„Resilienz“ hat in den vergangenen Jahren Eingang in die Publikationen diverser internationaler Organisationen wie der Europäischen Union oder der OECD gefunden. Wohl auch deshalb gilt „Resilienz“ hier und da als „Schlüssel neoliberaler Krisenbearbeitung“ (Felix Syrovatka) bzw. als „ein grundsätzlich konservatives Konzept“ (Stefanie Graefe). Wir widersprechen in unserer Studie dieser Wertung und halten es für sinnvoll und geboten, auch von linker Seite in den öffentlichen Diskurs über „Resilienz in der Pandemie“ zu intervenieren. Auch vertreten wir die Auffassung, dass der Begriff selbst erst dann recht griffig wird, wenn er empirisch gefüllt wird: Welches System, welche Systemfunktionen sind gemeint? Entgegen der verbreiteten Auffassung, dass „wir mit unserer Demokratie“ bisher besser als andere Regierungsformen durch die Pandemie gekommen seien, halten wir es für notwendig zu fragen, wie „resilient“ sich „unsere Demokratie“ in Corona-Zeiten zeigt. Und was wäre im Sinne einer gegenüber paternalistischen und autoritären Versuchungen resilienten Demokratie nicht nur als Regierungsform, sondern auch als Lebensweise zu verbessern?
„Bounce back“ – „bounce forward“
Resilienz ist in den vergangenen Jahren zu einem Modewort geworden. In der aktuellen Pandemie steht „Resilienz“ summarisch für eine bessere Vorbereitung auf zukünftige Pandemien, dabei vor allem für die Fähigkeit, schmiegsam auf exogene Schocks zu reagieren, systemische Funktionen aufrecht zu erhalten und nach Möglichkeit zu verbessern. „Elastizität“, „Robustheit“, „Anpassungsfähigkeit“, „Widerstandsfähigkeit“ zählen dabei zu den häufigsten Zurechnungen. Florian Roth, der am Competence Center Politik und Gesellschaft am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) Resilienzforschung betreibt, fasst Resilienz von Systemen zunächst traditionell als „Fähigkeit zum bounce back“: „Je schneller das betroffene System seine normale Funktionsweise zurückerlangt, desto resilienter ist es.“ „Interessanter“ allerdings sei indes ein „erweiterter Resilienzbegriff“: "Hier steht die Fähigkeit im Zentrum, langfristig zu überleben und zu prosperieren. Ziel ist entsprechend nicht notwendigerweise die Rückkehr in den Systemzustand vor einem Schockereignis, sondern eine kontinuierliche Anpassung unter sich verändernden Umweltbedingungen. Durch diese Anpassung an neue Bedingungen wird der bounce forward möglich, bei dem das System nach einer Krise leistungsfähiger und langlebiger ist als davor." (Roth 2020) Erhalt und Wiederherstellung oder Wandel und Sprung nach vorn (Fortschritt), so ließen sich diese beiden Perspektive alternativ zuspitzen. Offen bleibt, von welchem „System“ und von welchen „das System“ dominierenden Funktionen und Zwecken die Rede sein soll, das „leistungsfähiger und langlebiger als zuvor“ aus der Krise hervorgehen soll, also etwa vom kapitalistischen Wirtschaftssystem oder vom demokratischen System bzw. Demokratie als gesellschaftliche Lebensweise. Resilienz eines Systems schließt in der Theorie nicht aus, dass die Akteure des Systems im Krisenfall auf die Fähigkeit angewiesen sind oder setzen wollen, sich eine neue soziale Ordnung zu geben, um elementare Systemfunktionen aufrechtzuerhalten. Von dieser Offenheit zeugt auch die moderne Geschichte des Begriffs in den Ingenieur- und Sozialwissenschaften.
Resilienz und Politiken der Sicherheit
Resilienzforschung, Sicherheitsforschung und Risikoanalyse entwickelten sich seit den 1970er Jahren Hand in Hand. Ursprünglich galt „Resilienz“ dabei als alternative Strategie, schreibt Stefan Kaufmann, als ein „Denken, das die prinzipiellen Grenzen der Sicherheit und Verlässlichkeit großtechnischer Systeme ins Zentrum stellt, das Monopolstrukturen, ob im Bereich Energie oder Informationstechnik, als Sicherheitsrisiko ansieht“: "(…) ein Denken, das zur prinzipiellen planerischen Vorsicht mahnt, das dazu anhält, Ungewissheit und Nicht-Kalkulierbares immer schon in Rechnung zu stellen. Entsprechend verbindet sich mit Resilienz die Programmatik der Suche nach alternativen Pfaden, nach kleinen, dezentralen, diversifizierten Lösungen, und nach Politiken, die sich jenseits dominanter ökonomischer Logik bewegen." (Kaufmann 2013) Umgangssprachlich formuliert: „Resilienz“ begann ihre moderne Karriere als Kontrapunkt zu Fortschritts- und Planungsgläubigkeit – als Murphy’s law, shit happens und Alternativen sind möglich die entsprechenden Wissenschaftszweige unter Druck setzten. Resilienz wurde, wörtlich und sinngemäß, nach der Ölkrise der 1970er Jahre in einer Studie für das Pentagon ins Spiel gebracht als alternative Strategie gegen die enorme Störanfälligkeit der Energieinfrastruktur und ebenso von der Anti-Atomkraft-Bewegung gegen den Bau von weiteren Kernkraftwerken. Resilienz ist – wie „Nachhaltigkeit“ oder „Verwundbarkeit“ bzw. „Vulnerabilität“, dem Schwesterbegriff von Resilienz – in den politischen Mainstream und in die herrschende Politik eingewandert.[1]