten Heft [3/2016]). Während Renzi sich seitens Beppo Grillos bedroht sieht, wächst in Polen und Ungarn der Vorsprung der rechten Nationalisten. Trumps Sieg hat die EU auch auf andere Weise getroffen. Der Ton gegenüber einem Brexit wird rauher, die EU lässt vernehmen, dass sie es den Briten nicht leicht machen werden, falls Theresa May nach der einmal getroffenen Entscheidung, eine Mitgliedschaft im gemeinsamen Markt, bei Europol und gar einen Anteil an EU-Forschungsgeldern fordern würde – ohne sich europäischen Regelwerken und der Rechtsprechung europäischer Gerichtsentscheide zu unterwerfen und zu EU-Etats beizutragen. Viel von der harten Rhetorik kommt aus Paris, wo die Befürchtung herrscht, dass falls das Vereinte Königreich einen zu günstigen Exit-Deal bekommt, Le Pen zum Undenkbaren ermutigt wird. Die EU bröckelt nicht mehr nur an ihren Rändern.

Ein Jahr voller politischer Unruhe

4. Dezember: Verfassungsreferendum in Italien

Wie erwähnt: Die Wähler*innen werden in einem Referendum über eine Verfassungsreform des politischen Systems abstimmen, die - vermeintlich gegen das alte politische Establisment, auch in der eigenen Partei - gerichtet, Premierminister Matteo Renzi mehr Macht verleihen soll. Gegenwärtig führt die Anti-Establishment-Bewegung Fünf-Sterne unter ihrem Gründer Beppe Grillo die Umfragen an. Grillo hatte Trumps Sieg als Rechtfertigung seiner eigenen Außenseiterposition begrüßt. Renzi hat angekündigt, zurückzutreten, falls er das Referendum nicht gewinnt. Bei Neuwahlen könnte Grillo Ministerpräsident werden, evtl. in einer großen Koalition mit der Forza Italia Berlusconis. Grillo will den Austritt aus dem Euro, mithin der EU.

4. Dezember: Präsidentschaftswahlen in Österreich

In Österreich wird die Präsidentschaftswahl wiederholt, in deren Folge Norbert Hofer von der rechten, migrationsfeindlichen Freiheitlichen Partei zum Staatsoberhaupt gekürt werden könnte. Das Ergebnis der ersten Wahl im Mai, bei dem Hofer mit 31.000 Stimmen zurücklag, war aufgrund von - marginalen - Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung vom Gericht kassiert worden.

15. März 2017: Wahlen in den Niederlanden

Die Freiheitspartei des rechten Populisten und migrationsfeindlichen Kampagnenführers Geert Wilders, liegt in Umfragen Kopf an Kopf mit den Liberalen von Premierminister Mark Rutte. Wilders, der im Jahr 2016 der Republican party convention beiwohnte, imitiert die Austrittskampagne in Großbritannien – ihm zufolge müssen die Niederländer_innen am Wahltag „ihr Land zurückgewinnen“.

23. April / 7. May 2017: Präsidentschaftswahlen in Frankreich

Die erste Wahlrunde wird am 23. April stattfinden. Le Pen, die Anführerin des EU-feindlichen Front National, wird es voraussichtlich leicht in die zweite, entscheidende Runde schaffen. Dann wird sie am 7. Mai sehr wahrscheinlich Fillon, dem Vertreter der alten Ordnung gegenüberstehen. Fillon ist der Favorit eines Landes, das weiterhin mehrheitlich der EU-Mitgliedschaft zuneigt. Doch die Nervosität steigt, eine Überraschung ist in Reichweite.

September 2017: Wahlen in Deutschland

In Deutschland ist eine populistische Führung unwahrscheinlich. Wenn jedoch die euro-skeptische Alternative für Deutschland mit Frauke Petry, ihre derzeitigen Umfragewerte übertrifft, würde dies auch beim europäischen Hegemon ein politisches Beben auslösen. Schon jetzt übernimmt die Regierung mehr und mehr rechtspopulistische Positionen, trotz Merkels Beteuerung einer offen Haltung in Sachen Migration. Die Realität sieht mittlerweile anders aus. 

Aus dem Englischen von Corinna Trogisch und Mario Candeias Leicht veränderte Fassung eine Beitrags aus The Guardian.